Juristenmode - Die Brille

Immer den Durch­blick

von Alexander GrauLesedauer: 4 Minuten

Nenn mir deine Marke, und ich nenne dir dein Fach. Bei keiner Gruppe von Studenten und Berufsträgern funktioniert dieses Spiel so zuverlässig wie bei Juristen. Aber woher kommen die ungeschriebenen Regeln des juristischen Dresscodes eigentlich? Welche geschichtlichen, geographischen und (pop-)kulturellen Einflüsse haben ihn geprägt? Anekdoten und Antworten liefert Alexander Grau.

Der Jurist sollte immer den Durchblick behalten. Deshalb studiert er ja so lang und quält sich durch unzählige Gesetzestexte, Kommentare und Entscheidungen. Das kann die Sehstärke auf Dauer in Mitleidenschaft ziehen – und dann hilft eigentlich nur noch eine Brille.

Die ist modisch betrachtet allerdings ein heikles Thema. Und imagemäßig sowieso. Deshalb greifen viele lieber gleich zu Kontaktlinsen. Die sieht zumindest keiner. Und vor allem muss man nicht stunden-, tage- oder gar wochenlang von Optiker zu Optiker rennen, bis man ein Modell gefunden hat, das halbwegs zum eignen Typ passt, zum Gesicht, zum Stil – und dann auch noch der Partnerin oder dem Partner gefällt (hier eine Auswahl klassischer Brillen).

Seien wir ehrlich: Eigentlich sehen Brillen bescheuert aus. Dass wir das meistens übersehen, liegt an unserer kulturellen Gewöhnung. Schon als wehrloser Säugling muss man es ertragen, dass die bebrillten Gesichter von Omi und Tante sich verzückt grinsend über einen beugen. Und spätestens im Kindergarten findet man es vollkommen normal, dass die halbe Menschheit diese komischen Dinger auf der Nase hat.

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Aversionen eines Advokaten

Allerdings lassen sich nicht alle Menschen ihr Schönheitsempfinden durch die Macht der schnöden Gewohnheit korrumpieren. Da war zum Beispiel dieser Rechtsanwalt aus Frankfurt: Johann Wolfgang Goethe. Der war nicht nur Advokat, sondern dichtete nebenbei ein wenig und pflegte eine tiefe Aversion gegenüber Brillen.

Am 5. April 1830 etwa notierte sein Privatsekretär folgende Bemerkung: "Es mag eine Wunderlichkeit von mir sein, aber ich kann es einmal nicht überwinden. Sowie ein Fremder mit der Brille auf der Nase zu mir hereintritt, kommt sogleich eine Verstimmung über mich, der ich nicht Herr werden kann. Es geniert mich so sehr, dass es einen großen Teil meines Wohlwollens sogleich auf der Schwelle hinwegnimmt und meine Gedanken so verdirbt, dass an eine unbefangene natürliche Entwickelung meines eigenen Innern nicht mehr zu denken ist."

Man kann diesen Goethe durchaus verstehen. Geschadet hat ihm seine Abneigung gegenüber Brillenträgern im Übrigen nicht. Der Mann wurde noch Minister und soll auch den einen oder anderen literarischen Erfolg gefeiert haben.

Doch er hatte auch einfach Dussel: Wer selbst im hohen Alter keine Brille braucht, hat eben gut lästern.

Die Brille als Intellektuellenzierde

Allerdings stand Goethe mit seiner Abneigung nicht allein. Portraitbilder zeigen, dass Brillen bis weit in das 19. Jahrhundert vor allem als das wahrgenommen wurden, was sie sind: Krücken für die Augen. Und wer hat schon gerne eine Krücke im Gesicht?

Zum sozialen und modischen Accessoire wurde die Brille erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Plötzlich fingen Gelehrte und Wissenschaftler an, sich mit Brille verewigen zulassen: das Drahtgestellt auf der Nase wurde zum Zeichen der Gelehrsamkeit.

Diese geradezu ikonische Verbindung besteht bis heute. Schuld daran waren allerdings auch die 20er und 30er Jahre, die noch einmal einen ganz anderen Modetypus ins kollektive Gedächtnis pflanzten: den Intellektuellen mit Brille. Und da Intellektuelle politisch häufig auch noch links stehen, hatten gewisse Brillen immer auch einen revolutionären Touch: man denke nur an Leo Trotzki oder Walter Benjamin.

Die 30er Jahre brachten zudem eine großartige Erfindung: die Kunststoffbrille, vorzugsweise aus Acetat. Das ermöglichte vor allem eines: die günstige und einfache Herstellung von „Hornbrillen“. Echte Hornbrillen gab es zwar schon ab den 20er Jahren (man denke nur an Harold Lloyd), allerdings waren diese Gestelle alles andere als günstig.

Ihren Siegeszug trat die Hornbrille in den 50er und 60er Jahren an – was im Umkehrschluss dazu führte, dass in den kulturrevolutionären 70er Jahre die Metallbrille ein fröhliches Comeback feierte.

Von Panto bis randlos

Nun sind Juristen – Fälle wie Klaus Croissant oder Christian Ströbele vielleicht einmal ausgenommen – ja tendenziell konservativ. Das könnte zumindest eine Erklärung dafür sein, dass sich die Panto-Brille aus Acetat (am besten mit Schlüssellochsteg) als die klassische Juristenbrille durchgesetzt hat. Der humanistisch gebildete Leser weiß natürlich, dass „pan-“ „alles“ bedeutet oder „ganz“. Panto-Brillen sind also so geformt, dass sie das ganze Gesichtsfeld ausfüllen – aber nicht mehr.

Im Vergleich zu den Riesenmodellen der 70er und 80er Jahre wirkt die klassische Panto-Brille eher klein. Das unterstützt den „intellektuellen“ Look und erklärt ihre Beliebtheit bei Juristen, die sich bürgerlichen Bildungstraditionen verpflichtet fühlen. Und pfiffiger als das spießige Allerweltsmetallgestell, wie es so gerne von praktisch denkenden Ingenieuren getragen wird, ist sie allemal.

Ende der 90er Jahre kam unter Juristen dann aus heiterem Himmel eine eigenartige Mode auf: die randlose Brille. Vermutlich sollte sie Seriosität suggerieren, Modernität und ein bisschen Jugendlichkeit. So was kann allerdings rasch hinten losgehen, wie der hannoversche Rechtsanwalt Christian Wulff eindrucksvoll zeigte.

Auffällig unauffällig

Noch als Oppositionsführer im niedersächsischen Landtag wechselte Wulff vom biederen JU-Metallgestell auf randlos. Das sollte ihm etwas das Bubihafte nehmen und zugleich sportlich und ein staatsmännisch wirken. Allerdings sind auch die Möglichkeiten von Brillen begrenzt.

Den randlosen Modellen blieb Christian Wulff treu. Auch als Bundespräsident. Dann kam die Krise: Rücktritt, Karriereende, Ansehensverlust. Ein Imagewechsel war dringend notwendig. Dabei heraus kam ein kastenförmiges schwarzes Ungetüm, das vermutlich sagen sollte: Ich bin ganz anders, als ihr denkt. Inzwischen trägt der Mann konsequenterweise – Kontaktlinsen.

Die Brillenodyssee des Bundespräsidenten a.D. verdeutlicht, weshalb die gute alte Panto – ob in kastanienbraun oder einer anderen klassischen Farbe – doch nicht die schlechteste Wahl ist. Sie ist zeitlos. Sie will nicht krampfhaft modern sein, nicht um jeden Preis sportlich und auch nicht betont distinguiert. Würde er heute noch leben – vermutlich könnte sich sogar Goethe mit ihr anfreunden.

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