Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2013: EuGH sieht Vorratsdatenspeicherung skeptisch – Kein Recht auf Vergessenwerden- "Schluss mit Prozesstricks"

26.06.2013

Der EuGH verhandelt bald über die Vorratsdatenspeicherung und bringt schon jetzt die Befürworter in Not. Außerdem in der Presseschau: EuGH-Generalanwalt gegen Recht auf Vergessenwerden, Grundrecht auf Inflationsschutz, ein Blick in Zschäpes Wohnung, Kopftuchverbot im Fitnessstudio und: Eine Scheidung von den Schwiegereltern ist nicht so leicht.

EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Nach Vorlagen der höchsten Gerichte Irlands und Österreichs verhandelt der Europäische Gerichtshof am 9. Juli über die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie. Die Fragen, die der EuGH den Beteiligten vorab zugesandt hat, spiegeln eine tiefe Skepsis der Richter gegenüber der Vorratsdatenspeicherung wieder, so die SZ (Heribert Prantl) in einem ausführlichen Vorbericht. Sie verlangten Auskunft über Zielsetzung und Nutzen der Speicherung und fragen nach Statistiken, die zeigen könnten, dass sich "die Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten" mit der Richtlinie verbessert habe. Solche Statistiken gebe es aber nicht, so die SZ. Das Bundesverfassungsgericht habe im Jahr 2010 zwar das deutsche Ausführungsgesetz verworfen. Die Richtlinie selbst habe es aber weder "zerrissen" - indem sie eine Kompetenzüberschreitung der EU ausgesprochen hätten - noch zumindest "gebrandmarkt". Ersteres hätten sich die Richter nicht getraut, letzteres hätte eine Vorlage an den EuGH bedeutet – das wollte man wohl auch nicht. Zweifel seien laut SZ auch an der Rechtsgrundlage der Richtlinie angebracht: Eigentlich sei für die Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung ein Rahmenbeschluss nötig gewesen. Der hätte aber Einstimmigkeit im Ministerrat erfordert.

Weitere Themen – Rechtspolitik

"Schluss mit Prozesstricks" der Banken und Versicherer: Am 1. Januar kommenden Jahres wird wohl eine Regelung in der Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft treten, wonach "ab dem Beginn der mündlichen Verhandlung die Rücknahme einer Revision nur noch mit Einwilligung des Gegners möglich" ist, so Rechtsanwalt Peter Bert auf der Recht und Steuern-Seite der FAZ. Damit solle die Verhinderung von Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofes durch Banken und Versicherer unterbunden werden: Diese nähmen häufig ihre Revision zurück bzw. erkannten die Klageforderung an, um eine Grundsatzentscheidung zu verhindern.

"Grundrecht auf Inflationsschutz?": In einer Studie für die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" kommt der Heidelberger Rechtsprofessor Ekkehart Reimer zu der Annahme, ein Schutz vor kalter Progression sei verfassungsrechtlich geboten, so das Handelsblatt (Axel Schrinner). Der allgemeine Gleichheitssatz garantiere laut Reimer die "Inflationsneutralität des Steuertarifs".

Reding zu EU-Datenschutz: Im "Gastkommentar" des Handelsblattes erläutert Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, vor dem Hintergrund des Prism-Skandals die "vier Schlüsselbausteine" im Entwurf für die neuen EU-Datenschutzvorschriften und betont noch einmal die Notwendigkeit eines "verstärkten Rechts auf Vergessenwerden". Erstens müsse der territoriale Anwendungsbereich der Vorschriften klar sein: "Wer in unserem Hof spielt", müsse unsere Regeln befolgen. Auch müsse der Begriff der "personenbezogenen Daten" weiter gefasst werden. Drittens müssen die Vorschriften für datenerhebende- und datenverarbeitende Unternehmen gelten und viertens brauche es einen Schutz vor uneingeschränkter internationaler Datenübertragung.

Empörung über Prism/Tempora?: In einem Gastbeitrag zum Datenschutz in Zeiten von Prism und Tempora für spiegel.de plädiert Peter Schaar, Bundesdatenschutzbeauftragter, dafür, die "Ausrede, Transparenz schade der Sicherheit" nicht mehr hinzunehmen – auch in Deutschland sehe er Handlungsbedarf. Die "immer zügellosere Überwachung" könne nur durch ein internationales Abkommen, etwa in Form eines Zusatzprotokolls zum Artikel 17 des UNO-Paktes für bürgerliche und politische Rechte, eingefangen werden.

zeit.de (Christiane Schulzki-Haddouti) zitiert u.a. Jan Philipp Albrecht, Mitglied der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und Verhandlungsführer für die neue Datenschutzgrundverordnung: Die "massenhafte" Datenanalyse verstoße insbesondere gegen Art. 16 des EU-Vertrages.

Heribert Prantl (SZ) wundert sich, dass sich alle so wundern: Die Persönlichkeitsrechte seien doch längst "staatliche Verfügungsmasse" und der "Tribut", den die Bürger ungefragt an die "neue Sicherheitsgesellschaft" zahlen müssten. Der Widerspruch zwischen "demokratischem Geheimdienst" und der Tatsache, dass es "ganz ohne" auch nicht geht, könne nur durch Kontrolle gemildert werden. Dazu auch die Video-Kolumne Prantls (sueddeutsche.de).

"The road to PRISM": Für lto.de setzt sich Juniorprofessor Andrew Hammel ausführlich mit der US-amerikanischen juristischen Architektur der Datenüberwachung auseinander. Im Mittelpunkt stehe der Foreign Intelligence Surveillance Court – das sogenannte "Geheimgericht". Dies sei nur einer "losen parlamentarischen Kontrolle" unterworfen und könne auch "flächendeckende" staatliche Überwachungsaktionen durchwinken. Eine endgültige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der neuartigen Überwachungsprogramme stehe noch aus. Weiter blickt Hammel auf die deutsche Rechtslage, etwa das Parlamentarische Kontrollgremium sowie die G 10-Kommission.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Juni 2013: EuGH sieht Vorratsdatenspeicherung skeptisch – Kein Recht auf Vergessenwerden- "Schluss mit Prozesstricks" . In: Legal Tribune Online, 26.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9009/ (abgerufen am: 02.07.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen