Hamburg will Examensklausuren am Computer

Kommt das Staats­examen 2.0 – jetzt end­lich?

von Maximilian AmosLesedauer: 5 Minuten
Was in anderen Fächern schon Realität ist, soll auch bei den Juristen Einzug halten: digitale Prüfungen. Nun haben SPD und Grüne in Hamburg einen neuen Vorstoß gewagt. Kommt bald das Examen am Computer?

Es geht schon seit Jahren so: Immer, wenn das Thema Reform des juristischen Staatsexamens auf den Tisch kommt, flüstert man sich zu: "Wie wäre es, wenn man bald das Staatsexamen am Computer schreiben könnte?" Das klingt verheißungsvoll, eine Erlösung für die chronisch an Sehnenscheidenentzündungen leidenden Studenten und all jene, die an der noch verbreiteteren Volkskrankheit namens "Sauklaue" leiden. Kein (jedenfalls befürchteter) Bonus für diejenigen, die mit einer schönen Handschrift gesegnet sind und, last but not least, keine Augenschmerzen beim Korrektor, der versucht, die letzten Seiten der viel zu umfangreichen Strafrechtsklausur zu entziffern. Echte Unternehmungen in diese Richtung gab es bislang aber trotz aller Verheißungen nicht. Nachdem NRW bereits 2013 Referendare Probeklausuren am Computer hatte schreiben lassen, gab es 2016 noch einmal ein Pilotprojekt der Universität Siegen, bei dem Studierende aus den Fachbereichen Betriebswirtschaft, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsingenieurwesen eine dreistündige Privatrechtsklausur am Computer schrieben. Auch dieses Unterfangen brachte fast durchweg positive Reaktionen von Seiten der Prüflinge, doch getan hat sich seitdem wenig. Während andere Disziplinen ihre Prüfungen nach und nach digitalisieren, scheinen die Rechtswissenschaften in dieser Hinsicht im 20. Jahrhundert stecken geblieben zu sein. Nun aber könnte eine neue Initiative aus Hamburg den Stein ins Rollen bringen. Dort haben die regierenden Bürgerschaftsfraktionen von SPD und Grünen gemeinsam einen Antrag vorgelegt, mit dem sie den Senat auffordern wollen, zu prüfen, wie schnell und unter welchen Voraussetzungen IT-basierte Examensklausuren eingeführt werden könnten. Weil die Digitalisierung in die Welt der juristischen Berufe längst Einzug gehalten hat, müsse sich auch die Ausbildung verändern, fordern die Initiatoren. "Ein wichtiger Bestandteil ist, juristische Texte schnell, sicher und präzise am Computer zu verfassen. Im Gegensatz dazu verfassen Juristinnen und Juristen Klausuren nach wie vor handschriftlich, obwohl die Möglichkeit, Klausuren am Computer zu verfassen, nicht nur mit Blick auf das spätere Arbeitsleben wesentliche Vorteile mit sich brächte."

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Mehr Gerechtigkeit bei computergeschriebenen Klausuren?

Ein Hindernis liegt im deutschen Föderalismus. Bildung und damit auch die Hochschulabschlüsse fallen in die Kompetenz der Länder, was eine bundeseinheitliche Regelung, zumal gleichzeitig, schwierig macht. Was aber, wenn nun in einem Bundesland Prüfungen elektronisch geschrieben und korrigiert werden und im anderen nicht? Leidet die Vergleichbarkeit der Leistungen darunter? Studien oder Erfahrungswerte dazu gibt es bislang – jedenfalls für Juristen – nicht. Darüber hinaus bräuchte es einiges an finanziellen Mitteln, um die Anschaffung und Wartung ausreichend vieler Computer zu  bewältigen. Angesichts dieser Hürden formulieren auch die Antragsteller erst einmal vorsichtige Ziele: "Es muss zunächst mal ein Konzept entwickelt werden" erklärte Urs Tabbert, justizpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, der auch Mitglied das Landesjustizprüfungsamts ist und den Antrag in der Bürgerschaft mit initiiert hat, im Gespräch mit LTO. Außerdem hielten es fast alle Bundesländer für nötig, für die Einführung digitaler Examensklausuren eine Rechtsgrundlage zu schaffen. Mit dem Antrag wolle man nun erreichen, "dass es langsam mal losgeht" und den Landesjustizprüfungsämtern die entsprechende politische Rückendeckung geben. "Der Ball liegt damit wieder im Spielfeld der Praktiker", meint Tabbert. Die müssen u. a. auch die Frage klären, ob die Prüfungsämter eigene Laptops anschaffen oder die Prüflinge ihre eigenen mitbringen müssen. Jedenfalls müsse für eine betrugssichere Software gesorgt werden, so Tabbert. Außerdem könne es nicht sein, dass ein wohlhabender Kandidat möglicherweise mit einem High-End-Gerät bessere Chancen habe als ein weniger gut betuchter. All diese Fragen sollen nun möglichst zeitnah geklärt werden. Wenn das gelänge, könne man vielleicht sogar für mehr Gerechtigkeit bei der Korrektur sorgen. Man könne sich nicht völlig davon freimachen, so Tabbert, der gelegentlich noch selbst Klausuren im juristischen Staatsexamen korrigiert, dass eine schlechte Handschrift vielleicht doch unterbewusst einen Rückschluss auf die Kompetenz des Prüflings nahelege. Daher könnte eine computergeschriebene Klausur u. U. neutraler bewertet werden.

