Das BVerfG verhandelt über die Redefreiheit des Bundespräsidenten – und deutet an, es damit nicht allzu eng sehen zu wollen. Außerdem in der Presseschau: EuGH zu Hyperlinks, Gesetzentwurf gegen Optionspflicht, LG Frankfurt verurteilt "Börsen-Guru", keine Prügel nach Hänselei, Pistorius-Prozess live und Italiens Gerichte schützen Kidnap-Spione.
Thema des Tages
BVerfG – Joachim Gauck: Am gestrigen Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht über einen Organstreit der NPD gegen Bundespräsident Joachim Gauck verhandelt, den die Partei anlässlich kritischer Äußerungen Gaucks gegenüber Gegnern eines Asylbewerberheims eingeleitet hatte. In dem Verfahren geht es um die Reichweite der Äußerungsbefugnisse des Bundespräsidenten. Weil die Verfassung "über die politische Rolle des Bundespräsidenten" "so gut wie nichts" verrate, hält die SZ (Constanze von Bullion) eine Grundsatzentscheidung für möglich. Dabei müssten die Richter "eine Gratwanderung" zwischen parteipolitischer Neutralität und dem Eintreten für die Grundwerte der Verfassung durch den Bundespräsidenten vollziehen. Auch die FAZ (Reinhard Müller) berichtet von der Verhandlung; die Richter seien auf der Suche "nach den Grenzen des Sagbaren" und hätten insbesondere die NPD-Anwälte danach gefragt, "wo genau die Grenzen für Äußerungen des Bundespräsidenten lägen". Die taz (Christian Rath) vermeint eine Tendenz der Richter "zur Redefreiheit" auszumachen.
Rechtspolitik
Optionspflicht: Die Länder Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg werden bei der nächsten Bundesratssitzung einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Optionspflicht im Staatsbürgerschaftsrecht einbringen. Sie stellten sich damit gegen einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Ausnahmen von der Optionspflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen zulasse, berichtet die SZ (Nadia Pantel).
Nacktbilder: Der Medienrechtler Marc Liesching beschäftigt sich auf lto.de mit den Reformvorschlägen für die Strafbarkeit von Nacktdarstellungen von Kindern. Er erläutert, was die aktuelle Rechtslage "im Detail vorsieht" und welche Änderungen er für sinnvoll hält. So müsse insbesondere die Diskrepanz der "Verbotsreichweite" zwischen Online- und Offline-Medien angeglichen werden.
Selbstanzeige im Steuerrecht: In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) für eine Beibehaltung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerrecht. Neben finanziellen Argumenten spreche dafür auch, dass die Selbstanzeige im durch Auskunftspflichten geprägten Steuer(straf)recht einen allzu scharfen Konflikt mit dem "Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung" vermeide.
Schiedsgerichte: Vor dem Hintergrund der Diskussion um Schiedsgerichtsklauseln im Handelsabkommen zwischen EU und USA bricht Patricia Nacimiento auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ eine Lanze für die Schiedsgerichtsbarkeit. Diese stünde zu Unrecht im Ruf einer geheimen Paralleljustiz der Konzerne. Politische Entscheidungsspielräume könnten durch Ausnahmen gewahrt werden, die Arbeit der Gerichte unterläge zudem "festen und transparenten Regeln".
Justiz
EuGH zu Hyperlinks und Urheberrecht: Die Veröffentlichung eines Hyperlinks auf ein im Internet veröffentlichtes, urheberrechtlich geschütztes Werk ist auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers zulässig. Das hat der Europäische Gerichtshof im Fall "Svensson" entschieden, den Rechtsanwalt Fabian Seip auf dem Handelsblatt Rechtsboard vorstellt.
BGH zu anteiligem GmbH-Verkauf: Auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ stellt Rechtsanwalt Klaus J. Müller eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum anteiligen Verkauf von GmbH-Anteilen vor. Das Gericht habe dabei keine strengen Anforderungen an die Bestimmtheit des Gesellschafterbeschlusses gestellt, der die Übertragung gestattet.
BGH zu Anwaltskosten im Spruchverfahren: Ein Rechtsanwalt, der sich selbst in einem sogenannten Spruchverfahren gegen eine Aktiengesellschaft vertritt, kann dafür keine Rechtsanwaltsgebühren geltend machen. Das hat laut FAZ (Joachim Jahn) der Bundesgerichtshof entschieden.
BGH zu Schufa-Scoring: Die Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs zum Schufa-Scoring liegt nun vor. Thomas Stadler (internet-law.de) hat sie gelesen und vertieft seine Kritik an der Entscheidung.
LG Frankfurt zu Börsenschwindler: Der ehemals als "Börsen-Guru" bezeichnete frühere TV-Moderator und Buchautor Markus Frick ist vom Landgericht Frankfurt wegen der Manipulation von Aktienkursen zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt worden. Der Verurteilte hatte ein umfassendes Geständnis abgelegt und müsse nun möglicherweise mit dem Widerruf der Bewährungsaussetzung einer früheren Strafe rechnen, berichten SZ (Markus Zydra) und FAZ (Helmut Schwan/Joachim Jahn). Auch die FR (Sebastian Wolff) berichtet.
AG München – Landtagsabgeordneter verurteilt: Der SPD-Landtagsabgeordnete Harald Güller ist vom Münchner Amtsgericht wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 27.000 Euro verurteilt worden, weil er seinen Stiefsohn in seinem Büro beschäftigt hatte. Über das erste Urteil in der "sogenannten Verwandtenaffäre" berichtet die SZ (Stefan Mayr/Frank Müller).
LG Hannover – Olaf Glaeseker: Die FAZ (Robert von Lucius) berichtet, dass der frühere Sprecher von Ex-Bundespräsident Christian Wulff (CDU), Olaf Glaeseker, im Korruptionsprozess vor dem Landgericht Hannover von mehreren Zeugen entlastet worden sei.
StA Hannover – Edathy-Ermittlungen: Christian Bommarius (FR) kritisiert, dass bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover gegen Sebastian Edathy (SPD) offenbar die Unschuldsvermutung "außer Kraft gesetzt" und durch "das Recht der Ankläger ersetzt" worden sei, "die Presse detailliert auf dem Laufenden zu halten". Edathy bleibe gar nichts anderes übrig, als sich dagegen jetzt mit einer Strafanzeige zu wehren.
LG München zu GEMA vs. Youtube: Die GEMA hat vor dem Münchner Landgericht einen Sieg gegen die Online-Videoplattform Youtube und deren Betreiber Google errungen. Diese muss künftig ihren Hinweis abändern, mit dem sie auf in Deutschland wegen des Urheberrechts gesperrtes Material hinweist. Der bislang verwendete Hinweistext sei eine "absolut verzerrte Darstellung der rechtlichen Auseinandersetzung zu Lasten der GEMA", zitiert lawblog.de (Udo Vetter) aus der Pressemitteilung des Gerichts.
Kirch-Prozesse: Die Kirch-Erben haben als Folge des geschlossenen Vergleichs nicht nur alle Gerichtsverfahren zurückgenommen, sondern auch sämtliche Vorwürfe gegen die Deutsche Bank und deren ehemaligen Chef Rolf-Ernst Breuer zurückgezogen. Das könnte Auswirkungen auf die Beteiligung der Berufshaftpflichtversicherung Breuers an der Vergleichszahlung und auch anhängige staatsanwaltliche Ermittlungen haben, berichtet die FAZ (Joachim Jahn). Auch sämtliche Strafanzeigen seien zurückgezogen worden, was Verfahrenseinstellungen erleichtern könnte.
VG Berlin zu Prügelei nach Hänseln: Auch wer durch Hänselei provoziert wird, kann von seiner Schule einen Verweis und eine Ordnungsstrafe erhalten, wenn er sich dagegen mit Gewalt wehrt. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Fall entschieden, in dem eine Schule nach einer so provozierten Prügelei beide beteiligten Schüler entsprechend sanktioniert hatte, meldet die SZ.
