Der frühere Zentralstellen-Leiter Kurt Schrimm veröffentlicht seine Memoiren. Der Spiegel interviewt ihn. Außerdem in der Presseschau: BGH zu Geschlechtsfestlegung transsexueller Eltern und ein neuer Anlauf für polnische Justizreform.
Thema des Tages
Kurt Schrimm: Der frühere Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, Kurt Schrimm, hat seine Memoiren veröffentlicht. Über "Schuld, die nicht vergeht. Den letzten NS-Verbrechern auf der Spur", seinen persönlichen Eindruck von NS-Tätern wie Josef Schwammberger oder die Frage, ob die Verfolgung von NS-Verbrechen insgesamt als gerecht zu bezeichnen ist, die von Schrimm mitinitiierte Änderung der Rechtsprechung durch die Verurteilung John Demjanjuks und den "Konstruktionsfehler" der Zentralstelle spricht der Spiegel (Martin Doerry/Klaus Wiegreife) mit dem Staatsanwalt.
Rechtspolitik
Bundestagswahl: Die FAZ (Reinhard Müller) beschreibt die durch das Grundgesetz vorgeschriebenen, auf die Bundestagswahl folgenden Schritte zur Kanzlerwahl und Regierungsbildung. Zwar sei ein Zusammentreten des neugewählten Parlaments "spätestens am dreißigsten Tag nach der Wahl" bestimmt, die Amtsdauer der geschäftsführende Regierung jedoch nicht begrenzt. Den Weg zur Konstituierung des neuen Bundestages zeichnet auch deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) in einem Beitrag nach, der auch darlegt, welche Rechte einer AfD-Fraktion zustehen. Der Spiegel (Laura Backes u.a.) berichtet über die im Umgang mit AfD in den Landtagen gemachten Erfahrungen. Versuche, die Partei durch Änderungen der Geschäftsordnungen etwa von Ausschussmitgliedschaften fernzuhalten, stießen vermehrt auf Widerstand, weil hierdurch ein Märtyrerstatus genährt werden könne. In Hamburg habe die AfD angekündigt, gegen die Nichtaufnahme eines Fraktionsmitglieds in die Härtefallkommission der Bürgerschaft vor dem Verwaltungsgericht der Hansestadt klagen zu wollen.
Bundespolizei: Der Grenzschutz als Aufgabe der Bundespolizei umfasst nach Ansicht der Bundesregierung auch die Kontrolle des "sog. Ätherraums", womit der Fernmelde- und Telekommunikationsverkehr gemeint sein dürfte. Dies geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Irene Mihailic (Grüne) hervor, über die netzpolitik.org (Anna Biselli) berichtet.
Datenverkehr: Bei dem am kommenden Freitag stattfindenden sogenannten Digitalgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Tallinn könnte die Freiheit des Datenverkehrs zur fünften Grundfreiheit der EU gemacht werden. Nach dem Bericht des Hbl (Heike Anger) befürchten europäische Unternehmen allerdings eine zu starke Regulierung durch entsprechende Brüsseler Schritte. Sie bevorzugten stattdessen eine europaweite Harmonisierung bereits bestehender Gesetzgebung.
Justiz
BVerfG – Gewerbesteuer: Über dem Gewerbesteuergesetz braue "sich etwas zusammen“, fasst die FAZ (Hendrik Wieduwilt) die mündliche Verhandlung am Bundesverfassungsgericht zusammen. Die bremische Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) habe eingestanden, dass die beanstandete Regelung auch der finanziellen Stärkung der Kommunen diene. Die Haushaltslage dürfe aber nach Ansicht des Vertreters der beschwerdeführenden Beck-Brauerei bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der Steuer keine Rolle spielen. Auch lto.de schreibt zur Verhandlung.
BGH zur Transmann: Die geschlechtlichen Elternrollen sind nicht beliebig austauschbar, entschied der Bundesgerichtshof. Damit muss ein transsexueller, rechtlich anerkannter Mann akzeptieren, dass er im Geburtenregister als Mutter seines Sohnes eingetragen ist. Über Fall und Entscheidung berichten SZ (Wolfgang Janisch) und taz.de (Christian Rath). Nach Ansicht des Gerichts ändere die Entscheidung nichts an der jetzigen Geschlechtsidentität des Klägers. Um den Kind aber Sicherheit zu geben, bedürfe es eines Eintrags entsprechend der mutterschaftlichen Zuordnung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Dies sei auch verfassungskonform, weil dem Grundgesetz keine Pflicht zur Schaffung eines geschlechtsneutralen Abstammungsrechts entnommen werden könne.
BAG zu Mindestlohn: Auch Rechtsanwältin Alexandra Henkel (Hbl-Rechtsboard.com) berichtet nun zu Grundsatzentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Mindestlohn, beginnend mit dem jüngsten Urteil zur Berechnungsgrundlage von Nacht- und Feiertagszuschlägen.
LAG Berlin-BB zu "Mein Kampf“-Lektüre: Die Lektüre einer Originalausgabe von Hitlers Schrift "Mein Kampf" während der Arbeitszeit kann die ordentliche Kündigung eines Ordnungsamtsmitarbeiters auch ohne Abmahnung rechtfertigen. Denn hier habe sich der unterlegene Kläger als vormaliger Repräsentant des Landes Berlin eine schwerwiegende Pflichtverletzung vorwerfen zu lassen, so das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg. Über das Urteil berichtet lto.de.
OLG Celle – Abu Walaa: Auch die SZ (Lena Kampf) schreibt nun über den am heutigen Dienstag am Oberlandesgericht Celle beginnenden Prozess gegen den mutmaßlichen IS-Repräsentanten Abu Walaa. Die Ermittlungen gegen den "Hassprediger" stützten sich entscheidend auf die Angaben einer Vertrauensperson der Sicherheitsbehörden sowie eines Syrien-Rückkehrers, der als Kronzeuge fungiere.
OLG Stuttgart – al-Nusra: Wegen der Ermordung von 36 syrischen Regimeanhängern müssen sich vier mutmaßlich der sogenannten al-Nusra-Terrormiliz zugehörige Syrer vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verantworten. Zu Prozessbeginn äußerten sich die Angeklagten nach Bericht von spiegel.de nicht. Bis zum Oktober 2018 seien 80 Verhandlungstage geplant.
LG Bonn – Vergewaltigung: Zum Beginn des Verfahrens gegen einen ghanaischen Angeklagten, dem am Landgericht Bonn die Vergewaltigung einer Studentin vorgeworfen wird, hat der Angeklagte ausführlich seinen Fluchtweg beschrieben, jegliche Tatbeteiligung jedoch vehement und mit einer beleidigenden Bezeichnung für die Geschädigte bestritten. Es berichten Welt (Kristian Frigelj) und spiegel.de (Christian Parth).
LG München I – Georg Funke: Das am Landgericht München I gegen Georg Funke, den früheren Chef der Hypo Real Estate, sowie Markus Fell, den Finanzchef der Bank, laufende Verfahren wegen Bilanzfälschung dürfte sich nach Meldung des Spiegel (did) erheblich verlängern. Zum einen sei ein entscheidendes Gutachten zum tatsächlichen Zustand der Bank nach wie vor nicht fertiggestellt, zum anderen habe die Staatsanwaltschaft erst kürzlich in ihren Räumen 99 Umzugskartons mit Aktenordnern bemerkt, die erst teilweise ausgewertet worden seien.
AG Dresden zu Akif Pirinçci: Wegen Volksverhetzung hat das Amtsgericht Dresden den Autor Akif Pirinçci nach seinem Einspruch gegen einen Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Die Strafe erging infolge einer Verständigung zwischen den Beteiligten, nach der der Schriftsteller in einer von seinem Anwalt abgegebenen Erklärung einräumte, bei einer Pegida-Veranstaltung im Oktober 2015 "über das Ziel hinausgeschossen" zu sein. Die taz (Michael Bartsch) berichtet.
Recht in der Welt
Polen – Justizreform: Der polnische Präsident Andrzej Duda hat nun eigene Gesetzentwürfe für eine Justizreform im Nachbarland vorgelegt. Die Vorschläge umfassen eine neue Altersgrenze für Richter am Obersten Gericht sowie auch weiterhin eine parlamentarische Ernennung neuer Richter und Landesjustizratsmitglieder, allerdings mit einer verschärften Mehrheitsanforderung. Sollte diese Mehrheit nicht zustande kommen, entscheide der Präsident. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, habe zugesagt, die Entwürfe sorgfältig prüfen zu lassen, berichten SZ (Florian Hassel) und FAZ (Konrad Schuller/Michael Stabenow). Reinhard Veser (FAZ) kommentiert, dass die Vorschläge "die Gefahr für den Rechtsstaat in Polen" noch nicht gebannt hätten. Auch ohne das vor einigen Monaten eingelegte Veto Dudas hätten juristische Institutionen im Land einen bleibenden Schaden erlitten.
Schweiz – Raser: Wegen "Gefährdung des Lebens" hat ein Schweizer Gericht im Februar einen deutschen Autofahrer in Abwesenheit zu einer Haftstrafe verurteilt. Dem in Stuttgart lebenden Mann wurde vorgeworfen, im Gotthard-Tunnel mit weit überhöhter Geschwindigkeit und waghalsigen Überholmanövern unterwegs gewesen zu sein. Das zuständige Schweizer Bundesamt für Justiz habe nun ein Vollstreckungsersuchen an die Staatsanwaltschaft Stuttgart gerichtet. Über dieses müsse zunächst das Landgericht und schließlich der baden-württembergische Justizminister entscheiden, erläutert der Spiegel (Jan Friedmann/Dietmar Hipp) in seinem Bericht zum Fall.
Türkei – Cumhuriyet: Ein türkisches Gericht hat die Freilassung eines der im Cumhuriyet-Prozess angeklagten Journalisten beschlossen. Bis zu einem Urteil unterliegt der Journalist Kadri Gürsel Auflagen, das Verfahren ist bis zum 31.Oktober vertagt worden. zeit.de berichtet.
USA – Einreiseverbot: Nach dem zeitlichem Ablauf der ursprünglichen Einreiseverbote hat US-Präsident Donald Trump neue Verbote verfügt und die Liste der betroffenen Länder unter anderem um Nordkorea erweitert. Nach Bericht der FAZ (Andreas Ross) wurde die Maßnahme damit begründet, dass die betreffenden Länder Mindestanforderungen an eine Informationsweitergabe nicht erfüllten. Die taz (Bernd Pickert) schreibt, dass unklar sei, wie sich die neuen Regelungen auf das beim Obersten Gericht der USA anhängige Verfahren über die Verfassungsmäßigkeit der Verbote auswirke.
Sonstiges
Paul Kirchhof: Der als "Vater des Rundfunkbeitrags" geltende frühere Verfassungsrichter Paul Kirchhof hat in einem jüngst erstellten Rechtsgutachten zu Transparenzpflichten öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten Stellung genommen. Im Gespräch mit dem Medien-Teil der SZ (Claudia Tieschky) erläutert er die von ihm ermittelten Pflichten, etwa bei der Offenlegung von Gehältern, nicht aber bei den für Sportübertragungen ausgegebenen Beträgen.
Heide Pfarr: In einem ausführlichen Interview mit dem Spiegel (Isabell Hülsen/Ann-Katrin Müller) äußert sich die Rechtsprofessorin und frühere Landesministerin Heide Pfarr (SPD) über die "dürre" frauenpolitische Bilanz der Kanzlerschaft Angela Merkels, mangelndes Interesse von Männern an Gleichstellungspolitik sowie ihre frauenpolitischen Forderungen an die kommende Regierung.
Strafen: In ihrem Literatur und Sachbuch-Teil bespricht die FAZ (Michael Pawlik) "Verurteilen. Der strafende Staat und die Soziologie" aus der Feder des französischen Philosophen Geoffroy de Lagasniere. Der philosophische Gehalt des Traktats sei "recht bescheiden", im Ganzen mache es sich de Lagasniere "bequem", indem er das "strafrechtliche Schuldverständnis wegen seines abstrahierenden Vorgehens von vornherein als illegitim" brandmarke.
Das Letzte zum Schluss
Bürgerpflicht: Die allgegenwärtigen Aufrufe, vom Wahlrecht Gebrauch zu machen, auf jeden Fall ernst genommen hat ein Mann aus dem brandenburgischen Guben. Nach Meldung der SZ erschien er am vergangenen Sonntag kurz vor Schließung in angeheitertem Zustand in einem Wahllokal, durfte aber nicht abstimmen, weil er keine Dokumente dabeihatte. Aus Ärger darüber, der Räumlichkeit verwiesen worden zu sein, alarmierte er die Polizei. Die traf auch ein und nahm den Störer, der wegen einer Freiheitsstrafe per Haftbefehl gesucht worden war, fest.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. September 2017: Erinnerungen eines NS-Ermittlers / Männliche Mutter / Justizreform in Polen . In: Legal Tribune Online, 26.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24703/ (abgerufen am: 05.07.2024 )
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