Wenn gewählt wird, wird auch über das Wahlrecht diskutiert. Wie steht es um das Recht für Demente und Betreute? Außerdem in der Presseschau: di Lorenzo wählt doppelt, die kommende BGH-Präsidentin wäre gern auch Holzfällerin geworden, G-10-Kommission zu BND-Tätigkeiten, Snowdens Anwalt im Interview und König Richard III. findet nach turbulentem Leben endlich die letzte Ruhe.
Tagesthema
Wahlrecht für Demenzkranke: Etwa 1,4 Millionen Demenzkranke gibt es in Deutschland. Gut 700.000 davon leiden unter einer so schweren Form, dass sie nicht mehr entscheidungsfähig sind – aber wählen dürfen, so die FAS (Markus Wehner) in einem ausführlichen Beitrag. Oft würde in Familien und Pflegeheimen mit Dementen Briefwahl beantragt, ein "Einfallstor für Missbrauch": Aus Caritas-Heimen etwa kämen nur Stimmen für die CDU, aus Arbeiterwohlfahrt-Einrichtungen nur welche für die SPD. Bislang finde ein Ausschluss vom Wahlrecht über das Betreuungsrecht und eigene Betreuungsgerichte statt, indes nur in Fällen, in denen die Betreuung "in allen Angelegenheiten" angeordnet würde. Doch wer etwa in der Familie gepflegt würde, käme dort erst gar nicht hin. Grüne, Linke und SPD seien gegen einen Ausschluss, der eine Diskriminierung darstelle. Rechtspolitiker der Union diskutierten eine mögliche Übertragung des Wahlrechts in einer Vorsorgevollmacht.
Auf spiegel.de (Anna Stommel/Lukas Ondreka) findet sich ein Beitrag zum Ausschluss Behinderter vom Wahlrecht. Im Mittelpunkt steht der Fall des geistig behinderten Klaus Winkel, der zusammen mit vier weiteren Betroffenen und einer Berliner Anwältin die Bundestagswahl 2013 angefochten hat und für eine Wahlrechtsänderung kämpft – notfalls auch vor dem Bundesverfassungsgericht.
Strafbares Doppelwählen: In der Günther Jauch-Runde (ARD) zur Europawahl erzählte Giovanni di Lorenzo, Zeit-Chefredakteur, am gestrigen Sonntag freimütig, er habe als Doppel-Staatler (Deutschland, Italien) zweimal gewählt. Das fiel nicht nur Wolfgang Schäuble (CDU) in der Runde unangenehm auf. Udo Vetter (lawblog.de) erläutert, damit habe di Lorenzo sich wohl strafbar gemacht: Nach § 6 Absatz 4 des EU-Wahlgesetzes sei es Doppel-Staatlern verboten, zwei Stimmen anzugeben, wer es doch macht, mache sich gemäß § 107a Strafgesetzbuch strafbar.
Rechtspolitik
"Streitfall Miete": Im FAS-Geld & Mehr-Teil befassen sich Corinna Budras und Dyrk Scherff mit dem "Streitfall Miete" und erläutern, wie die für Anfang kommenden Jahres geplante Neuregelungen, unter anderem zu Mietpreisbremsen und Maklerkosten, zum Pyrrhussieg für Mieter werden könnte. So höben viele Vermieter nun noch einmal kräftig die Mieten an, auch drohten Umgehungen wie versteckte Provisionszahlungen oder überhöhte Abstandszahlungen.
Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare: "Berlin gehorcht Karlsruhe: Leider nur aufs Wort" - so fasst Nicolas Nadolny (Verfassungsblog) den Stand der Dinge zum Adoptionsrecht homosexueller Lebenspartner zusammen. Nach einem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei die Sukzessiv-Adoption nun zwar gesetzlich erlaubt worden, für ein volles Adoptionsrecht warteten die Parlamentarier aber wohl lieber auf eine weitere Karlsruher Entscheidung: So könne man die Verantwortung auch viel besser von sich weisen.
Gesetzentwurf gegen Sozialbetrug: Wie die FAS (Thomas Gutschker) berichtet, soll ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Sozialbetrug durch EU-Ausländer bereits Anfang Juni im Kabinett beschlossen werden. Der Entwurf sehe unter anderem vor, Kindergeld-Betrug einzudämmen, indem Zahlungen von Steuernummern abhängig gemacht würden. Streitig sei zwischen den zuständigen Ressorts Innen (CDU) und Arbeit (SPD) noch, wie das geplante Wiedereinreiseverbot in Fällen gestalten werden soll, in denen das Aufenthaltsrecht erschlichen wurde. Das Arbeitsministerium möchte die fünfjährige Einreisesperre von einer strafrechtlichen Verurteilung abhängig machen, das Innenministerium nicht. Problematisch, erläutert die FAS, sei auch die abweichende Rechtsauffassung der EU-Kommission, die gestützt auf die Freizügigkeitsrichtlinie, ein Einreiseverbot nur als rechtmäßig ansehe, wenn die betreffende Person eine "erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung" darstelle. Auf gewöhnliche Betrüger würde dies kaum zutreffen.
Bundeskanzlerin Merkels (CDU) Ausspruch, die EU sei keine Sozialunion, kommentiert Heribert Prantl (Montags-SZ) abweisend: Sie wisse es besser. Corinna Budras (FAS) kommentiert zu den noch ausstehenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes über Sozialleistungen für EU-Ausländer. Deutsche Sozialgerichte hätten in Hunderten Entscheidungen entgegen des eindeutigen Gesetzeswortlautes zugunsten von Hartz IV-Leistungen für EU-Bürger in Deutschland entschieden und damit quasi selbst die Sozialunion ausgerufen. Indes, so Budras, gefährde genau dies eine Kernidee der europäischen Gemeinschaft, die Freizügigkeit. Einreisesperren gegen Sozialbetrüger ließen sich eben nur mit konsequenten Grenzkontrollen durchsetzen.
Betäubungsmittelrecht: Im Gespräch mit lto.de (Jan Rebuschat) äußert sich der Strafrechtsprofessor Gunnar Duttge kritisch gegenüber der Petition einiger seiner Kollegen zur Legalisierung des Cannabis-Konsums. Dass das Strafrecht den Drogenkonsum nicht verhindere, sei jedenfalls kein Argument für eine Legalisierung.
65 Jahre Grundgesetz: Auf der Titelseite der Samstags-FAZ beschreibt Reinhard Müller das deutsche Grundgesetz als einen Stabilitätsanker, der von Spannungen zwischen den Verfassungsorganen lebendig gehalten und dessen Grundrechte gerade von den Verfassungsrichtern immer wieder "in die Zeit gestellt" würden. Das Grundgesetz sei "anpassungsfähig", "zeitlos modern" und auch "weltoffen" - daran ändere auch Einschränkungen des Asylrechts nichts, die der Festredner im Bundestag, der Autor Navid Kermani, herzlos nannte. Die Rede findet sich abgedruckt im Spiegel-Kulturteil.
Zur Feier im Bundestag berichten auch die Samstags-SZ (Constanze von Bullion) und die Samstags-taz (Daniel Bax).
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk (Stephanie Rohde) gratuliert der Würzburger Staatsrechtslehrer und Rechtsphilosoph Horst Dreier dem Grundgesetz zum Geburtstag und prognostiziert, "es [wird] noch ein weit stattlicheres Alter erreichen".
Interview Datenschutzbeauftragte: Im Interview mit focus.de (Markus Bauer) spricht die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff über ihre Rolle als Datenschützerin, eine europäischen Datenschutzgrundverordnung, den NSA-Abhärskandal, das Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofes, warum sie ein spezielles Grundrecht auf Vergessenwerden nicht für geboten hält, Geheimdienstkontrollen, das No-Spy-Abkommen, wie Bürger sich selbst schützen können und warum sie die Möglichkeit haben will, Datenschutzverstöße von Telekommunikations- und Postdienstleistern mit Bußgeldern zu sanktionieren.
Interview Handelskommissar: Die Montags-taz (U. Herrmann/M. Kreutzfeldt/K. Schöneberg) spricht mit EU-Handelskommissar Karel De Gucht über das geplante geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU. De Gucht glaube an einen Druchbruch noch Ende 2014, ohne die nationalen Parlamente wolle aber niemand das Abkommen durchdrücken.
Justiz
Neue BGH-Präsidentin?: Bettina Limperg, bislang Amtschefin des baden-württembergischen Justizministeriums, die früher mal Lastwagenfahrerin und Holzfällerin werden wollte – so der Focus in einer Kurzmeldung – ist vergangene Woche vom Richterwahlausschuss als eine der neuen Richter für den Bundesgerichtshof (BGH) gewählt worden. Es gelte als sicher, dass Limperg im Juli zur neuen Präsidentin des BGH gewählt würde. Bislang sei dort lediglich jeder fünfte Richterposten mit einer Frau besetzt.
EuGH zu Google-Suchlisten: "Nicht einmal Datenschützer freut das Urteil gegen Google", bilanziert die Samstags-FAZ (Joachim Jahn, Wirtschaftsteil) die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Ratlosigkeit herrsche auf allen Seiten. So kritisiere nicht nur der deutsche Google-Jurist Per Meyerdierks, dass das Votum des zuständigen Generalanwaltes Niilo Jääskinen nicht genügend von Gericht aufgegriffen worden sei. Selbst der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar zeige sich nicht zufrieden: Es gäbe kein Recht, nur positiv in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden. Problematisch seien auch die in den EU-Staaten unterschiedlichen Rechtslagen – daher hoffe Schaar auf die seit langem diskutierte Datenschutzgrundverordnung, die auch ein Recht auf Vergessen regeln solle.
BGH zu Medienfreiheit: Thomas Stadler (internet-law.de) wundert sich über die Urteilsgründe einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus diesem April zur Nennung von Kindern von Prominenten in der Berichterstattung. Dabei stütze der BGH die Argumentation auf die Medien- statt die Pressefreiheit.
OLG Koblenz zu Nacktaufnahmen: Im Spiegel (Dietmar Hipp, Medien-Teil) findet sich ein ganzseitiger Bericht zu einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz aus der vergangen Woche. Eine Frau habe von ihrem Ex-Partner die Löschung intimer Bild- und Videoaufnahmen verlangt und Recht bekommen. Das OLG habe entschieden, der Fotograf müsse entsprechende Dateien, auf denen seine Ex-Partnerin nackt, nur in Unterwäsche und/oder nach dem Geschlechtsverkehr zu sehen war, löschen. Es bestehe bei Dateien eine Gefahr auch der ungewollten Weitergabe an Dritte. Eine Einwilligung der Frau zum Besitz intimer Aufnahmen in Dateiform sei nur solange gültig, wie die Beziehung bestehe. Offen ließ das Gericht, was bei Aufnahmen gelten würde, auf denen beide Partner zusammen zu sehen seien; Rechtsexperten beantworteten die Frage unterschiedlich.
StA Münster – Westlotto: In einem mehrseitigen Beitrag im Spiegel (J. Dahlkamp/G. Latsch/J. Schmitt, Zusammenfassung) geht es darum, wie die staatliche Westlotto-Gesellschaft Gewinner hoher Beträge in die Arme der Privatbank Merck Fink & Co. trieb. Dort seien die Gewinner in riskante Investments wie Immobilien- oder Schiffsfonds gelockt worden, wo sie hohe Verluste erlitten hätten. Die Staatsanwaltschaft Münster ermittle wegen des Verdachts der Vorteilsannahme gegen einen mittlerweile entlassenen Berater der Westlotto, "eingeschaltet" von der Gesellschaft selbst, die auch eine Anwaltskanzlei mit einer Überprüfung beauftragt habe.
Titel gegen Thomas Middelhoff: Wie die Samstags-FAZ (Henning Peitsmeier/Joachim Jahn) im Wirtschaftsteil berichtet, sind Thomas Middelhoff, Ex-Arcandor-Chef, dem derzeit vor dem Landgericht Essen der Prozess wegen Untreue gemacht wird, in Verhandlungspausen über Gerichtsvollzieher Forderungen in Millionenhöhen zugestellt worden. Eine notariell beurkundete Forderung seines ehemaligen Geschäftspartners Roland Berger belaufe sich auf knapp über sieben Millionen Euro.
Recht in der Welt
Schweiz – Volksinitiative gegen Pädophile: Es gäbe nur die Wahl zwischen Verfassungswidrigkeit und Verfassungswidrigkeit: "Entweder wird das Gebot der Verhältnismäßigkeit verletzt oder der Volkswille missachtet", so der Rechtswissenschaftler Hüseyin Celik (Verfassungsblog) über eine jüngst erfolgreiche Initiative, die vom Schweizer Volk angenommen wurde. Danach solle es pädophile Straftätern – lebenslänglich und ohne Einzelfallprüfung – verboten werden, beruflich oder ehrenamtlich mit Kindern zu arbeiten.
