Gedächtnistraining fürs Jurastudium

Wenn im BGB eine Nonne auf einem Geld­koffer sitzt

von Sabine OlschnerLesedauer: 4 Minuten

Rechtsgrund- oder Rechtsfolgenverweisung? Wenn man sich vieles nur besser merken könnte. Gedächtnistraining kann Jura-Studierenden helfen, sich besser auf das Examen vorzubereiten. 

Zum ersten Mal hat der Jurastudent Johannes Zhou in seiner Schulzeit im Fernsehen einen Gedächtniskünstler gesehen. Dieser, so erinnert sich Zhou heute, konnte sich mühelos lange Zahlenreihen merken. Das faszinierte Zhou so sehr, dass er sich mit Gedächtnissport befasste. Er las sich in das Thema ein, belegte Kurse, unter anderem beim Gedächtnisexperten Dr. Boris Nikolai Konrad, übte viel, nahm erfolgreich an diversen Meisterschaften teil und kam schließlich auch selber ins Fernsehen. 

"Jeder kann lernen, zahlreiche abstrakte Informationen im Gedächtnis zu behalten", ist der heute 24-Jährige überzeugt. Geholfen hat ihm das Training auch bei seinem Studium an der Universität Frankfurt, das er vor Kurzem abgeschlossen hat. "Denn auch im juristischen Kontext hat man es oft mit abstrakten Inhalten zu tun, die man sich oft nur schwer merken kann." 

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Gedächtnistrainer: "Bilder sind der Schlüssel"

Gedächtnistrainer und Produktivitätsexperte Zach Davis erklärt, wie Gedächtnistechniken funktionieren: "Bilder sind der Schlüssel. Damit kann man Abstraktes visuell machen", sagt er. Das kann mit ganz einfachen Bildern starten: Den Begriff der Kausalität kann man sich zum Beispiel in Gestalt eines Pfeiles vorstellen. Der Begriff Schuld könnte in Form eines Mannes daherkommen, der Steuern hinterzieht. "Jeder muss sich sein eigenes Bildersystem entwerfen", sagt Davis. "Am besten ist es, persönliche Erfahrungen einfließen zu lassen, dann kann man sich die Bilder besser merken." Aber wie kommt man auf solche Ideen der Visualisierung? "Das ist reine Übungssache", betont der Gedächtnistrainer, der häufig auch mit Kanzleien arbeitet. "Am besten gewöhnen Sie sich beim Lesen eines juristischen Textes oder in einer Vorlesung an, sich für die abstrakten Begriffe direkt Bilder vorzustellen." Geht es um Zusammenhänge, verknüpft man die Bilder zu einer Geschichte, die besser im Gedächtnis bleibt als die abstrakte Abfolge von Informationen. 

Etwas komplizierter wird es, wenn man sich Zahlen merken will. Mit Hilfe eines Master-Systems wird jeder Zahl ein Konsonant zugeordnet: 0 = s, 1 = t, 2 = n, 3 = m, 4 = r, 5 = l, 6 = sch, 7 = k, 8 = f, 9 = p. Mit dem Hinzufügen von Vokalen wird aus den Zahlen ein Wort – zum Beispiel: 22 = Nonne, 44 = Rohr. "Will ich mir also zum Beispiel den Paragrafen 22 merken, in dem es um Mietnomaden geht, stelle ich mir eine Nonne vor, die in einer Wohnung auf einem Geldkoffer sitzt", sagt Davis. Da es eine Zeitlang braucht, um sein Gedächtnis auf dieses bildhafte Abspeichern von Informationen zu trainieren, empfiehlt Davis, frühzeitig im Studium mit dem Üben zu beginnen. 

