Auszeit zum Auftanken
In der Tora, dem ersten Teil der hebräischen Bibel, ist das Sabbatjahr ein Ruhejahr für das Ackerland. Demnach sollen nach jeweils sechs Jahren die Felder ein Jahr lang nicht bebaut werden. Aus diesem Begriff hat sich das Sabbatical abgeleitet: eine Auszeit für Arbeitnehmer, die eine Zeitlang viel gearbeitet haben und sich nun eine längere Pause gönnen sollen.
Laut einer aktuellen repräsentativen Studie des Berufsnetzwerks Xing fördern rund 20 Prozent der Unternehmen, aus denen Arbeitnehmer befragt wurden, Sabbaticals aktiv. Über 10 Prozent der knapp 1500 Befragten haben der Studie zufolge bereits eine Auszeit genommen, weitere 21 Prozent können es sich vorstellen.
Laut einer weiteren Sabbatical-Studie des Meinungsforschungsinstituts Fittkau & Maaß im Auftrag der Online-Plattform Wimdu aus dem vergangenen Jahr wollen 43 Prozent der Auszeit-Aspiranten drei bis sechs Monate Pause vom Job nehmen, fast ein Drittel wünscht sich mit zehn bis zwölf Monaten mitunter sogar ein ganzes Sabbatjahr. Elf Prozent können sich eine Auszeit von bis zu zwei Jahren vorstellen.
Wie viele Mitarbeiter aus Kanzleien in diesen Studien befragt wurden, ist nicht bekannt. Sicherlich würden die Zahlen aber anders ausfallen, wenn nur Kanzleiangehörige an den Studien teilnähmen. Denn das Sabbatical hat sich in der Rechtsbranche noch lange nicht durchgesetzt. Die ersten großen Kanzleien bieten ihren Mitarbeitern mittlerweile Auszeiten an – von einem Jahr Abstinenz vom Job können die Anwälte aber nur träumen.
Bei Hengeler Mueller zum Beispiel können Associates, die mindestens zwei Jahre an Bord sind, seit 2011 einmalig bis zu drei Monate Auszeit nehmen – für Counsels und Partner gilt die Regelung schon länger, sie dürfen alle fünf Jahre ein Sabbatical beantragen. "Darüber hinaus bieten wir bei Bedarf auch flexibel individuelle Freistellungen an", erklärt Astrid Arndt, Personalleiterin der Wirtschaftskanzlei.
Zeit nutzen, um Batterien aufzuladen
Die Pause von der Arbeit ist unbezahlt, die meisten nutzen sie für private Interessen. "Viele gehen auf Reisen, andere engagieren sich ehrenamtlich oder treiben intensiv Sport – keiner muss bei uns begründen, wozu er oder sie eine Auszeit braucht", so Arndt.
Daniela Böning, mittlerweile Partnerin in der Kanzlei, war eine der ersten, die nach Einführung des Sabbaticals die Chance genutzt haben. "Ich hatte gar keine Pläne, sondern wollte nach den ersten anstrengenden Berufsjahren nur erstmal meine Batterien aufladen und mir darüber klar werden, wie es beruflich weitergehen soll." Nach drei Monaten Auszeit freute sie sich auf die Rückkehr in die Kanzlei – für sie ein Zeichen dafür, dass sie dort richtig aufgehoben war.
Dr. Tobias Abend, mittlerweile Assoziierter Partner bei Gleiss Lutz, hat sich als Associate vier Wochen frei genommen – das Maximum an Auszeit, das die Kanzlei ihren Mitarbeitern bietet. Während dieser Zeit wird das Gehalt von der Kanzlei weiterbezahlt. Grundsätzlich kann das Sabbatical bei Gleiss Lutz auch mit dem normalen Jahresurlaub kombiniert werden. Tobias Abend hat in dieser Zeit Urlaub mit der Familie in Kanada gemacht. "Normalerweise können wir zwei, vielleicht auch mal drei Wochen Urlaub nehmen, aber der Erholungseffekt ist natürlich bei einem Monat noch besser", so der 37-Jährige.
Er hatte sich im Vorfeld mit seinem Tutor und seinen Kollegen abgestimmt, damit nicht mehrere aus seinem sechsköpfigen Team zur selben Zeit abwesend sind. Während seiner Abwesenheit haben die Kollegen ihn vertreten. "Ich hatte in der Wildnis in Kanada keinen Handyempfang, konnte nur hin und wieder beim Einkaufen meine Mails abrufen", berichtet Tobias Abend. "Aber in der Kanzlei hat auch keiner erwartet, dass ich in meinem Sabbatical erreichbar bin."
2/2 Gut vorbereitet ins Gespräch gehen
Wer bei den Großen der Branche, wie Hengeler Mueller, Gleiss Lutz, aber auch Freshfields Bruckhaus Deringer oder Clifford Chance, arbeitet, hat Glück, dass Sabbaticals hier mittlerweile etabliert sind. Aber wie sieht es in den vielen mittelständischen Kanzleien aus? "Fragen kostet nichts", meint Sabbatical-Coach Andrea Oder. "Allerdings sollte man sich gut auf das Gespräch vorbereiten."
Sie empfiehlt, zuerst einmal für sich selbst eine Bestandsaufnahme zu machen, wofür man das Sabbatical überhaupt braucht: Bin ich erschöpft und brauche ich einfach mal eine Pause? Will ich mir einen langgehegten Wunsch erfüllen? Oder will ich mich persönlich weiterbilden? "Ist mir mein Bedürfnis klar, kann ich viel besser gegenüber meinem Arbeitgeber argumentieren", so Andrea Oder.
Als nächstes sollten sich Sabbatical-Interessierte überlegen, wo der Gewinn für den Arbeitgeber liegt, wenn sich der Arbeitnehmer Zeit für sich selbst nimmt. "In der Regel stärkt man in dieser Auszeit ja seine Arbeitskraft und kommt motivierter wieder zurück – das sollte für den Arbeitgeber ein Anreiz sein, das Sabbatical zu genehmigen", so ihre Erfahrung.
Nicht zuletzt ist es hilfreich für die Argumentation, wenn sich der Arbeitnehmer schon vorab überlegt, wie seine Aufgaben in seiner Abwesenheit erledigt werden können: Können Projekte vor der Abreise abgeschlossen werden? Ist es möglich, einen Kollegen gründlich einzuarbeiten? Gibt es andere Möglichkeiten, die anfallenden Aufgaben abzufangen? "Je kleiner eine Kanzlei, umso wichtiger ist es, dem Arbeitgeber machbare Lösungen aufzuzeigen", meint Andrea Oder.
Auf Weltreise gehen, das Haus renovieren, ein Buch schreiben
Dass Sabbaticals nicht nur in Großkanzleien möglich sind, zeigt das Beispiel Kapellmann und Partner: In der mittelständischen Kanzlei können Partner schon seit den 1990er-Jahren alle zehn Jahre bis zu drei Monate Auszeit nehmen – bei voller Vergütung. "Für uns rechnet sich das Angebot, sowohl für die Kanzlei als auch für den Kollegen", erklärt Rechtsanwalt Dr. Axel Kallmayer, der sich jüngst selber drei Monate Auszeit genommen hat. "Wir können damit die Zufriedenheit und die Arbeitseffizienz steigern."
Die meisten der Partner nehmen laut Kallmayer Sabbaticals in Anspruch. Sie gehen auf Weltreise, renovieren ihr Haus oder schreiben ein Buch. Nur einige wenige denken, sie seien unentbehrlich, und verzichten auf das Angebot. Und wie sieht es mit den Associates aus? "Bei uns ist der Arbeitsaufwand nicht so hoch wie bei den Großkanzleien. Außerdem werden viele unserer Associates Partner und haben dann die Möglichkeit zu Sabbaticals. Daher sind wir derzeit der Ansicht, dass diese für Associates nicht notwendig sind", so Kallmayer.
Wer anderer Meinung ist und bei seinem Arbeitgeber auf Widerstände trifft, sollte nach Ansicht von Sabbatical-Coach Andrea Oder nochmal in sich gehen und überlegen, wie dringlich der Wunsch nach einer Auszeit ist. "Mein Rat ist, das Thema immer mal wieder in Personalgesprächen anzusprechen und gute Argumente für eine Arbeitspause zu sammeln." Und wenn es dann immer noch beim Nein bleibt, aber eine Auszeit unbedingt nötig ist, gibt es immer noch die Option, sich einen Arbeitgeber zu suchen, der dem Thema gegenüber offener ist.
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2017 M11 1
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