Sieht so das Jurastudium der Zukunft aus?
Im Sitzungssaal E.200 im Deutschen Bundestag wird es am Freitag um Reformen in Jurastudium und Rechtsreferendariat gehen. Die Fraktionen der FDP und der Linken haben Vorschläge erarbeitet, am Freitag findet die Sachverständigenanhörung statt. Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft und den Verbänden sollen ihre Einschätzung zu den Vorschlägen abgeben.
Denn die FDP-Fraktion will die Bundesregierung auffordern, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Liberalen wollen die juristische Ausbildung stärker mit den Themen Digitalisierung und Legal Tech anreichern. Das Deutsche Richtergesetz (DRiG) soll dahingehend geändert werden, dass Digital- und Datenkompetenzen als Schlüsselqualifikation anerkannt werden, auch im Referendariat sollen sie einen höheren Stellenwert erhalten. Durch eine Bundesförderung sollen zudem neue Lehrstühle für Legal Tech geschaffen werden.
Der Antrag der Linken zielt dagegen mehr auf das Eingemachte in der Ausbildung ab: Nämlich vor allem auf die Prüfungsmodalitäten, zum Beispiel E-Examen, Absichten und Hilfsmittel in Klausuren.
Die Bundesregierung schafft derweil Tatsachen
Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung eigentlich gar nicht mehr ausdrücklich zum Handeln aufgefordert werden muss, denn sie ist bereits voll dabei. Einen entsprechenden Gesetzentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat das Kabinett Mitte November abgesegnet, er wird den Bundestag bald als Gesetzesvorhaben erreichen. Mit dem Vorhaben sollen im DRiG die Weichen gestellt werden, damit die Länder das Examen am Laptop und ein Referendariat in Teilzeit einführen können. Der Entwurf sieht vor, den Ländern einen Vorlauf für die Neuorganisation von zumindest eineinhalb Jahren einzuräumen. Wann das Examen am Laptop für Jurastudierende und Referendare Realität wird, hängt vom Engagement der einzelnen Länder bei der Umsetzung ab. Denn der Entwurf verpflichtet sie erstmal zu nichts. Erste Länder gehen aber schonmal auf Kurs und ändern ihre Ausbildungsordnungen.
Was dagegen die Oppositionsfraktionen planen, hat nach den Gesetzen des parlamentarischen Betriebes zunächst wenig Chancen auf zeitnahe Verwirklichung. Dennoch bieten die Stellungnahmen einen aufschlussreichen Einblick in die den Plänen der Bundesregierung bevorstehende Kritik.
Die von der Opposition eingeladenen Expertinnen und Experten gehen in ihren Stellungnahmen über die Vorschläge des Regierungsentwurfs zur Reform der Ausbildung hinaus. Sie setzen sich neben den Prüfungen am Computer und dem Teilzeitreferendariat auch mit dem Abschichten von Examensklausuren, der Einführung eines integrierten Bachelor-Abschlusses, der Vergütung von Korrektorinnen und Korrektoren sowie einer unabhängigen Zweitkorrektur auseinander.
Sollte das Examen am Computer Pflicht werden?
Die Pläne für das E-Examen werden auch vom Deutschen Anwaltverein (DAV) unterstützt. Die juristischen Examina könnten sich der zunehmenden Digitalisierung in der Berufswelt der Juristinnen und Juristen nicht dauerhaft verschließen, heißt es in der Stellungnahme. Prof Dr. Elisa Hoven, Strafrechtsprofessorin an der Uni Leipzig, fasst ihrerseits zusammen: "Eine fünfstündige Klausur mit Papier und Stift zu schreiben, ist antiquiert".
Prof. Dr. Michael Beurskens, Zivilrechtsprofessor an der Uni Passau, wird besonders deutlich. Er hält nichts von einer bloßen Option für das E-Examen, sondern plädiert für eine einheitliche Pflicht zur Computerklausur. Anderenfalls drohten Gleichbehandlungsprobleme gegenüber den Prüflingen, die per Hand die gleiche Klausur schreiben. "Während man vor der Ausformulierung eines handschriftlichen Gutachtens auf Papier im Detail wissen sollte, in welcher Reihenfolge man prüft und wie ausführlich man einzelne Punkte diskutiert, ermöglicht der PC-Einsatz das beliebige Einfügen und Verschieben von Textblöcken – die Struktur kann also anders als bei einer Papierklausur noch während des Schreibens verändert werden", führt Beurskens aus. Dies begünstige einen eher frühen Schreibbeginn, während bei handschriftlichen Klausuren der Großteil der Zeit mit der Lösungsskizze verbracht werde.
In jedem Fall müsse den Ländern für die Einführung des E-Examens ausreichend Vorbereitungszeit bleiben, so Beurskens. Gerade für die großen Flächenländer mit vielen Universitätsstandorten wie Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen sei die Einführung mit hohem Aufwand verbunden. Zivilrechtsprofessorin Dr. Anne Sanders von der Uni Bielefeld weist daraufhin, dass die Einführung des E-Examens viel Geld kosten wird – und trotzdem fordert auch sie eine einheitlich verpflichtende Prüfung am Computer. Bemerkenswert ist, dass die Begeisterung der Jurastudierenden für ein Digital-Examen laut einer aktuellen Umfrage bislang gar nicht so groß zu sein scheint, wie man erwarten könnte.
Open-Book-Klausur: Examen mit unbegrenzten Hilfsmitteln?
Eine echte Open-Book-Klausur im Examen kann sich Prof. Dr. Dr. h. c. Barbara Dauner-Lieb, Zivilrechtsprofessorin an der Uni Köln, vorstellen. Dabei könnten die Geprüften dann auf alle verfügbaren Hilfsmittel zurückgreifen, die ihnen auch im späteren Beruf bei ihrer Arbeit zur Verfügung stehen. Sorgen um die Aussagekraft solcher digitalen Prüfungen mit allen Hilfsmitteln macht sich Dauner-Lieb nicht: Praktische Erfahrungen im Universitätsbetrieb mit Open-Book-Klausuren zeigten, dass die von den Studierenden abgegebenen Texte in hohem Maße aussagekräftig für die Fähigkeiten der Geprüften sind.
Auch der DAV spricht sich grundsätzlich für den Einsatz von Datenbanken und Online-Standardkommentaren in den Prüfungen aus. "Die Möglichkeit, diese zu verwenden, verringert für die Examenskandidatinnen und -kandidaten auch die Notwendigkeit, unnötig viel Wissen zu Einzelproblemen auswendig zu lernen." In einem immer komplexeren und kleinteiligeren Normengefüge solle es vielmehr auf Problembewusstsein, Grundlagenwissen und Handwerkszeug, insbesondere juristische Argumentationsfähigkeit, ankommen, so der DAV.
Gegen zusätzliche Hilfsmittel über Datenbanken im Ersten und Zweiten Examen spricht sich Prof. Dr. Sebastian Omlor, Lehrstuhlinhaber für das Zivilrecht an der Uni Marburg, aus. Er befürchtet, dass in der Vorbereitung Examenskandidatinnen und -kandidaten nur noch das schnelle Nachschlagen und die optimale Klausurtechnik erlernen und sich deshalb nicht mehr nachhaltig juristisches Wissen aneignen.
Abschichten für alle?
Professorin Hoven spricht sich außerdem für eine bundesweite Einführung des Abschichtens aus, also die Möglichkeit, die Examensarbeiten pro Rechtsgebiet zeitlich versetzt in Blöcken ablegen zu können. Diese Entzerrung der Klausurphase stelle für viele Prüflinge eine wichtige psychologische Entlastung dar. Sie ermögliche es ihnen zudem, so Hoven, sich jeweils ganz auf ein Rechtsgebiet zu konzentrieren.
Damit rücke man auch näher an der Praxis heran: Keine Richterin oder Richter müsse an einem Tag komplexe zivilrechtliche und am Folgetag strafrechtliche Sachverhalte prüfen, so die Leipziger Professorin. Die aktuellen Pläne in Nordrhein-Westfalen, das Abschichten wieder abzuschaffen, hält sie für "äußerst bedauerlich".
Für eine generelle Abschaffung spricht sich Professor Omlor aus. Er befürchtet ein "Etappenlernen", bei dem das Verständnis für das Ineinandergreifen der Rechtsgebiete auf der Strecke bleibt.
Weniger Klausuren im Examen und Jura-Bachelor inklusive?
Kritisch sieht der DAV den Vorschlag im Antrag der Linken, die Anzahl der Klausuren im Ersten und Zweiten Examen zu reduzieren. Er befürchtet gar eine "Verschulung" des Jurastudiums durch die Ideen der Linken, einen Bachelor-Abschluss ins Jurastudium zu integrieren, weitere Präsenzpflichten einfzuführen und ein Credit-Point-System wie im typischen Bachelor-Master-System vorzusehen. Darin sieht der DAV das Renommée der Juristenausbildung made in Germany gefährdet.
Professorin Sanders begrüßt indes einen integrierten Bachelorabschluss, einen Schaden für das Renommée der Ausbildung fürchtet sie nicht. Vielmehr seien die beruflichen Wege von Juraabsolventen vielfältiger geworden. Auch darauf müsse die Juristenausbildung reagieren.
Unabhängige Zweitkorrektur?
Sanders zeigt sich mit Blick auf eine von ihr mit durchgeführte Umfrage unter Juraabsolventen skeptisch, ob die bisherige Praxis mit der Zweitkorrektur wirklich eine echte Überprüfung des Erstvotums darstellt. Sie geht von "Ankereffekten" aus: Wer schon die Bewertung eines anderen vor sich hat, tue sich schwer, einen völlig unabhängigen Blick auf die Leistung des Prüflings zu werfen.
Deshalb spreche, so Sanders, viel für eine unabhängige Zweikorrektur, bei der der Zweitkorrektor Erstnote und Namen des Prüflings nicht vorabt kennt. Entsprechende Reformen würden aber auch steigende Kosten für die Justizprüfungsämter bedeuten, gibt sie zu bedenken.
Juristenausbildung als Thema endlich im Bundestag angekommen
"Dass die Regierung in ihrem Entwurf - wie von uns gefordert - die Möglichkeit des Teilzeitreferendariats vorsieht und das digitale Examen ermöglicht, ist erfreulich", sagt Niema Movassat, Rechtspolitiker der Linken-Fraktion im Bundestag. Die juristische Ausbildung habe aber noch viele andere, wesentlichere Stellschrauben, an denen es zu drehen gelte. "So wäre es wichtig, einen integrierten Bachelor zu ermöglichen, damit Jurastudierende nach fünf Jahren nicht mit leeren Händen dastehen, wenn sie durch das Examen fallen."
Ob es den Fraktionen von FDP und Linken gelingt, in das laufende Gesetzgebungsvorhaben der Regierung zur Modernisierung der Juristenausbildung auch noch ihre Vorschläge unterzubringen, wird das parlamentarische Verfahren zeigen - spätestens wenn sich die Ausschüsse mit dem Entwurf beschäftigen.
Eines ist jedenfalls sicher: Das Thema "Zukunft der juristischen Ausbildung" ist im Bundestag angekommen.
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2020 M12 10
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