Verlorene Examensklausuren

Was Prüf­linge wissen müssen

Gastbeitrag von Christian RecklingLesedauer: 6 Minuten

Es sollte nicht vorkommen, passiert aber: Die wichtigsten Klausuren eines angehenden Juristen verschwinden. Für die Betroffenen ist das der Horror. Christian Reckling erläutert, was man in einem solchen Fall grundsätzlich wissen sollte.

Dass Klausuren abhandenkommen oder unauffindbar sind, ist zwar eher die Ausnahme als die Regel, kommt aber leider immer wieder vor. 2015 verschwanden beispielsweise 23 Klausuren in NRW, in Bremen sind 2017 36 Klausuren verloren gegangen, in Münster sind 2018 25 Examensklausuren auf dem Weg vom Erst- zum Zweitkorrektor verschwunden. 2019 sind dem LJPA Bayern insgesamt 40 Examensklausuren verloren gegangen und erst vergangene Woche gingen Arbeiten von Prüflingen im Zweiten Staatsexamen in Wiesbaden verloren, bevor sie überraschenderweise wieder bei der Post auftauchten. 

Was betroffene Prüflinge in solch einem Fall unternehmen können und welche Ansprüche sie gegen das Prüfungsamt haben, wenn die Klausur den Prüfern nicht mehr zur Bewertung vorgelegt werden kann, hängt natürlich immer vom berühmten Einzelfall ab. Es gibt aber ein paar grundsätzliche Dinge in solchen Fällen, die immer gelten. 

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Was bei der Klausurbewertung gilt 

Prüfungsleistungen sind grundsätzlich von allen zur Entscheidung berufenen Prüfer zu bewerten. Dieses verfassungsrechtliche Gebot aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) wird jedoch bei Unvollständigkeit der Prüfungsunterlagen verletzt, da die Klausuren unersetzliche Unikate und zugleich auch unverzichtbare Grundlage für eine spätere gerichtliche Überprüfung der Bewertungen sind.  

Gerade bei juristischen Examensklausuren kommt dann noch eine Besonderheit hinzu: Um die Prüfung zu bestehen und zur mündlichen Prüfung zugelassen zu werden, müssen die Examenskandidaten – je nach Bundesland – eine bestimmte Anzahl an Aufsichtsarbeiten mit mindestens "ausreichend" bestehen. Somit wird jede einzelne schriftliche Prüfungsarbeit in den juristischen Staatsprüfungen genau wie ihre Bewertung zur Bestehensvoraussetzung. 

Geht eine Examensklausur verloren und bleibt sie unauffindbar, dürfte eine Rekonstruktion der Prüfungsleistungen und der Bewertungsgutachten in aller Regel nicht mehr möglich sein. Zwar mag sich der Prüfling noch an seine Prüfungsleistung erinnern, aber die Examensklausur gehört im Original zur Ordnungsmäßigkeit der dokumentierten schriftlichen Prüfung. Fehlt die Klausur, dann leidet das Prüfungsverfahren an einem wesentlichen Mangel, auf dem das Prüfungsergebnis beruhen kann (s. dazu: VGH Mannheim, Urt. v. 01.04.1987, Az. 9 S 1829/86). Das ist mehr als ärgerlich für den Prüfling, der sich zu Recht fragt, wie das passieren könnte.  

Die Krux mit der Post 

Das Prüfungsamt selbst hat nach Abgabe der Examensklausur durch den Prüfling im Rahmen seiner Verwahrungspflicht dafür Sorge zu tragen, dass die Aufsichtsarbeiten ihren Weg für die Korrektur zum Erst- und Zweitvotanten finden. Bei dieser wichtigen Entscheidungsfindung werden die Klausuren manchmal auch zwischen den Votanten zur Abstimmung hin- und hergesendet, bis sie nach endgültiger Bewertung wieder ans Prüfungsamt geht.  

Beim Versand der Klausuren kommt nun ein Dritter ins Spiel, meistens die Deutsche Post, manchmal aber auch Boten. An dieser Nahtstelle der Klausurbewertung können immer wieder Fehler passieren, die sich leider nicht verhindern lassen.  

Jetzt könnte man an dieser Stelle natürlich fragen, warum die Prüfungsämter nicht vor Versendung der Klausuren Kopien anfertigen, um diese als Backup zu verwahren. Die Antwort ist simpel: Bei der Masse an juristischen Examina, die gerade in den großen Bundesländern abgelegt werden, sind die Kosten für die Kopien und der Zeitaufwand für das Prüfungsamt zu hoch. Nicht selten sagen die Prüfungsämter auch, dass durch die Kopien eine weitere Fehlerquelle entstünde (Durcheinanderbringen der Seiten, fehlerhaft eingezogene Blattseiten, etc.).  

Erst wenn der Prüfling eine Klausurbewertung angreift und dafür das sogenannte Überdenkungsverfahren einleitet, werden die Klausuren zwecks Akteneinsicht vervielfältigt. 

Prüfungsamt muss Nachforschungen betreiben 

Wenn die Examensklausur auf dem Postweg verloren geht, lehrt die Erfahrung, dass ein Nachforschen meist erfolglos bleibt. In wenigen Fällen tauchen die Klausuren zwar dann doch noch wieder auf und können bewertet werden, der Großteil aber bleibt in der Regel verschwunden.  

