Manchen Unternehmern passen die Industrie- und Handelskammern nicht – nun könnte das BVerfG die Zwangsmitgliedschaft überprüfen. Außerdem in der Presseschau: Interviews mit der EU-Datenschutzbeauftragten, dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes und einer Richtern am US-Supreme-Court, der Doppelpass, Netzsperren, Ehrenmorde und Frühling an den Gerichten.
Thema des Tages
Prüft BVerfG den Kammerzwang? Das Bundesverfassungsgericht wird sich offenbar mit der Zwangsmitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern befassen. Wie die Montags-SZ (Thomas Öchsner) (ausführlicher) und der Spiegel (knapp) berichten, haben zwei Unternehmer Verfassungsbeschwerden eingereicht. Nun habe das Gericht den Bundestag, Ministerien und zahlreiche Verbände aufgefordert, dazu Stellungnahmen abzugeben. Am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und am Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen wurden laufende Verfahren zur Zwangsmitgliedschaft ausgesetzt, um eine entsprechende Entscheidung abzuwarten.
Rechtspolitik
Reding im Interview: Der Spiegel (Christoph Pauly/Christoph Schult - Zusammenfassung auf spiegel.de) spricht mit der EU-Datenschutzbeauftragten Viviane Reding über ihre Verhandlungen mit den USA zum Datenaustausch und dem deutschen Widerstand gegen die Datenschutz-Reform. Reding betont, die geplanten Regeln blieben nicht hinter dem deutschen Datenschutz-Niveau zurück.
Wahl der Verfassungsrichter: Dass Richter am Bundesverfassungsgericht künftig auch im Bundestag vom Plenum gewählt werden, kommentiert Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de) als "eine Rolle rückwärts zum Wortlaut der Verfassung". Das bisherige System habe gut funktioniert, der Bundestag wolle die Richter aber offenbar zu "mehr Demut" anhalten. Allerdings werde das Plenum letztlich wohl nur den Vorschlag des Ausschusses "abnicken".
Doppelpass: Der Gesetzentwurf zum Doppelpass sorgt für Streit in der Koalition. SPD-Politker bemängeln den bürokratischen Aufwand und fordern weiterhin, die "Optionspflicht" für Kinder aus Zuwandererfamilien vollständig abzuschaffen. So die Samstags-Welt (Jochen Gaugele/Karsten Kammholz). Der Entwurf sei eben ein Kompromiss mit der Union, erklärt die Samstags-FAZ (Günter Bannas). Die doppelte Staatsbürgerschaft kann erhalten, wer bei Vollendung des 21. Lebensjahres acht Jahre in Deutschland gelebt oder sechs Jahre lang eine Schule besucht hat. Roland Preuss (Samstags-SZ) hält die Regelung für einen "lebensfremden Kompromiss". Er werde der Globalisierung nicht gerecht – so würden Deutsch-Tüken, die etwa aus Karrieregründen einige Zeit im Ausland leben, benachteiligt.
Freihandelsabkommen: Der Rechtswissenschaftler Jörn Griebel schildert auf lto.de die Verhandlungsposition der EU-Kommission zu dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA. Die Kommission habe ausgewogene Vorschläge für eine Reform des Investitionsschutzes vorgelegt – dabei zeige nichts "in die Richtung des medial heraufbeschworenen Ausverkaufs der Demokratie".
Jugendmedienschutz: Der bisher gültige Staatsvertrag der Länder zum Jugendmedienschutz müsse zwar dringend an das moderne Internet angepasst werden – der vorliegende Entwurf sei aber wenig überzeugend, so der Rechtsanwalt Ansgar Koreng auf lto.de. Insbesondere ließen sich die geplanten Vorabprüfungspflichten für Betreiber von Internetseiten nicht mit dem Telemediengesetz vereinbaren.
Unterhalt nach Scheidung: Nachdem 2008 das Unterhaltsrecht umfassend geändert wurde, hatte der Bundestag voriges Jahr ein Gesetz beschlossen, um Härten der Reform abzumildern. Was sich seitdem geändert hat, erklärt Eva Becker, Rechtsanwältin und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht im Deutschen Anwaltverein, im Interview mit der Montags-taz (Christian Rath). So würden die Gerichte nun insbesondere Hausfrauen bei langer Ehedauer wieder länger Unterhalt zubilligen.
Justiz
EuGH zu Netzsperren: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes, wonach Internetseiten mit rechtswidrigen Inhalten gesperrt werden dürfen, sei technisch schwierig umzusetzen, so die Montags-Welt (Benedikt Fuest). Die Luxemburger Richter forderten geeignete Maßnahmen – die Sperren seien allerdings entweder leicht zu umgehen, könnten zum ungewollten "Overblocking" zahlreicher anderer Seiten führen oder erforderten erheblichen technischen Aufwand und damit zu hohe Kosten für die Provider.
Engels im Interview: Die Montags-Welt (Martin Greive) führt ein Interview mit dem scheidenden Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels. Er resümiert, der Staat wirtschafte insgesamt sparsamer und ordentlicher als früher. Der Bundesrechnungshof werde immer stärker schon bei der Planung großer Vorhaben einbezogen. Engels spricht sich außerdem für eine Reform der Mehrwertsteuer aus.
BVerfG zu Hausdurchsuchung: Udo Vetter (lawblog.de) begrüßt in einem knappen Kommentar, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss von Mitte März erneut auf die strengen Voraussetzungen für Hausdurchsuchungen hingewiesen hat. Allerdings nehme das Gericht solche Fälle selten zu Entscheidung an, weil die Grundsatzfragen eigentlich geklärt sind – das helfe den Betroffenen aber "herzlich wenig, wenn sich die Instanzgerichte nicht daran halten".
BVerfG – Europäische Zentralbank: Für "sachlich falsch" hält der Volkswirt Holger Schmiedling in einem Essay für die Montags-FAZ, die Argumente des Bundesverfassungsgerichts, das den Kauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank kritisiert und den Fall im Februar dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt hatte. Die Verfassungsrichter hätten ein falsches Verständnis von Geldpolitik.
OLG Karlsruhe zu Haftbeschwerde: Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Haftbeschwerde von Hans-Georg Naumann abgewiesen. Der 77-Jährige hatte 1962 ein Liebespaar ermordet und sitzt seit 52 Jahren im Gefängnis – so lange wie kein anderer Häftling in Deutschland. spiegel.de berichtet über den Fall.
LG München zu Wiesn-Wirt: Das Langericht München hat den Gastronom Sepp Krätz wegen Steuerhinterziehung zu 22 Monaten Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 570.000 Euro verurteilt. Zudem will die Stadt dem Wiesn-Wirt die Schanklizenz für ein Münchner Lokal entziehen und ihn nicht mehr zum Oktoberfest zulassen. Krätz wurde Steuerhinterziehung in Höhe von rund 1,1 Millionen Euro vorgeworfen. Es berichtet die Samstags-SZ (Stephan Handel/Katja Riedel/Christian Rost) im München-Teil.
Zeugin mit Kopftuch: Ein Richter am Berliner Amtsgericht Tiergarten hat sich offenbar geweigert, eine Zeugin zu vernehmen, weil sie ein Kopftuch trug. Das berichtet die Montags-taz (Alke Wierth) im Berlin-Teil. Laut einer als Zuschauerin anwesenden Rechtsanwältin hat der Richter behauptet, er könne an den Ohren erkennen, ob eine Zeugin die Wahrheit sage. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt, der Gerichtssprecher erklärte, die Vernehmung sei deshalb nicht mehr notwendig gewesen. Der Richter war bereits im September 2013 aufgefallen, weil er einer Anwältin das Tragen eines Kopftuchs untersagen wollte.
Ermittlungen gegen Deutsche Bank: Der Spiegel (Martin Hesse - Zusammenfassung auf spiegel.de) berichtet über die Ermittlungen gegen die Deutsche Bank wegen des Verdachts auf Prozessbetrug im Streit mit dem Kirch-Konzern. Die Bank suche nun nach den Schuldigen bei ihrer Hauskanzlei Hengeler Mueller und in der eigenen Rechtsabteilung.
BKA und Kinderpornografie: Die FAS (Peter Carstens) befasst sich mit dem Kinderporno-Fall um die kanadische Firma Azov. Auf der Liste mit Kundendaten sei früh ein Spitzenbeamter des Bundekriminalamts entdeckt worden – er wurde gerichtlich verurteilt und in den Ruhestand entlassen. Es sei jedoch unverständlich, warum die Liste dann zunächst nicht weiter bearbeitet wurde und insbesondere der Fall des Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) nicht verfolgt wurde.
GCHQ und NSA-Spionage: Die Unterlagen von Edward Snowden zeigen auch, wie der britische Geheimdienst deutsche Netzfirmen ausgeforscht hat, berichtet der Spiegel (Laura Poitras/Marcel Rosenbach/Holger Stark – Zusammenfassung auf spiegel.de). Zudem zeigten Dokumente weitere Details zur Überwachung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bundesanwaltschaft muss noch entscheiden, ob ein Ermittlungsverfahren gegen GCHQ- und NSA-Mitarbeiter eingeleitet wird.
Uli Hoeneß: Wie der Focus meldet, könnte Ex-Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß mehr als 30 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben – die Berechnungen des Finanzamtes seien noch nicht abgeschlossen. Tatsächlich werde die Öffentlichkeit möglicherweise "nie erfahren, wie viel Hoeneß der Staatskasse wirklich vorenthalten hat", so die WamS (Jörg Eigendorf/Sebastian Jost/Tim Röhn) - es sei denn, er müsse Privatinsolvenz anmelden. Der "Blitzprozess" vor dem Landgericht München habe jedenfalls viele Fragen zu Hoeneß Vermögen offen gelassen.
Recht in der Welt
Ukraine/Russland – Krim: Im Leitartikel der Samstags-Welt verurteilt Richard Herzinger die russische Annexion der Krim. Das Referendum sei inszeniert, die Sezession entspreche nicht den Standards der internationalen Staatengemeinschaft. Insbesondere sei der Fall nicht mit der NATO-Intervention im Kosovo vergleichbar. Der Völkerrechtler Joris Larik betont auf verfassungsblog.de, es sei richtig, dass die EU der russischen "Aggression" nicht mit Militärgewalt begegne. Die EU verfüge über "normative Macht", für osteuropäische Staaten sei es langfristig attraktiver mit der EU zusammen zu arbeiten.
Ägypten – Todesurteile gegen Muslimbrüder: Der Spiegel (Ralf Hoppe/Daniel Steinvorth) bringt eine Reportage zu dem Schnellprozess im ägyptischen Minja, in dem 529 angebliche Muslimbrüder zu Tode verurteilt wurden. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht noch aus. Wie der Focus (Julia Gerlach) berichtet, soll unter den Verurteilten auch ein Rechtsanwalt sein, der Muslimbrüder verteidigt hatte.
Südafrika – Pistorius-Prozess: zeit.de (Wolfgang Drechsler) berichtet aus Kapstadt über den Mordprozess gegen Oscar Pistorius. Das große Medieninteresse komme Staatspräsident Jacob Zuma zugute, der so von Korruptionsvorwürfen ablenken könne.
Bahrain – Deutscher sitzt fest: Der deutsche Geschäftsmann Jürgen Ziebell sitzt laut einem Bericht der Montags-taz (Helmut Lohrscheid) seit zwei Jahren in Bahrain fest, weil gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber ein Gerichtsverfahren läuft. Das Verfahren werde verzögert, Missverständnisse würden nicht aufgeklärt, die Deutsche Botschaft gewähre Ziebell jedoch kaum Unterstützung.
Sotomayor im Interview: Die Richterin am US-Supreme Court, Sonia Sotomayor, hat ihre Memoiren veröfentlicht. Im Interview mit dem Spiegel (Samiha Shafy) spricht sie über ihre schwierige Kindheit, ihre Karriere und ihre Rolle als dritte Frau und erste Angehörige der lateinamerikanischen US-Bevölkerung am Supreme Court.
Sonstiges
Ehrenmorde: Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, geben deutsche Strafgerichte sogenannten "Ehrenmördern" keinen Strafrabatt. Täter, die wegen kultureller Ehrencodices Partner oder Verwandte angegriffen haben, wurden demnach härter bestraft, als Täter, die Partner etwa aus Eifersucht getötet haben. Das meldet der Spiegel.
Gerichtsgutachter: Sind medizinische und psychologische Gutachter wirklich unabhängig? Wie der Spiegel meldet, kommt eine Studie zu dem Ergebnis, dass in Bayern jeder vierte Gutachter "Tendenzsignale" von der Justiz erhalten hat. Die Autoren empfehlen demnach, Aufträge per Los und schriftlich zu vergeben, um die Neutralität zu wahren.
Sprache in Gesetzentwürfen: Die Samstags-Welt (Thosten Jungholt) kritisiert die "sprachliche Verhunzung" von Gesetzentwürfen. So lasse der Titel "Tarifautonomiestärkungsgesetz" nicht erkennen, dass es um die Einführung des Mindestlohns gehe - Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) betreibe damit "Schönfärberei".
Weiterverkauf von E-Books: Darf man ein ausgelesenes E-Book weiterverkaufen? Normalerweise nicht, weil der Käufer kein Recht zur Weiterveräußerung erwirbt, erklärt der Rechtsanwalt Tobias Kohl auf lto.de. Das Landgericht Bielefeld hatte entsprechende Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen für zulässig erklärt. Eine andere Ansicht vertrete der Juraprofessor Karl-Nikolaus Peifer – demnach sei ein Urteil des Europäischen Gerichtshof von 2012 zum Weiterverkauf von Software auch auf E-Books anwendbar.
Das Letzte zum Schluss
Nachbarschaftsstreits: Die Grillsaison beginnt – auch an den Gerichten. Die häufigsten Streitereien am Gartenzaun, rund um Baumschnitt, Rasenmäherbetrieb und Grillduft schildert die Montags-Welt (Harald Czycholl).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. - 31. März 2014: Verfassungsbeschwerden gegen Kammerzwang – Ungeeignete Netzsperren – Studie zu Ehrenmorden . In: Legal Tribune Online, 31.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11493/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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