"Berufsbedingt überheblich" – der ehemalige Bundesminister Norbert Blüm kritisiert die deutsche Richterschaft in einem Gastbeitrag deutlich. Außerdem in der Presseschau: geheimdienstliche Überwachungsprogramme und Datenschutz, die Entscheidungen des Supreme Court zur Homo-Ehe und zum Wahlgesetz, der tragische Polizeieinsatz von Bad Kleinen vor 20 Jahren und warum der "Vesuv von Neuss" nicht mehr rauchen darf.
Blüms Richterschelte: In einem Beitrag für die Zeit übt der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm harsche Kritik am deutschen Richterwesen. Richterliche Unabhängigkeit werde mit Unangreifbarkeit und Rechtsfertigungsfreiheit verwechselt. Durch richterliche "Selbstüberschätzung" werde die Unabhängigkeit zu einer Ungebundenheit vom Recht, die Recht nicht auslegt, sondern schafft. Diesbezüglich gehe gegenwärtige Trend dazu, dass das gesetzliche Recht, etwa beim Deal im Strafverfahren, einer "geschwätzigen Kompromissfindung" weiche. Auch in der Verhandlungsführung von Manfred Götzl im NSU-Verfahren erkennt Blüm eine "berufsbedingte Überheblichkeit". Die "Entrücktheit" der Richterschaft schädige letztlich nicht nur die Rechtspflege, sondern auch die Gewaltenteilung.
Weitere Themen – Rechtspolitik
PRISM/Tempora: Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern haben die Bundesregierung in einer Pressemitteilung, teilweise zitiert bei netzpolitik.org (Nicolas Fennen), zu entschlossenem Handeln bei der Aufklärung des Überwachungsskandals der Programme "PRISM" und "Tempora" aufgefordert. Dies wird nach Einschätzung der taz (Christian Rath) aber ein "frommer Wunsch" bleiben. Gegen die anlasslose Überwachung von Telefon- und Internetverkehr könne die Bundesregierung schon deshalb nicht glaubhaft protestierten, weil der Bundesnachrichtendienst dies auch tue, und weil Deutschland überdies ein großes Interesse an Informationen der leistungsfähigeren US- und britischen Dienste habe. Zudem habe die Bundesregierung weder auf völkerrechtlicher noch auf europäischer Ebene eine rechtliche Handhabe, und müsse sich daher damit begnügen, klein beizugeben, wenn die USA und Großbritannien Bitten um Aufklärung nicht entsprechen.
Nach Meldung der FAZ (Michael Ludwig, Matthias Rüb) hat nunmehr die EU-Justizkommissarin Viviane Reding von der britischen Regierung schriftlich eine umfassende Stellungnahme zum Spähprogramm "Tempora" verlangt.
Racial Profiling: Die taz (Mareen Ledebur) beschäftigt sich mit einer Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Racial Profiling, der Personenkontrolle allein aufgrund von Gesichtszügen, Haut- oder Haarfarbe. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Teile des deutschen Polizeirechts gegen elementare Grund- und Menschenrechte verstoßen. Die Anwendung des § 22 des Bundespolizeigesetzes, wonach Kontrollen zur Verhinderung einer unerlaubten Einreise zulässig sind, begründe eine rassistische Vorgehensweise und wirke damit faktisch diskriminierend. Wer selektiv Personen kontrollieren soll, dem bleibe nur, auf äußere Merkmale zu achten.
Internet in der JVA: lto.de (Daniel Grosse) schildert die ersten Schritte einiger Bundesländer, Gefangenen in Justizvollzugsanstalten Zugang zum Internet zu gewähren. Die derzeitigen Pilotprojekte beschränkten sich auf die Internetnutzung zu Zwecken der Ausbildung oder der Jobsuche. Im Jahr 2018 soll dagegen in der JVA Bremen den Häftlingen ein Haftraummediensystem zur Verfügung stehen, über das einzelne freigegebene Internetseiten ("Whitelist") genutzt werden können.
Bundespresseauskunftsgesetz: Nach Meldung der taz (Christian Rath) wird der Bundestag morgen den SPD-Entwurf für ein Bundespresseauskunftsgesetz ablehnen. Hintergrund des Entwurfs ist eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom Februar, wonach die Landespressegesetze nicht für Bundesbehörden gelten, Journalisten einen Auskunftsanspruch daher nur unmittelbar auf das Grundgesetz stützen können, das aber nur einen Mindeststandard garantiere. Allerdings hatten bei der Sachverständigenanhörung im Bundestag alle Rechtswissenschaftler das Urteil des BVerwG für falsch gehalten und argumentiert, der Bund dürfe mangels Zuständigkeit keine Gesetze zum Presserecht machen. Seither werde der Vorschlag von CDU/CSU und FDP nicht mehr unterstützt.
Weitere Themen - Justiz
BGH zu Texten über Kindesmissbrauch: Der Bundesgerichtshof hat einen Mann teilweise freigesprochen, der in einer E-Mail den sexuellen Missbrauch eines Jungen in Worten geschildert hat. Wie zeit.de schildert, argumentierte der Gerichtshof, der Gesetzgeber habe nur das Verbreiten kinderpornografischer Bilder oder Videos unter Strafe stellen wollen, weil Bildmaterial anders als reine Wortschilderungen einen starken Anreiz zur Nachahmung schaffe.
NSU-Verfahren: Im NSU-Verfahren ging es am Mittwoch um die Aufarbeitung des verheerenden Brandes, den Beate Zschäpe nach der Selbsttötung von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in der Zwickauer Wohnung des Trios gelegt haben soll. Dazu wurden der Verwalter des Mehrfamilienhauses und ein Handwerker, der in dem Haus mit Renovierungsarbeiten beschäftigt war, als Zeugen vernommen. U.a. spiegel.de (Julia Jüttner), die FAZ (Albert Schäffer) und der SWR-Terrorismus-Blog (Holger Schmidt) fassen den Prozesstag zusammen.
OLG Hamm zu Hochwasser: Das Land Nordrhein-Westfalen muss nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm für die Schäden an zwei Autos haften, die bei einem Hochwasser im Jahr 2007 beschädigt worden waren, weil beim Bau einer Autobahn ein Abwassergraben nicht ausreichend dimensioniert worden war. Nach Meldung von lto.de urteilte das Gericht, das Land habe damit seine Verkehrssicherungspflicht verletzt.
OLG Karlsruhe zu Haftpflichtversicherung: Wer seine Versicherung arglistig über den Schadenshergang täuscht, verliert nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe seinen Versicherungsschutz. Dabei sei unerheblich, ob dies überhaupt zu einem konkreten Nachteil für den Versicherer geführt hat oder ob der wahre Schadenshergang auch vom Versicherungsschutz erfasst worden wäre. Eine knappe Darstellung der Entscheidung findet sich auf lto.de.
LG Aachen zum "Containern": Ein Strafprozess gegen zwei Angeklagte, die sich wegen "Containerns", also der Entnahme von Lebensmitteln aus den Abfallbehältern der Lebensmittelmärkte vor dem Landgericht Aachen wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch verantworten mussten, hat mit einer Verfahrenseinstellung sein Ende gefunden. Wie lawblog.de (Udo Vetter) berichtet, hatte der betroffene Lebensmittelmarkt Rewe bezüglich des Hausfriedensbruchs den notwendigen Strafantrag wohl wegen der negativen Publicity kurz vor der Berufungsverhandlung zurückgenommen. Hinsichtlich des Diebstahls erklärten Staatsanwaltschaft und Rewe auf Vorschlag des Gerichts, auf die Strafverfolgung keinen Wert zu legen.
LG Halle - rechtsextremer Überfall: Heute beginnt vor der Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Halle ein Strafverfahren gegen drei stadtbekannte Rechtsradikale, die in Eisleben eine Familie syrische Abstammung zusammengeschlagen haben sollen. Nach einem Bericht von sueddeutsche.de (Annette Ramelsberger) hatte die Staatsanwaltschaft Halle den Überfall ursprünglich nur als schwere Körperverletzung vor dem Amtsgericht Eisleben angeklagt. Die dortigen Richter hatten den Fall mit dem Argument, die Angeklagten beziehungsweise einzelne Angeklagte könnten mit Tötungsvorsatz gehandelt haben, dem Landgericht vorgelegt, was die Strafsache wegen ihres besonderen Umfangs übernommen hatte.
LG Köln – Sal. Oppenheim: Nachdem der erste Versuch vor vier Monaten noch gescheitert war, ist am Mittwoch vor dem Landgericht Köln das Strafverfahren um die Privatbank Sal. Oppenheim nach Bericht der SZ (Caspar Dohmen) nun doch durchgestartet. Zuvor hatte die Strafkammer alle vergangene Woche erhobenen Einwände gegen die Gerichtsbesetzung oder die Verfahrenszuweisung abgewiesen. Zudem hat das Gericht den Prozess dadurch gestrafft, dass ein Teil eines einzelnen Tatkomplexes nicht behandelt werden soll. Den fünf Angeklagten wird schwere Untreue oder Anstiftung und Beihilfe dazu vorgeworfen.
Weitere Themen – Recht in der Welt
USA – Homo-Ehe: Der US-Supreme Court hat mit fünf gegen vier Richterstimmen das Bundesgesetz zur Verteidigung der Ehe für verfassungswidrig erklärt, weil es gegen den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit verstößt. Das noch unter Präsident Clinton beschossene Gesetz schrieb fest, dass bestimmte staatliche Vorteile nur Partnerschaften zwischen Mann und Frau vorbehalten bleiben. Die SZ (Nicolas Richter) erläutert, dass das Urteil aber nicht zur Zulassung der Homo-Ehe im ganzen Land führt; vielmehr entscheiden hierüber die einzelnen Bundesstaaten selbst. In einer zweiten Entscheidung hat das Gericht die Streichung der Homo-Ehe im Bundesstaat Kalifornien als nicht verfassungsgemäß angesehen. Auch die taz (Dorothea Hahn) und die FAZ (Matthias Rüb) berichten über die Entscheidungen.
USA – Wahlrecht: In einer weiteren Entscheidung hat der Supreme Court ebenfalls mit knapper Mehrheit Teile eines Wahlgesetzes gekippt, wonach das Wahlrecht in neun Bundesstaaten und einer Reihe von Bezirken in den USA faktisch unter Kuratel der Bundesbehörden in Washington gestellt worden war. Der "Voting Rights Act" war 1965 verabschiedet worden, um rassistische Schikanen der schwarzen Bevölkerung bei den Wahlen zu bekämpfen. Nach Schilderung der taz (Dorothea Hahn) und die FAZ (Matthias Rüb) hielt die Mehrheit der Richter diese Bestimmung für überholt: "Unser Land hat sich geändert", erklärte der Vorsitzende Richter John Roberts.
"So ist Amerika", kommentiert Torsten Krauel (Die Welt) beide Entscheidungen: "Wenn es darauf ankommt, regiert nicht der Zeitgeist oder eine Mehrheitsmeinung, sondern das kühle, unparteiische Recht."
Türkei – Protestbewegung: Die Zeit (Michael Thumann) thematisiert die strafrechtliche Verfolgung von Anhängern der Taksim-Protestbewegung durch die türkische Justiz. Wer unter Terrorverdacht in Haft sitze, verliere wesentliche Rechte: die Staatsanwaltschaft dürfe Ermittlungsergebnisse vor dem Beschuldigten geheim halten, Zeugenaussagen könnten anonymisiert werden und die Untersuchungshaft kenne keine Begrenzung.
Brasilien – Joaquim Barbosa: Die SZ (Peter Burghardt) porträtiert den ersten schwarzen Präsidenten des brasilianischen Obersten Gerichtshofes, Joaquim Barbosa. Der hartnäckige Jurist, der vom vorigen Staatspräsidenten Lula an den Gerichtshof berufen worden war, habe auch Prozesse gegen führende Mitglieder von Lulas Arbeiterpartei wegen geheimer Kassen und Stimmenkaufs vorangetrieben. Gerade in jetzigen politischen Situation habe die Stimme der "populärsten Figur in der brasilianischen Politik" besonderes Gewicht.
Sonstiges
20 Jahre Bad Kleinen: Aus Anlass des 20. Jahrestages befasst sich die SZ (Heribert Prantl) mit dem Zugriff von BKA und Grenzschutz auf die RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Vor allem genährt durch Dilettantismus bei der Spurensicherung und durch Bemühungen der Sicherheitskräfte, die Mitwirkung des V-Manns Klaus Steinmetz zu vertuschen, sei es im Anschluss zu Spekulationen gekommen, ob nicht ein Mann der GSG9 Grams durch einen an der Schläfe aufgesetzten Schuss getötet habe. Auch wenn dieser Verdacht mittlerweile ausgeräumt sei, spuke die Fama vom Staatsmord an Wolfang Grams immer noch. Auch Die Welt (Sven Felix Kellerhoff) greift das Ereignis auf.
Zu dem Thema führt die SZ (Jan Heidtmann) ein Interview mit Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die auch zur damaligen Zeit im Amt war.
Das Letzte zum Schluss
Rauchverbot für "Vesuv von Neuss": Seit 1. Mai gilt in Nordrhein-Westfalen ein neues Nichtraucherschutzgesetz. Dagegen wusste sich der als "Vesuv von Neuss" bekannte, leidenschaftlich rauchende Bürgermeister von Neuss, Herbert Napp damit zu helfen, dass er sein Dienstzimmer kurzerhand als Raucherraum umdeklarierte. Wie spiegel.de (Gesa Mayr) berichtet, hat die Düsseldorfer Bezirksregierung nun auf Fachaufsichtsbeschwerde eines Nichtraucherverbands den Landrat angewiesen, Maßnahmen gegen den rauchenden Bürgermeister zu ergreifen. Ein dienstliches Bürgermeisterbüro als Raucherzimmer sei nicht Zielsetzung des Nichtraucherschutzes, so die Begründung.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/js
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. Juni 2013: Blüms Richterschelte – US-Supreme Court zur Homo-Ehe – 20 Jahre Bad Kleinen . In: Legal Tribune Online, 27.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9022/ (abgerufen am: 20.07.2024 )
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