Polen beschränkt die Pressefreiheit, die EU-Kommission erwägt ein drastischeres Vorgehen. Außerdem in der Presseschau: Freizügigkeit für Flüchtlinge, Manifest der digitalen Freiheit und die vermeintliche Erinnerung an eine Straftat.
Thema des Tages
Polen – Pressefreiheit: Kurz vor Jahresende hat das polnische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Pressefreiheit stark einschränkt. So wird etwa die Leitung öffentlich-rechtlicher Medienanstalten nicht mehr vom Rundfunkrat, sondern dem Minister für Staatsvermögen eingesetzt. Dazu schreiben u.a. Samstags-SZ (Nadia Pantel) und Samstags-taz (Jürgen Kruse) und Montags-taz (Gabriele Lesser). Alexander Mühlauer (Samstags-SZ) fordert ein strenges Vorgehen der EU, denn die Entwicklung in Polen greife die europäische Identität an. Thomas Ludwig (HBl) meint, auch aufgrund der Gefahr ähnlicher Entwicklungen in andreren Ländern sei vehementes Vorgehen gefragt.
Polen – Rechtsstaatsmechanismus: Laut FAS (Thomas Gutschker - Onlinemeldung) will die EU-Kommission am 13. Januar beraten, ob der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus eingesetzt werden soll. Seit 2014 kann damit bei Gefahr der Verletzung europäischer Grundwerte ein mehrstufiges Verfahren eingeleitet werden. Dieses kann in ein Artikel-7-Verfahren münden. Damit wären Sanktionen bis hin zum Stimmverlust in EU-Gremien möglich. Dazu schreiben auch Montags-taz (Eric Bonse) und Montags-SZ (Alexander Mühlauer) und HBl (Peter Thelen). Alexander Mühlauer (Montags-SZ) meint: "Noch nie ist ein Mitgliedsland auf diese Weise sanktioniert worden. Wenn Polen nicht einlenkt, ist es das erste."
Polen – Verfassungsgericht: Mit der kurz vor Weihnachten erfolgten Neuordnung des Verfassungsgerichts befasst sich der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm in der Montags-FAZ. Ein Gesetz, das dem Verfassungsgericht seine Arbeit faktisch unmöglich macht, könne selbst verfassungswidrig sein, das Gesetz sei jedoch nur Symptom. Das eigentliche Problem sei, dass sich in vielen jungen Demokratien, wie auch Polen, noch kein ausreichendes Demokratieverständnis und eine entsprechende Verfassungskultur entwickelt hätten.
Polen – Venedig-Kommission: Polen hat hinsichtlich des Umbaus des Verfassungsgerichts Anfragen an die Venedig-Kommission des Europarates zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit gesandt. Rechtsprofessor Tomasz Tadeusz Koncewicz schreibt auf verfassungsblog.de in englischer Sprache, es deute vieles darauf hin, dass die Kommission mit gezielt mangelhaften Informationen zu einer positiven Äußerung gebracht und instrumentalisiert werden soll.
Rechtspolitik
Freizügigkeit für Flüchtlinge: Rechtsprofessor Jürgen Bast erklärt im Interview mit der Montags-taz (Christian Rath) seinen Vorschlag, dass im Einreiseland nur das Asylverfahren stattfinden soll und ein anerkannter Flüchtling anschließend Freizügigkeit in der gesamten EU erhält. Das entlaste die EU-Randstaaten und sei auch für die Integration der Flüchtlinge vorteilhaft. Eine planwirtschaftliche Zwangsverteilung von Flüchtlingen lehnt Bast ab.
Obergrenze und Fußfessel: Heribert Prantl (Montags-SZ) wirft der CSU vor, populistisch rechtswidrige Forderungen stellen. Eine fixe Obergrenze für Flüchtlinge und das Abweisen von Menschen ohne Papieren verstoße nicht zuletzt gegen das Asylgrundrecht. Eine Fußfessel für "verurteilte Gefährder" sei verfehlt, weil es die nicht gebe. Eine Fußfessel für reine Gefährder sei als vorweggenommene Strafe rechtsstaatlich bedenklich und praktisch nutzlos.
Verjährung bei Raubkunst: Rechtsanwalt Gunnar Schnabel meint im Focus, dass in der Raubkunstdebatte und in der Auseinandersetzung mit dem Fall Gurlitt ein entscheidender Punkt untergegangen sei: Antragsteller scheitern an der Verjährung von Rückgabeansprüchen, daher sei die Verjährung hier abzuschaffen.
Digitale Freiheit: Neun Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen haben in der aktuellen Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" ein "Digitales Manifest" veröffentlicht mit Forderungen und Vorschlägen zum Schutz der Freiheit im digitalen Zeitalter. Ulf von Rauchhaupt (FAS) kritisiert die Vorschläge, die ihrerseits Freiheiten opferten und umfassenden Datenzugriff durch staatliche Institutionen erleichterten.
Ersatzstimme: Stimmen für Parteien, die an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, bleiben ohne Wirkung. Um das auszugleichen, könnte eine Ersatzstimme bestehen, die nur für den Fall der Wirkungslosigkeit der Hauptstimme gezählt wird. Einen dahingehenden Gesetzesvorschlag der Piraten-Partei wird nun der Landtag in Schleswig-Holstein beraten. Mit wenig Aussicht auf Erfolg, meint Heribert Prantl (Montags-SZ), aber eine "pfiffige Idee" sei es trotzdem.
EU-Reform-Konvent: Eine überfraktionelle Arbeitsgruppe von EU-Abgeordneten, die "Spinelli-Gruppe", will 2016 einen Konvent zum Umbau der EU einberufen lassen. Die Veränderungsbedürfnisse seien allen bewusst und nach dem letzten Konvent, der die gescheiterte EU-Verfassung entwarf, sei ein neuer Anlauf erforderlich. Das meldet der Focus (mm).
Prostituiertenschutzgesetz: Die Montags-taz (Dinah Riese) befasst sich mit der Anmeldepflicht im geplanten Prostituiertenschutzgesetz. Experten aus Beratungsstellen sehen darin keinerlei Schutz, da sich Opfer den Beamten in einem Kurzgespräch nicht anvertrauten. In Österreich habe sich gezeigt, dass auch Opfer von Menschenhandel angemeldet würden.
Wlan-Haftung: Die Montags-SZ (Helmut Martin-Jung) zeigt den Sachstand bei der geplanten Regelung zur Haftung von Wlan-Betreibern auf. Nicht nur, weil der Bundesrat die Haftungsregelung ablehnt, werde Deutschland auf offene Wlan-Netze noch eine Weile warten müssen. Auch die Koppelung an die geplante Regelung zur Löschpflicht von illegalen Inhalten durch Anbieter von Internetspeicherdiensten könne das Gesetz noch ausbremsen.
Justiz
BVerfG – Atomausstieg: Das Bundesverfassungsgericht wird im März die Klage von Energieversorgern gegen das Gesetz zum Atomausstieg verhandeln. Die FAS (Corinna Budras) befasst sich mit den juristischen Folgen des Atommoratoriums und des Ausstiegsgesetzes. Zwar werde die Klage gegen Letzteres laut Experten wohl nicht zugunsten der Energiekonzerne ausgehen, im Verwaltungsrechtsweg stehe jedoch die Entscheidung über Schadensersatz wegen des Moratoriums noch aus und das werde teuer für den Steuerzahler.
OVG Lüneburg – Schausteller/TÜV: Über den Streit zwischen Schaustellern und TÜV, ob alte Achterbahnen nach alten Regeln zu prüfen sind, oder nach sukzessive auf Grundlage einer EU-Richtlinie in deutschen Bundesländern eingeführten DIN EN 13814, schreibt nun Focus (Jan-Philipp Hein). Nach Obsiegen in erster Instanz unterlagen die Schausteller vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg und erwarten nun die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde. Teilweise werden Ausnahmen für ältere Fahrgestelle bereits auf politischem Wege in den Ländern eingeführt.
KG Berlin – Dokumentenpauschale: Nach einer Entscheidung des Kammergerichts vom 28. August 2015 fällt die Dokumentenpauschale zwar für Kopien an, nicht aber für das Einscannen von Akten oder das Ausdrucken von Scans. Auf diese "wenig nachvollziehbare Differenzierung" macht blog.beck.de (Hans-Jochem Mayer) aufmerksam und fordert ein berichtigendes Eingreifen des Gesetzgebers.
Entschädigungszahlungen und Insolvenz: Im Zusammenhang mit der Insolvenz der Odenwaldschule besteht Streit um die Auflösung des Opferverbands "Glasbrechen". Einige Mitglieder befürchten, Entschädigungszahlungen wegen Missbrauchs könnten in der Insolvenz zurückgefordert und Opferidentitäten könnten offenbart werden, was sie durch eine frühzeitige Auflösung des Vereins verhindern wollen. Vor Gericht streiten sie mit denen, die den Verein aufrechterhalten wollen. Das meldet der Spiegel (mab).
Recht in der Welt
IStGH: Die Montags-taz (François Misser) gibt einen Ausblick auf die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs im Jahr 2016. In kommenden Verfahren und Urteilen könne er zeigen, dass er nicht nur ein "Tribunal für afrikanische Warlords" ist. Weltpolitisch bedürfe es einer Strategie im Umgang mit boykottierenden Staaten wie jüngst Südafrika.
Schweiz – Unberechtigte Bankprovisionen: Über Jahre sollen schweizerische Banken u.a. überhöhte Provisionszahlungen von ihren Kunden eingenommen haben. Weil es sich um Konten mit unversteuertem Geld handelte, wehrten sich die Kunden nicht. Diese Hürde entfällt mit einer Selbstanzeige und Rückforderungsprozesse mehren sich. Nun hat das Züricher Obergericht außerdem entschieden, dass nicht nur Zivil-, sondern auch Strafprozesse wegen Privatbestechung möglich seien, berichtet die WamS (Martin Greive/Karsten Seibel).
Sonstiges
Falsche Erinnerung: Erinnerung ist unzuverlässig, aber sie kann auch mehr als nur im Detail falsch sein. Der Einfluss, den eine Befragung haben kann, ist nicht zu unterschätzen. Der Spiegel (Manfred Dworschak) befasst sich mit dem Thema und der Forschung der Psychologin Julia Shaw, der 70 Prozent ihrer Probanden eine in Wirklichkeit nie begangene Straftat gestanden.
Predictive Policing: In Stuttgart und Karlsruhe läuft derzeit ein halbjähriger Test zum Einsatz der Software "Precobs", mit der Einbruchsdiebstähle vorhergesagt und bestenfalls verhindert werden sollen. Die Montags-SZ (Josef Kelnberger) hat sich den wissenschaftlich begleiteten Testlauf näher angesehen. Im Sommer soll es erste Auswertungsergebnisse geben.
Steuerschlupfloch: Die FAS (Dyrk Scherff) macht darauf aufmerksam, dass das letzte Steuerschlupfloch schließt und Steuersünder nun schleunigst zur Selbstanzeige greifen sollten. Ab Jahresanfang tritt der automatische Informationsaustausch für Steuerdaten in Kraft und auch Banken in bisherigen Steueroasen melden Kundendaten an den heimischen Fiskus. Erfasst werden nun auch alle Arten von Geldanlagen, sodass ein Ausweichen nicht mehr möglich ist. Einige Nachzügler beginnen ab Oktober 2016 (Österreich) bzw. Januar 2017 (Singapur, Hongkong, Macau).
Vertragsverletzungsverfahren: In Brüssel laufen derzeit 41 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen fehlender oder fehlerhafter Umsetzung von EU-Richtlinien. Das erfuhr der Spiegel (gt) durch eine kleine Anfrage aus den Reihen der Grünen. Besonders viele Verfahren stünden im Zusammenhang mit dem Aufgabenbereich des Verkehrsministeriums.
Vom Rechtsstaat in Pension: Der Spiegel (Martin Knobbe) schreibt über die Arbeit dreier Pensionäre, die früher im Dienst des Rechtsstaats standen und sich nun um seine Schwächen kümmern: Ein ehemaliger Polizist und ein ehemaliger Gefängnisdirektor, die bisher ungelöste Fälle ermitteln und ein ehemaliger Bundesanwalt, der sich als Anwalt unter anderem für die Einführung der Wiederaufnahme aufgrund neuer technischer Beweismöglichkeiten einsetzt.
Berater Haftung: Nachdem in den USA eine Investmentbank Schadensersatz an Aktionäre eines Unternehmens zahlen musste, weil sie als M&A-Beraterin einen Interessenkonflikt nicht offengelegt und der Geschäftsleitung Beihilfe zu Pflichtverletzungen geleistet habe, sieht Rechtsanwalt Niklas Rahlmeyer im Hbl die Gefahr einer solchen Haftung auch in Deutschland. Die Hürden seien zwar etwas höher, aber Berater täten gut daran, transparent mit möglichen Interessenkonflikten umzugehen.
Ausnahmezustand: Vor dem Hintergrund der Silvesternacht in München warnt Heribert Prantl (Samstags-SZ), die deutsche Gesellschaft dürfe sich nicht in einen dauerhaften Ausnahmezustand treiben lassen. "Es gibt besondere Gefahren der Gefahrenabwehr: Wenn sie Rechtsstaatlichkeit dezimiert, wird sie selbst zur Gefahr".
Tagebuch der Anne Frank: Ein Blogger und eine Politikerin aus Frankreich haben das Tagebuch der Anne Frank in Originalsprache im Internet veröffentlicht, die Schutzfrist sei 70 Jahre nach dem Tod Anne Franks abgelaufen. Der Rechteinhaber, der Anne Frank Fonds, droht mit gerichtlichen Schritten. Er geht von einem Ablauf frühestens 2037 aus, weil es sich um ein posthum veröffentlichtes Werk handele, bei dem die Urheberrechtsfreiheit erst 50 Jahre nach Erstveröffentlichung (das Tagebuch erschien 1986 erstmals im Volltext) eintritt. Von dem Streit berichten die Montags-Welt (Marc Reichwein) und spiegel.de.
Krankschreibung ist kein Hausarrest: Dass ein krankgeschriebener Arbeitnehmer nicht unbedingt zu Hausarrest verdonnert ist, erklärt Rechtsanwalt Norbert Pflüger in der Samstags-FAZ. Es sei lediglich Verhalten untersagt, was den Heilungsprozess verzögere, welches Verhalten das ist, sei eine Frage des Einzelfalls.
Das Letzte zum Schluss
Genussverzicht gegen Feinstaub: Eine ordentliche Pizza kommt aus dem Holzofen, jedenfalls in Italien. Dort hat nun aber ein Bürgermeister den Betrieb von Holzöfen untersagt, weil er zu viel Feinstaub verursache, die Luftqualität in dem 6500-Einwohner-Städtchen sei schlechter als in Peking. Das meldet justillon.de (Stephan Weinberger).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 1. bis 4. Januar 2016: Pressekontrolle in Polen / Neue EU-Verfassung? / Gefälschte Erinnerung . In: Legal Tribune Online, 04.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18015/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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