Der EuGH verhandelt bald über die Vorratsdatenspeicherung und bringt schon jetzt die Befürworter in Not. Außerdem in der Presseschau: EuGH-Generalanwalt gegen Recht auf Vergessenwerden, Grundrecht auf Inflationsschutz, ein Blick in Zschäpes Wohnung, Kopftuchverbot im Fitnessstudio und: Eine Scheidung von den Schwiegereltern ist nicht so leicht.
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Nach Vorlagen der höchsten Gerichte Irlands und Österreichs verhandelt der Europäische Gerichtshof am 9. Juli über die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. Die Fragen, die der EuGH den Beteiligten vorab zugesandt hat, spiegeln eine tiefe Skepsis der Richter gegenüber der Vorratsdatenspeicherung wieder, so die SZ (Heribert Prantl) in einem ausführlichen Vorbericht. Sie verlangten Auskunft über Zielsetzung und Nutzen der Speicherung und fragen nach Statistiken, die zeigen könnten, dass sich "die Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten" mit der Richtlinie verbessert habe. Solche Statistiken gebe es aber nicht, so die SZ. Das Bundesverfassungsgericht habe im Jahr 2010 zwar das deutsche Ausführungsgesetz verworfen. Die Richtlinie selbst habe es aber weder "zerrissen" - indem sie eine Kompetenzüberschreitung der EU ausgesprochen hätten - noch zumindest "gebrandmarkt". Ersteres hätten sich die Richter nicht getraut, letzteres hätte eine Vorlage an den EuGH bedeutet – das wollte man wohl auch nicht. Zweifel seien laut SZ auch an der Rechtsgrundlage der Richtlinie angebracht: Eigentlich sei für die Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung ein Rahmenbeschluss nötig gewesen. Der hätte aber Einstimmigkeit im Ministerrat erfordert.
Weitere Themen – Rechtspolitik
"Schluss mit Prozesstricks" der Banken und Versicherer: Am 1. Januar kommenden Jahres wird wohl eine Regelung in der Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft treten, wonach "ab dem Beginn der mündlichen Verhandlung die Rücknahme einer Revision nur noch mit Einwilligung des Gegners möglich" ist, so Rechtsanwalt Peter Bert auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ. Damit solle die Verhinderung von Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofes durch Banken und Versicherer unterbunden werden: Diese nähmen häufig ihre Revision zurück bzw. erkannten die Klageforderung an, um eine Grundsatzentscheidung zu verhindern.
"Grundrecht auf Inflationsschutz?": In einer Studie für die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" kommt der Heidelberger Rechtsprofessor Ekkehart Reimer zu der Annahme, ein Schutz vor kalter Progression sei verfassungsrechtlich geboten, so das Handelsblatt (Axel Schrinner). Der allgemeine Gleichheitssatz garantiere laut Reimer die "Inflationsneutralität des Steuertarifs".
Reding zu EU-Datenschutz: Im "Gastkommentar" des Handelsblattes erläutert Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, vor dem Hintergrund des Prism-Skandals die "vier Schlüsselbausteine" im Entwurf für die neuen EU-Datenschutzvorschriften und betont noch einmal die Notwendigkeit eines "verstärkten Rechts auf Vergessenwerden". Erstens müsse der territoriale Anwendungsbereich der Vorschriften klar sein: "Wer in unserem Hof spielt", müsse unsere Regeln befolgen. Auch müsse der Begriff der "personenbezogenen Daten" weiter gefasst werden. Drittens müssen die Vorschriften für datenerhebende- und datenverarbeitende Unternehmen gelten und viertens brauche es einen Schutz vor uneingeschränkter internationaler Datenübertragung.
Empörung über Prism/Tempora?: In einem Gastbeitrag zum Datenschutz in Zeiten von Prism und Tempora für spiegel.de plädiert Peter Schaar, Bundesdatenschutzbeauftragter, dafür, die "Ausrede, Transparenz schade der Sicherheit" nicht mehr hinzunehmen – auch in Deutschland sehe er Handlungsbedarf. Die "immer zügellosere Überwachung" könne nur durch ein internationales Abkommen, etwa in Form eines Zusatzprotokolls zum Artikel 17 des UNO-Paktes für bürgerliche und politische Rechte, eingefangen werden.
zeit.de (Christiane Schulzki-Haddouti) zitiert u.a. Jan Philipp Albrecht, Mitglied der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und Verhandlungsführer für die neue Datenschutzgrundverordnung: Die "massenhafte" Datenanalyse verstoße insbesondere gegen Art. 16 des EU-Vertrages.
Heribert Prantl (SZ) wundert sich, dass sich alle so wundern: Die Persönlichkeitsrechte seien doch längst "staatliche Verfügungsmasse" und der "Tribut", den die Bürger ungefragt an die "neue Sicherheitsgesellschaft" zahlen müssten. Der Widerspruch zwischen "demokratischem Geheimdienst" und der Tatsache, dass es "ganz ohne" auch nicht geht, könne nur durch Kontrolle gemildert werden. Dazu auch die Video-Kolumne Prantls (sueddeutsche.de).
"The road to PRISM": Für lto.de setzt sich Juniorprofessor Andrew Hammel ausführlich mit der US-amerikanischen juristischen Architektur der Datenüberwachung auseinander. Im Mittelpunkt stehe der Foreign Intelligence Surveillance Court – das sogenannte "Geheimgericht". Dies sei nur einer "losen parlamentarischen Kontrolle" unterworfen und könne auch "flächendeckende" staatliche Überwachungsaktionen durchwinken. Eine endgültige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der neuartigen Überwachungsprogramme stehe noch aus. Weiter blickt Hammel auf die deutsche Rechtslage, etwa das Parlamentarische Kontrollgremium sowie die G 10-Kommission.
Weitere Themen – Justiz
EuGH-Generalanwalt zum Recht auf Vergessenwerden: Niilo Jääskinen, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, hat sich in einem Gutachten u.a. gegen ein sogenanntes "Recht auf Vergessenwerden" für das Internet abgeleitet aus den EU-Datenschutzregelungen ausgesprochen. Der Konzern Google dürfe nicht zur "Löschung zutreffender Angaben über einzelne Personen gezwungen werden", erläutert die FAZ (Joachim Jahn); lediglich bei unvollständigen oder falschen Daten bestehe für die Betroffenen ein Recht zur Sperrung. Google sei nicht der datenschutzrechtlich Verantwortliche, da es keine Kontrolle über die Inhalte von Anbietern anderer Websites habe, so der Generalanwalt laut FAZ. Die Anwendbarkeit nationaler Datenschutzgesetze aber müssten Unternehmen hinnehmen, wenn sie in einem Land eine Niederlassung für die Vermarktung von Werbung einrichteten. Hintergrund sei eine Klage von Google gegen die spanische Datenschutzbehörde; den Streit habe die spanische Justiz dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Den konkreten Fall schildert zeit.de (Kai Biermann).
Thomas Stadler (internet-law.de) erläutert das Gutachten ebenfalls. Dazu auch spiegel.de (Felix Knoke).
Reinhard Müller (FAZ) kommentiert: Die Einschätzung Jääskinens sei "Wasser auf die Mühlen derjenigen, die eine Verschärfung des europäischen Datenschutzes fordern".
NSU-Prozess/ Wohnung des "Terror-Trios": Über den "nächsten Schritt in Richtung Widerlegung der These", Beate Zschäpe habe vom "tödlichen Treiben der beiden Uwes nicht zwangsläufig wissen müssen" am 15. Tag des NSU-Prozesses berichtet Gisela Friedrichsen (spiegel.de). Bis ins letzte "Wohn-Detail" sei die Zwickauer Wohnung des NSU-Trios in Bildern unter die Lupe genommen worden. Über die "virtuelle Ortsbegehung" mit Zschäpe berichtet auch die SZ (Tanjev Schultz) sowie zeit.de (Tom Sundermann).
NSU-Prozess – Richter Götzl: "Entgegen vieler Befürchtungen" gelinge dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl die Führung des NSU-Prozess gut, wenn er auch manchmal ruppig ist, so Tanjev Schultz (SZ). Jedoch: Eine Frage des Respektes wäre es, wenn Götzl "wenigstens den Versuch unternähme", die türkischen Namen der NSU-Opfer richtig auszusprechen.
BAG zu Angabe des Kündigungstermins: Christian Rolfs informiert auf dem BeckBlog über eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes, wonach in einer ordentlichen Kündigung der Hinweis auf die maßgeblichen gesetzlichen Fristenregelungen genüge. Der Arbeitgeber müsse den Kündigungstermin nicht angeben.
BVerwG zu Auskunftsrecht für Journalisten: Der WDR ist nach dem Informationsfreiheitsgesetz und dem WDR-Gesetz zur Auskunft gegenüber Journalisten verpflichtet, die –wie im konkreten Fall Marvin Oppong - wissen möchten, ob es geschäftliche Beziehungen zwischen dem WDR und Firmen gibt, die "in Verbindung zu Mitgliedern des WDR-Rundfunkrates stehen". So entschied bereits das Oberverwaltungsgericht Münster, wie die FAZ (Michael Hanfeld) im Medien-Teil berichtet: Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde des WDR war der Fall bis zum Bundesverwaltungsgericht gegangen.
OVG Lüneburg zu Identitätsfeststellung von Polizei-Filmern: Mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Lüneburg, dass die Polizei die Identität von Personen feststellen darf, die Polizeibeamte im Einsatz filmen bzw. fotografieren, befasst sich der Versammlungsrechtsexperte Klaus Weber für lto.de. Die Polizisten hätten von der "Gefahr" ausgehen können, dass die Aufnahmen von ihnen veröffentlicht würden. Weber sieht in der Identitätsfeststellung als Maßnahme der Gefahrerforschung keinen gravierenden Eingriff.
Anders sieht es Udo Vetter (lawblog.de): Der kalte Hauch der "Einschüchterung durch Kontrolle" wehe durch den Beschluss. Völlig harmlos komme es beim Bürger eben nicht an, wenn er sich für grundsätzlich rechtmäßiges Verhalten erfassen lassen müsse. Auch könne eine Bild-Veröffentlichung in bestimmten Fällen zulässig sein.
LG Bremen zu Kopftuchverbot in Fitnessstudio: Das Landgericht Bremen hat in zweiter Instanz das Kopftuchverbot eines Sportstudios bestätigt, so spiegel.de. Das Fitnessstudio habe die Kopfbedeckung untersagt, um Verletzungen an Trainingsgeräten vorzubeugen. Eine diesbezügliche Diskriminierungsklage bleibt damit erfolglos, eine Revision ist nicht zugelassen.
GBA/ StA Stuttgart – Ermittlungen zu Terrorvorbereitungen: Über die jüngsten Terror-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart sowie der Bundesanwaltschaft in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen berichtet u.a. der SWR-TerrorismusBlog (Holger Schmidt). Die Stuttgarter ermittelten gegen Männer, die "durch Geldüberweisungen aufgefallen" seien. Der Generalbundesanwalt ermittle gegen die zwei festgenommen Studenten, die unter dem Verdacht stehen einen Anschlag mittels ferngesteuerter Modellflugzeuge geplant zu haben. Separat erläutert Schmidt die wechselnden Ermittlungszuständigkeiten im Fall des GBA.
Weitere Themen – Recht im Ausland
IGH – Japanischer Walfang: Über die Rechtmäßigkeit des Walfangs in der südlichen Antarktis streiten ab dem heutigen Mittwoch Japan und Australien vor dem Internationalen Gerichtshof. Die taz (Martin Fritz) berichtet. Australien zweifele vor allem an Japans Versicherung, nur zu wissenschaftliche Zwecken zu jagen.
Das letzte zum Schluss
Scheiden von den Schwiegereltern: Bei einer Scheidung entfällt nicht einfach die Geschäftsgrundlage für einen Altenteilvertrag, der zwischen den ehemaligen Eheleuten und den Eltern des Mannes geschlossen wird. Über die für die geschieden Frau finanziell unglückliche Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm berichtet Hans-Otto Burschel auf dem BeckBlog: Von den Schwiegereltern wird man halt nicht geschieden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in den heutigen Printausgaben oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2013: EuGH sieht Vorratsdatenspeicherung skeptisch – Kein Recht auf Vergessenwerden- "Schluss mit Prozesstricks" . In: Legal Tribune Online, 26.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9009/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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