Darf ein Bundespräsident von Spinnern reden und womöglich NPD-Anhänger meinen? Das BVerfG verhandelt. Außerdem in der Presseschau: Kritik am Nacktbilder-Vorschlag, VerfGH zu Steuer-CDs, Wasserpreis-Senkung rechtens, Günther Oettinger zu Gast bei Olaf Glaeseker, neue Edathy-Anzeige, Homosexualität in Uganda und der BGH zur gefährlichen Verhütungsmethode Kondom.
Thema des Tages
BVerfG – Joachim Gauck: Im vergangenen Jahr bewegten Proteste gegen ein Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf die Öffentlichkeit und den Bundespräsidenten Joachim Gauck. Bei einem Auftritt in einem Oberstufenzentrum äußerte er in Bezug auf die Proteste, dass es Bürger brauche, "die auf die Straßen gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen." Ob er hiermit, nur einen Monat vor der Bundestags-Wahl, gegen das Gebot der parteipolitischen Neutralität verstoßen hat oder gar die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit der NPD, die ein Organstreitverfahren anstrengte, verletzt hat, wird am heutigen Dienstag in einer mündlichen Verhandlung vom Bundesverfassungsgericht erörtert.
Die Berichte von Welt (Claudia Kade) und SZ (Constanze von Bullion) halten dabei grundsätzliche Erwägungen des Gerichts zu den Äußerungsbefugnissen des Staatsoberhauptes für möglich. Ein unmittelbar nach der Äußerung angestrengtes Eilverfahren der Partei blieb zum damaligen Zeitpunkt erfolglos. Nach einer Stellungnahme Gaucks konnte davon ausgegangen werden, dass er sich "der Gefährdungslage bewusst" sei und nicht zu erwarten gewesen sei, dass er sich anlässlich der Wahl zugunsten oder zulasten einer Partei äußern würde. Ein persönlicher Auftritt des Bundespräsidenten werde nicht erwartet.
Rechtspolitik
Nacktbilder: Der Forderung nach einer Verschärfung der Strafbestimmungen zum Handel mit Nacktbildern von Kindern als Konsequenz aus den Ermittlungen gegen den ehemaligen Bundestags-Abgeordneten Sebastian Edathy (SPD) entgegnet Udo Vetter (lawblog.de) mit der dringenden Empfehlung, einen Blick in das Kunsturhebergesetz zu werfen. Der dortige § 22 verbiete die Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen, "unabhängig vom Alter der Betroffenen" und "unabhängig vom Grad der Bekleidung", § 33 des Gesetzes bestrafe die Zuwiderhandlung. Spiegel.de (Dietmar Hipp) schreibt über die Kritik von Experten, die etwa die Einordnung von Nacktbildern als Persönlichkeitsrechtsverletzung befürworten.
Rassismus: Die SZ (Javier Caceres) berichtet über einen am heutigen Dienstag vorgestellten Deutschland-Bericht der Antirassismus-Kommission des Europarats. Die Kommission fordere, rassistische Beweggründe einer Tat als erschwerenden Umstand bei der Festlegung der Strafe zu berücksichtigen. Auch solle der Volksverhetzungs-Paragraf reformiert werden, weil der Nachweis einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in der Praxis nur schwierig zu führen sei. Lobend erwähne der Bericht dagegen die "rasche und konsequente Reaktion" auf Verfehlungen von Sicherheitsbehörden im Zusammenhang der NSU-Mordserie.
Bahnreform: Am morgigen Mittwoch stimmt das EU-Parlament über ein Gesetzespaket zum europäischen Bahnmarkt ab. Die FAZ (Michael Stabenow) stellt in ihrem Wirtschafts-Teil einzelne Regelungen der Reform, die den Wettbewerb erhöhen soll, vor. So zum Beispiel die von der Deutschen Bahn bis zuletzt bekämpfte klare Trennung von Infrastruktur und Betrieb. Die ebenfalls vorgesehene Festschreibung eines von Bahnanbietern zu sichernden "Mindestleistungsniveaus" wertet Eva Völpel (taz) in ihrem Kommentar als Einschränkung des Streikrechts der im Schienenbereich Beschäftigten.