Sonstiges
G-10-Kontrollkommission zu BND: Die gesetzlichen Grundlagen des Bundesnachrichtendienstes zur Telekommunikations-Überwachung Nichtdeutscher im Ausland sind nach mehrheitlicher Meinung der Mitglieder der G-10-Kontrollkommission nicht ausreichend, so zeit.de (Yassin Musharbash). Weiter erinnert der Beitrag an die für diesen Mittwoch geplante Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu den rechtlichen Grundlagen der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes. Geklagt habe der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting.
NSA-Untersuchungsausschuss: Die Stellungnahme der ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Wolfgang Hoffmann-Riem, sowie des Mannheimer Juniorprofessor Matthias Bäcker, die als Sachverständige im NSA-Untersuchungsausschuss waren, verlinkt Thomas Stadler (internet-law.de) und fasst die Positionen zu Überwachungsaktitväten von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz noch einmal zusammen.
Über die Reaktionen – insbesondere des BND-Chefs Gerhard Schindler – auf die "deutliche Klatsche", den BND-Tätigkeiten fehle die gesetzliche Regelung, berichtet die Samstags-taz (Konrad Litschko). Dazu auch die Samstags-SZ (Stefan Braun).
Snowden-Anwalt im Interview: Der Anwalt Edward Snowdens in Deutschland, Wolfgang Kaleck, spricht mit dem Spiegel (Hubert Gude/Jörg Schindler) über die derzeitige und künftige Situation Snowdens in Russland, die Möglichkeiten einer Einreise nach Deutschland und eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss, was ihn vor einer Auslieferung an die USA schützt, was Kaleck sich von der deutschen Öffentlichkeit wünscht, die Verdienste Snowdens für die junge Generation, warum der deutsche Innenminister Snowden zu Unrecht als Rechtsbrecher bezeichnet und welches Risiko Snowden auf sich genommen hat, um die Öffentlichkeit über die USA-Überwachung aufzuklären.
"Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie der NSU": In der Welt am Sonntag findet sich von Stefan Aust und Dirk Laabs eine mehrseitige Geschichte über den NSU, die Rolle des Verfassungsschutzes, V-Personen und Akten-Schreddern, basierend auf dem Buch "Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie der NSU" von Aust und Laabs. Separat informiert die Welt am Sonntag darüber, dass die Grünen im Bundestag einen neuen Untersuchungsausschuss zum NSU einsetzen lassen wollen.
Strafvollzug: Schleswig-Holstein will den Strafvollzug familienfreundlicher gestalten und so auch die Rückfallgefahr reduzieren, meldet knapp die Samstags-Welt. So solle es etwa Vätergruppen geben, die den Inhaftierten Anregungen geben sollen, wie sie die Zeit mit ihren Kindern in der JVA gestalten können.
3D-Drucker und Urheberrecht: Mit den insbesondere urheberrechtlichen Implikationen der kostengünstigen Reproduktion von Objekten mit 3D-Druckern befasst sich der Rechtswissenschaftler Martin Mengden für lto.de und erläutert, warum schon die Bereitstellung von 3D-Druckvorlagen zum Herunterladen rechtswidrig sein kann.
Das Letzte zum Schluss
Richard kommt zur Ruhe: Wie welt.de berichtet, hat ein britisches Gericht dem britischen König Richard III. (1452-1485) eine letzte Ruhestätte in der Nähe des Ortes Leicester verschafft. Nachfahren des bei der Schlacht von Bosworth umgekommenen Königs hatten seine sterblichen Überreste, die im Jahr 2012 unter einem Parkplatz gefunden worden waren, bei York begraben wollen, dies hätte, so die Erfolglosen, seinem Willen entsprochen. Ob es eine Berufung gibt, sei indes noch nicht entschieden.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. bis 26. Mai 2014: Wahlrecht für Demenzkranke - Doppelwähler di Lorenzo - Schweiz: Berufsverbot für Pädophile . In: Legal Tribune Online, 26.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12083/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag