Der BGH bestätigt das Urteil im Fall von Oury Jalloh. Außerdem in der Presseschau: der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern soll neu geregelt werden, Diskussion über gesetzliche Festlegung der Tarifeinheit, EuGH bestimmt den Ankunftszeitpunkt von Flugzeugen, fatale Fehlurteile in den USA und wie man nach dem Tod noch Hartz IV beziehen kann.
Thema des Tages
BGH zu Oury Jalloh: Der Bundesgerichtshof hat am gestrigen Donnerstag die Verurteilung des Polizisten Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung im Fall von Oury Jalloh bestätigt und damit die Revision von Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertretung abgewiesen, berichten unter anderem die SZ (Wolfgang Janisch), die FAZ (Reinhard Bingener), die taz (Christian Rath) und zeit.de. Der BGH habe anders als das Landgericht die Freiheitsberaubung mit Todesfolge nicht wegen Verbotsirrtums ablehnt, sondern weil die rechtswidrige Ingewahrsamnahme für den Tod des Insassen nicht ursächlich gewesen sein soll. Die Argumentation beruhe auf der Prognose, dass ein Richter die Ingewahrsamnahme von Oury Jalloh wahrscheinlich bestätigt hätte, wenn dieser ihm ordnungsgemäß vorgeführt worden wäre. Wegen noch ungeklärter Todesumstände von Jalloh, der 2005 in einer Arrestzelle verbrannte, nachdem er an Händen und Füßen fixiert worden war, habe die Staatsanwaltschaft Dessau ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Wolfgang Janisch (SZ) hält die Begründung des BGH für "aberwitzig": "Es wäre ebenso naheliegend anzunehmen, dass der Polizist – sobald ein Richter im Spiel ist – die Zelle korrekt überwacht hätte. Dann hätte Jalloh überlebt." Der BGH habe versäumt, eine Botschaft an die Polizeireviere im Land zu senden.
Rechtspolitik
Finanzausgleich: Am Donnerstag sind die Finanzminister von Bund und Ländern zusammengekommen, um eine neue Regelung zum Finanzausgleich und Solidarzuschlag zu erarbeiten, die beide 2019 auslaufen, berichtet zeit.de (Albert Funk). Ein Vorschlag sei die Einrichtung eines Fonds für die Altschulden der Länder, dessen Ausgestaltung jedoch in weiten Teilen noch umstritten sei. Heribert Prantl (SZ) prangert in diesem Zusammenhang die eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten der Landesparlamente bei der Steuererhebung an. Die "Autonomie der Teilstaaten und ihrer Parlamente bei Steuern und Finanzen" sei nirgends "so gering wie in Deutschland".
Kriegseinsätze: Reinhard Müller (FAZ) diskutiert vor dem Hintergrund aktueller bewaffneter Konflikte das Verhältnis von Militäreinsätzen zur Pflicht der Friedenswahrung. Dabei spricht er die rechtlichen Voraussetzung für den Einsatz der Bundeswehr an und macht das Selbstverteidigungsrecht in der UN-Charta stark. Zwar müsse Gewalt das letzte Mittel bleiben, das "Recht, sich und andere gegen Aggressoren zu verteidigen, bleibt aber 'naturgegeben'".
Tarifeinheit: Zur Ausarbeitung der gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit werde sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kommende Woche mit Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden treffen, berichtet das Handelsblatt (Frank Specht). Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio bespricht die Gesetzesinitiative in einem Gastbeitrag im Handelsblatt. Er stellt die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum richterrechtlichen Grundsatz der Tarifeinheit dar, der 2010 aufgegeben wurde. Im Hinblick auf die grundgesetzlichen Anforderungen zieht er das Fazit: "Es gibt keine erkennbare Rechtfertigung für einen so tiefen Eingriff in das Recht der Koalitionsfreiheit, wie dies mit einer gesetzlich auferlegten Tarifeinheit einhergehen würde." Bereits existierende Maßstäbe wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Streikrecht seien ausreichende Mittel, um Konflikte im Einzelfall zu lösen. Dietrich Creutzburg (FAZ) begrüßt die gesetzgeberischen Pläne. Seiner Meinung nach gehe es nicht um ein Verbot von, sondern um die "Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen" unter den Gewerkschaften.
Justiz
EuGH zu Flugverspätung: Am Donnerstag hat der Europäische Gerichtshof bestimmt, dass ein Flugzeug im Flughafen erst dann ankommt, wenn die Türen geöffnet werden und die Einschränkungen der Passagiere damit enden. Die Frage kam auf, weil die beklagte Fluggesellschaft Germanwings sich auf den Zeitpunkt des Aufsetzens der Räder berufen hatte, als die vom EuGH geforderte Grenze von drei Stunden noch nicht überschritten war. Die SZ (Javier Cáceres), lawblog.de (Udo Vetter) und Badische Zeitung (Christian Rath) stellen die Argumente dar.
Verständigung im Strafverfahren: Die FAZ (Helene Bubrowski) gibt einen Überblick über die aktuelle Rechtspraxis hinsichtlich der Absprachen im Strafprozess. Mittlerweile sei ein "Stimmungswechsel" innerhalb der Justiz und Richterschaft beim Umgang mit den Deals festzustellen. Dies könne darauf zurückzuführen sein, dass die Deals nun leichter als Revisionsgrund anzugreifen sind, zum anderen stehe eine Anklage wegen Rechtsbeugung im Raum.
LG Köln zu bag.de: Nach Meldung von internet-law.de (Thomas Stadler) hat das Landgericht Köln einen Domain-Inhaber zur Freigabe der Domain bag.de verurteilt. Die Bezeichnung BAG sei als Abkürzung für das Bundesarbeitsgericht bekannt, sodass diesem das Namensrecht zustehe.
OLG München – NSU: Beim ersten Prozesstag nach der Sommerpause des NSU-Prozesses habe ein Kripo-Beamter aus Thüringen von Ermittlungspannen berichtet, die die Flucht des mutmaßlichen NSU-Trios ermöglicht haben könnten, melden spiegel.de und die taz. Der Beamte sei bei der Durchsuchung von Zschäpes Garage im Einsatz gewesen, bei der Materialien zum Bombenbau gefunden worden waren, woraufhin das Trio untergeraucht war.
AG Braunschweig zu Filesharing: lawblog.de (Udo Vetter) weist auf eine Entscheidung des AG Braunschweig zur Haftung für Filesharing hin. Der Beklagte machte eine Sicherheitslücke im Router geltend, die der Anbieter bekannt gegeben hatte. Der Kläger habe die Behauptung nicht widerlegen können.
NS-Verbrechen: Die SZ (Karin Steinberger) widmet sich in einem ausführlichen Hintergrundbericht den aktuellen Ermittlungen und Verfahren gegen noch lebende ehemalige KZ-Aufseher des Vernichtungslagers Auschwitz und führt ein Gespräch mit der Überlebende und Nebenklägerin Éva Fahidi. In einem Fall sei der Angeklagte nach elf Jahre langen Vorermittlungen durch die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg verstorben. Viele der aktuell Beschuldigten seien mittlerweile verhandlungsunfähig.
LG Stuttgart – Porsche: Nach einem Beschuss des Oberlandesgerichts Stuttgart wird das Verfahren gegen den ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking wegen des Verdachts auf Markmanipulation bei der VW-Übernahme eröffnet. Die SZ (Max Hägler/Klaus Ott) schildert die Hintergründe der Vorwürfe und die Argumentation des OLG.
LG Trier – Totschlag im Schrebergarten: Vor dem Landgericht Trier ist ein 61 Jahre alter Rentner wegen Totschlags angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, seinen Nachbarn nach jahrelangen Streitigkeiten wegen Rasenmäherlärm erschossen zu haben. Die Welt (Hannelore Crolly) bringt einen Hintergrundbericht zum Prozessauftakt.
Recht in der Welt
USA – Fehlurteile: lto.de (Constantin Baron van Lijnden) stellt den Fall von Jabbar Collins aus den USA dar, der im Gefängnis Jura studiert hatte und Unregelmäßigkeiten in der Beweisführung nachweisen konnte, die zu seiner Falschverurteilung geführt hatte. Nach 16 Jahren Haft wurde er 2010 entlassen und bekam im Juli dieses Jahres eine Entschädigung in Höhe von 13 Millionen Dollar zugesprochen. In einem weiteren Fall wurden diese Woche zwei Brüder aus dem Gefängnis entlassen, nachdem ein DNA-Test nachweisen konnte, dass sie für den Mord nicht verantwortlich waren, für den sie 30 Jahre im Gefängnis verbracht hatten. focus.de bringt die Meldung.
EGMR – Auslieferung an die USA: Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) stellt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Trabelsi vs. Belgien vom gestrigen Donnerstag vor. Danach darf ein Terrorverdächtiger nicht an die USA ausgeliefert werden, wenn vorab keine festen Kriterien festgelegt werden, die eine mögliche Freilassung aus der lebenslangen Haft in Aussicht stellen. Die Möglichkeit der Begnadigung und Reduzierung der Haftstrafe bei Kooperation habe nicht ausgereicht.
Sonstiges
Kostenfallen im Internet: Die FAZ (Joachim Jahn) und das Handelsblatt (Silke Kersting) stellen eine Studie eines Verbraucherschutz-Instituts vor, das die Wirksamkeit der sogenannten Button-Lösung gegen Kostenfallen im Internet untersucht hat. Die Studie habe ergeben, dass die Vorgabe auf die Kostenpflichtigkeit eines Angebots hinzuweisen, zu einer Abnahme der Abofallen geführt hat. In einem separaten Kommentar stellt Joachim Jahn (FAZ) fest, dass der beste Schutz "der mündige Verbraucher selbst" sei.
Kreditscoring: Laut einer Studie des Branchenverbands der Wirtschaftsauskunfteien nützt Kredit-Scoring sowohl Unternehmern als auch Kunden, erläutert die FAZ (Joachim Jahn). Die Feststellung der Kreditwürdigkeit wurde vor 5 Jahren im Bundesdatenschutzgesetz geregelt, das jedem Bürger Anspruch auf Auskunft über die zu seiner Person gesammelten Daten gibt.
Das Letzte zum Schluss
Hartz IV für tote Nachbarin: Gegen ein Paar aus Düsseldorf habe die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Ermittlungen wegen Betrugs eingeleitet, weil sie drei Jahre lang Sozialleistungen für ihre tote Nachbarin bezogen haben sollen, berichtet bild.de. Sie sollen dabei Briefe des Amtes abgefangen und eine Verlängerung beantragt haben, während der Leichnam der Nachbarin in ihrer Wohnung lag.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. September 2014: BGH zum Oury-Jalloh-Fall – EuGH zu Flugverspätungen – EGMR zu Auslieferung von Terrorverdächtigen . In: Legal Tribune Online, 05.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13096/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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