"Inhalte ins Langzeitgedächtnis einbrennen"

Mirko Thurm ist ebenfalls Gedächtnistrainer. Der BWL-Absolvent hat sein Studium unter anderem mit Hilfe von Gedächtnistechniken um drei Semester verkürzt und hilft nun Studierenden, auch aus den Rechtswissenschaften, dabei, diese Techniken ebenso zu erlernen. "Der Vorteil von Gedächtnistechniken ist zum einem die Zeitersparnis: Man muss nicht alles nachschlagen, sondern kann Inhalte ins Langzeitgedächtnis einbrennen", sagt Thurm. "Zum anderen verhindert man Blackouts in Prüfungssituationen." Denn wer im Gehirn eine Geschichte abspulen kann, merkt sich Schritt für Schritt die einzelnen Punkte, die wichtig sind. Und nicht zuletzt kommt durch das bildhafte Denken der Spaß am Lernen zurück, ist Thurm überzeugt. "Man kann kreativ werden und sich die skurrilsten Geschichten ausdenken", sagt der Trainer. "Je verrückter sie sind, umso besser kann man sich die Geschichten merken." 

Jurastudent Zhou verrät ein konkretes Beispiel, wie er Gedächtnistechniken für seine Examensvorbereitung genutzt hat: "Hilfreich ist der Ansatz etwa bei Definitionen, die man für die Prüfungen parat haben muss.". Zum Beispiel die Definition für Tatherrschaft aus dem Strafrecht: "Tatherrschaft hat, wer als Zentralgestalt des Geschehens den tatbestandsmäßigen Geschehensablauf steuernd in den Händen hält und nach seinem Gutdünken hemmen oder ablaufen lassen kann." Zhou hatte bei dieser Definition direkt das Bild eines Marionettenspielers im Kopf: Dieser steuert zwei Marionetten mit ihren Fäden und entscheidet damit, was auf der Bühne geschieht. 

Was bringen Gedächtnistechniken für Prüfungsschemata?

Ein anderes Feld, bei dem Gedächtnistechniken helfen können, sind Prüfungsschemata. "Nehmen wir zum Beispiel das Grundschema für die Zulässigkeit von verwaltungsrechtlichen Klagen", erklärt Zhou. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind – in Kürze – 1. die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, 2. die statthafte Klageart, 3. die Klagebefugnis, 4. das erfolglose Vorverfahren, 5. der richtige Klagegegner sowie die Beteiligten- und Prozessfähigkeit, 6. die Klagefrist. Zu diesen notwendigen Schritten überlegte Johannes Zhou sich eine Geschichte, die er in Prüfungssituationen abrufen kann: "1. Ich laufe auf das Verwaltungsgericht Frankfurt zu, das ich gut kenne. 2. Ich bleibe vor dem Gericht stehen und überlege, was ich hier eigentlich will. 3. Das Sicherheitspersonal am Eingang fragt mich, ob ich befugt bin, hier zu sein. 4. Auf dem Weg zum Gerichtssaal stolpere ich. 5. Im Gerichtssaal treffe ich auf einen Mitarbeiter und einen Anwalt der Behörde. 6. Der Richter sagt zu mir: ,Sie sind zu spät.‘" Als er in der Prüfung die Zulässigkeitsvoraussetzungen abrufen musste, stellte er sich wieder seine Geschichte vor. 

Gedächtnistechniken sind natürlich nicht das ultimative Rezept für gute Klausuren. "Verstehen ist immer besser als visualisieren", bringt es Davis auf den Punkt. Wer Inhalte nicht verstanden hat, wird diese in Prüfungen auch nicht richtig anwenden können. "Außerdem muss man immer abwägen, wie viel Zeit man investieren will, um sich ein persönliches Bildersystem und Geschichten dazu zurechtzulegen." 

Auch Thurm glaubt, dass Gedächtnistechniken nur ein Baustein für erfolgreiches Lernen sein können: "Aber kombiniert zum Beispiel mit Schnelllese-. oder Zeitmanagementtechniken ist hier Einiges machbar." Johannes Zhou betont, dass Jura-Studierende auf jeden Fall auch Methodik, das Wissen um gesetzliche Strukturen und Klausurtraining benötigen, um Prüfungen erfolgreich zu bestehen. Sein Tipp: "Die Gedächtnistechniken einfach mal ausprobieren und nicht direkt aufgeben, weil sie zu kompliziert erscheinen." Auch nach seinem Examen nutzt er seine Fähigkeiten weiter, zum Beispiel bei seiner derzeitigen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Wirtschaftskanzlei. "Es erleichtert einem das Leben auf jeden Fall", ist er überzeugt.

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