VG Köln zu E-Zigarette: Das Konsumieren von E-Zigaretten ist in nordrhein-westfälischen Gaststätten nicht verboten. Das hat laut lto.de das Verwaltungsgericht Köln auf die Klage eines Wirts entschieden, weil die E-Zigarette nicht im Sinne des Nichtraucherschutzgesetzes "geraucht" werde.
Erbrechts-Urteile: focus.de (Catrin Gesellensetter) präsentiert die "20 wichtigsten Urteile zum Erbrecht".
Recht in der Welt
Italien – Freispruch für Geheimdienstler: Der Kassationsgerichtshof in Rom hat fünf italienische Geheimdienstmitarbeiter letztinstanzlich freigesprochen. Ihnen war vorgeworfen worden, an der Entführung eines ägyptischen Imams durch die CIA beteiligt gewesen zu sein. Anders als die Vorinstanz habe das Gericht das belastende Material aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichts als Staatsgeheimnis eingestuft und deswegen für unverwertbar gehalten, berichtet die taz (Michael Braun).
Ukraine – Janukowitsch soll vor IStGH: Das ukrainische Parlament hat am Dienstag beschlossen, dass sich Ex-Präsident Viktor Janukowitsch vor dem Internationalen Strafgerichtshof für die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Kiew verantworten soll. Das berichtet die SZ und zeit.de.
Russland – Haft für Oppositionelle: Ein Moskauer Gericht hat einem Bericht der FAZ (Friedrich Schmidt) zufolge mehrere oppositionelle Demonstranten zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt. Ihnen sei vorgeworfen worden, am Montag an einer nicht genehmigten Demonstration in Moskau teilgenommen zu haben.
Südafrika – Pistorius-Prozess live: Der am kommenden Montag beginnende Prozess gegen den südafrikanischen Paralympics-Star Oscar Pistorius darf mit Ausnahme der Vernehmung des Angeklagten selbst live im Fernsehen übertragen werden. Das habe das Gericht nach Protesten der Verteidigung entschieden, berichtet die FAZ (Thomas Scheen, Zusammenfassung), die mit "einem der spektakulärsten Gerichtsprozesse in der Geschichte der südafrikanischen Justiz" rechnet. Der Sportler sei angeklagt, weil er seine Freundin durch die Badezimmertür hindurch erschossen haben soll. Er selbst berufe sich darauf, sie für einen Einbrecher gehalten zu haben.
CAS – Dopingsperre: Die SZ (Thomas Kistner) berichtet im "Sport"-Teil noch einmal ausführlich über das Doping-Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS gegen den Radprofi Patrick Sinkewitz. Der eigentlichen "Kernfrage" des Prozesses, wie verlässlich der "von Experten angezweifelte" Test auf das Wachstumshormon HGH sei, sei das Gericht dabei aber nicht nachgegangen.
Sonstiges
Suizidbeihilfe: Die taz (Heike Haarhof) stellt die Ergebnisse einer Umfrage zu den Regelungen der jeweiligen Landesärztekammern zur Suizidbeihilfe vor. Das ärztliche Standesrecht sei demnach bundesweit sehr unterschiedlich; am liberalsten seien Berlin und die süddeutschen Länder. In vielen Bundesländern riskierten Ärzte dagegen die Approbation, wenn sie Suizidbeihilfe leisteten.
In einem gesonderten Kommentar kritisiert Haarhof das System als "ähnlich absurd wie das föderale Bildungssystem" und plädiert dafür, die Entscheidung für oder gegen Suizidbeihilfe dem Gewissen der jeweiligen Ärzte zu überlassen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 26. Februar 2014: Gauck'sche Redefreiheit – "Börsen-Guru" verurteilt – Italien schützt Geheimdienstler . In: Legal Tribune Online, 26.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11167/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag