Jura-Bubble gründet Online-Community

"Hier bist du mit deinen Sorgen nicht allein"

von Marcel SchneiderLesedauer: 4 Minuten

Aus der Idee, juristische Lehre live zu streamen, ist mehr geworden: Bei "JuraNotAlone" tauscht sich die Jura-Bubble zur Juristenausbildung aus, unterstützt sich gegenseitig und spielt Videogames. Mitmachen kann jeder – auch vor der Kamera.

Es ist ein Mittwochabend, 19 Uhr, der "JuraNotAlone"-Kanal auf der Livestreaming-Plattform Twitch.tv ist online. Auf dem Bildschirm zu sehen ist Laura, Spitzname "Lorra", die davon erzählt, wie sie ganz knapp durch den schriftlichen Teil ihres Ersten Examens gefallen ist. Mit rund 30 Zuschauerinnen und Zuschauern, die im Chat Fragen stellen und Trost spenden, spricht sie darüber, wie es ihr gerade geht und ob sie vielleicht remonstrieren wird.

Am darauffolgenden Sonntagabend macht Stephan, Spitzname "Fudge", zur ähnlichen Zeit Programm. Er spielt einen Teil des Aufbau- und Strategie-Videogames "Anno" und ist mit den Steuereinnahmen durch seine Aristokraten nicht zufrieden. Als Herrscher eines virtuellen Königreichs verlangt er mehr Geld – und schlittert fünfzehn Minuten später in eine Wirtschaftskrise, sehr zur Schadenfreude der zuschauenden Community, die seine Fähigkeiten als Monarch von diesem Zeitpunkt an immer wieder auf die Schippe nehmen wird.

Was Lorra und Fudge tun, macht die zwei wesentlichen Säulen des Gemeinschaftsprojekts JuraNotAlone aus. Menschen aus der Jura-Bubble engagieren sich ehrenamtlich, um zwei- bis viermal die Woche mit juristischen und unterhaltenden Inhalten auf Twitch online gehen zu können. In der ersten Hälfte der Live-Übertragungen geht es um konkret Juristisches. Zum Beispiel werden (teils mit externen Expertinnen und Experten) aktuelle Themen wie die Reform der Juristenausbildung oder das umstrittene neue Wissenschaftszeitvertragsgesetz diskutiert. Ein anderes Mal lösen die Menschen vor der Kamera gemeinsam mit den Leuten im Chat ein Arbeitsrechtsquiz oder besprechen mögliche Lösungen einer Probeklausur im Verwaltungsrecht.

Die zweite Hälfte eines jeden Streams ist auf Unterhaltung und Entspannung ausgelegt. Die Streamerinnen und Streamer übertragen, was sie gerade spielen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer im Chat kommentieren, blödeln herum und begrüßen Neuankömmlinge wie regelmäßig teilnehmende Community-Mitglieder. Es geht informell und ausgelassen zu, die Interaktion strahlt eine gewisse Vertrauensatmosphäre aus. Es fühlt sich selbst für Online-Verhältnisse ein bisschen so an, als würde man sich kennen.  

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"Ein Safespace für alle, die Hilfe und Betreuung suchen"

"Wir wollen einen sicheren Ort gerade für diejenigen bieten, die Hilfe und Betreuung suchen, egal ob nun im Jurastudium oder im Referendariat. Hier bist du mit deinen Sorgen nicht allein. Willkommen sind natürlich alle, auch die, die keine Probleme haben", sagt Stephan im Gespräch mit LTO. Er ist Anwalt und Dozent für Arbeitsrecht an der Berliner Humboldt-Universität und hat den Grundstein für das Gemeinschaftsprojekt gelegt – jedenfalls unbewusst.

"Während der Corona-Zeit und der damit verbundenen Online-Vorlesungen habe ich gemerkt, dass den Studierenden die Interaktion und das Menschliche des bis vor Corona normalen Unilebens fehlen. Deshalb habe ich damit begonnen, ein zusätzliches Angebot zu schaffen." Gemeint sind damit ebenfalls Livestreams auf Twitch, die er zunächst noch unter seinem eigenen Kanal "BigFudgeOnline" organisierte.

Das Prinzip, juristisch nützliche Inhalte, Mut und Zuspruch in schwierigen Zeiten sowie eine informelle Wohlfühlatmosphäre beim gemeinsamen Computerspielen zu bieten, war schon vor der Gründung von JuraNotAlone das gleiche. Hinzu kam sicherlich auch der Reiz für die Studierenden, den Dozenten, den man sonst nur in Hemd und Anzug in der Online-Vorlesung sieht, abends im Kapuzenpulli erleben zu können.

"Jeder kann mitmachen"

Nach ersten Gehversuchen als Livestreamer im Wintersemester 2021/2022, der immer größeren Resonanz und einem sehr positivem Feedback im Sommersemester 2022 stand für Stephan fest: "Ich brauchte Verstärkung, ohne weitere Hilfe hätte ich das Angebot nicht weiter ausbauen können. Die damals zwei bis drei Streams pro Woche, die Vorbereitung der juristisch-didaktischen Inhalte, die Social-Media-Bespielung und die Professionalisierung des Layouts und der Banner haben gut und gerne 20 Stunden die Woche gefressen. Das ist praktisch ein Halbtagsjob."

Vornehmlich über Twitter und private Kontakte fand Stephan weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter, derzeit organisieren sich zwölf bis 15 Menschen vor und hinter der Kamera jede Woche aufs Neue, um das aus dem Solo-Projekt BigFudgeOnline mittlerweile entstandene Gemeinschaftsprojekt JuraNotAlone mit Leben zu füllen. Immer öfter gibt es auch Gäste, zum Beispiel einen Staatsanwalt, eine Anwältin oder einen Doktoranden, die sich und ihre jeweilige Arbeit vorstellen und die Fragen der Zuschauerinnen und Zuschauer gern – und dank der ungezwungenen Atmosphäre nicht selten auch teils überaus ehrlich – beantworten.

Wer mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen. Vornehmlich organisieren sich die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler über einen eigenen Discord-Server, dem jeder beitreten kann. "Wir freuen uns über alle, die sich mit Inhalten beteiligen. Ob nun einmalig, regelmäßig, vor oder hinter der Kamera – immer her mit den Ideen, wir schauen uns alles gern an", sagt Stephan, dessen Ruf als fähiger Monarch übrigens bis heute noch nicht wieder hergestellt ist.

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