Corona-Lockdown an den Universitäten

"Ein mas­siver Ein­griff in die Wis­sen­schafts­f­rei­heit"

Interview von Hasso SuliakLesedauer: 5 Minuten

Verwaiste Hörsäle, nur digitaler Lehrbetrieb: Von Corona-Lockerungen ist an den Universitäten nichts zu spüren. Rechtsprofessor und Hochschulverband-Präsident Bernhard Kempen zur Zukunft der Lehre und schlechteren Noten im Staatsexamen.

LTO: Herr Professor Kempen, Schulen und Kitas kehren so langsam zum Normalbetrieb zurück. Bei den Universitäten herrscht dagegen Stillstand. Werden alle Universitäten künftig zu Fern-Unis?

Prof. Dr. Bernhard Kempen: Nein, mit Sicherheit nicht. Wir sind und bleiben Präsenz-Universitäten. Aber derzeit befinden wir uns tatsächlich im Katastrophenmodus, der nicht zum Dauerzustand werden darf. Die Universität lebt vom persönlichen Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden. Ich bekomme diesbezüglich viele Zuschriften von Kollegen. Sie alle wollen zurück in den Hörsaal.

Der gerade ausgeschiedene Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle sprach einmal im Zusammenhang mit dem Bildungsauftrag des Grundgesetzes davon, dass auch der Dialog an den Universitäten zum unersetzlichen Teil unserer demokratischen Verfassungsordnung gehört. Wie lange können Sie noch auf diesen Dialog verzichten?

Nun, wir befinden uns mitten im Sommersemester. In den verbleibenden Wochen jetzt noch auf Präsenzlehre umzustellen, würde nicht viel bringen und einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten. Meine Hoffnung ist, dass das kommende Wintersemester wieder zum Präsenzsemester wird.

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2.500 Professoren fordern Rückkehr zur Präsenzlehre

Rund 2.500 Professoren – darunter auch etliche Rechtswissenschaftler – haben in einem offenen Brief die Rückkehr zur Präsenzlehre gefordert. Sie gehören nicht zu den Unterzeichnern. Warum?

Ich teile im Herzen das Anliegen der Kolleginnen und Kollegen voll und ganz. Aber es ist bei all dem auch ein Stück weit Vorsicht geboten, es darf nicht zu einer zweiten Pandemie-Welle kommen.

Wir können es uns nicht erlauben, dass sich plötzlich wieder in einen nur für 300 Studierende konzipierten Hörsaal 400 Personen hineinzwängen. Eine Universität darf nicht Gefahr laufen, zu einem zweiten Hotspot a la Ischgl zu werden. Insofern hinkt auch der Vergleich mit den Kitas und Schulen: Virologen haben bestätigt, dass jedenfalls jüngere Kinder weniger von einer Covid-19-Ansteckung betroffen sind.

Deshalb: Eine sichere Rückkehr zur Präsenzlehre in den Universitäten ja, aber kein überstürztes Handeln. Das wäre übrigens auch den einzelnen Rektoren nicht zuzumuten, die am Ende die volle Verantwortung tragen.

Sie sind selbst Staatsrechtler. Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz regelt die Wissenschaftsfreiheit und Freiheit der Lehre. Dazu gehört auch, dass die Methoden, wie das Wissen zu vermitteln ist, für Dozenten frei wählbar sein muss. Von freier Methodenwahl kann aktuell nicht die Rede sein, oder?

Das stimmt. Wenn wir zu digitaler Lehre verdonnert werden, dann ist das ein Grundrechtseingriff - und zwar ein massiver in die Wissenschaftsfreiheit. Dieser ist auch nur ausnahmsweise aus besonderen Gründen des Gesundheitsschutzes für eine bestimmte Zeit gerechtfertigt. Spätestens wenn ein Impfstoff gefunden ist, besteht für diesen Eingriff keine Rechtfertigung mehr.

Konjunkturpaket: "Von der Bundesregierung enttäuscht"

Nicht alles, was Corona mit sich bringt, ist schlecht. Immer wieder wird zum Beispiel darauf verwiesen, dass sich durch die Pandemie ein Schub für die digitale Entwicklung ergebe. Inwieweit können Unis aus der Coronakrise lernen?

Sicher werden wir auch ein Stück weit positive Erfahrungen aus der Krise ziehen. In den Hochschulen wurden ja im Eiltempo digitale Formate entwickelt, um den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten und den Millionen Studierenden eine verlängerte Studiendauer zu ersparen.

Diese nun notgedrungen geschaffenen digitalen Formate sollte man weiterentwickeln, da von ihnen ja auch Studierende in der Zeit nach Corona profitieren können. Etwa wenn es darum geht, ihnen auch mal den Weg zur Uni zu ersparen.

Damit keine falschen Vorstellungen entstehen: Die Umstellung auf die digitale Lehre ist irrsinnig aufwendig und bedeutet im Vergleich zur Präsenzlehre einen gehörigen Mehraufwand - auch finanziell.

Apropos Finanzen: Ihr Kollege Prof. Dr. Peter-Andre Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, hat sich kürzlich in einem Beitrag für die Zeitung Die Welt darüber empört, dass die Universitäten im Rahmen des voluminösen Corona-Konjunkturpaketes vergessen wurden. Hat er Recht?

Absolut. Und ich bin Herrn Alt sehr dankbar für seine Worte. Auch ich war von dem Konjunkturpaket der Bundesregierung enttäuscht. Von den für den Bereich Bildung und Forschung vorgesehenen zehn Milliarden Euro werden die Universitäten kaum profitieren. In der Bundesregierung hat man offensichtlich nicht verstanden, welcher immenser Schub an Innovation für die Forschung von den Hochschulen ausgeht.

"Corona-Bonus" für Uni-Absolventen?

Das Sommersemester soll jetzt digital durchgezogen, die Nachteile für die Studentendabei möglichst gering gehalten werden. Können Absolventen von Universitäten, die sich nur unter Corona-Bedingungen vorbereiten konnten, auf einen"Corona-Bonus" hoffen, wie Sie ihn für Abiturienten vorgeschlagen hatten?

Im Kontext mit einem möglichen Bonus für die Abiturienten dieses Jahrganges bin ich etwas missverstanden worden: Nur wenn sich herausstellt, dass die Abi-Ergebnisse dieses Jahr im Schnitt signifikant von den Vorjahren nach unten abweichen und damit ein Zusammenhang mit der Coronakrise naheliegt, sollte überlegt werden, wie man diesen Nachteil ausgleicht. Sollte die Kultusministerkonferenz dann nicht zu einem solchen Ergebnis kommen, wären die Universitäten aufgerufen zu prüfen, ob man nicht den Numerus Clausus in einigen Studienfächern ausnahmsweise absenkt.

Ähnlich sehe ich das auch bei den Uni-Absolventen: Sollte sich zum Beispiel herausstellen, dass die Noten der juristischen Staatsexamina in den Keller rauschen und der Schnitt signifikant unter dem der Vorjahre liegt, können wir nicht mit den Achseln zucken, sondern müssen daraus die richtigen Schlüsse ziehen und die Absolventen unterstützen.

Was die Abschlussprüfungen in diesem Semester anbelangt, so werden diese – außer in den Fächern mit Staatsexamina – ebenfalls digital ablaufen. Der bayerische Datenschutzbeauftragte hat kürzlich vor massiven Grundrechtseingriffen gewarnt, wenn Kameras die Prüflinge zu Hause bei ihrer Klausurarbeit "überwachen" sollen.

Im Kontext Prüfungsverfahren stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, die auch ich nicht alle beantworten kann: Datenschutzrechtliche, aber auch Fragen der Prüfungsgerechtigkeit und -gleichheit stellen sich. Und viele davon sind alles andere als trivial.

Im Moment sind wir in einer Phase, wo wir uns in den Universitäten notgedrungen etwas durchhangeln. Aber da kann ich nur um Verständnis bitten: Wir hatten keine Zeit, um alle Problematiken, die sich durch die Coronakrise ergeben, bis zum Ende zu durchdenken und angemessene Lösungen zu finden. Wir müssen uns jetzt eben ein Stück weit auch durchwurschteln.

Prof. Dr. Bernhard Kempen leitet das Institut für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Universität Köln. Er ist seit 2004 Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV).

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