Schiedsgerichte: Das Handelsblatt (Catrin Gesellensetter) erläutert die Praxis von Schiedsgerichten und lässt hierzu mehrere Experten zu Wort kommen. Speziell Unternehmen, die international tätig seien, hielten die Vereinbarung von Schiedsgerichtsklauseln, die vertrauliche Verfahren ohne die "oft starren nationalen Prozessordnungen" ermöglichen würden, für sinnvoll zum Zwecke befriedigender Streitbeilegung.
Selbstanzeige: In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt spricht sich Michael Sell, Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium, für die Beibehaltung der Selbstanzeige im Steuerrecht aus. Das 1919 eingeführte Instrument sei "ein rechtsstaatlicher, fiskalischer und verwaltungsökonomischer Erfolg."
Justiz
EGMR - "Lösegeld"-Erstattung: Die SZ (Christiane Schlötzer) berichtet aus Anlass des bevorstehenden Griechenland-Besuchs Joachim Gaucks über eine vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig gemachte Klage der Jüdischen Gemeinde von Thessaloniki gegen die Bundesrepublik, mit der die Erstattung von 50 Millionen Euro gefordert wird. Während der Besatzung durch NS-Truppen hatte der örtliche Befehlshaber von der Gemeinde mehrere Milliarden Drachmen "Lösegeld" für Freistellungen von Zwangsarbeit gefordert. Obwohl ein überwiegender Teil der Forderung bezahlt wurde, überlebte nur ein kleiner Teil der Betroffenen. Vor griechischen Gerichten sei die Forderung unter Berufung auf den Grundsatz der Staatenimmunität abgewiesen worden, dieses Schicksal drohe auch der nun jetzigen Klage.
BVerfG zum Rückwirkungsverbot: In einem in der letzten Woche veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch die gesetzgeberische "Klarstellung" dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot unterfällt. Rechtsanwalt Gunnar Knorr stellt für lto.de die Entscheidung, ihren Hintergrund und den Unterschied zwischen echter und unechter Rückwirkung vor.
VerfGH Rheinland-Pfalz zu Steuer-CDs: Steuerfahnder dürfen sich bei ihren Ermittlungen auch auf angekaufte CDs mit Steuerdaten stützen, entschied der Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz nach Bericht der taz (Christian Rath). Allerdings sei im Einzelfall zu prüfen, ob sich Beamte bei der Beschaffung von Daten strafbar gemacht hätten, das rechtswidrige Handeln Dritter könne dem Staat unter bestimmten Voraussetzungen zugerechnet werden. Die Beschäftigung mit dem Ankauf von Steuer-CDs weise inhaltlich über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010 hinaus.
OLG Düsseldorf zu Wasserbetrieb: Die vor zwei Jahren vom Bundeskartellamt verfügte Preissenkung bei den Berliner Wasserbetrieben erfolgte rechtmäßig. Dies entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf nach einem Bericht der FAZ (Helmut Bünder/Jan Hauser) im Wirtschafts-Teil. Gegen das von der Aufsichtsbehörde verwendete Vergleichskonzept zur Festlegung der Höhe der Preissenkung sei nach Ansicht des Gerichts "methodisch und rechnerisch" nichts einzuwenden. Auch die taz-Berlin (Sebastian Heiser) berichtet.
LG Hannover – Olaf Glaeseker: Die SZ (Marc Widmann) schreibt über das vor dem Landgericht Hannover laufende Verfahren gegen Olaf Glaeseker, den ehemaligen Sprecher Christian Wulffs (CDU), wegen Bestechlichkeit. Zur Sachaufklärung nur wenig beigetragen habe die Vernehmung Günther Oettingers (CDU), der als damaliger Ministerpräsident Baden-Württembergs gemeinsam mit Wulff die Schirmherrschaft über die in Frage stehende Veranstaltung übernommen hatte. Dagegen habe ein schwäbischer Unternehmer beschrieben, wie er – durch Glaeseker und Wulff animiert – einen "schwäbische Betrag" von 10.000 Euro für die Veranstaltung überwies. Dem Bericht der Welt (Ulrich Exner) ist zu entnehmen, dass eine Entscheidungs-Prognose "im Gegensatz zum Wulff-Prozess" nicht möglich sei.
StA Bochum – UBS: Die Schweizer Bank UBS steht offenbar davor, eine Strafzahlung von bis zu 200 Millionen Euro für die Einstellung der Ermittlungen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu akzeptieren, berichtet die SZ (Klaus Ott). Die von der Staatsanwaltschaft Bochum geführten Ermittlungen gegen die Bank beruhten auf Erkenntnissen einer 2012 vom Land Nordrhein-Westfalen angekauften CD.
Redtube: Die SZ (Johannes Boie) gibt in ihrem Panorama-Teil einen Überblick zum gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse über die Redtube-Abmahnungen. Sie nennt sechs Hauptverantwortliche für die massenhaft verschickten Abmahnungen und zeichnet den möglichen Weg der Sammlung von IP-Adressen durch ein mutmaßliches "Schnüffelprogramm" nach. Ein weiterer Beitrag (Johannes Boie) erklärt die unterschiedliche rechtliche Bewertung von Streams und Downloads und behauptet, dass sich der Download von mp3-Musikdaten "rechtssicher überwachen und beweisen" lasse.
Terror-Reisende: Mit den juristischen Mitteln, "radikale Islamisten an einer Reise nach Syrien zu hindern", befasst sich die FAZ (Reinhard Müller). So stellt ein 2009 verabschiedetes Gesetz die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei bei der Anwendung jedoch ein gewisser Inlandsbezug nötig. Auch wenn sich dieser etwa durch die deutsche Staatsbürgerschaft der Betroffenen herstellen lasse, sei eine Entscheidung des Kammergerichts beachtlich, nach der eine "wenigstens im Groben konkretisierte Planung" einer Tat nachzuweisen sei. Bei offensichtlichen Absichten könne auf das Gefahrenabwehrrecht zurückgegriffen und eine gefährliche Person an der Ausreise gehindert werden.
Edathy: Wie FAZ (Günter Bannas/Majid Sattar) und taz (Ulrich Schulte) berichten, hat Sebastian Edathy (SPD) eine weitere Anzeige gegen die Staatsanwaltschaft Hannover gestellt. Hintergrund seien in der FAS zitierte Auszüge aus den Ermittlungsakten.
Recht in der Welt
CAS – Dopingsperre: Der Internationale Sportgerichtshof CAS hat den deutschen Radprofi Patrick Sinkewitz wegen Doping zu einer achtjährigen Sperre verurteilt, meldet die SZ (Zusammenfassung). Das Gericht hob damit einen Freispruch des deutschen Sport-Schiedsgerichts DIS auf, der sich auf angebliche Zweifel an der wissenschaftlichen Verlässlichkeit der durchgeführten Tests stützte.
Liechtenstein – Steueroase: In einem Gastbeitrag für den Finanzmärkte-Teil der FAZ erläutert Rechtsanwalt Karsten Randt die Bemühungen des Fürstentums Liechtenstein, seinen Ruf als "Steueroase" abzuschütteln. So seien zahlreiche internationale Abkommen geschlossen und auch die nationalen Finanzaufsichtsregeln verschärft worden. Auslöser für diesen Versuch, "Rechts- und Reputationsrisiken für den gesamten Finanzplatz auszuschließen", sei die 2008 erfolgte Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen Klaus Zumwinkel gewesen.
Norwegen – Breivik: Spiegel.de meldet, dass eine Beschwerde des verurteilten Massenmörders Anders Behring Breivik gegen seine als "schwere Folter" beschriebenen Haftbedingungen zurückgewiesen wurde.
USA – Klimawandel: Mehrere US-Bundesstaaten und industrielle Lobby-Verbände haben ein Verfahren vor dem Supreme Court gegen Pläne der Umweltbehörde des Landes zur Begrenzung von CO2-Emissionen angestrengt. Nach dem Bericht der Welt (Tina Kaiser) rügen die Kläger eine Kompetenzüberschreitung der Behörde. Im Streit stünde aber auch die vom Präsidenten Barack Obama zunehmend unternommene Praxis, Gesetze an der Legislative vorbei als sogenannte "Executive Order" durchzusetzen, in der Kritik.
Uganda – Homosexualität: Ein nun in Kraft getretenes ugandisches Gesetz erweitert die Strafbarkeit der "Förderung" homosexueller Handlungen. In seinem Kommentar meint Dominic Johnson (taz), dass internationale Proteste wenig bringen würden: "Präsidenten, die offenkundigen Blödsinn als Akt des Widerstands gegen äußeres Diktat darstellen, legitimiert man dadurch eher noch." Stattdessen wäre zu hoffen, dass die Neuregelung folgenlos bliebe: "Gesetze gegen Korruption in Uganda sind es ja auch."
Australien – Menschenrechte: Seit 2011 verhandelt die EU mit Australien über eines Rahmenabkommens zur Verstärkung der gegenseitigen Handelsbeziehungen. Nach Darstellung der FAZ (Helene Bubrowski) stocken die Verhandlungen gegenwärtig wegen des Bestehens der EU auf einer Klausel, nach der die Zusammenarbeit von der Einhaltung der Menschenrechte, Fortschritten beim Umweltschutz und verantwortliche Regierungsführung beim designierten Vertragspartner abhängig gemacht würde. Führende australische Politiker verwahrten sich gegen derartige, auch in vergleichbaren Abkommen mit anderen Ländern enthaltene Forderungen.
Sonstiges
Beltracchi: Die FAZ (Rose-Maria Gropp) setzt sich in ihrem Feuilleton kritisch mit einem Dokumentarfilm über den Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi auseinander. So sei problematisch, dass als Regisseur der Sohn des Anwalts fungiere. Auch diente der Film, der am heutigen Dienstag Premiere feiert, wohl eher der "Selbstvermarktung" des Verurteilten, statt die Hintergründe des von ihm und der Staatsanwaltschaft geschlossenen Deals zu beleuchten.
NSU-Mahnmal: In Rostock wird am heutigen Dienstag ein Mahnmal zu Ehren des mutmaßlichen NSU-Opfers Mehmet Turgut eingeweiht. Der Bericht der taz (Ambros Waibel) bemängelt hierzu in der Projektbeschreibung verwendete Formulierungen, nach denen etwa rechter Terror "ein Anschlag gegen das Fremde" sei.
Das Letzte zum Schluss
Gefährliche Verhütung: In einem Urteil zu einer Vaterschaftsanfechtung aus dem Dezember beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit der tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Sicherheit von Verhütungsmethoden. Wie Hans-Otto Burschel (beck.blog.de) schreibt, ist es dabei nach Ansicht des Gerichts "allgemein bekannt", dass die Zuverlässigkeit von Kondomen etwa gegenüber der Pille deutlich geringer sei. Denn: "Das Versagensrisiko von Kondomen liegt im Wesentlichen in der fehlerhaften Anwendung begründet," einen Hinweis, den man nach Udo Vetter (lawblog.de) "kurz vor Karneval" gar nicht oft genug geben könnte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 25. Februar 2014: Äußerungsbefugnisse des Staatsoberhaupts – Beweismittel Steuer-CD – OLG zu Wasserpreisen . In: Legal Tribune Online, 25.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11148/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag