Das Freihandelsabkommen Ceta zwischen EU und Kanada ist fertiggestellt, aber immer noch geheim. Außerdem in der Presseschau: Polizisten dürfen aus einer Versammlung geschickt werden, hinreichender Tatverdacht des Mordes beim Sant'Anna-Massaker, Immendorf-Bilder müssen nicht zerstört werden und ein Tierarzt, der auf eigene Kosten Ferrari fahren muss.
Thema des Tages
Freihandelsabkommen Ceta: Der Text des Freihandelsabkommens "Comprehensive Economic and Trade Agreement" (Ceta) zwischen EU und Kanada ist fertiggestellt. Es soll zu etwa 98 Prozent zollfreiem Warenaustausch führen, Normen- und Standardabgleich bringen und eine Steigerung des Handelsvolumens um bis zu 20 Prozent. Das Abkommen wird nun im Wirtschaftsministerium geprüft. Im September soll es von Kanada und der EU paraphiert werden. Bis 2016 sollen alle Mitgliedstaaten und die EU es ratifizieren. Kanada wäre damit der einzige unter den sieben größten Industriestaaten mit Freihandelsabkommen zur EU und den USA, meldet die FAZ (pwe).
Kritisiert werden auch bei dieser 1.500 Seiten dicken "kleinen Schwester" des Freihandelsabkommens mit den USA (TTIP) insbesondere die Investitionsschutzklauseln, so die SZ (M. Bauchmüller/J. Cáceres). Laut kanadischer Regierung seien die Probleme beim Investitionsschutz vor Monaten ausgeräumt worden, berichtet die taz (Jörg Michel/Tobias Schulze). Dies könnte durch Öffnungsklauseln geschehen sein. Aber auch andere Lösungen sind denkbar. Nach Angaben des Handelsblatts (Thomas Ludwig) soll der jeweilige Gaststaat über Reichweite und Regelungsspielraum hinsichtlich des Investitionsschutzes bestimmen.
Die Welt (Martin Greive) vermeldet eine Anfrage der Linksfraktion, aus deren Beantwortung hervorgehe, dass zum Wohle des europäischen Gesamtinteresses "ausgehandelte Investitionsschutzabkommen hingenommen" werden können. Der Vertragstext selbst ist jedoch noch nicht bekannt und die Bundesregierung wollte zur konkreten Regelung nichts äußern. Das Wirtschaftsministerium gab an, Investitionsschutz durch Schiedsgerichte sei bei Staaten mit belastbaren Rechtsordnungen nicht erforderlich.
Heribert Prantl (SZ) meint, dass die Heimlichtuerei dieses Abkommen wie auch das TTIP "in toto" diskreditiere. Beide Abkommen griffen massiv in die Souveränität und den demokratischen Handlungsspielraum der Parlamente ein und könnten nicht verkündet werden, "als handele es sich um die Zehn Gebote, in Stein gemeißelt."
Rechtspolitik
Umsetzung der Istanbulkonvention: Die taz (Heide Oestreich) bespricht eine Analyse des Bundesverbands Frauenberatungen und Frauennotrufe (BFF) zu Vergewaltigungsfällen. Die Kritik am deutschen Strafrecht wird bestätigt, die Feststellung von "Gewalt" scheitere häufig daran, dass keine physische Gegenwehr erfolge und die "Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben" daran, dass vielfach mit anderen Übeln gedroht werde. Justizminister Heiko Maaß sieht weiterhin keinen Veränderungsbedarf, im Gegensatz zu den rechtspolitischen Sprechern und Sprecherinnen aller Fraktionen.
Infrastruktur als Staatsziel: Die FDP-Politiker Stefan Ruppert und Dieter Posch sprechen sich in der FAZ dafür aus, Infrastruktur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Ein wirtschaftsstarkes Land könne ohne sie seinen Wohlstand nicht halten und bisher werde ihr nicht der erforderliche Rang eingeräumt. Die seinerzeitige Diskussion um das Staatsziel Umweltschutz habe gezeigt, welche positive Wirkung eine solche Auseinandersetzung haben könne.
Umsetzung des Rechts auf Vergessen: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußert sich im Interview mit der SZ (Claudia Tieschky) zum "Löschbeirat", dessen Mitglied sie ist. Das Expertengremium soll Empfehlungen für die Umsetzung des Urteils zum Recht auf Vergessen ausarbeiten. Sie hält unter anderem die Entscheidung einer Schiedsstelle für denkbar, begrüßt die Stärkung der Privatsphäre durch das Urteil, meint aber auch, dass das Informationsinteresse nicht aus den Augen verloren werden dürfe. Leutheusser-Schnarrenberger weist insofern darauf hin, dass die Löschung von Links eben keine Löschung der Information als solche sei.
Recht auf Vergessen(werden): Auch Sascha Lobo (spiegel.de) kommentiert zur Diskussion um Informationsinteresse und Persönlichkeitsrechte in Bezug auf Daten im Internet. Das "Recht auf Vergessen" würde besser als "Recht auf Vergessen(werden)" bezeichnet, meint er, und sei eine "untaugliche, juristische Hilfskonstruktion für ein wichtiges Ziel". Es bedürfe vielmehr eines "Rechts auf Datensouveränität", welches zu neuen Instrumenten und Prozessen in "Zeiten der Vollverdatung der Welt" führen werde.
Justiz
BVerfG zu Versammlungsfreiheit: Bei einer Demonstration hatte die Beschwerdeführerin über ein Megafon "Zivil-Bullen" zum Verlassen der Versammlung aufgefordert. Auf Grundlage einer Auflage, welche die Megafonnutzung auf organisatorische und Rufe mit Bezug zum Demonstrationsthema beschränkte, wurde ihr ein Bußgeld auferlegt. Nach einer nun veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni verstieß die Auflage gegen die Versammlungsfreiheit, da Demonstrationen in ihrer idealtypischen Ausformung "die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen" seien. Die nicht gefahrträchtige Äußerung der Frau sei daher geschützt. Die SZ (Wolfgang Janisch) und die taz (Christian Rath) berichten.
Verfassungsbeschwerde gegen EEG-Umlage: Ein Textilunternehmen, welches im Juli vor dem Bundesgerichtshof (BGH) mit einer Klage gegen die EEG-Umlage gescheitert war, hat nun Verfassungsbeschwerde eingelegt, meldet das Handelsblatt (Klaus Stratmann). Laut BGH lag keine verfassungswidrige Sonderabgabe vor.
BFH zu Strafzahlungen von Steuerpflichtigen: Nach einer nun bekanntgegebenen Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) muss bei Auferlegung von Strafzahlungen an Steuerpflichtige wegen fehlender Mitwirkung die Verhältnismäßigkeit streng gewahrt bleiben. Alle Umstände des Einzelfalles müssten einbezogen werden, meldet lto.de.
OLG Karlsruhe zu Sant'Anna-Massaker: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in einem Klageerzwingungsverfahren entschieden, dass ein hinreichender Tatverdacht wegen Mordes gegen den heute 93-jährigen damaligen SS-Kompanieführer Sommer vorliege. Er soll in Sant'Anna di Stazzema (Italien) an der Ermordung mehrerer Hundert Zivilisten beteiligt gewesen sein. Die taz (Peter Müller/Andreas Speit) berichtet.
Für Julia Amberger (taz) sind nun endlich die "Rumdruckser" in Politik und Justiz, die sich darauf zurückzogen, es könne eben kein Mord nachgewiesen werden, eines besseren belehrt worden, indem das Geschehen nun auch offiziell in Deutschland als geplantes Massaker an der Zivilbevölkerung wahrgenommen werde.
OLG-Düsseldorf zu Immendorf-Bildern: Entgegen der vorherigen Instanz entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf, dass Käufer von Immendorf-Bildern diese nicht - wie von seiner Witwe gefordert - vernichten müssen, weil sie Fälschungen seien, berichten die FAZ (aro) und lawblog.de (Udo Vetter). Es sei nicht zu widerlegen, dass Immendorf zu Lebzeiten den Verkauf der Bilder als seine geduldet habe, auf den Rechtsschein könne der Käufer vertrauen.
OLG Hamm zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung: Richter am Amtsgericht Carsten Krumm weist auf blog.beck.de auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom Mai hin, der zusammenfasse, was bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung in die Urteilsgründe gehöre. Grundsätzlich bedürfe es der Mitteilung von Tatzeit, gegebenenfalls der Tatumstände sowie der wesentlichen Zumessungserwägungen. Letztere entfallen naturgemäß bei einbezogenen Strafbefehlen, die Zumessungserwägungen nicht enthalten.
LAG Hessen zu Zeugnis im Eilrechtsweg: Rechtsprofessor Christian Rolfs weist auf blog.beck.de auf eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitgerichts (LAG) vom Februar hin, nach welcher Arbeitszeugnisse im Eilrechtsweg erstritten werden können, wenn sie gar nicht oder offenkundig lückenhaft – wie im zu entscheidenden Fall – erteilt werden.
LG Düsseldorf zu Abschlagszahlungen: Abschlagszahlungen müssen an den tatsächlichen Verbrauch angepasst werden, entschied das Landgericht (LG) Düsseldorf, wie lawblog.de (Udo Vetter) meldet. Die Berechnung nach den Schätzungen, die bei Vertragsschluss zugrunde gelegt werden, ist später unzulässig. Das Gericht hatte nach der gleichen Meldung bereits entschieden, dass Guthaben sofort auszuzahlen seien und nicht langsam mit Abschlagszahlungen verrechnet werden dürften.
OLG-München – NSU-Prozess: Die Aussagen zweier Kriminalermittler aus Kassel werfen im NSU-Prozess Fragen neu auf. Als der damalige Beamte des Hessischen Verfassungsschutzes Andreas T. im Zusammenhang mit der Tötung Halit Yogats in Verdacht geriet, war die Befragung der von ihm betreuten V-Leute durch den Verfassungsschutz und den damaligen hessischen Innenminister Volker Bouffier (CDU) verhindert worden. Die Tötung wird nun dem NSU angelastet, aber die aussagenden Ermittler bezweifeln weiter, dass Andreas T. nicht einmal etwas beobachtet hat, wie er beteuert. Die SZ (Tanjev Schulz) und die Welt (Per Hinrichs) berichten.
StA München – Deutsche Bank: In einem Schadensersatz-Prozess Leo Kirchs gegen die Deutsche Bank wegen Äußerungen des damaligen Vorstandssprechers Rolf-Ernst Breuer zu seiner mangelnden Kreditwürdigkeit sollen seinerzeitige Manager des Finanzinsitituts gelogen haben. Die Staatsanwaltschaft München hat nun nach Informationen der FAZ (jja) die Anklage wegen Prozessbetrugs und Falschaussage fertiggestellt. Zuständig wird bei Gericht dann die Wirtschaftsstrafkammer sein, die gerade das Verfahren gegen Ecclestone einstellte.
Banker-Prozesse: Die Welt (Anne Kunz) schreibt zu den Strafverfahren gegen Banker, die überwiegend mit Freisprüchen enden. Strafrechtsexperten betonen die Notwendigkeit weiten unternehmerischen Entscheidungsspielraums. Der Vorsatz der Pflichtverletzung sei fast nicht nachzuweisen. Ein Ausweg könne das Zivilrecht sein: Dort müssten die Manager ihr verantwortungsbewusstes Handeln beweisen.
Ecclestone-Prozess - Zivilrechtliche Fortsetzung? Das Kirch-Unternehmen Constantin Media AG will die BayernLB auf Schadensersatz verklagen, wenn diese nicht gegen Bernie Ecclestone vorgeht. Bei der Kirch-Pleite 2002 waren Formel-1-Anteile an die Bank gefallen, die diese zu einem viel zu geringen Preis abgestoßen habe, als bereits Schmiergelder von Ecclestone an den damaligen BayernLB-Vorstand Gerhard Gribkowsky geflossen waren. Bei einem höheren Preis hätte die Kirch-Firma dank eines "Besserungsscheins" von dem Verkauf profitiert, berichtet die SZ (Klaus Ott).
LG Regensburg – Mollath-Prozess: Kurz vor Ende des wiederaufgenommenen Verfahrens gegen Gustl Mollath rekapituliert die taz (Lisa Schell) den Fall. Der Kampf dieses Mannes sei nicht beendet, auch wenn der Freispruch im gerichtlichen Verfahren so gut wie sicher ist. Das Gericht sei an das freisprechende Urteil im Ausgangsverfahren gebunden und die psychiatrische Einschätzung, die zu seiner Einweisung führte, konnte nicht bestätigt werden.
Recht in der Welt
Internationale Strafjustiz: Ronen Steinke (SZ) kommentiert das langsame Ausklingen der Internationalen Straftribunale für bestimmte Konflikte, Personen oder Opfer und die Zentralisierung der Anwendung internationalen Strafrechts in Den Haag. Es sei günstiger, nicht immer wieder ein Tribunal aufbauen zu müssen, aber es gebe dann auch nur noch "ein einziges genormtes Verfahren, den Haager Standard". Es bleibe kein Raum für das Eingehen auf verschiedene Konflikte in unterschiedlicher Weise, aber gewonnen werde Unabhängigkeit von einzelnen Regierungen.
Österreich – Legestheniker: Ilija Trojanow (taz) kommentiert fragwürdige Gesetzesanwendung in Österreich. "Legestheniker (Latein: jene, die Schwierigkeiten haben, das Alphabet der Gerechtigkeit zu entziffern)" nennt er jene, die eine Tierschutzorganisation mit einem Paragrafen gegen mafiöse und terroristische Organisationen verfolgten und nach dem Freispruch die Klage auf Haftentschädigung für verjährt hielten, weil man ja schon bei Haftbeginn gewusst habe, dass man unschuldig sei. Unter anderem der Fall Joseph S. dient ihm als Beispiel für die auch von Fachleuten in Frage gestellte demokratische Haltung der Polizei.
Großbritannien – EMRK: Der Rechtswissenschaftler Roman Kaiser (juwiss.de) setzt sich mit den Möglichkeiten auseinander, die Großbritannien in Bezug auf nationalen Menschenrechtsschutz und die Europäische Menschenrechtskonvention verbleiben, wenn die Briten nicht aus der EU ausscheiden wollen. Er wünscht ihnen einen Dialog über das Verhältnis zwischen Legislative und Judikative und verweist auf die international bestehenden unterschiedlichen Modelle.
Juristische Ausbildung
Aus für das FÖV? Der Leibniz-Senat hat das Forschungszentrum für öffentliche Verwaltung (FÖV) in Speyer, das im Leibniz-Forschungsverbund organisiert ist, stark kritisiert und eine Schließung ist in Aussicht. Entscheiden soll im Oktober die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz der Wissenschafts-Minister von Bund und Ländern. Die SZ (Johann Osel) berichtet über die Auseinandersetzung der Kritiker und Befürworter des Instituts.
Sonstiges
Technische-Überwachung: Auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag wurde unter anderem eine im Jahr 2014 gegenüber den Vorjahren erheblich gestiegene Zahl von Überwachungsmaßnahmen insbesondere durch sogenannte stille SMS angegeben. Dabei werden SMS versandt, um den Standort des Empfängergeräts zu erfahren. Einige Aspekte der Anfrage wurden aus Geheimhaltungsinteresse nicht beantwortet, so auch, ob die Sicherheitsbehörden in der Lage seien, Handys als Mikrofone zum Abhören ihrer Besitzer zu nutzen. Es schreiben dazu SZ (Stefan Braun) und spiegel.de.
Fahndungshilfe durch Google: Google durchsucht systematisch E-Mails seiner Nutzer. Nach Überführung eines mutmaßlichen Kinderpornobesitzers durch das Unternehmen lobte die Hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) dies nun als wertvollen Beitrag im Kampf gegen Kinderpornographie, berichtet die Welt (Ulrich Clauss). Datenschützer warnen, dass die Instrumente zur Inhaltsanalyse von E-Mails auch zu anderen Zwecken eingesetzt würden, und bezweifeln die Rechtmäßigkeit des Vorgehens.
Das Letzte zum Schluss
Ferrari nicht absetzbar: Ein Tierarzt scheiterte vor dem Bundesfinanzhof. Er hatte die Anschaffung eines Ferrari als Betriebsausgabe absetzen wollen. Die Richter meinten aber in dem nun veröffentlichten Urteil, ein ordentlicher Unternehmer hätte sich den Wagen unter Abwägung von Kosten und Vorteilen nicht geleistet. Außerdem habe er den Wagen nur 20 Tage in drei Jahren betrieblich genutzt, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 7. August 2014: Freihandel mit Kanada – Massaker in Sant'Anna – Überwachung durch SMS . In: Legal Tribune Online, 07.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12822/ (abgerufen am: 22.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag