Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schützt die Privatsphäre von Anwälten. Außerdem in der Presseschau: Der Altkanzler bekommt Schmerzensgeld vom treulosen Ghostwriter und der Solinger Nacktreiter muss nicht mit Strafe rechnen.
Thema des Tages
EGMR zu Privatsphäre von Anwalt: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland verurteilt, weil die Bochumer Staatsanwaltschaft die Privatsphäre des Kölner Strafverteidigers Ulrich Sommer verletzt hat. Die Freundin eines Mandanten hatte Sommer 1.500 Euro Honorar überwiesen. Weil die Staatsanwaltschaft Geldwäsche witterte, ließ sie sich von Sommers Bank alle Kontoauszüge der zurückliegenden zwei Jahre aushändigen und nahm sie zur Akte – sichtbar also auch für alle anderen am Verfahren beteiligten Anwälte. Nach Ansicht des EGMR war dies nicht gerechtfertigt, weil gegen Sommer selbst kein Verdacht vorlag. Über das Urteil berichtet lawblog.de (Udo Vetter), der von einer "gewaltigen Klatsche" für die deutsche Justiz spricht, die das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet hatte.
Rechtspolitik
Sicherheitsgesetze: Der Bundestag hat drei Gesetze mit kriminalpolitischer Bedeutung beschlossen. Erstens wurde das BKA-Gesetz novelliert. Dabei wurden vor allem die IT-Strukturen im Bundeskriminalamt modernisiert und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Zudem wurde eine Rechtsgrundlage für die Überwachung von Gefährdern mit einer elektronischen Fußfessel geschaffen. Zweitens beschloss der Bundestag in Umsetzung einer EU-Richtlinie die anlasslose fünfjährige Speicherung und Auswertung von Fluggastdaten auf internationalen Flügen. Drittens wurde die Strafdrohung für Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte verschärft. lto.de gibt einen Überblick.
BKA-Gesetz: community.beck.de (Dennis-Kenji Kipker) beleuchtet sehr ausführlich die Novellierung des BKA-Gesetzes. Fazit: Der gute Wille, ein nunmehr verfassungskonformes Gesetz zu schaffen, sei zwar vorhanden, trete aber noch nicht deutlich genug zutage.
Steuerflucht: Mit zwei jetzt beschlossenen Gesetzen will der Bundestag die Flucht in Steuer-Oasen erschweren, schildert die FAZ (Manfred Schäfers). Erstens soll das Steuerumgehungsvermeidungsgesetz den Finanzbehörden mehr Einblick in mögliche Briefkastengesellschaften in Drittländern bringen. Zweitens wird die Gewinnverlagerung mit Hilfe von Rechtezahlungen an das Ausland (sogenannte Lizenzboxen) begrenzt.
Datenschutz: Am heutigen Freitag will der Bundestag das Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz beschließen, das von netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) vorgestellt und kritisiert wird. Der Gesetzgeber nutze dabei Freiräume, die ihm die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung einräumt. Teilweise behaupte er aber auch Freiräume, die nach der Verordnung gar nicht bestehen.
Homosexualität: Ebenfalls am heutigen Freitag will sich der Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur strafrechtlichen Rehabilitierung verurteilter Homosexueller beschäftigen. Die taz (Jan Feddersen) schildert deshalb das Schicksal eines Mannes, der in den 1960er-Jahren als 15-Jähriger einen Liebesbrief an einen anderen Mann geschrieben hat und dafür mit Jugendarrest sanktioniert wurde. Außerdem verlor er seinen Ausbildungsplatz.
NetzDG: Marc Liesching (community.beck.de) bewertet im Stil eines Kurzgutachtens das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur besseren Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken. Er kommt zum Schluss, dass das geplante Gesetz die Meinungsfreiheit verletze, weil eine "Übererfüllung" von Löschpflichten drohe. Außerdem sei das Gleichbehandlungsgebot verletzt, weil das Gesetz erst bei Netzwerken mit mehr als zwei Millionen Mitgliedern greife.
Justiz
LG Köln zu Helmut Kohl: Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl hat Anspruch auf eine Million Euro Schmerzensgeld. Zahlen soll sein ehemaliger Memoiren-Ghostwriter Heribert Schwan und dessen Verlag, weil Schwan in dem Buch "Vermächtnis – Die Kohl-Protokolle" unter Bruch der Vertraulichkeit über hundert Zitate Helmut Kohls verwendete. Die Betroffenen haben Rechtsmittel angekündigt. Es berichten unter anderem der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und die SZ (Detlef Esslinger).
Reinhard Müller (FAZ) begrüßt das Urteil: "Außer im Fall überragenden öffentlichen Interesses muss Vertrauliches vertraulich bleiben."
BGH zu Vergleichsportalen: Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, müssen Vergleichsportale offenlegen, wenn sie nur die Angebote von Unternehmen darstellen, die ihnen für Neukunden Provisionen zahlen. Konkret ging es um das Portal bestattungsvergleich.de. Die SZ (Benedikt Müller/Jan Schmidbauer) berichtet.
BGH zur Panoramafreiheit: Kunstwerke, die auf Kreuzfahrtschiffen angebracht sind, dürfen frei fotografiert werden. Wie der Bundesgerichtshof entschied, fallen auch sie unter die Panoramafreiheit, wonach urheberrechtlich geschützte Werke im öffentlichen Raum ohne Erlaubnis abgebildet werden dürfen, erläutert netzpolitik.org (Leonhard Dobusch).
BGH zu Saatgut: Eine Genossenschaft zur Aufbereitung von Saatgut muss die Namen der beteiligten Landwirte und Saatgutsorten an die Saatgut-Treuhandverwaltung (STV) melden, damit diese ggf. Lizenzgebühren eintreiben kann. Das entschied laut SZ (Jan Heidtmann) der Bundesgerichtshof, der damit die Position der Pflanzenzüchter gegenüber Bauern stärkte, die einen Teil der Ernte zur Neuaussaat verwenden, sogenannter Nachbau, und sich dabei auf alte Traditionen berufen.
EuGH zu Tarifklauseln im Arbeitsvertrag: Im Arbeitsvertrag enthaltene dynamische Verweise auf einen bestimmten Tarifvertrag gelten auch nach einem Betriebsübergang weiter. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verstößt nicht gegen EU-Recht, solange solche arbeitsvertraglichen Klauseln vom neuen Arbeitgeber einvernehmlich oder einseitig später geändert werden können, was in Deutschland der Fall ist. Dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Asklepeios referiert spiegel.de. Der EuGH urteilte dabei arbeitnehmerfreundlicher als erwartet.
EuGH zum Streaming: Der Anwalt Christian Solmecke erläutert auf focus.de, was nach dem Streaming-Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mittwoch zu beachten ist. "Dass ein Angebot illegal sein kann, ist auch dann wahrscheinlich, wenn über den Anbieter aktuelle Kinofilme und Serien kostenlos abgerufen werden können."
LG München I zu sexueller Nötigung: Die FAZ (Patrick Bahners) schildert im Feuilleton ausführlich die zweitinstanzliche Entscheidung des Landgerichts München I, mit der Siegfried Mauser, der frühere Präsident der Münchner Musikhochschule, wegen sexueller Nötigung einer Professorenkollegin zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde. Dabei weist die FAZ Kritik aus der Kulturszene zurück, wonach eine Verurteilung nicht möglich sei, wenn Aussage gegen Aussage stehe. Tatsächlich habe das Gericht die Aussage der Frau für glaubwürdiger gehalten.
AG Bremervörde zu renitentem Gaffer: Im sogenannten Gaffer-Prozess hat das Amtsgericht Bremervörde einen 27-Jährigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, so die SZ (Peter Burghardt). Der Angeklagte soll am Ort eines Verkehrsunfalls mit dem Handy gefilmt haben, was zu Rangeleien mit der Polizei und Rettungskräften führte. Die Strafe fiel mild aus, weil das Filmen nicht bewiesen werden konnte.
StA Görlitz – Bedrohung: Vor dem Prozess am Amtsgericht Kamenz, bei dem vier Männer angeklagt waren, weil sie einen psychisch gestörten Asylbewerber an einen Baum gefesselt hatten, erhielt der Staatsanwalt, der später der Einstellung des Verfahrens zustimmte, Todesdrohungen, meldet lto.de.
OLG München – NSU/Gutachter: Ein von der Verteidigung beauftragter Gutachter kritisierte den vom Gericht bestellten Zschäpe-Gutachter Henning Saß, seine Arbeit sei teilweise unwissenschaftlich, berichten spiegel.de (Julia Jüttner) und die FAZ (Katrin Truscheit).
LG Stuttgart – Daimler-Diesel: Die SZ (Max Hägler) berichtet über den Prozess der Deutschen Umwelthilfe gegen die Daimler AG vor dem Landgericht Stuttgart. Daimler solle die Werbeaussage "Bluetec reduziert die Emissionswerte unserer hochmodernen Dieselmotoren auf ein Minimum" unterlassen, weil dies bei niedrigen Temperaturen nicht stimme.
EuGH – Ryan Air: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof hat im Verfahren um die gerichtliche Zuständigkeit von Ryan-Air-Beschäftigten seine Schlussanträge vorgelegt, berichtet lto.de (Tanja Podolski). Anhand der aufgelisteten Kriterien spreche einiges dafür, dass die Piloten in Belgien klagen können, wo ihr Arbeitstag beginnt und endet, und nicht in Irland, wo Ryan Air sitzt.
Thomas Fischer: Anlässlich des bevorstehenden vorgezogenen Ruhestands wird Bundesrichter Thomas Fischer von der taz (Benno Stieber) portraitiert. Unter dem Titel "Recht rücksichtslos" wird Fischers derbe Sprache und mangelnde Mäßigung dargestellt. Stieber hält es für möglich, dass Fischer "in eigener Sache ein ziemlich hemmungsloser Streithansel ist". Dabei schildert er ausführlich den Streit um eine von Fischer einst gekaufte Villa.
Recht in der Welt
Tschad – Habré: Die Berufungskammer eines Sondergerichts der Afrikanischen Union hat die Verurteilung des ehemaligen Diktators von Tschad, Hissène Habré, zu lebenslanger Haft bestätigt. Habré wurden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Die Verurteilung der ersten Instanz wegen Vergewaltigung wurde allerdings aufgehoben, berichtet die taz (Dominic Johnson).
Türkei/Vereinigtes Königreich – Referenden: Reinhard Müller (FAZ) kritisiert im Leitartikel die Volksabstimmungen in der Türkei (Verfassungsänderung) und Großbritannien (Brexit). In Deutschland wäre es nicht möglich, dass ein Regierungschef ein Votum seiner Untertanen nach Gutdünken einholt. Referenden könnten nur dann für Akzeptanz sorgen, wenn es "echte Freiheit, klare Regeln und eine demokratische Kultur" gibt.
Pakistan – Verfassung: Der Rechtsreferendar Adeel Hussain beschreibt auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) die zögerliche Verfassungsstaatlichkeit Pakistans.
Sonstiges
Corporate Governance Kodex: Der Anwalt Wolfgang Grobecker schildert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard die jüngst in Kraft getretenen Änderungen des Corporate Governance Kodex. Es geht um Transparenz beim Compliance Management und die Professionalisierung von Aufsichtsräten.
Das Letzte zum Schluss
Nacktreiter: Immer wieder wurde in Solingen ein nackter Mann auf einem Pferd gesehen, was für öffentliche Aufregung sorgte. Jetzt meldete sich der Mann bei der Polizei, um zu betonen, dass er nicht gefährlich sei, er reite nur gerne nackt. Die Polizei wies darauf hin, dass dies zwar keine Straftat sei, aber als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könne, so bild.de (Anja Tischendorf u.a.).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Nach dem Wochenende erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 28. April 2017: Anwalt Sommer siegt in Straßburg / Eine Million für Helmut Kohl / Nacktreiter stellt sich . In: Legal Tribune Online, 28.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22773/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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