Beim Cannabiskonsum versteht das BVerwG keinen Spaß: Ein Nanogramm THC pro Milliliter Blut reicht für einen Führerscheinentzug aus. Ein zu niedriger Wert, meinen Experten. Außerdem in der Presseschau: EGMR rügt Praxis verdeckter Ermittler, EuGH schützt Stromkunden, Italien ermöglicht trotz Staatenimmunität Klagen gegen Deutschland wegen NS-Unrechts und wie es ein Mann aus Wales zwei Jahre lang geschafft hat, nicht vor Gericht erscheinen zu müssen.
Thema des Tages
BVerwG zu THC-Werten bei Führerscheinentzug: Bereits eine THC-Konzentration von einem Nanogramm pro Milliliter Blut reicht für einen Führerscheinentzug aus. Das hat das Bundesverwaltungsgericht gestern entschieden und damit ein Urteil das Verwaltungsgerichtshofs Mannheim bestätigt. Der VGH hatte in einem Fall mit einer Konzentration von 1,3 Nanogramm pro Milliliter entschieden, dass bei Cannabiskonsumenten der Entzug der Fahrerlaubnis bereits zulässig sei, wenn die Fahruntüchtigkeit "nicht ausgeschlossen" werden könnte. Die Ein-Nanogramm-Grenze ist nun mit dem Urteil des BVerwG wohl bundesweit verbindlich – obwohl Sachverständige den Wert für zu gering halten. Auch ein Sicherheitsabschlag für Messungenauigkeiten kommt für das BVerwG nicht in Betracht. Die Welt (Sven Eichstädt) und die SZ (Wolfgang Janisch) berichten; ebenso die Badische Zeitung (Christian Rath), derzufolge der Anwalt des Klägers von "Willkür" spricht und daher den Gang nach Karlsruhe empfiehlt. Adolf Rebler erläutert für lto.de die Entscheidung und stellt den Vergleich zu Alkohol am Steuer an.
Rechtspolitik
TTIP ohne Schiedsgerichtsverfahren: Offenbar will die EU auf die umstrittenen Schiedsgerichtsverfahren für Investoren im Freihandelsabkommen TTIP verzichten. Das berichtet handelsblatt.com unter Berufung auf ein internes Dokument der Generaldirektion Handel an die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Neuordnung der Bundesrepublik: Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat sich gegenüber der SZ (Interview: Guido Bohsem/Susanne Höll) für eine Neuordnung der Bundesrepublik ausgesprochen, sollte es bei der Reform des Länderfinanzausgleichs nicht zu einer Entlastung der armen Länder kommen. Kramp-Karrenbauer schlägt vor, die Zahl der Bundesländer von 16 auf sechs zu reduzieren. Heribert Prantl (SZ) begrüßt den Vorstoß einer "sinnvollen Fusionierung der Länder". Weil Parlamentsmehrheit und Regierung politisch identisch seien, stellt der Föderalismus in den Augen Prantls in der heutigen parlamentarischen Demokratie "eine andere Form der Gewaltenteilung" dar. "Wenn sich der Föderalismus aber zerkrümelt, wenn ein Teil der Länder am Tropf des Bundes hängt, funktioniert diese Machtbalance nicht."
Justiz
EGMR zu verdeckten Ermittlern: Ein wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe verurteilter Deutscher ist in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Der Mann berief sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte darauf, verdeckte Ermittler hätten ihn überredet, mit Drogen zu dealen und ihn damit zu den Straftaten angestiftet. Die Verwertung der so gewonnenen Beweise verstoße gegen Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dem folgte der EGMR: Die Verurteilung stütze sich im Wesentlichen auf Beweise, die durch unrechtmäßige Tatprovokationen erlangt worden seien. lto.de berichtet.
EuGH zu Strompreiserhöhungen: Der Europäische Gerichtshof hat in Sachen Transparenz von Preisklauseln der Energieversorger entschieden. Bei Preiserhöhungen für Strom oder Gas müssen die Verbraucher schon vorab über die Gründe informiert werden. Das Gericht urteilte, dass im Falle der Preiserhöhungen ein allein nachträgliches Kündigungsrecht nicht ausreiche – sondern vielmehr "rechtzeitig vor dem Inkrafttreten der Änderung über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang" informiert werden müsse. Das Urteil geht auf eine Vorlage des Bundesgerichtshofs zurück, vor dem zwei Strom- und Gaskunden gegen Preiserhöhungen vorgegangen waren. Das Urteil könnte zahlreiche Rückforderungen von Verbrauchern nach sich ziehen. Die SZ (Markus Balser), das Handelsblatt (Thomas Ludwig) und tagesschau.de.
EuGH zum Framing: Wie golem.de meldet, ist das Setzen eines framenden Links urheberrechtlich zulässig. Der Europäische Gerichtshof habe diese Frage kürzlich entschieden. Framende Links liegen zum Beispiel vor, wenn Facebook-Nutzer Youtube-Links posten und Facebook die Youtube-Videos automatisch einbindet. Ob diese im Netz gelebte Praxis Urheberrechte verletzen kann, wird seit Jahren lebhaft diskutiert. Der EuGH habe dies jetzt verneint – solange sich "die Wiedergabe nicht an ein neues Publikum wende und keine andere Wiedergabetechnik einsetze".
EuGH – Gewässerschutz: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof Niilo Jääskinen hat sich im Streit um die Weser- und Elbvertiefung für einen strengen Gewässerschutz ausgesprochen und damit die Position von Naturschützern gestützt. Möglich sollen Vertiefungen aber bleiben – gegebenenfalls unter Auflagen oder mit Ausgleichszahlungen. Das Bundesverwaltungsgericht rief 2013 zur Auslegung der EU-Wasserrahmenrichtlinie den EuGH an, nachdem der BUND gegen die Ausbaggerung geklagt hatte. Zum wasserrechtlichen Hintergrund und der Rechtsansicht des Generalanwalts schreiben die taz (Christian Rath) und die SZ (Kristina Läsker).
BVerfG zu Rehabilitierungsverfahren von DDR-Heimkindern: Rehabilitierungsanträge ehemaliger DDR-Heimkinder dürfen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Einweisung habe dem damaligen Stand der Pädagogik entsprochen. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, wie lto.de und die FAZ (Reinhard Müller) melden. Ein ehemaliges DDR-Heimkind hatte 2006 seine Rehabilitierung beantragt, nachdem es in den 1960-er Jahren zwei Mal in ein Heim eingewiesen wurde – zuletzt vor dem Oberlandesgericht Naumburg ohne Erfolg. Das BVerfG rügt die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch die pauschal ablehnende OLG-Entscheidung. Außerdem sieht das BVerfG Verstöße gegen das Verbot objektiver Willkür und die allgemeine Handlungsfreiheit. Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) begrüßt das Urteil des BVerfG und fragt sich, wie die Richter des OLG Naumburg zu ihrer Entscheidung kamen.
BGH zu falscher Anschuldigung: Der BGH hat die Verurteilung einer Lehrerin zu einer Haftstrafe wegen einer vorgetäuschten Vergewaltigung bestätigt. Die Frau hatte einen Kollegen beschuldigt, er habe sie 2001 in einer Reichelsheimer Schule vergewaltigt. Später stellte sich in einem Wiederaufnahmeverfahren heraus, dass die Anschuldigung falsch war. Das LG Darmstadt verurteilte die Lehrerin 2013 wegen schwerer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten – jetzt ist das Urteil rechtskräftig. Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet.
BGH zu Farbmarken: Der Wörterbuchverlag Langenscheidt hat einen Rechtsstreit um die Farbmarke Gelb mit seinem US-Konkurrenten Rosetta gewonnen. Rosetta hatte versucht, die Löschung der Farbmarke zu erwirken – ohne Erfolg: Der Bundesgerichtshof hat dem Löschungsantrag Rosettas laut Handelsblatt nun endgültig eine Absage erteilt. Es ist der zweite Sieg Langenscheidts im Streit um die Farbmarke Gelb in diesem Jahr.
LAG Schleswig-Holstein zur Altersdiskriminierung: Dürfen Arbeitgeber in einer Stellenausschreibung eine "mehrjährige Berufserfahrung" verlangen – oder liegt darin eine Altersdiskriminierung? Sie dürfen, entschied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein im Rahmen eines Prozesskostenhilfe-Verfahrens: Stellenbewerber, die nicht über diese fachliche Qualifikation verfügen, könnten mangels objektiver Eignung nicht geltend machen, durch eine Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung diskriminiert zu werden. In der Stellenausschreibung wurde von Bewerbern unter anderem "mehrjährige Erfahrung in der Programmierung mit Java" gefordert. blog.beck.de (Christian Rolfs) fasst den Fall zusammen.
ArbG Augsburg zu Kündigung: Die Diakonie kündigte einer Erzieherin, weil sie nebenbei als Darstellerin in Erotikfilmen tätig war. Die Erzieherin klagte gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht Augsburg – jedoch ohne Erfolg: Die Nebentätigkeit der Erzieherin für Erotikfilme stehe im Widerspruch zur kirchlichen Sexualethik. Dies stelle eine "Loyalitätspflichtverletzung" dar, so das ArbG. lto.de berichtet.
OLG München – Entlastung durch ehemaligen Zschäpe-Verteidiger: Wie die SZ (Tanjev Schultz) meldet, hat im NSU-Prozess vor dem OLG München ein ehemaliger Verteidiger von Beate Zschäpe ausgesagt. Zschäpe hatte den Juristen zuvor in einem Punkt von der Schweigepflicht entbunden, weil sie sich Entlastung versprochen habe: Der Anwalt bekundete vor Gericht, Zschäpe habe ihm wenige Tage nach dem Zwickauer Hausbrand im November 2011 mitgeteilt, sich vor Brandlegung vergewissert zu haben, dass sich im Haus niemand mehr befindet. Hintergrund: Zschäpe ist auch wegen versuchten Mordes angeklagt, weil bei dem Brand eine betagte Frau in dem Haus hätte sterben können.
