Die Europawahl ist vorbei, für den Zeit-Chefredakteur könnte sie aber ein unangenehmes Nachspiel haben. Außerdem in der Presseschau: Sperrklauseln und Wahlrecht, harte Worte gegen Bankenschreck, Betriebsrat gegen Schließung, Schmiergeldzahlungen als Betriebsausgaben, Real Madrid und das Beihilfen-Recht und origineller Umgang mit Blitzern.
Thema des Tages
Giovanni di Lorenzo: Zu den üblichen Ritualen nach Wahlen gehören salbungsvolle Reden, in denen sich die Parteien jeweils zu Siegern erklären. Die ehrliche Erklärung zu seinem Wahlverhalten ganz sicher bereuen wird Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit. Denn nach seinem freimütigen Eingeständnis, als deutsch-italienischer Doppel-Staatsbürger gleich zweimal gewählt zu haben, ermittelt nun die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Wahlfälschung gegen ihn, wie sueddeutsche.de (Sabrina Ebitsch) berichtet. Um Doppel-Wahlen zu verhindern, existierten Vereinbarungen zu gegenseitigen Datenübermittlungen, aber kein europaweiter Abgleich von Wahlregistern. Bundeswahlleiter Roderich Egeler habe deshalb Änderungen angemahnt. Eine Verurteilung di Lorenzos sei angesichts der eindeutigen Bestimmung in § 6 Abs. 4 EU-Wahlgesetz sehr gut möglich, schließlich würde auch auf dem Wahlberechtigungsschein daran erinnert, dass nur einmal und nur persönlich gewählt werden dürfe.
Weniger eindeutig beschreibt Henning Ernst Müller (beck.blog.de) die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung. Wenn man "unbefugt" im Sinne des § 107a des Strafgesetzbuches als normatives Tatbestandsmerkmal verstehe, dann sei der Irrtum hierüber als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu werten, mit der Konsequenz einer straflosen fahrlässigen Handlung.
Rechtspolitik
Wahlrecht: Weil nicht nur bei der Europawahl, sondern auch bei den parallel abgehaltenen Kommunalwahlen in vielen deutschen Ländern keine Sperrklausel galt, gelang vielen Kleinparteien und Einzelbewerbern der Einzug in kommunale Vertretungen. Das Handelsblatt (Daniel Delhaes) zitiert den Vorsitzenden der Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU/CSU, Ingbert Liebing, mit der Forderung nach Wiedereinführung einer kommunalen Sperrklausel, um die "Funktionsfähigkeit und die Gemeinwohlorientierung der kommunalen Vertretungskörperschaften zu stärken."
Reinhard Müller (FAZ) befasst sich mit der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts bei seiner Entscheidung zum Wegfall einer Sperrklausel bei der Europawahl. Diese müsse nicht "das letzte Wort sein," der Gesetzgeber sei schließlich explizit dazu aufgefordert worden, die nun eingetretene Entwicklung zu beobachten. Das Gericht habe in der Entscheidung und nachfolgenden Äußerungen seines Präsidenten klargestellt, dass es gerade nicht die Aufgabe der Sperrklausel sei, "bestimmte politische Ansichten aus einem Parlament fernzuhalten."
Einreisesperren: In der Debatte zu Wiedereinreisesperren für solche EU-Ausländer, die sich den Aufenthalt mit falschen Angaben erschlichen haben, spricht sich das von Heiko Maas (SPD) geführte Bundesjustizministerium für eine behördliche Ermessensentscheidung aus, berichtet fr-online (Mira Gajevic). Dies entspreche auch der europäischen Freizügigkeitsrichtlinie, die ausdrücklich verhältnismäßige Maßnahmen verlange. Ein von Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) vorgelegter Entwurf habe dagegen ein automatisches Einreiseverbot vorgesehen.
Google: Als Konsequenz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs zu Löschansprüchen gegenüber Google plant die Regierungskoalition die Einrichtung einer Schlichtungsstelle. Unter Beteiligung der Datenschutzbeauftragten der Länder solle diese verpflichtend über streitige Anträge auf Löschung von Einträgen entscheiden können, schreibt das Handelsblatt (Daniel Delhaes/Till Hoppe) in seinem Bericht.
Justiz
BGH zu Persönlichkeit: In einer Entscheidung aus dem letzten Monat befand der Bundesgerichtshof, dass der Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht vererblich ist. Denn die mit der Geldentschädigung zuvörderst verfolgte Genugtuung verliere mit dem Tod des ursprünglichen Anspruchstellers ihre Bedeutung. Die Erben des ursprünglichen Klägers, des Entertainers Peter Alexander, gingen damit leer aus, schreibt Hans-Otto Burschel (beck.blog.de).
OLG München – Hypo Real Estate: Das Oberlandesgericht München verhandelt derzeit über eine Schadensersatzklage früherer Aktionäre der Hypo Real Estate. Wie die SZ (Klaus Ott) berichtet, haben Anwälte des Geldinstituts nun in einem Schriftsatz an das Gericht Zweifel an der "erforderlichen Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit" des erkennenden Senats geäußert. Insbesondere die Prozessführung des als "Bankenschreck" geltenden Vorsitzenden Richters Guido Kotschy wolle man "nicht dauerhaft hinnehmen." Die ungewöhnliche Stellungnahme sei durch die vom Gericht verfügte Ladung der jetzigen Vorstandsvorsitzenden der Bank veranlasst worden.
OLG Koblenz zu Intimfotos: Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz zu einem Anspruch auf Löschung von Intimfotos nach dem Ende einer Beziehung unterzieht Rechtsanwalt Ralf Möbius (fachanwalt-fuer-it-recht.de) einer kritischen Würdigung. In dem "über die Aufgabe ein sachliches Urteil abzufassen hinausgehenden Willen des Gerichts," die Klägerin vor der Verbreitung der von ihr angefertigten Bilder zu schützen, habe das Gericht die "lästige BGH-Rechtsprechung" zur Bestimmtheit des Entscheidungstenors außer Acht gelassen. Darüber hinaus sei auch bei rechtmäßig angefertigten Bildern die Kunstfreiheit des Urhebers zu berücksichtigen.
LG Darmstadt – Opel-Schließung: Das Landgericht Darmstadt verhandelt am heutigen Dienstag zu einer Klage des Betriebsrats des Bochumer Opel-Werkes gegen die Entscheidung des Konzerns zur Schließung des Bochumer Betriebes. Wie die SZ (Thomas Fromm) schreibt, hält der Betriebsrat die streitige Entscheidung für politisch und gerade nicht wirtschaftlich motiviert.
VG Lüneburg zu Castortransport: Die während Protesten gegen einen Castortransport im Jahr 2011 erfolgte polizeiliche Beschlagnahme eines Podcast-Busses ist vom Verwaltungsgericht Lüneburg für rechtswidrig erklärt worden, meldet Udo Vetter (lawblog.de).
AG Stuttgart zu unerwünschter Werbung: Nach einer Meldung der SZ (M. Huber) hat das Amtsgericht Stuttgart entschieden, dass auch eine an eine automatische Antwortmail angehängte Werbung eines Unternehmens dem Verbot unerwünschter Werbung unterfällt. Dem Empfänger der Mail muss das beklagte Unternehmen nun 147 Euro zahlen.
AnwG Düsseldorf zu Zustellung: Der Anwalt und Honorarprofessor Volker Römermann erklärt für lto.de Rechtslage und Hintergrund der kürzlich ergangenen Entscheidung des Anwaltsgerichts Düsseldorf zur Mitwirkungspflicht für Anwälte bei formellen Zustellungen. Der Verfasser kritisiert die Sachkunde des erkennenden Gerichts und vor allem die von diesem vorgenommene Abwägung zwischen dem Mandantenwillen und berufsrechtlichen Zwängen. Die Entscheidung für ersteren berge "ungeahnte Haftungsquellen."
StA München – Steuerhinterziehung: Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt nach einem Bericht der SZ (Klaus Ott/Georg Mascolo) gegen den Chef des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei-Wegmann wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Der Manager soll Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften in Griechenland als Betriebsausgaben geltend gemacht haben. Das laufende Verfahren könnte einen Anlass für eine sogenannte Zuverlässigkeitsprüfung sein, von der das Bundesministerium für Wirtschaft eine Exportgenehmigung abhängig machen könne.
Recht in der Welt
Türkei/Israel – Haftbefehle: Nach einer Meldung der FAZ hat ein türkisches Gericht Haftbefehle gegen vier Israelis wegen des Militäreinsatzes gegen das auf dem Weg nach Gaza befindliche Schiff "Mavi Marmara" erlassen. Gegen die betroffenen ehemaligen Offiziere, unter ihnen der frühere israelische Generalstabschef, wird bereits seit einiger Zeit wegen Totschlag, Freiheitsberaubung und Plünderei in Abwesenheit verhandelt.
Nordkorea – Hinrichtung: In Nordkorea sind offenbar vier Ingenieure, die für den Einsturz eines Wohnhauses mit mutmaßlich mehreren hundert Toten verantwortlich gemacht wurden, durch ein Erschießungskommando hingerichtet worden. Dies berichtet welt.de (Sophie Mühlmann).
Sonstiges
Beihilfeverfahren gegen Fußballclubs: Die von der EU-Kommission eingeleiteten Verfahren gegen mehrere europäische Fußballclubs wegen europarechtswidriger Beihilfen könnten noch in diesem Jahr ein erstes prominentes Opfer finden. Wie das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) schreibt, steht der soeben gekrönte Champions League-Sieger Real Madrid wegen zahlreicher fragwürdiger Deals mit der Stadt Madrid im besonderen Fokus der Kommission. Auch deutsche Vereine hätten öffentliche Fördermaßnahmen in der Regel nicht bei der EU gemeldet. Die laufenden Verfahren dienten gleichwohl dazu, "mehr ökonomische Vernunft in den Markt zu bringen", denn "nach geltendem Recht könnte man die Hälfte der europäischen Ligen plattmachen," zitiert das Blatt einen Beihilfe-Experten.
NSU: Holger Schmidt (SWR-Terror-Blog) bespricht "Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU" von Stefan Aust und Dirk Laabs. Der Versuch, analog zum "Baader-Meinhof-Komplex" ein Standardwerk, diesmal zur Geschichte des rechtsradikalen Terrors und der Verstrickung staatlicher Akteure, zu schaffen, müsse wegen vielfältiger inhaltlicher Fehler und einem unsauberen Umgang mit Quellen als gescheitert bezeichnet werden.
Glenn Greenwald: Die taz (Christian Rath) interviewt den Journalisten Glenn Greenwald zu dessen Tätigkeit bei der Veröffentlichung der von Edward Snowden gesammelten Dokumente zur NSA-Überwachung. Greenwald äußert sich auch zu den Gründen für die Schwärzungen in seinem Buch "Die globale Überwachung."
Das Letzte zum Schluss
Blitzer: Wen Blitzer bei Geschwindigkeitsübertretungen erwischen, weiß sich oft nur noch mit originellen Ausreden zu behelfen. So zum Beispiel laut Udo Vetter (lawblog.de) der Fernsehkoch Frank Rosin, der bei einer Bußgeld-Verhandlung erklärte, statt seiner sei ein Unbekannter mit einer täuschend echten Maske unterwegs gewesen. Nach mahnenden Worten des Richters zog er diese Erklärung und den Einspruch gegen den Bußgeld-Bescheid zurück. Vielleicht hätte er sich auch die Entschlusskraft jenes US-Amerikaners gewünscht, der nach einer Meldung der SZ einen Blitzer, der nach einer Kollision auf der Ladefläche seines Pickup-Trucks landete, kurzerhand mitnahm. Genutzt hat es dem Fahrer allerdings auch nicht: Weil Zeugen den Vorfall filmten, konnte er schnell festgenommen und das Gerät sichergestellt werden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. Mai 2014: Zweimal wählen – Steuerhinterziehung und Schmiergeld – Bank gegen Richter . In: Legal Tribune Online, 27.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12098/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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