Nichtsdestotrotz muss das Prüfungsamt zur Wahrung der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit alle erdenklichen Bemühungen unternehmen, um die Klausurbearbeitung sowie die Bewertungsbegründungen aufzufinden oder zuverlässig zu rekonstruieren (s. dazu: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschl. v. 11.06.2001, Az. 4 E 31/01).  

Der Prüfling selbst kann zum Zeitpunkt der Nachforschungen durch das Prüfungsamt leider nichts weiter tun als zu hoffen, zu warten und zu bangen, dass er die Klausur nicht wiederholen muss. An dieser Stelle tut sich das nächste Problem auf, denn die betroffenen Prüflinge stellen sich die Frage, welche Rechte sie gegenüber dem Prüfungsamt haben, wenn die Klausur unauffindbar bleibt. 

Bundesweit unterschiedliche Wahlmöglichkeiten für die Prüflinge 

Im Gegensatz zu den Fällen des Rücktritts von der Prüfung, die doch deutlich einheitlicher von den Prüfungsämtern behandelt werden, gibt es im Verlustfall der Examensklausuren leider sehr unterschiedliche Lösungen bundesweit. Vorweg sei dabei erwähnt: Eine gesetzliche Grundlage für ein "faires" Vorgehen fehlt – soweit ersichtlich – sowohl auf Länder- als auch auf Bundesebene. Das mag die unterschiedlichen Optionen erklären, die die Prüfungsämter in den Ländern den betroffenen Prüflingen zur Wahl stellen.  

Was für den ohnehin verärgerten Prüfling aus Sicht des Prüfungsamtes letztlich gerecht und fair ist, steht unter der Prämisse der Chancengleichheit. Die Prüfungsämter sind insoweit bestrebt, den Prüfling weder zu bevor- noch zu benachteiligen. Dies sah auch zuletzt der VGH München so und urteilte, dass bei der Korrektur bzw. Kompensation von Prüfungsfehlern (wie zum Beispiel dem Verlust einer Prüfungsaufgabe vor ihrer Bewertung) zwar zum einen darauf zu achten ist, dass der betroffene Prüfling den geringstmöglichen Nachteil erleidet, andererseits aber auch keine ungerechtfertigte Begünstigung erfährt (VGH München, Beschl. v. 09.11.2015, Az. 7 ZB 15.316). 

Neu schreiben, Erstvotum akzeptieren oder Schnitt nur aus den übrigen Bewertungen errechnen? 

Erreicht die Klausur schon nicht den Erstvotanten zur Korrektur und bleibt sie unauffindbar, so hat der Prüfling einen Anspruch auf nochmalige Teilnahme an der Wiederholungsprüfung und anschließende Bewertung (s. dazu: VGH Mannheim, Urt. v. 01.04.1987, Az. 9 S 1829/86). So geschehen zuletzt in Sachsen, wobei den Prüflingen auch angeboten wurde, alternativ nur den Durchschnittswert der übrigen, bereits bewerteten Klausuren anzunehmen.  

Aber auch wenn die abhanden gekommene Klausur bereits bewertet wurde, gehen die Justizprüfungsämter durchaus unterschiedlich vor. So wurde Betroffenen in der Vergangenheit zum Beispiel auch angeboten, die Klausur zu wiederholen oder die vergebene Note zu akzeptieren, wobei es in einigen Fällen ausreichend war, dass die Klausur lediglich durch den Erstkorrektor beurteilt worden war. Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Notenschnitt nur aus den übrigen Klausuren anzunehmen.  

Aus Sicht des Prüflings wäre es natürlich immer am fairsten, wenn die verlorene Klausur doch noch irgendwie bewertet werden könnte, doch diese Lösung scheidet ja nunmal aus, da nur die tatsächlichen Leistungen des Prüflings benotet werden können. Eine fiktive Bewertung der - nicht vorliegenden - Klausur als "bestanden" kann nämlich nicht erfolgen (so auch VG Koblenz, Urt. v. 26.04.2012, 7 K 619/12). Immerhin soll ein Prüfling mit einer Prüfung zeigen, was er gelernt hat, und damit einen Nachweis seiner erworbenen beruflichen und fachlichen Qualifikationen erbringen. Das gilt auch dann, wenn er am Verschwinden der Klausur keine Schuld trägt. 

Ob nun der Durchschnittswert der bewerteten Klausuren, die Wiederholungsprüfung oder die Bewertung durch den Erstkorrektor gewählt wird - es bleibt für den Prüfling ein sehr ärgerliches Ereignis und so bleibt nur zu hoffen, dass die Prüfungsämter künftig vielleicht doch einen Sicherheitsmechanismus, zum Beispiel einen Scan (statt Kopie) der Klausuren vor der Versendung an die Korrektoren einführen oder die Vorgehensweise im Verlustfall wenigstens gesetzlich einheitlich regeln.  

Der Autor Christian Reckling ist Rechtsanwalt und Fachanwalt im Öffentlichen Recht mit einem Schwerpunkt im Hochschul- und Prüfungsrecht und als Fachautor aktiv. Zudem ist er bundesweit als Repetitor bzw. Dozent im Öffentlichen Recht tätig – im kommerziellen Sektor sowie an Hochschulen. 

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