Technisch einwandfreie Lösung notwendig

Hat dieser Antrag nun wirklich Chancen, die Digitalisierung des Staatsexamens neu anzustoßen? Die hamburgische Justiz steht dem Vorhaben von SPD und Grünen jedenfalls offen gegenüber: "Technisch muss eine Lösung gefunden werden, die höchsten Ansprüchen an Zuverlässigkeit und Datensicherheit genügt" forderte Dr. Kai Wantzen, Pressesprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG), wo auch das Hamburger Justizprüfungsamt (JPA) ansässig ist, gegenüber LTO. "Wenn das gelingt, bringen computergestützte Prüfungen für Kandidaten, Prüfer und die Prüfungsämter praktisch nur Vorteile."
Dementsprechend befänden sich die Justizprüfungsämter ständig in Gesprächen über eine entsprechende Reform. Zuletzt habe man sich im Mai "intensiv mit dem Thema befasst und dafür ausgesprochen (…), die juristischen Staatsprüfungen in ein effizientes, zukunftsfähiges Prüfungsformat zu überführen und IT-unterstützt durchzuführen", so Wantzen. "Weiterhin müsste aus unserer Sicht eine für alle Prüflinge verpflichtend computergestützte Prüfung in den bundes- und landesrechtlichen Rechtsgrundlagen der Staatsprüfungen, also im DRiG (Deutschen Richtergesetz, d. Red), dem HmbJAG (Hamburgischen Juristenausbildungsgesetz, d. Red.) und der Länderübereinkunft für die zweite Staatsprüfung) verankert werden." Wann mit einer Umsetzung der Vorschläge zu rechnen ist, hängt somit maßgeblich davon ab, wann die gesetzgeberischen Voraussetzungen und  die erforderlichen Mittel  geschaffen werden, wie Wantzen betonte. Alleingänge scheut man aber nach wie vor: "Eine möglichst einheitliche Handhabung in den Bundesländern halten wir für wünschenswert und empfehlen, den bereits bestehenden Austausch unter den Bundesländern fortzusetzen."

"Man muss nicht auf den Langsamsten warten"

Diesen Wunsch teilt SPD-Sprecher Tabbert zwar, gleichwohl betont er: "Es ist nicht zwingend, dass man es mit 16 Ländern im Gleichschritt macht. Wir müssen da nicht unbedingt auf den Langsamsten warten." Hamburg könne mit dem Antrag nun, so hofft er, "eine Vorreiterrolle einnehmen". Jedenfalls liege aber auch ein einstimmiger Beschluss der Präsidenten sämtlicher LJPAs vor, der die Einführung IT-gestützter Examensklausuren befürworte. Somit bleibt unsicher, ob und wo sich in naher Zukunft wirklich etwas tun wird. Die Justizministerkonferenz der Länder hat sich zwar in jüngerer Zeit mit Reformplänen für die Juristenausbildung beschäftigt, um digitale Examensklausuren ging es dabei aber noch nicht. Allerding könnten die Hamburger Bestrebungen das Thema, jedenfalls in untergeordneter Stellung, noch auf die Tagesordnung für die anstehende Konferenz am 15. November spülen. Der rot-grüne Hamburger Senat soll nach dem Willen der Antragsteller aus der Bürgerschaft bis Ende November 2019 berichten, wie die Entwicklung vorangeht. Wer aktuell also in der Examensvorbereitung oder auch nur im Grundstudium steckt, braucht für die entscheidenden Tage weiterhin jede Menge Stifte. Und die Prüfer brauchen weiterhin jede Menge Leidensfähigkeit beim Lesen. Zu diesem Artikel haben und Leserbriefe erreicht! Sie finden sie hier.

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