Latein für Juristen

Parkettsicher durch Pandektenlektüre

von Anna K. BernzenLesedauer: 5 Minuten
"Nulla poena sine lege" heißt: Keine Strafe ohne Gesetz. Also kein Jurastudium ohne Latein? In Lehrbüchern und Vorlesungsskripten ist die tote Sprache allgegenwärtig. Aus den meisten Promotionsordnungen und Studienplänen wurde Latein dagegen gestrichen. Lohnt sich der Lernaufwand überhaupt noch? Anna K. Bernzen hat nachgeforscht.

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"Ich gebe auf", so hat der Nutzer mit dem Tweety-Profilbild seinen Eintrag im Internetforum betitelt. Auf der Online-Plattform der juristischen Fakultätsvertretung teilt er seinen Kommilitonen auch den Grund für seinen folgenschweren Entschluss mit: "Ich bin einfach zu blöd für Latein. Ich lerne und lerne und kann dann trotzdem keinen einzigen von diesen verdammten Sätzen übersetzen." Sein Fazit, verziert mit einem traurigen Kulleraugen-Smiley: "Also scheitert mein Studium an Latein." Auch wenn die Uhrzeit des Eintrags – kurz vor elf Uhr abends – eher auf akute Probleme mit den Lateinhausaufgaben als auf ernsthafte Pläne für den Studienabbruch hindeutet: An der Universität Wien, die der Student mit dem Vogelbild besuchte, kann die Altsprache tatsächlich den Jura-Abschluss kosten. Denn was an deutschen Fakultäten zur Erleichterung vieler Nachwuchsjuristen vor einiger Zeit abgeschafft wurde, ist in Österreich immer noch Studienvoraussetzung: Lateinkenntnisse. Lateinische Wendungen, die Juristen kennen sollten: Hier geht es zum Hochstapler-Check

Ein Muss für Heidelberger, Kirchenrechtler und Fans des römischen Rechts

In Deutschland müssen Jurastudenten die tote Sprache höchstens beherrschen, wenn sie später promovieren wollen – und auch das nur in Ausnahmefällen: Allein die Universität Heidelberg verlangt von allen Jura-Doktoranden ein Latinum. Wer dort Dr. iur. werden will, muss also einige Jahre Latein in der Schule gelernt oder während des Studiums fleißig Cicero und Co. gebüffelt haben. An der Kölner Juristenfakultät heißt es in der Promotionsordnung immerhin, "Kenntnisse der lateinischen Sprache" würden von den Doktoranden "erwartet." Als Nachweis reicht aber der Besuch eines einsemestrigen Lateinkurses für Juristen. An anderen Jurafakultäten werden Lateinkenntnisse nur in Einzelfällen verlangt, die mit dem Inhalt der Promotion zu tun haben: In Würzburg müssen zum Beispiel künftige Doktorender Rechtswissenschaft, die sich für ihre Dissertation auch im kanonischen Recht umschauen wollen, ein Latinum vorweisen. Und auch wer im römischen Recht promovieren will, wird ohne den Sprachnachweis bei vielen potentiellen Doktorvätern und –müttern mit seinem Promotionsgesuch wohl kaum Erfolg haben.

"Tausende Jahre Rechtserfahrung auf Latein bewahrt"

Der Vergleich aller Promotionsordnungen für Juristen zeigt: Der Trend geht weg von Latein. In Köln habe man bei der jüngsten Überarbeitung dennoch bewusst an der Latein-Vorschrift festgehalten, sagt Martin Avenarius. Latein gehöre zu konventioneller Bildung dazu, findet der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Neuere Privatrechtsgeschichte – gerade für Rechtwissenschaftler: "Wer als Jurist wissenschaftlich arbeiten will, muss ein Bewusstsein dafür haben, dass unser geltendes Recht nur ein Durchgangsstadium ist. Es basiert auf tausenden Jahren historischer Rechtserfahrung, und diese wurde nun einmal auf Latein bewahrt." Für Moritz Fastabend klingt das "nach altbackenem Elitedenken". Der Student engagiert sich im AStA der Universität Bochum für die Abschaffung des verpflichtenden Latinums für Lehramtsstudenten, sieht es aber auch als Promotionsvoraussetzung kritisch: "Wer ein Latinum fordert, baut unnötige Hürden beim Zugang zu Bildung auf." Doktoranden, die ihr Abitur etwa auf dem zweiten Bildungsweg oder an der Gesamtschule erworben haben und dort keinen Lateinunterricht hatten, hätten es auf dem Weg zur Promotion schwerer als solche mit klassischer Gymnasialbildung. Mit dieser zusätzlichen Auslese schadeten die Universitäten sich selbst: "Es tut der Wissenschaft langfristig weh, kluge Köpfe von der Promotion abzuhalten."

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2/2: Wer freiwillig Latein lernt, wird von vielen Fakultäten belohnt

"Latein ist politisch in der Defensive", so fasst auch Martin Avenarius die öffentliche Diskussion zusammen. An vielen juristischen Fakultäten baut man statt auf die Altsprache lieber auf Englischkurse, Verhandlungsmanagement und andere Kompetenzen, die modernen Juristen zugeschrieben werden. Lateinkurse muss man in den Vorlesungsverzeichnissen mit der Lupe suchen: Wer kein Auslandssemester in Wien machen möchte, kann sich zum Beispiel in Würzburg zwei Stunden pro Woche die Grundlagen der lateinischen Grammatik beibringen lassen. "Historische und kulturelle Inhalte" rundeten die Lektionen ab, verspricht die Kursbeschreibung. Auch an der Freien Universität Berlin wird ein wöchentlicher Lektürekurs in Latein angeboten, in dem anhand von juristischen Redewendungen ein Einblick in die Sprache gegeben wird. Die Fakultäten lassen sich einiges einfallen, um Studenten zu belohnen, die freiwillig Latein lernen: Mit dem Kurs "Latein für Juristen", den der Lehrstuhl von Martin Avenarius in Köln anbietet, können Studenten ihre fachspezifische Fremdsprachenkompetenz nachweisen. Der dazugehörige Schein ist in Nordrhein-Westfalen Zulassungsvoraussetzung für die staatliche Pflichtfachprüfung im ersten Staatsexamen. Auch mit dem gleichnamigen Kurs von Christian Schnabel an der Universität Tübingen machen Studenten einen Schritt in Richtung Examen: Er zählt als Schlüsselqualifikation, die laut baden-württembergischer Prüfungsordnung für die Zulassung zur Pflichtfachprüfung nachgewiesen werden muss.

"Im persönlichen Gespräch mit Lateinkenntnissen auftrumpfen"

Bis zu dreißig Teilnehmer lassen sich pro Semester so in Schnabels Kurs locken. Immerhin rund 15 Studenten schreiben in Köln die Abschlussklausur, mehr noch hören sich die Vorlesung an. Und auch der Heidelberger Lateinkurs, eigentlich mit Blick auf die Promotionsordnung eher für Doktoranden gedacht, ist gerade bei Erstsemestern beliebt. Verständlich, sagen Fans der Altsprache: Latein schule das logische Denken, das für Juristen so wichtig sei, und lehre den präzisen Umgang mit der eigenen Sprache. Davon könnten Juristen schon im Studium profitieren, so Christian Schnabel: "Wer Latein kann, schreibt in der nächsten Klausur Rechtsbegriffe wie 'diligentia quam in suis' richtig." Korrekt eingesetzt könne Latein eine Art rhetorisches Mittel sein, falsch verwendet jedoch sehr peinlich. Wer die lateinische Fachsprache beherrscht, bringt "Parkettsicherheit" mit, findet auch Martin Avenarius. Dass das sogar Studenten reizt, die sich nicht zum Besuch eines ganzen Lateinkurses motivieren können, hat das Karriereportal Clavisto erkannt: Wie auch LTO landete es mit einer Fotoserie, in der lateinische Rechtssprichwörter übersetzt und erklärt wurden, einen kleinen Facebook-Hit. Latein auf dem Lebenslauf bringe bei der Einstellung in der Großkanzlei zwar weder Vor- noch Nachteile, glaubt dessen Geschäftsführer Jens Wortmann. "Allerdings kann der Lateiner unter den Juristen im persönlichen Gespräch durchaus mit seinen Kenntnissen auftrumpfen. Wer zum Beispiel das lateinische Sprichwort versteht, das der Partner gerade zitiert hat, oder selbst ein Sprüchlein parat hat, macht in diesem Umfeld einen guten Eindruck." "Einen Habitus vor sich hertragen", nennt Moritz Fastabend das. Der AStA-Referent sagt: "Ein guter Anwalt ist für mich nicht jemand, der mir lateinische Begriffe an den Kopf werfen kann, sondern jemand, der mich fachlich gut berät." Ob er dafür lieber die Pandekten oder das Polizeirecht studiert, muss wohl jeder Jurastudent selbst entscheiden. Fest steht: Zwingend nötig sind Lateinkenntnisse für Studium und Promotion nicht mehr. Doch viele Professoren und Partner, die selbst in der Schule Ovids Metamorphosen übersetzt haben, belohnen den Einsatz weiterhin – ob mit einem Sprachschein oder einem anerkennenden Nicken im Vorstellungsgespräch.

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