Es hatte sich angedeutet – der flüchtige Edward Snowden erhält kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Außerdem in der Presseschau: Haftstrafen für ein russisches Spionagepärchen, 200 Stunden neues Videomaterial führen zu einer Verfahrensaussetzung, die strafrechtlichen Tücken der Litigation-PR und warum es sich nicht strafschärfend auswirkt, einen Polizisten als Bruder zu haben.
Kein Aufenthaltsrecht für Snowden: Nach Meldung von suedddeutsche.de (Stefan Braun/Susanne Höll) und der FAZ (Majid Sattar/Thomas Holl/Matthias Rüb) hat die Bundesregierung gestern Abend eine Aufnahme von Edward Snowden, dem flüchtigen Aufdecker des NSA-Spionageskandals, abgelehnt. Zuvor hatte Snowden per Fax bei der deutschen Botschaft in Moskau Asyl beantragt.
Die SZ (Heribert Prantl) schildert die Rechtslage: So könne ein Asylantrag in Deutschland nicht aus dem Ausland gestellt werden. Einen Ausweg biete nur die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes, welche die Bundesregierung nun abgelehnt habe. Würde Snowden dennoch auf illegale Weise nach Deutschland einreisen, wäre er mit einem Auslieferungsgesuch der USA auf Grundlage des Auslieferungsabkommens mit Deutschland konfrontiert. Das Auslieferungsverfahren gehe dann laut Asylverfahrensgesetz der Anerkennung eines Asylantrags vor. Allerdings gebe es bisher keinen Fall, in dem Deutschland einen Menschen ausgeliefert hat, der als asylberechtigt anerkannt war. Sollte es Snowden also irgendwie nach Deutschland schaffen, beträte er juristisches Neuland.
Heribert Prantl (SZ) findet, die Handeln Snowdens verdiene Anerkennung, die seitens des deutschen Staats in einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis liegen könne. Dass die Bundesregierung diese humane Geste verweigere, sei feige. "Den "Dienst" Snowdens zu beurteilen wäre immer noch Sache der amerikanischen Justiz", meint dagegen Jasper von Altenbockum (FAZ).
Datenüberwachung und Strafverfolgung: Nach einem Bericht von spiegel.de (Thomas Darnstädt) prüfen der Generalbundesanwalt und weitere deutsche Staatsanwaltschaften derzeit, ob gegen Verantwortliche der Geheimdienste von USA und Großbritannien strafrechtlich ermittelt werden soll. Das millionenfache Abgreifen von Kommunikationsdaten deutscher Bürger und der Versuch, deutsche Politiker zu belauschen, gelte hierzulande als "Ausspähen von Daten", "Abfangen von Daten" oder sogar als "Geheimdienstliche Agententätigkeit".
Weitere Themen – Rechtspolitik
Asylrecht: Am Freitag steht im Bundesrat eine Änderung des Asylgesetzes zur Abstimmung, wonach bei einer Summierung von Diskriminierungen Asyl gewährt werden muss. Wie die taz (Christian Rath) erläutert, könnten sich dadurch die Chancen für Asylanträge von Roma aus Serbien und Mazedonien erhöhen, die bisher fast immer abgelehnt werden, da sie nicht wegen ihrer Ethnie verfolgt, sondern am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem und bei der Gewährung von Sozialleistungen diskriminiert werden. Allerdings müsse auch nach der jetzigen Rechtslage bereits die Verfolgung durch "kumulative Maßnahmen" geprüft werden; die Neuregelung ändere die Rechtslage also nicht, sondern mache sie nur "sichtbarer".
Recht auf Vergessenwerden: Die SZ (Wolfgang Janisch) befasst sich mit unterschiedlichen Positionen in der juristischen "Grundsatzdebatte", ob es im Internet ein Recht auf Vergessenwerden, also einen Anspruch auf Löschung persönlicher Daten aus dem Netz geben soll. Einen solchen Anspruch regelt der Entwurf einer EU-Datenschutz-Grundverordnung, die letztes Jahr vorgelegt wurde; zudem sei derzeit der EuGH mit einem entsprechenden Fall befasst. Auf nationaler Ebene habe vor wenigen Wochen der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zur Autocomplete-Funktion bei Suchmaschinen ein "kleines Recht auf Vergessenwerden" formuliert. Nach einem Vorschlag des österreichischen Juristen Viktor Mayer-Schönberger sollen Daten bereits beim Speichern mit einem Verfallsdatum versehen werden.
Impfpflicht gegen Masern: Nach Information der FAZ (Peter-Philipp Schmidt) erwägt Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, eine Impfpflicht gegen Masern einzuführen. Eine solche Impfpflicht könne nach dem Infektionsschutzgesetz vom Bundesgesundheitsministerium durch Rechtsverordnung festgelegt werden, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Seit 1984 ist es das erklärte Ziel der Weltgesundheitsorganisation, die Masern zu eliminieren. Doch nicht zuletzt in Deutschland komme es immer wieder zu großen Ausbrüchen - auch in diesem Jahr wieder.
Bußgelder bei Kartellrechtsverstößen: Rechtsanwalt Carsten Grave erklärt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard die Berechnungsweise der Bußgeldzumessung bei Kartellrechtsverstößen nach den neuen Leitlinien des Bundeskartellamts. Grund für die Neuregelung ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Grauzementkartell vom Februar dieses Jahres, wonach die gesetzliche Begrenzung des Bußgelds auf zehn Prozent des Konzernumsatzes nicht wie in den bisherigen Richtlinien als Kappungsgrenze, sondern als Bußgeldobergrenze für den denkbar schwersten Fall eines Verstoßes durch ein Unternehmen anzusehen sei. Auch wenn das Bundeskartellamt angekündigt habe, die Höhe der Geldbußen würde sich im Schnitt nicht verändern, so blieben die Wirkungen der neuen Leitlinien doch abzuwarten.
Personalisierte Werbung: Rechtsanwalt Dennis Voigt erläutert auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ die neuen Anwendungsempfehlungen der Landesdatenschutzbehörden für das Bundesdatenschutzgesetz bei personalisierter Werbung. Danach dürfen Werbende die personalisierte Mail-Adresse von Bestandskunden zu den Kundendaten hinzuspeichern und unter bestimmten Voraussetzungen zur Werbung verwenden. Damit werde der Widerspruch aufgelöst, dass solche "Follow-up"-Werbung bisher wettbewerbsrechtlich ohne Einwilligung der Adressaten zulässig war, datenschutzrechtlich eine solche jedoch als erforderlich angesehen wurde.
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Barüberweisung: Nach einem Urteil des Bundesgerichshofs sind AGB von Energieversorgern, die als Zahlungsweise eine Einzugsermächtigung verlangen, unwirksam. Wie lto.de schildert, müssten die Energieversorger mindestens zwei Zahlungswege anbieten und dabei auch eine Zahlungsmöglichkeit für einkommensschwache Kunden ohne eigenes Konto vorsehen.
OLG Stuttgart zu russischen Spionen: Nach Berichten u.a. der taz (Nadine Michel), der Welt (Uwe Müller, Lars-Marten Nagel) und lto.de hat das Oberlandesgericht Stuttgart ein Agentenpärchen des russischen Geheimdienstes wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Haftstrafen von fünfeinhalb bzw. sechseinhalb Jahren verurteilt. Getarnt als österreichisches Ehepaar "Heidrun und Andreas Anschlag" hatten die beiden mehr als zwanzig Jahre lang dem russischen Auslandsgeheimdienst SWR Dokumente zu EU und Nato zugespielt. Im Herbst 2011 war es deutschen Verfassungsschützern und der Bundesanwaltschaft gelungen, die beiden Agenten, deren wahre Identität noch immer unbekannt ist, zu enttarnen.
NSU-Verfahren: Im NSU-Verfahren hat gestern u.a. ein Polizist ausgesagt, der Beate Zschäpe im November 2011 vernommen hatte. Auch wenn Zschäpe Angaben zur Sache abgelehnt habe, habe sich während einer Wartezeit doch ein Gespräch entsponnen. Die wesentlichen Inhalte des Verhandlungstags fassen u.a. die FR (Stefan Geiger) und zeit.de (Tom Sundermann) zusammen.
LG Köln zu ohrfeigender Lehrerin: Eine Lehrerin, die eine Auseinandersetzung zwischen zwei Grundschülern mit einer Ohrfeige beendet hatte, ist laut Meldung von spiegel.de vom Landgericht Köln zur Zahlung von 200 Euro Schmerzensgeld verurteilt worden. Das Gericht wies dabei die Darstellung der Lehrerin, sie habe sich von dem zehnjährigen Schüler bedroht gefühlt, zurück: "Selbst wenn der Kläger eine aggressive Bewegung in Richtung der Lehrerin gemacht haben sollte, kann dies aus Sicht eines Erwachsenen nicht als Bedrohung empfunden werden, auf die mit einer Ohrfeige zu reagieren wäre."
AG Dresden – Lothar König: Der Prozess gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König vor dem Amtsgericht Dresden ist auf Antrag der Verteidigung für unbestimmte Zeit ausgesetzt worden. Erst Ende Juni hatte Königs Verteidiger Johannes Eisenberg rund 200 Stunden bisher unbekannter Rohdaten von polizeilichen Bild- und Tonaufnahmen erhalten. Für deren Auswertung benötige er schlicht mehr Zeit. König wird vorgeworfen, bei einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Februar 2011 zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen und schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. Die SZ (Cornelius Pollmer), die FAZ (Peter Schilder) und lawblog.de (Udo Vetter) berichten.
Martin Kaul (taz) kritisiert, die Polizei habe in Dresden ganz offensichtlich entlastendes Material zurückgehalten. Und die Staatsanwaltschaft habe es offenbar nicht für nötig gehalten, ihrer Aufgabe nachzukommen und sich selbst ein umfassendes Bild zu machen.
Fall Mollath: Nach Meldung der SZ (Olaf Przybilla) und lto.de hat Bayerns Justizministerin Beate Merk angekündigt, in ihrer Stellungnahme ans Bundesverfassungsgericht zum Fall Mollath deutlich zu machen, dass die Unterbringung Mollaths "mit zunehmender Dauer unverhältnismäßig" sei. Nach einer Verfassungsbeschwerde des Freiburger Anwalts Michael Kleine-Cosack gegen die Unterbringung hatte das Bundesverfassungsgericht beim bayerischen Justizministerium eine Stellungnahme angefordert.
Nach Einschätzung von Olaf Przybilla (SZ) dürfte hinter dem Sinneswandel der Ministerin vor allem die Furcht davor stehen, dass es am Ende nicht die bayerische Justiz war, die ihr Handeln im Fall Mollath für unverhältnismäßig erklärte, sondern es stattdessen erst des Bundesverfassungsgerichts bedurfte.
Unbeliebte Anwälte: Frank Wiebe (Handelsblatt) geht der Frage nach, weshalb Anwälte allgemein so unbeliebt sind. Er nennt zwei Gründe: Zum einen verstehe der juristische Laie unter "Recht" ein moralisches, mit dem juristischen nicht identisches Recht, so dass Anwälte als Leute empfunden würden, die angeblich für Moral eintreten, in Wirklichkeit aber interessengebunden handeln. Zum anderen spiegele der Berufsstand den unheilvollen gesellschaftlichen Trend der zunehmenden Verrechtlichung aller Bereiche, vom wirtschaftlichen bis hin zum Privatleben, wieder.
Weitere Themen – Recht in der Welt
Frankreich – Immunität Le Pens aufgehoben: Nach einem Bericht der FR (Axel Veiel) hat das EU-Parlament der Europaabgeordneten und Chefin des rechtsradikalen französischen Front National, Marine Le Pen, die Immunität entzogen. Die Staatsanwaltschaft Lyon ermittelt gegen Le Pen wegen "Aufstachelung zum Hass, Diskriminierung und Gewalt gegen eine Gruppe von Personen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit". Sie hatte im Dezember 2010 öffentliche Gebete von Muslimen verurteilt und diese mit der Besatzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland verglichen.
