Scheitert das Ceta-Abkommen an Wallonien? Experte Franz Mayer hat eine Lösung. Außerdem in der Presseschau: Karlsruhe entmutigt Konkurrentenklagen bei Bundesrichterwahlen; zulässige Gegengewalt gegen Horror-Clowns.
Thema des Tages
Ceta ohne Belgien? Rechtsprofessor Franz Mayer schlägt auf verfassungsblog.de vor, das Ceta-Abkommen mit Kanada als gemischtes Abkommen ohne Belgien abzuschließen. Für die Zustimmung der EU im Ministerrat genüge eine qualifizierte Mehrheit, so dass Belgien auch dort nicht blockieren könne. Die Einstufung von Ceta als gemischtes Abkommen sei zwar richtig gewesen, jetzt werde es von Wallonien jedoch aus regionalen und persönlichen Gründen blockiert. Mayer war Rechtsvertreter der Bundesregierung im Ceta-Verfahren.
Rechtspolitik
BND-Befugnisse und Geheimdienstkontrolle: Der Bundestag hat am Freitag mit den Stimmen der Koalition zwei Gesetze beschlossen. Im BND-Gesetz wurde die anlasslose Überwachung von Auslands-Auslands-Kommunikation geregelt. Außerdem wurde das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestags gestärkt, indem es künftig von einem "Ständigen Bevollmächtigten" mit Arbeitsstab unterstützt wird. deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) schildert die Parlamentsdebatte.
internet-law.de (Thomas Stadler) sieht verfassungsrechtliche Probleme, weil die Mitüberwachung von Deutschen schon technisch nicht ausreichend ausgeschlossen werden kann und weil jedenfalls bei Überwachungsanlagen auf deutschem Boden deutsche Grundrechte gelten, auch wenn Ausländer im Ausland überwacht werden. Die FR (Ursula Knapp) listet auf, welche Anti-Terror-Gesetze das Bundesverfassungsgericht bereits für verfassungswidrig erklärt hat.
Ronen Steinke (Samstags-SZ) kritisiert, dass wohl "kein vergleichbares westliches Land " den Geheimdienst "derart gegen kritische Blicke von Abgeordneten abschirmt" wie Deutschland. Christian Rath (Samstags-taz) hält die Hoffnung der SPD, das Gesetz werde künftig Eigenmächtigkeiten des BND verhindern, für "blauäugig". Reinhard Müller (Samstags-FAZ) fordert dazu auf, auch die Erfolge des BND in den Blick zu nehmen.
Leiharbeit: Dietrich Creutzburg (Samstags-FAZ) kritisiert den am Freitag beschlossenen Gesetzentwurf zur Beschränkung der Leiharbeit. Einerseits verspreche der Gesetzgeber den Arbeitnehmern "lauter neue Auszeiten: Elternzeit, Pflegezeit, Familienteilzeit". Andererseits mache er es "Unternehmen immer schwerer, Vertretungskräfte einzustellen".
Burka: Ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums sieht vor, dass Beamten im Dienst künftig die Vollverschleierung verboten wird, berichtet zeit.de.
Homosexuelle: Ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums, demzufolge Schwule, die im Nachkriegsdeutschland strafrechtlich verurteilt wurden, rehabilitiert und entschädigt werden sollen, liegt jetzt vor, berichten die Samstags-FAZ (Eckard Lohse/Helene Bubrowski) und zeit.de. Für eine Verurteilung soll es 3.000 Euro Entschädigung geben, für jedes angefangene Jahr Haft 1.500 Euro.
Sammelklagen: Die Samstags-FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet über ein Positionspapier der CDU/CSU-Fraktion, in dem es heißt: "Für neue Instrumente kollektiver Rechtsdurchsetzung sehen wir keinen Bedarf." Außerdem wird dargestellt, dass im Fall der VW-Abgasmanipulation die Möglichkeit zur Musterklage nicht viel zusätzlichen Nutzen brächte.
Anti-Terror-Politik: Wolfgang Janisch (Samstags-SZ) lehnt im Leitartikel zum Fall al-Bakr eine weitere Zentralisierung der Anti-Terror-Politik und zentrale Gefängnisse ab. Gesetzliche Befugnisse gebe es zudem genug, man müsse nur "lernen, sie wirkungsvoll zu nutzen".
Facebook: Der Spiegel (Melanie Amann) stellt Pläne von Justizminister Maas vor, wonach soziale Netzwerke wie Facebook künftig stärker für strafbare Hasskommentare ihrer Nutzer haften sollen. Mit der konkreten Gesetzgebung solle allerdings erst im nächsten März nach der Vorlage eines Berichts über den Umgang der Netzwerke mit Hasskriminalität begonnen werden.
Justizminister MV: Der Staatsanwalt Sascha Ott wird nicht CDU-Justizminister in Mecklenburg-Vorpommern, weil er bei Facebook die Webseite einer AfD-Gliederung geliked hat, so die Montags-SZ (Peter Burghardt). Stattdessen soll nun die Juristin Katy Hoffmeister, die bei der Universitätsmedizin Rostock arbeitet, Justizministerin in der fortgesetzten großen Koalition werden, meldet landespressedienst.de.
Justiz
EuG: verfassungsblog.de dokumentiert die fulminante Abschiedsrede des belgischen Richters am Europäischen Gericht, Franklin Dehousse. Er schildert seinen zwölfjährigen Kampf gegen Missmanagement und hierarchisches Denken am Gericht. Der Beitrag erschien in englischer Übersetzung.
BVerfG zu Richterwahlen: Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde einer OLG-Richterin abgelehnt, die bei der Wahl von BGH-Richtern im Richterwahlausschuss nicht berücksichtigt worden war. Der Wahlvorgang müsse sich zwar am Prinzip der Bestenauslese orientieren, sei aber nicht gerichtlich überprüfbar, so Karlsruhe. Der Bundesjustizminister müsse dem im Ausschuss gewählten Kandidaten in der Regel zustimmen. Damit haben Konkurrentenklagen künftig kaum noch Chancen. Es berichten taz.de (Christian Rath) und lto.de (Constantin van Lijnden).
BVerfG zu Heimunterricht: Martin Rath (lto.de) beschäftigt sich im lto-Feuilleton mit einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2006. Damals wurden die Klagen von christlich-fundamentalistischen Eltern abgelehnt, die ihre Kinder zu Hause unterrichteten und deshalb sanktioniert wurden. Die Aussage des Gerichts, dass es eine Pflicht gebe, "sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht zu verschließen", gibt dem Autor Anlass zu Überlegungen über die "Bringschuld" und eine Lösung nach den §§ 294 ff BGB.
BVerwG zu Beamten: Das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass Beamte keine Klagebefugnis haben, eine Höhergruppierung ihres Dienstposten zu erreichen. Geklagt hatte ein Referatsleiter im BND, der verlangt hatte, dass sein Dienstposten in die Besoldungsgruppe A16 statt A15 eingruppiert werden müsse. Der Anwalt Frank Wieland schildert auf lto.de die Entscheidung.
BGH zu Unschuldsvermutung: rechtslupe.de schildert ein Urteil des Bundesgerichtshofs von Anfang September. Danach waren Fernsehäußerungen eines Kommissars, der von Verdächtigen als "Täter" gesprochen hatte, kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Außerdem sei in solchen Fällen eine Kompensation durch Strafreduzierung unzulässig.
BGH zu Amphetaminen: community.beck.de (Jörn Patzak) weist auf einen BGH-Beschluss vom Juni hin, wonach Amphetamine nicht ohne weiteres als ebenso gefährliche Drogen wie Heroin eingestuft werden können. Der Autor legt dar, welche Amphetamin-Sorte wie gefährlich ist.
BGH - Alkohol: blog.burhoff.de (Detlef Burhoff) schildert den Stand der Kontroverse zwischen den Strafsenaten des BGH in der Frage der Strafrahmenverschiebung bei verschuldeter/unverschuldeter Trunkenheit. Auf eine Anfrage des 3. Strafsenats haben inzwischen der 1., 4. und 5. Strafsenat ihre Position dargelegt. Burhoff geht davon aus, dass am Ende der Große Senat entscheiden müsse.
LG Hamburg zu Gruppenvergewaltigung: Die Publizistin Birgit Kelle kritisiert auf focus.de eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Hamburg, das drei jugendliche Mittäter einer Gruppenvergewaltigung nur zu Bewährungsstrafen verurteilte. Das Problem seien "Richter, die mit grausamen und kriminellen, jugendlichen Tätern umgehen, als hätten sie nur im Supermarkt einen Lutscher geklaut."
LG Mosbach zu Stuhlgangverweigerung: Das Landgericht Mosbach verurteilte zwei Polizisten wegen Körperverletzung im Amt, nachdem ein Bürger bei einer Polizeikontrolle die Kontrolle über seinen Schließmuskel verlor. Der Mann hatte davor gewarnt, doch die Polizisten sahen dies nur als Finte, berichtet bild.de.
LG Bonn - Mord ohne Leiche: Auch die WamS (Gisela Friedrichsen) berichtet nun ausführlich vom Mordprozess gegen den Koch Dirk. D., der seine Frau getötet und dies einer späteren Geliebten gestanden haben soll. Inzwischen wurde auch das Gutachten einer Rechtspsychologin über die Aussagen jener Geliebten (einer Hobby-Detektivin) in das Verfahren eingebracht.
AG Berlin-Neukölln zu Mietpreisbremse: Die Samstags-FAZ meldet, dass das Amtsgericht Anfang September in einem zweiten Fall die Mietpreisbremse angewandt hatte.
Gericht muss Ermittlungsfehler ausputzen: Die FAS (Raquel Erdtmann) schildert einen Prozess an einem namenlosen Gericht. Dort war ein dunkelhäutiger Paketbote wegen Fahrerflucht angeklagt. Der Anklage lag die - nur per E-Mail getätigte - Aussage eines Zeugen zugrunde. Vor Gericht stellte sich heraus, dass der Zeuge einen ganz anderen Paketdienst-LKW gesehen haben muss. Der Postbote wurde zwar freigesprochen, hatte wegen der mangelhaften Sachaufklärung zwischenzeitlich aber seine Arbeit verloren.
ArbGer Hannover zu ärztlichen Nebeneinnahmen: Einem Arzt der Medizinischen Hochschule Hannover war eine Obergrenze von 25.000 Euro für seine Nebeneinnahmen auferlegt worden. Das Arbeitsgericht Hannover hielt dies für rechtmäßig, meldet spiegel.de.
ArbGer Potsdam zu Betriebsrat: Ein Betriebsratsvorsitzender, der während einer Sitzung ein anderes Betriebsratsmitglied mit einem Klappmesser ins Bein sticht, kann vom Unternehmen seines Amtes enthoben werden. Einer Kündigung muss der Betriebsrat nicht zustimmen. Zwei entsprechende Entscheidungen des Landgerichts Potsdam aus diesem Sommer stellt der Anwalt Lars Christian Möller auf dem Handelsblatt-Rechtsboard vor.
Recht in der Welt
Voßkuhle und Fabius zur europäischen Verfassungsgerichtsbarkeit: Die Präsidenten der Verfassungsgerichte von Deutschland und Frankreich, Andreas Voßkuhle und Laurent Fabius, sprachen mit der Samstags-SZ (Wolfgang Janisch/Stefan Ulrich) über die Bedrängnis der Verfassungsgerichte in Polen und Ungarn, die deutsch-französische Freundschaft, gemeinsame Aufgaben der europäischen Verfassungsgerichte und den Brexit.
Südafrika - IStGH: Südafrika will sich nicht mehr am Internationalen Strafgerichtshof beteiligen, berichtet die Samstags-taz (Dominic Johnson). Stefan Ulrich (Montags-SZ) kommentiert, dass Südafrika damit Mandelas Erbe verrate. Der IStGH sei nicht afrikafeindlich.
Spanien - Stierkampf: Das spanische Verfassungsgericht hat entschieden, dass die Region Katalonien ihre Kompetenzen überschritt, als sie den Stierkampf verbot. Aufgrund nationaler Gesetze sei der Stierkampf als "Kulturgut" geschützt. Das berichten die Samstags-FAZ (Leo Wieland) und die Montags-SZ (Thomas Urban).
ICSID - Vattenfall: Am vergangenen Freitag ging am Schiedsgericht der Weltbank (ICSID) die zweiwöchige Anhörung zum Atomausstieg in Deutschland zu Ende. Die Montags-FAZ (Marcus Jung) fasst die Ergebnisse zusammen. Vattenfall verlangt unter Berufung auf die Energiecharta 4,7 Mrd. Euro. Die Bundesregierung hält die Klage für unzulässig und unbegründet. Das Atomausstieg-Gesetz sei ohne Willkür und Diskriminierung zustande gekommen.
Sonstiges
Notwehr gegen Clowns: Auf bild.de spricht der Anwalt Hans Reinhardt über Notwehr gegen Horror-Clowns: "Ich muss nicht weglaufen! Ich darf mich verteidigen. Und zwar auch dann, wenn der Clown mich vielleicht gar nicht wirklich körperlich angreifen, sondern nur erschrecken will. Es reicht, wenn ich davon ausgehen muss, dass ich akut bedroht bin."
Das Letzte zum Schluss
Törichte Taxi-Betrüger: Nach einem Discobesuch bestiegen fünf junge Männer ein Taxi. Nach 25 Kilometern, kurz vor dem Ziel in Haßloch (Baden-Württemberg), wollten sie an einer Tankstelle noch etwas kaufen, nutzten den Stopp dann aber zur Flucht, ohne zu bezahlen. Sie konnten laut Montags-taz allerdings leicht ermittelt werden, denn sie hatten beim Fahrtantritt ihre korrekte Adresse angegeben.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. bis 24. Oktober 2016: Ceta ohne Belgien? / BVerfG billigt Richterwahlen / Notwehr gegen Clowns . In: Legal Tribune Online, 24.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20947/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag