Wolfgang Stoppel, Vorsitzender Richter am Bundespatentgericht i.R. grenzt im Interview seine Arbeit vom allgemeinen "Marken-Hype" ab und erklärt, welche Vorarbeit im Nachschlagewerk zur "Marke" steckt, das nun in 17. Auflage erscheint.
Im Carl Heymanns Verlag, der – wie Legal Tribune Online – zur Verlagsgruppe Wolters Kluwer Deutschland zählt, erscheint in 17. Auflage "Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen" – des "Richter/Stoppel". Der Klassiker der markenrechtlichen Literatur wird erstmals in einem günstigen Abonnement auch für die Online-Recherche angeboten. Anlass, Wolfgang Stoppel nicht zur Marke im engsten Sinn zu befragen.
Frage: Im Jahr 2000 veröffentlichte die kanadische Journalistin Naomi Klein mit "No Logo" einen Bestseller, der den Inhabern internationaler Marken – von Levi’s bis Coca-Cola – eine Art organisierte Verantwortungslosigkeit in der globalisierten Arbeitsteilung zuschrieb.
Findet sich ein Werk wie dieses eigentlich in der Hausbibliothek eines Markenrechtlers – oder im Handapparat des zuständigen Senats?
Stoppel: Markenrechtler lesen von Zeit zu Zeit sicherlich auch nicht-juristische Bücher zur Marke, aber die gehören nicht zur Regelausstattung von Hand- oder Senatsbibliotheken. Das Bundespatentgericht verfügt in seiner Hausbibliothek aber über eine Vielzahl solcher Werke, in denen die Marke unter wirtschafts- oder sozialwissenschaftlichen Aspekten – oder schlicht unter Marketing-Gesichtspunkten – dargestellt wird. Doch wie gesagt: das eine – sprich die juristische Komponente bei Markenkollisionen – hat mit dem anderen – sprich wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Marke – nichts zu tun.
Frage: Den Gedanken, dass ausgerechnet Logos bzw. Marken ein Problem der arbeitsteiligen Wirtschaft sein sollten, habe ich nicht nachvollziehen können: Ein internationales Gastronomieunternehmen, das z.B. in Tirana unter der gleichen Marke firmiert bzw. renommiert wie in München, wird doch Wert auf sehr ähnliche Produktqualitäten legen.
Die Wirtschaftswissenschaften thematisieren Marken als Möglichkeit für den Verbraucher, gute und schlechte Waren/Dienstleistungen schnell zu unterscheiden. Spielen ökonomische Theorien oder Gutachten in Markenstreitigkeiten eine – große – Rolle?
Stoppel: Marken dienen dazu, Waren und/oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, wobei Kunden an (vor allem starke) Marken vielfach ihre Vorstellung zur Identität des Unternehmens und zur Qualität des Produktes knüpfen. Marken beeinflussen also täglich die Kaufentscheidung von Verbrauchern und stellen mithin einen erheblichen Vermögenswert dar.
Aus diesem Grund werden Markenstreitigkeiten – sei es im Verletzungsprozess, sei es im Registerverfahren – überhaupt ausgetragen, wobei es allein auf die Frage ankommt, ob sich Marken und ihre Produkte so nahe kommen, dass für den Verkehr die Gefahr von Verwechslungen besteht – im englischen besser "likelihood of confusion".
Es geht um die "likelihood of confusion"
Diese Frage ist aber eine reine Rechtsfrage – die sich aus den Komponenten Markenähnlichkeit, Warenähnlichkeit und Kenzeichnungskraft der älteren Marke zusammensetzt –, der zwar Tatsachen zugrunde zu legen sind, die aber wissenschaftlichen Theorien, Gutachten oder demographischen Umfragen nicht zugänglich ist.
Letztlich geht es um eine Art Fiktion und nicht um die Frage, ob Verbraucher tatsächlich Persil und Supersil verwechseln.
Frage: Konkreter Anlass für unser Interview ist die neue, inzwischen 17. Auflage des Richter/Stoppel: "Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen". Was dürfen die Nutzer dieses Werkes an bewährten und neuen Qualitäten erwarten?
Stoppel: Die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen ist nicht nur der am besten dokumentierte, sondern auch der am besten objektivierbare Faktor im markenregisterlichen Rechtsverfahren und damit im System der Wechselwirkung bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr. Der mit der Beantwortung dieser Fragen befasste Praktiker hat mit dem "Richter" ein seit jahrzehnten bewährtes Hilfs- und Arbeitsmittel zur Hand, das ihm seine Entscheidung zwar nicht abnimmt, aber letztlich doch erleichtern sollte.
Ähnlichkeit weder statisch noch unumkehrbar
Wie jede Entscheidungssammlung verfolgt das Werk keinen Absolutheitsanspruch, noch maßt es sich eine gesetzesähnliche Stellung an, sondern es liefert letztlich nur das Material und die Grundlagen für eine sachgerechte Entscheidung, und zwar nicht nur im nationalen Rahmen, sondern auch im Verbund der europäischen Rechtsharmonisierung. Dabei ist zu bedenken, dass der Ähnlichkeitsbegriff weder statisch festgeschrieben noch eine gefestigte Spruchpraxis auf Dauer unumkehrbar ist! Im markenrechtlichen Registerverfahren sind die Veränderungen des Marktgeschehens gerade bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen vielmehr stets mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen und bei der Entscheidungsfindung angemessen und sachgerecht zu berücksichtigen, auch wenn natürlich nicht jeder Modetrend sogleich auch eine Änderung der Spruchpraxis nach sich zieht.
Korrekturen sind allerdings dann angebracht, wenn eine auf Dauer angelegte Entwicklung des Marktes zu einer Ausbildung von markenrechtlich relevanten Schnittmengen in Form regelmäßiger Berührungspunkte führt und dadurch die Auffassung des Verkehrs nachhaltig beeinflusst und geprägt wird.
Wie Ähnlichkeit entsteht und vergeht
Das kann dazu führen, dass bislang als eher unähnlich angesehene Waren und Dienstleistungen in den Ähnlichkeitsbereich aufrücken oder aber bislang als uneingeschränkt ähnlich angesehene Waren differenzierter betrachtet werden.
Zu allen diesen Fragen und Problemen finden sich im "Richter" sachgerechte und adäquate Antworten, zumal das Werk in der Printversion ca. alle drei Jahre aktualisiert wird und seit der nunmehr 17. Auflage auch ein Online-Zugriff auf die Datenbank möglich ist, um den Anwender stets mit der aktuellen Entscheidungspraxis zu versorgen – bzw. ihm online sogar noch weitere Recherchemöglichkeiten zu geben.
Frage: Mit welcher Wahrscheinlichkeit, ab welcher Streitqualität findet ein Marken-Problem Aufnahme in Ihr Werk? Ich weiß nicht, ob mein Eindruck täuscht, aber sind zum Beispiel fehlende Unterschiede zwischen Osterhasen ein größeres Streitthema als solche zwischen Weihnachtsmännern und Nikolaus-Figuren? – Wenn man ein jahreszeitliches Beispiel (OLG Düsseldorf, Az. I-20 U 82/11) wählen darf darf…
Stoppel: Das Werk versucht möglichst vollständig die Entscheidungspraxis der deutschsprachigen nationalen Markenämter und Gerichte – also Deutschland, Österreich, Schweiz – sowie der europäischen Instanzen (EUIPO und EU-Gerichte) zu präsentieren, und zwar nicht als bloße Zusammenstellung, die als Anhang zu finden ist, sondern sachgerecht aufbereitet mit einem speziellen, an die Nizzaer Klassifikation angelehnten Thesaurus, um dem Anwender die Suche zu erleichtern.
Es werden 8.000 bis 10.000 Entscheidungen aufbereitet
Ohnehin ist die Frage der Warenähnlichkeit in den meisten Entscheidungen nicht das Kernthema, sondern wird häufig nur am Rande behandelt, d.h. solche Entscheidungen würden für den Anwender verloren gehen, wenn sie nicht aus der Fülle sonstiger Entscheidungen "herausgefischt" würden; für jede Neuauflage schaue ich ca. 8.000 bis 10.000 Entscheidungen durch, ob etwas Brauchbares zum Thema Warenähnlichkeit dabei ist! In der Regel finden dann jeweils 800 Entscheidungen Aufnahme in das Werk, und zwar völlig unabhängig zu der von Ihnen genannten Streitqualität.
Weihnachtsmann müsste es erst noch zur Marke bringen
Die von Ihnen zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf werden Sie indes nicht im "Richter" finden, denn dabei handelt es sich um einen Geschmacksmusterstreit, bei dem allein die beiden Figuren zu vergleichen waren. Aber: sollte es Wettbewerbern gelingen, die Figur des Weihnachtsmannes als Bildmarke oder gar als figürliche Marke registrieren zu lassen – denken Sie an den Goldhasen von Lindt und die vielen daraus resultierenden Verfahren! – könnte es zu einer Markenkollision kommen und wenn dann noch die eine Marke für "Schokoladenwaren" und die andere für "Spielfiguren" eingetragen wäre, hätten wir den Fall einer streitigen Warenähnlichkeit!
Frage: Um zum Abschluss den Bogen zum Beginn des Interviews zu schlagen: Menschen in Medienberufen, aber auch Anwälten, ja sogar allerlei festangestellten Beschäftigten wird seit einigen Jahren empfohlen, sie sollten sich "zur Marke machen". Was halten Sie als Richter im Ruhestand von dieser Metapher?
Kann ich nicht nachvollziehen. Meinen Sie, man solle seinen Namen als Marke eintragen lassen, wenn ja, wofür? Waren, Dienstleistungen? Oder geht es um den Bekanntheitsgrad der eigenen Persönlichkeit im Beruf? Das hat dann aber kaum was mit Marken im Rechtssinne zu tun – allenfalls sprachlich: "das ist vielleicht eine Marke". Sie sehen das doch an "meinem" Werk, das nach wie vor unter dem Namen des Begründers "Bruno Richter" läuft, der sich damit natürlich selbst ein Denkmal gesetzt hat.
Herr Stoppel, vielen Dank für dieses Interview.
Nähere Informationen zum Richter/Stoppel: "Die Ähnlickeit von Waren und Dienstleistungen" sowie zum Online-Angebot mit zweimonatlicher Aktualisierung finden Sie hier.
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Markenrecht: . In: Legal Tribune Online, 07.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21378 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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