Selten hat eine bloße Strafanzeige solche Wellen geschlagen. Ein Muslim hat den Kabarettisten Dieter Nuhr wegen Islam-Beschimpfung angezeigt. Außerdem in der Presseschau: Tatjana Hörnle widerspricht Thomas Fischer beim Sexualstrafrecht, LG Gießen verweigert hirngeschädigtem Kind ein Spenderherz, Analysen zum italienischen Urteil gegen Staatenimmunität, was kinox-to-Nutzer zu befürchten haben - und warum auf den neuen Geldscheinen keine Fingerabdrücke zu sehen sind.
Thema des Tages
Muslim zeigt Kabarettist an: Der Osnabrücker Muslim Erhat Toka hat den Kabarettisten Dieter Nuhr wegen Beschimpfung religiöser Bekenntnisse angezeigt. Nuhr betreibe unter dem Deckmantel der Satire eine "blöde, dumme Hetze" gegen Muslime. Der Vorgang wird unter anderem von faz.net (Michael Hanfeld) und focus.de beschrieben.
Heribert Prantl (Montags-SZ) greift die Strafanzeige im Leitartikel auf und erklärt: "Natürlich darf der Kabarettist spotten". Prantl kritisiert aber auch die derzeitige Fassung von § 166 des Strafgesetzbuches, wonach die Beschimpfung religiöser Bekenntnisse nur strafbar ist, wenn sie geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies sei geradezu eine "Aufforderung zum Faustrecht". Prantl schlägt vor, § 166 ganz zu streichen. Bis zur Grenze der Volksverhetzung müsse Religionskritik erlaubt sein.
Rechtspolitik
Vergewaltigung: Die Rechtsprofessorin Tatjana Hörnle verteidigt auf verfassungsblog.de die völkerrechtlich erforderliche Verschärfung von § 177 des Strafgesetzbuches, wonach jeder Geschlechtsverkehr ohne Einverständnis der anderen Person strafbar sein soll, gegen die "polemische" Kritik des BGH-Richters Thomas Fischer. Natürlich gebe es derzeit Schutzlücken, erklärt Hörnle. Das Strafrecht müsse außerdem auch Menschen schützen, die aus Überforderung auf Übergriffe nicht optimal reagieren. Zwar müsse nicht jeder sexuelle Übergriff als Verbrechen bestraft werden, das Strafgesetzbuch erfasse jedoch manche Delikte (wie etwa die Beleidigung), die weniger schwerwiegend seien als eine Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung. Probleme mit dem Bestimmtheitsgebot gebe es auch bei vielen anderen Delikten.
Anti-Terror-Politik: Nachdem in Kanada zwei Islamisten Anschläge begangen haben, deren Reise nach Syrien verhindert worden war, fragt die FAS (Markus Wehner) "Ist es richtig, gewaltbereite Extremisten an der Ausreise zu hindern?", lässt die Antwort aber offen.
Der Spiegel (Melanie Amann/Dietmar Hipp/Jörg Schindler) präsentiert einen neuen Vorschlag des Rechtswissenschaftlers Nikolaos Gazeas. Statt wie geplant den Versuch der Ausreise als Vorbereitung einer schweren Gewalttat zu bestrafen, genüge es, den Verstoß gegen ein passrechtliches Ausreiseverbot zu ahnden. Vorteil: so müsse keine terroristische Intention nachgewiesen werden. Gerhard Baum (FDP) kritisiert die ebenfalls geplante Ausstellung von Ersatzausweisen für kampfwillige Salafisten als stigmatisierend. Er habe als Innenminister einst erfolgreich darauf gedrängt, ein ähnliches Gesetz abzuschaffen.
Tarifeinheit: In dieser Woche will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ihren Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Tarifeinheit vorstellen. Wenn sich die konkurrierenden Gewerkschaften nicht einigen können, gelte im Betrieb der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die die meisten Mitglieder habe. Im Zweifel müsse dies ein Arbeitsgericht feststellen. Noch sei aber nicht definiert, was eigentlich ein "Betrieb" sei, berichten übereinstimmend der Focus (focus.de-Zusammenfassung) und der Spiegel (Markus Dettmer/Cornelia Schmergal).
Justiz
BVerfG: Wolfgang Janisch (Samstags-SZ) nimmt die Rückkehr des Bundesverfassungsgerichts in sein Stammgebäude zum Anlass für einen Leitartikel über die derzeitige Rolle des Gerichts. "Andreas Voßkuhle, der Beinahe-Bundespräsident aus Karlsruhe, hat die informelle Gesprächsebene mit der Politik ausgebaut. Weniger wäre da mehr." Das jüngste Urteil zu den Rüstungsexporten hätte kaum regierungsfreundlicher ausfallen können. Politisch agiere das Gericht derzeit vor allem, wenn es sich mit europäischen Institutionen anlege. Dabei kämpfe es auch gegen den eigenen Bedeutungsverlust und mache so "Politik in eigener Sache".
Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) berichtet auch über eine Feier am BVerfG zum Ausscheiden von Richter Michael Gerhardt und zur Einführung seines Nachfolgers Ulrich Maidowski. Außerdem sei der jeweils achzigste Geburtstag der früheren BVerfG-Präsidenten Roman Herzog und Jutta Limbach begangen worden.
ICSID - Atomausstieg: Die Klage von Vattenfall vor dem Schiedsgericht ICSID in Washington hat die Bundesregierung bereits rund 3,2 Millionen Euro für Gerichtskosten, Rechtsanwälte, Gutachten und Übersetzungen gekostet. Zu erwarten seien Gesamtkosten in Höhe von 9 Millionen Euro. Hinzu kämen Personalkosten für die sechs zuständigen Mitarbeiter im Ministerium von jährlich 515.000 Euro. Es berichteten die Samstags-SZ (Markus Balser) und die Montags-FAZ (Henrike Roßbach).
BVerfG zu Raucherclubs: Ein gesetzliches Rauchverbot gilt auch für Raucherclubs. Die Vereinigungsfreiheit reiche nicht weiter als die Grundrechte von Individuen, entschied das Bundesverfassungsgericht und lehnte die Verfassungsbeschwerde einer als Verein organisierten Bar ab, berichtet sueddeutsche.de.
LG Gießen zu Spenderherz: Der zweijährige Muhammet Eren Dönmez hat kein Anrecht auf einen Platz auf der Warteliste für Organtransplantationen. Das Landgericht Gießen lehnte damit den Antrag auf eine einstweilige Anordnung ab. Die Ärzte hätten das Kind nicht wegen seiner Hirnschädigung, sondern wegen der damit verbundenen erhöhten Operationsrisiken von der Warteliste ausgeschlossen. Es liege also keine Diskriminierung vor. Anwalt Oliver Tolmein will Rechtsmittel bis hin zur Verfassungsbeschwerde einlegen, berichtet die Samstags-SZ (Christina Berndt).
LG Berlin zu Suhrkamp: Das Landgericht Berlin hat den Insolvenzplan für den Suhrkamp-Verlag gebilligt. Der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach, der durch das Insolvenzverfahren geschwächt werden sollte, hatte dagegen erfolglos geklagt. Nach Darstellung des Gerichts sind keine regulären Rechtsmittel mehr möglich, berichtet der Samstags-Tagesspiegel (Peter von Becker).
StGH Bückeburg zu Regierungsakten: In der Affäre um einen zu großen Dienstwagen des Grünen-Politikers Udo Paschedag hat die niedersächsische Regierung einem Untersuchungsausschuss des Landtags rechtswidrig Akten verweigert. Dies entschied laut spiegel.de nun der niedersächsische Staatsgerichtshof.
EuGH zu Framing: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von voriger Woche zur Einbettung fremder Videos in eigene Internetseiten (Framing) analysiert internet-law.de (Thomas Stadler). Das Framing könne nicht mit dem Urheberrecht verhindert werden, unabhängig davon ob die Einbettung als solche erkennbar ist und auch unabhängig davon, ob das eingebettete Video rechtmäßig veröffentlicht wurde. Der Anwalt Andreas Biesterfeld-Kuhn erklärt auf lto.de die Entscheidung stelle "einen erheblichen Kontrollverlust" der Urheber bei der Verwertung ihrer Werke dar.
BAG zu gestaffelten Urlaubsansprüchen: Ebenfalls vorige Woche entschied das Bundesarbeitsgericht, dass ältere Arbeitnehmer als Ausgleich für körperlich ermüdende Arbeit zusätzlichen Urlaub bekommen können und dies keine unzulässige Altersdiskriminierung darstelle. Die FAS (Corinna Budras) erläutert, welche Altersdifferenzierungen es im Urlaubsrecht noch gibt und welche zulässig sind.
BGH zu Pflichtverteidigung in der Revision: strafrechtsblogger.de (Steffen Dietrich) weist auf eine Verfügung des Bundesgerichtshofs vom September hin. Danach verstoße es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn der Angeklagte in der Revisionsverhandlung vor dem BGH unverteidigt bleibt. Falls ein Wahlverteidiger nicht kommen will, könne er als Pflichtverteidiger bestellt werden.
LAG Nürnberg - eigenmächtiger Verkauf: Im Streit um eine ausrangierte Firmenküche, die zwei Mitarbeiter von Stabilo-Schwan verkauft hatten, um den Erlös einer sozialen Einrichtung zu spenden, hat nun ein Mitarbeiter durch einen vom Landesarbeitsgericht Nürnberg vermittelten Vergleich seinen Arbeitsplatz gerettet, berichtet spiegel.de (Eva-Maria Hommel). Der Stiftehersteller hatte beide Mitarbeiter wegen Eigenmächtigkeit fristlos entlassen.
BVerfG - Altersgrenze für Richter: Der Brandenburger Richter Wolfgang Christ versucht, mit einer Verfassungsbeschwerde seine Pensionierung mit 65 Jahren zu vermeiden. Er mächte bis zum 67. Lebensjahr weiterarbeiten, was nach dem Brandenburger Richtergesetz nicht möglich ist. welt.de schildert den Streit.
StA Frankfurt - Deutsche Bank: Der Spiegel (Dinah Deckstein/Martin Hesse) beschreibt anhand der 627-seitigen Prozessbetrugs-Anklage gegen mehrere Manager der Deutschen Bank, wie der Co-Bankchef Jürgen Fitschen zahlreiche Möglichkeiten verstreichen ließ, einzuräumen, dass die Bank im Rechtsstreit mit Leo Kirch Sachverhalte absichtlich falsch dargestellt hat. Erst als die zuständige Staatsanwältin drohte, den gesamten Vorstand anzuklagen, habe die Bank ihre Position geändert und einen Vergleich mit Kirchs Seite gesucht.
OLG München - NSU und Carsten Sz.: Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München muss am 4. November der ehemalige V-Mann Carsten Sz. aussagen, was der Verfassungsschutz verhindern will. Sz. hat kurz nach dem Untertauchen des Trios Hinweise auf dessen Aufenthalt gegeben. Die Montags-taz (Heike Kleffner) schildert die Verwicklungen des V-Mannes "Piatto". Christian Rath (Montags-taz) kommentiert: Mit Blick auf das NSU-Desaster seien nicht die V-Leute im Umfeld des NSU das Problem gewesen, sondern die V-Mann-Führer und ihre Vorgesetzten, die die Hinweise zum Schutz der Quellen versickern ließen.
Recht in der Welt
Italien - Staatenimmunität: Der Doktorand Stefan Raffeiner analysiert auf verfassungsblog.de das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts zur Staatenimmunität. Danach könne das Urteil des Internationalen Gerichtshofs, der im Streit zwischen Italien und Deutschland Staatenimmunität auch bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewährte, nicht in italienisches Recht umgesetzt werden, weil dies gegen die "obersten Prinzipien" der italienischen Verfassung verstoße. Das Urteil sei "argumentativ in sich schlüssig". Allerdings gehe es nicht darauf ein, dass Italien damit einen offensichtlichen Völkerrechtsverstoß begehe, der eine Anrufung des UN-Sicherheitsrats ermögliche.
Reinhard Müller (Samstags-FAZ) kommentiert: "In Polen und Russland, die unermessliche Opfer zu beklagen haben, werden derart weit gehende Ansprüche gegen Deutschland bemerkenswerterweise nicht offiziell erhoben. Wohl aber vom ehemaligen Kriegsverbündeten Italien." Es handele sich um eine "Völkerpathologie". Müller sendet eine "Botschaft an Rom: Wir müssen reden. Aber wir geben nichts."
Sonstiges
Di Fabio zur DDR: Focus (Stephanie Stallmann/Daniel Goffart - focus.de-Kurzfassung) spricht mit Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio über die Frage, ob die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet werden sollte. Di Fabio bejaht dies: "Der Unrechtsstaat zeichnet sich nicht durch die Abwesenheit von Recht aus, sondern durch den Verzicht auf ein Recht, das der Würde des Menschen und seiner angeborenen Freiheit entspricht. Dazu zählt eben die Reisefreiheit, das Recht, seinen Staat zu verlassen."
Hungertod in JVA Bruchsal: Der Spiegel (Jan Friedmann) schildert die letzten Monate des Häftlings Rasmane Koala aus Burkina Faso, der sich in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal im Sommer zu Tode hungerte. Bis heute sei unklar, ob es sich um einen Hungerstreik oder nur um eine Verweigerung des Anstaltsessens handelte. Die Anstalt sei mit dem aggressiven Mann überfordert gewesen und habe ihn seinen Schicksal überlassen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung gegen den Anstaltsleiter und eine Anstaltsärztin.
Sicherungsverwahrung in Niedersachsen: Die Montags-SZ (Thomas Hahn) schildert Konflikte in der niedersächsischen Landespolitik, um zwei Zwischenfälle mit Sicherungsverwahrten auf Ausgang. Die Vereinigung der Anstaltsleiter protestierte gegen die unsachliche Behandlung der Vorfälle durch die Politiker.
Kinox.to: Nachdem die Polizei Wohnungen der Betreiber des illegalen Filmportals kinox.to durchsuchte, erklärte Anwalt Christian Solmecke laut zeit.de, dass die Nutzer voraussichtlich nichts zu befürchten hätten. Das bloße Betrachten eines Streams sei keine Straftat.
Das Letzte zum Schluss
Lackiertes Geld: Auf den neuen 5- und 10-Euro-Scheinen kann die Polizei keine Fingerabdrücke mehr festellen, weil die Geldscheine mit einem speziellen Lack besonders haltbar gemacht wurden. Verbrecher freuen sich schon, dass bald auch entsprechend präparierte 20- und 50-Euro-Scheine herauskommen, berichtet der Focus (focus.de-Kurzfassung).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. bis 27. Oktober 2014: Dieter Nuhr angezeigt – Thomas Fischer widerlegt – Muhammet ohne Herz . In: Legal Tribune Online, 27.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13602/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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