Türkei – Bauverbot am Gezi-Park: Nach Meldung der SZ (Christiane Schlötzer)
hat das Istanbuler Verwaltungsgericht geurteilt, dass der Gezi-Park nicht bebaut werden darf, und damit zwei Istanbuler Architekten-Kammern Recht gegeben. Die Absicht des türkischen Premier Erdogan, den Park durch den Wiederaufbau einer osmanischen Kaserne zu ersetzen, hatte vor gut vier Wochen die bislang heftigsten Proteste gegen die Regierung ausgelöst. Erdogan hatte vor der gewaltsamen Räumung des Parks durch die Polizei versprochen, er werde sich an die Entscheidung des Gerichts halten.
Sonstiges
Litigation-PR: Gegen den Anwalt von Gustl Mollath, Gerhard Strate, wird wegen des Verdachts der verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen ermittelt, weil er auf seiner Homepage u.a. den Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft im vollen Wortlaut zur Verfügung stellt. Die Rechtsanwälte Olaf Hohmann und Stefan Petermann befassen sich auf lto.de aus diesem Anlass mit den strafrechtlichen Grenzen zwischen medialer Vertretung von Mandanten und Wahrung prozessualer Interna im Rahmen der immer bedeutender werdenden Litigation-PR. Strafrechtlicher Anknüpfungspunkt ist der Tatbestand des § 353d Nr. 3 StGB, der die Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke eines laufenden Strafverfahrens vor ihrer Erörterung in öffentlicher Verhandlung sanktioniert.
Drakonisches Recht: Einen Blick in die athenische Rechtsgeschichte unternimmt die FAZ (Wolfgang Krischke). Insbesondere seien die "drakonischen Gesetze", benannt nach der Schlüsselfigur der griechischen Rechtsgeschichte Drakon, besser gewesen als ihr Ruf, da sie begannen, private Rache und Selbstjustiz in die geordneten Bahnen staatlicher Rechtsfindung zu lenken.
Nicht bestandene Abiturprüfung: Im Interview mit lto.de (Claudia Kornmeier) erläutert der Schulrechtler Thomas Böhm die rechtlichen Möglichkeiten, die der Jahrgang einer privaten Oberschule in Schweinfurt hat, der in seiner Gesamtheit die schriftliche Abiturprüfung nicht bestanden hatte. Für Ansprüche gegen die Schule müssten schwerwiegende Verstöße gegen den Schulvertrag nachweisbar sein, etwa dass Lehrer falsche Inhalte vermittelt haben oder ständig Unterricht ausgefallen sei. Unabhängig davon werde wohl zudem die Schulaufsicht prüfen, ob sie der Schule die Genehmigung entzieht.
Das Letzte zum Schluss
Umgekehrte Sippenhaftung: Von einer folgenreichen gerichtlichen "Argumentationspanne" berichtet lawblog.de (Udo Vetter). In einer Verurteilung wegen Landfriedensbruchs hatte das Landgericht Nürnberg Fürth ausgeführt, man könne vom Angeklagten aufgrund der Tatsache, dass sein Bruder Polizist ist, erwarten, "für andere Polizeibeamte, die pflichtgemäß das tun, was ihnen befohlen wird, etwas Verständnis" aufzubringen. Dieser "argumentative Schlenker" wurde nun vom Bundesgerichtshof als rechtsfehlerhafte strafschärfende Erwägung beanstandet: Der Umstand, dass der Bruder des Angeklagten ebenso Polizeibeamter ist wie die vom Angeklagten angegriffenen Geschädigten, führe nicht zu gesteigerten Pflichten und wirke sich daher auch nicht auf das Maß der der Tat innewohnenden Pflichtwidrigkeit aus.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. Juli 2013: Keine Aufnahme für Snowden – Haftstrafen für Spione – 200 Stunden Videomaterial für Verteidigung . In: Legal Tribune Online, 03.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9064/ (abgerufen am: 20.07.2024 )
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