AG Hannover zum Personenstand: Udo Vetter (lawblog.de) weist auf einen Beschluss des Amtsgerichts Hannover hin, nach dem der Personenstand einer Antragstellerin nicht in "inter" oder "divers" geändert wird. Die Betroffene hatte sich dagegen gewehrt, dass ihr Personenstand in amtlichen Papieren mit "weiblich" angegeben wurde – ohne Erfolg: Das AG Hannover sieht die Geschlechtsangabe "männlich" oder "weiblich" als allein mögliche Varianten an. "Inter" oder "divers" seien personenstandsrechtlich nicht vorgesehen. Die Betroffene wolle bis zum Bundesverfassungsgericht klagen.
Recht in der Welt
Italien – Schadensersatzansprüche wegen NS-Unrecht: NS-Opfer können Deutschland vor italienischen Zivilgerichten auf Schadensersatz verklagen. Das hat das italienische Verfassungsgericht in Rom laut SZ (Stefan Ulrich) entschieden. Nach Ansicht des Verfassungsgerichts gilt im Falle von Kriegsverbrechen der völkerrechtliche Grundsatz der Staatenimmunität nicht – der solche Klagen eigentlich ausschließt. Das Urteil stehe im Widerspruch zu einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag aus dem Jahr 2012. In einem gesonderten Kommentar äußert Stefan Ulrich (SZ) abseits der moralischen Komponente die Sorge, das Prinzip individueller Entschädigung würde dazu führen, "dass ehemalige Unrechtsstaaten nie auf die Beine kommen".
Schweiz – Rechtshilfe für deutsche Fahnder: Laut SZ (Thomas Knellwolf/Klaus Ott) haben deutsche Ermittler in der Schweiz kürzlich Rechtshilfe in Steuerstrafsachen erhalten: Bei zahlreichen Bankern und Juristen in der Schweiz seien Durchsuchungen wegen dubioser Aktiendeals durchgeführt worden – auf Grundlage von Ermittlungen aus Deutschland. Der Fall sei ein Novum, weil die Schweiz ausländische Fahnder früher eher verhaftet habe als bei eigenen Banken zu ermitteln.
Sonstiges
Einigung im Leistungsschutzrecht: Im Streit um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage haben die meisten Verlage eingelenkt und Google eine widerrufliche "Gratiseinwilligung" für die Nutzung ihrer Presseerzeugnisse erteilt. Das melden die taz und die Welt. Zuvor hatten sich die Verlage in der Verwertungsgesellschaft VG Media organisiert, um über sie Vergütungsansprüche aus dem Leistungsschutzrecht geltend zu machen. Thomas Stadler (internet-law.de) sieht das Projekt Presseleistungsschutzrecht als "vorerst gescheitert" an und wirft kartellrechtliche Fragen durch das Vorgehen der Verlage auf.
Störerhaftung ist German Angst: Richter Ulf Buermeyer kritisiert in einem Gastbeitrag für die FAZ die in Deutschland geltende Rechtslage hinsichtlich der Anonymität im Netz und öffentlichen Drahtlosnetzwerken. Letztere seien aufgrund des deutschen Rechts in Deutschland so wenig verbreitet, denn das Institut der Störerhaftung lasse es schnell unvertretbar erscheinen, ein öffentliches WLAN zu betreiben. Die Reform der Störerhaftung werde derzeit verschleppt und verwässert; die Störerhaftung stehe exemplarisch für die "German Angst" vor dem digitalen Zeitalter.
Namensrecht und Domains: telemedicus.info (Johannes Marosi) nimmt eine Entscheidung des Landgerichts Köln zum Anlass, sich mit dem Domainrecht zu beschäftigen. Das LG Köln hatte im August dieses Jahres Unterlassungsansprüche des Bundes aus Namensrecht bejaht, weil die Domain "bag.de" auf eine Domainhändlerin registriert worden war. "BAG" stehe für "Bundesarbeitsgericht", so die Argumentation des LG, und an diesem Namen halte der Bund die Rechte. Der Artikel geht auf Fragen um die Namensträgerschaft an generischen Begriffen sowie die Unterscheidungskraft und Verkehrsdurchsetzung ein.
Das Letzte zum Schluss
Komatöse Zustände: Eine Querschnittslähmung und komatöse Zustände hat in Wales ein Mann zwei Jahre lang vorgetäuscht, um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen. Der Mann wollte so offenbar einer Verurteilung wegen Betruges entgehen: Seinen Nachbarn soll er zuvor um 40.000 britische Pfund gebracht haben. Jetzt flog der Schwindel auf. spiegel.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/fr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 24. Oktober 2014: Kiffen & fahren - Dealen & fair trial – Italien & Immunität . In: Legal Tribune Online, 24.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13584/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag