Anwältin klärt Schüler über digitale Gewalt auf

"Wir brau­chen Präv­en­tion – und zwar flächen­de­ckend"

Interview von Pauline Dietrich, LL.M.Lesedauer: 5 Minuten

Law4school klärt mit Webinaren und Streaming vor allem Schüler etwa über den Rechtsrahmen von Cybermobbing oder Volksverhetzung auf. Die Nachfrage ist groß. Gründerin Gesa Gräfin von Schwerin erzählt, wie es dazu kam und wie sie das Angebot ausbauen will.

LTO: Gräfin von Schwerin, Sie sind Anwältin und Gründerin von Law4school. Was kann man sich darunter vorstellen?

Gesa Gräfin von Schwerin: Law4school ist ein Webinar-Angebot für Schulklassen, Lehrer und Eltern in ganz Deutschland. Angefangen habe ich mit der Aufklärung über den Rechtsrahmen bei Cybermobbing, heute beziehe ich aber die gesamte digitale Gewalt mit ein: Angefangen beim Cybermobbing über die Verletzung des Rechts am eigenen Bild, Verbreitung und Besitz von Kinder- und Jugendpornografie, Sextortion, also sexuelle Erpressung im Internet, Cyber-Grooming, Cyberstalking bis hin zur Verbreitung verfassungsfeindlicher Kennzeichen oder Volksverhetzung.

Wie kam es, dass Sie Law4school gegründet haben?

Entwickelt hat sich Law4school aus einem Mandat, das ich im Jahr 2007 wahrgenommen habe. Es ging um massives Mobbing zweier Schüler in der damaligen Online-Plattform SchülerVZ. Deren Schule hat mich dann gebeten, einen Vortrag zu der Thematik zu halten – und da habe ich gemerkt, wie aktiv die Schüler schon im Internet waren, aber gleichzeitig nichts über den dort geltenden Rechtsrahmen wussten. Ich dachte mir dann: Das, was ich hier über die Regeln beim Umgang mit digitalen Medien erzählt habe, müssten eigentlich alle Schüler wissen. Danach bekam ich außerdem direkt Anfragen von Eltern und Lehrkräften, die von dem Vortrag gehört hatten. Daraus ist dann neben meiner anwaltlichen Arbeit eine regelmäßige Vortragstätigkeit entstanden, die kurz später auch vom Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern gefördert wurde. 

Im Jahr 2012 hat mich dann eine Freundin darauf gebracht, Live-Webinare statt Vorträge vor Ort zu machen. Damals wusste noch niemand, was ein Webinar überhaupt ist. Das ist heutzutage natürlich anders. 

Ich habe schließlich meine Inhalte immer weiter heruntergebrochen und halte meine Webinare mittlerweile auch für Grundschuleltern und deren Kinder. Sogar die Erstklässler verstehen, was ich ihnen erkläre. Mir berichten Eltern sogar, dass ihr Kind sich vor dem Webinar ein Smartphone zu Weihnachten gewünscht hat – und danach nicht mehr. Die Kinder haben verstanden, dass ein Handy kein Spielzeug ist. 

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"Ich suche Kollegen, die solche Mandate übernehmen würden"

Aber Sie machen nicht nur Webinare.

Richtig, gerade durch die Coronapandemie ist die Nachfrage nach den Live-Webinaren immer mehr geworden und wir haben zusätzlich ein Streaming-Angebot errichtet. In mittlerweile mehr als 60 Videos und einer Videothek mit rund 400 Kurzvideos erkläre ich die rechtlichen Regeln angepasst an die Altersstufen anhand eines Falls. Dort gibt es auch eine Version in vereinfachter Sprache und mit kurzen Modulen, damit zum Beispiel Förderschüler die Inhalte verstehen können. Künftig sollen noch Gebärdensprache und Fremdsprachen hinzukommen. Das Angebot ist also immer weitergewachsen und inzwischen habe ich ein Team bestehend aus einer Assistentin, einem Sozialpädagogen und einer Studentin. 

Vorher waren Sie hauptberuflich als Anwältin tätig – in welchem Bereich? 

Ursprünglich komme ich aus dem Familien- und Erbrecht. Ich bin auch immer noch Anwältin, aber nehme nur noch selten Mandate an, und wenn dann im Bereich digitale Gewalt. Weil sich nach meinen Webinaren aber immer wieder Betroffene bei mir melden und nach anwaltlichem Rat fragen, versuche ich nun, in Deutschland ein Netzwerk aufzubauen. Ich suche Kollegen, die solche Mandate übernehmen würden. Mein Ziel ist es, in jedem Bundesland Anwälte zu haben, die sich mit dem Thema auskennen und die ich den Betroffenen weiterempfehlen kann. Im kommenden Jahr soll dann das Angebot Law4school Help starten, wo Betroffene sich kostenlos melden können, um eine erste Einschätzung ihrer Situation zu erhalten. Die Anfragen wollen wir dann in unserem Netzwerk an Juristen, Sozialpädagogen sowie Kinder- und Jugendtherapeuten weiterleiten.

"Ich empfehle immer, den zivilrechtlichen Weg zu gehen"

Was würden Sie sagen: Funktioniert die Strafverfolgung im Bereich digitale Gewalt?

Das erste Problem dabei ist: Gerade wenn die Täter Kinder bzw. Jugendliche sind, werden die Verfahren aufgrund des Alters häufig eingestellt. Das zweite Problem: Die meisten jungen Erwachsenen oder Eltern betroffener Kinder wenden sich nicht an die Staatsanwaltschaften, sondern an die Polizei. Davon rate ich mittlerweile ab, denn dort wird die Sache meiner Erfahrung nach häufig als "nicht so schlimm" abgetan. Oder ich habe erlebt, dass Beamte sich in dem Bereich gar nicht auskennen und sogar falsche Rechtsauskünfte geben: "Zivilrechtlich kann man gegen 12Jährige nicht vorgehen, weil sie noch nicht strafmündig sind." Hier brauchen wir dringend Schulungen für Polizeibeamte zum Umgang mit Betroffenen. 

Allerdings muss man auch sagen, dass der Polizei häufig die Hände gebunden sind, weil sie aus Datenschutzgründen nicht schnell zugreifen dürfen. Ich bin deshalb für größere Zugriffsmöglichkeiten, das wäre zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen dringend nötig. 

Ich empfehle daher immer, den zivilrechtlichen Weg zu gehen – der ist schneller und effektiver als der Strafrechtliche. Das ist in der Regel leider nicht bekannt und wird in der Öffentlichkeit meist auch nicht thematisiert. Dabei ist das doch der Weg, auf dem einem Betroffenen der direkte Weg zum Täter offensteht. Das Problem der fehlenden Strafmündigkeit hat man dort auch nicht mehr.

"Ich bin keine Pädagogin, ich bin Anwältin"

Ist es im Vergleich zum Anwaltsdasein manchmal eintönig, ständig dasselbe Webinar zu halten?

Nein, denn es kommt ständig etwas Neues dazu – ein neuer Fall, eine neue App, eine neue Gerichtsentscheidung und immer spannende Fragen von den Zuhörern. Und es ist auch einfach ein Herzensthema. Und diejenigen, die in einem Webinar von mir sitzen, hören es ja auch zum ersten Mal. Und auch sie müssen meine Inhalte kennen. Es geht nicht darum, Mandate zu akquirieren oder die Strafverfolgung in dem Bereich zu verbessern, wir brauchen Prävention – und zwar flächendeckend und schon ab der Grundschule. Law4school ist übrigens 2022/2023 wissenschaftlich evaluiert worden, mit dem Ergebnis, dass es tatsächlich präventiv wirkt. 

Allein im Jahr 2023 hatte ich 3.500 Klassen im Webinar. Die Nachfrage ist immens. Die Schulen, die einmal dabei waren, bleiben auch dabei. Law4School ist fester Bestandteil ihrer Präventionskonzepte geworden. Das freut mich wirklich sehr. 

Haben Sie sich jemals pädagogisch weitergebildet?

Nein, nie. Ich bin keine Pädagogin, ich bin Anwältin. Ich bekomme von den Lehrern trotzdem Rückmeldungen, dass mein Angebot sehr gut pädagogisch aufbereitet sei. Wahrscheinlich kommt das dadurch, dass ich über die Jahre immer wieder überlegt habe, wie ich die juristischen Regeln einfach und kindgerecht erklären kann. Außerdem unterstützt mich der Sozialpädagoge aus meinem Team. 

Schildern die Kinder in Ihren Webinaren auch Fälle digitaler Gewalt aus ihren Leben?

Bei den Schüler-Webinaren mache ich immer Umfragen. Fragen können sie über den Chat stellen. Die Lehrer berichten mir, dass die Kinder erst nach den Webinaren über ihre Erfahrungen sprechen. So hat neulich etwa eine 13-Jährige erzählt, dass sie von einem 19-Jährigen immer "Dick Pics" geschickt bekommt. Sie dachte, das sei normal. Nach meinem Webinar wollte sie dann Strafanzeige erstatten. Genau so etwas erhoffe ich mir. 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Rechtsanwältin Gesa Gräfin von Schwerin klärt mit "Law4school – Recht in der digitalen Welt" Schüler:innen, Eltern und Lehrer:innen über den Rechtsrahmen bei digitaler Gewalt auf. 

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