Klagen über Fehlurteile gab es schon viele. Der Spiegel hat nun aber erkannt, dass Staatsanwälte noch gefährlicher als Richter sind. Außerdem in der Presseschau: Diskussion um die Strafbarkeit kindlicher Nacktbilder, Verfahren gegen Ex-Minister Friedrich, Kritik an der U-Haft von ehemaligen KZ-Aufsehern, ein Schweizer Urteil zur Auslegung des Wortes "Drecksasylant" und Erwägungen zum Selbstmord von Hunden.
Thema des Tages
Kritik an der Staatsanwaltschaft: In seiner Titelgeschichte befasst sich der Spiegel (Thomas Darnstädt/Michael Fröhlingsdorf) äußerst kritisch mit der Macht der Staatsanwaltschaft. Diese habe größeren Entscheidungsspielraum als ein Gericht, agiere aber weisungsgebunden und unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Anhand zahlreicher bekannter Fälle von Wulff über Gurlitt bis Mollath werden ihr grobe handwerkliche Fehler, Größenwahn und erbarmungsloser Übereifer vorgeworfen. Schuld seien unter anderem Selbstgerechtigkeit (in der Maske der Ojektivität), Erwartungen der Politik (die Ergebnisse sehen will), schlechte Ausbildung (keine Psychologie, keine Logik), Gefügigkeit (Aufstieg nach Beurteilung), mangelnde personelle Ausstattung (Kronzeuge Richterbund) und Abhängigkeit von der Polizei (die wahren Herren des Verfahrens). Am Ende werden noch einige Reformvorschläge diskutiert: Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Staatsanwaltschaft, erweitertes Klageerzwingungsverfahren der Opfer von Straftaten, mehr Klagerechte der Beschuldigten.
Rechtspolitik
Strafbarkeit von Nacktbildern: Der Vorschlag von Justizminister Heiko Maas (SPD), den gewerblichen Handel mit Nacktbildern von Kindern zu bestrafen, löste eine lebhafte Debatte aus. Der Spiegel (Karin Assmann/Dietmar Hipp und andere) stellt Pro und Contra-Argumente zusammen. Die Montags-SZ (Wolfgang Janisch) ebenfalls, aber mit deutlich kritischem Akzent: "Soll mit dem Bilderbann in Wahrheit eine anstößige, verquere Form der Sexualität unter Strafe gestellt werden?". Ganz unkritisch begrüßt Martina Fietz (focus.de) den Vorschlag: "Die Warnung vom Eingriff in Freiheitsrechte ist hier völlig unangemessen." Die FAS hat Verbände von Fotografen und Künstlern befragt und überwiegend Zustimmung vernommen.
Anti-Doping-Gesetz: Nachdem die deutsche Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle bei Olympia des Dopings überführt wurde, kündigt Justizminister Maas im Interview mit der Samstags-Bild (S. Haselberger/F. Solms-Laubach) ein Anti-Doping-Gesetz an, das Doping-Sündern Haftstrafen bis zu fünf Jahren androht. Schon der Besitz geringer Mengen von Doping-Mitteln soll strafbar sein, nicht nur während der Wettkämpfe, auch während der Vorbereitungs- und Trainingszeit
Zulagen für Ausschussvorsitzende: Mit der jetzt beschlossenen Reform der Abgeordneten-Diäten erhalten die Vorsitzenden der Bundestags-Ausschüsse eine Amtszulage in Höhe von rund 1.300 Euro im Monat. Die Staatsrechtler Hans-Herbert von Arnim und Hans-Peter Schneider halten dies für grundgesetzwidrig, berichtet spiegel.de (Fritz Zimmermann). Das Bundesverfassungsgericht habe im Jahr 2000 solche Zulagen bereits als Verstoß gegen die Gleichheit der Abgeordneten verboten.
Reform der Immunität: Der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg fordert im Spiegel (Zusammenfassung), die Zahl der Mitwisser polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen gegen Prominente zu reduzieren. Er stellt deshalb Berichtspflichten gegenüber den Ministerien in Frage, vor allem aber auch das aufwändige Verfahren bei der Aufhebung der Immunität von Abgeordneten. In einem weiteren Beitrag des Spiegel (Melanie Amann, Zusammenfassung) wird dargestellt, dass auch unter Abgeordneten die Immunität umstritten ist, weil sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erst auf einen Fall lenke. Christian Rath (taz) beschreibt, wie Sebastian Edathy mit der überraschenden Niederlegung seines Mandats geradezu aus der Immunität geflohen sei und schließt: Wenn aus dem Schutz der Immunität eine Bedrohung werde, dann habe sie ihren Sinn verloren.
Justiz
Fall Edathy: Die FAS (Thomas Gutschker) beschreibt, dass das Bundeskriminalamt zwar die von Edathy bestellten Filme als "strafrechtlich irrelevant" einstufte, aber dennoch ein Ermittlungsverfahren empfahl, was bisher nicht bekannt war. Das lange Zögern der Staatsanwaltschaft sei deshalb erstaunlich. Volker Zastrow (FAS) kritisiert den SZ-Journalisten Heribert Prantl, weil dieser die Ermittlungen gegen Edathy in die Nähe einer Verfolgung von Unschuldigen rückte. "Prantl wischt die Erfahrung der Strafverfolgungsbehörden einfach vom Tisch", dass das Bestellen von Bildern nackter Jungs den Verdacht auf Straftaten begründe.
Fall Friedrich: Die Berliner Staatsanwaltschaft plant ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrat gegen Ex-Minister Hans-Peter Friedrich, meldete zuerst die WamS. Vor Beginn der Ermittlungen sei allerdings noch eine Ermächtigung des Bundesinnenministeriums und eine Benachrichtigung des Bundestags erforderlich, erinnert die Montags-SZ (Constanze von Bullion).
Heribert Prantl (Montags-SZ) warnt davor, das Ermittlungsverfahren zu überschätzen, am Ende werde es "zu Recht eingestellt werden". Friedrich habe irrig nicht gewusst, dass er mit der Weitergabe von Informationen über Edathy an die SPD-Spitze wichtige öffentliche Interessen gefährde, aber "Naivität" sei nicht strafbar. Außerdem behauptet Prantl: " Ein 'Ermittlungsgeheimnis' konnte Friedrich gar nicht verletzen, da gegen Edathy damals noch gar nicht förmlich ermittelt wurde." Corinna Budras (Samstags-FAZ) und Nikolaus Blome (Spiegel) sehen den Geheimnisverrat von Friedrich als Beleg für die Wertelosigkeit der politischen Elite, die in einer eigenen Welt lebe, in der Normen nicht gelten, die ihr nicht passen.
BVerfG zu Adoptionsverbot für Homo-Paare: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Richtervorlage des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg als unzulässig verworfen, die das Verbot gemeinsamer Adoptionen von eingetragenen Homo-Paaren in Frage stellte, berichtet taz.de (Christian Rath). Die Vorlage sei nicht auf der Höhe der Zeit, weil sie sich mit jüngsten Karlsruher Urteilen nicht auseinandergesetzt habe.
BVerfG zu EZB: Ulrich Schäfer (Samstags-SZ) kritisiert heftig die jüngst ergangene EuGH-Vorlage des Bundesverfassungsgericht zum Anleiheaufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB), das Karlsruhe für kompetenzwidrig hält. Schäfer moniert, dass die Karlsruher Richter nicht genug von den Finanzmärkten verstehen, die sie fälschlicherweise für perfekt und rational hielten. Die EZB handele aber durchaus kompetenzgemäß, wenn sie gegen irrationales Marktgeschehen vorgehe, damit sie wieder wirkungsvoll geldpolitisch steuern könne. Im Ergebnis könnte der Europäische Gerichtshof feststellen, dass die EZB die Erfüllung aller Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits zugesagt habe (unter anderem werde sie nicht unbegrenzt Anleihen kaufen).
LVerfG Hamburg zu Wahlrechts-Plebisziten: Gegen Verfassungsänderungen am Hamburger Wahlrecht kann nicht binnen drei Monaten ein Volksentscheid herbeigeführt werden. Das sei nur bei wahlrechtsändernden einfachen Gesetzen möglich, entschied laut lto.de das Hamburger Verfassungsgericht. Konkret ging es um ein Volksbegehren gegen die Einführung der Drei-Prozent-Klausel bei Wahlen zur Bezirksversammlung.
BGH zu Nutzungsausfallentschädigung: Wohnungs- und Hauskäufer, die länger als vereinbart auf ihren Einzug warten müssen, haben Anspruch auf Schadensersatz, wenn kein gleichwertiger Wohnraum zur Verfügung steht. Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof, so lto.de.
U-Haft für mutmaßliche KZ-Wachmänner: In Baden-Württemberg wurden drei hochbetagte Männer, die als KZ-Wachleute in Auschwitz Beihilfe zum Massenmord geleistet haben sollen, in Untersuchungshaft genommen. spiegel.de (Benjamin Schulz) nimmt dies zum Anlass, den Hintergrund der Ermittlungsverfahren darzustellen. Udo Vetter (lawblog.de) erinnert daran, dass auch bei Mordvorwürfen ein Mindestmaß an üblichen Haftgründen vorliegen müsse: "Ich hoffe auf eine gute Begründung. Denn ansonsten könnte sich leicht der Eindruck ergeben, dass hier eine Strafe vorweggenommen wird. Eine Strafe, die bei einem rechtsstaatlichen Gang der Dinge schon aus biologischen Gründen voraussichtlich nicht mehr festgestellt, geschweige denn vollstreckt werden kann."
BVerfG - Bundespräsident Gauck: An diesem Dienstag wird das Bundesverfasungsgericht über eine Klage der NPD gegen Bundespräsident Gauck verhandeln. Dieser hatte Demonstranten gegen Flüchtlingsheime als 'Spinner' bezeichnet, wodurch sich die NPD betroffen sah. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verteidigt Gauck in einem Focus-Gastbeitrag (Zusammenfassung). Die Äußerung müsse erlaubt sein, da sie keine rechtliche Wirkung habe. Außerdem habe der Bundespräsident die Verfassungsordnung zu verteidigen.
BVerfG - Drei-Prozent-Hürde: An diesem Mittwoch will das Bundesverfassungsgericht sein Urteil über die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen verkünden. Zahlreiche Kleinparteien hatten dagegen geklagt und sich auf ein früheres Karlsruher Urteil gegen die Fünf-Prozent-Hürde bei Europawahlen berufen. Laut Spiegel rechnen CDU/CSU und SPD mit einer Niederlage in Karlsruhe.
LG Hannover - Wulff: An diesem Donnerstag will das Landgericht Hannover sein Urteil im Fall des ehemaligen Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten Christian Wulff verkünden. Die Wams (Ulrich Exner) lässt das Verfahren noch einmal Revue passieren. Außer Wulffs Verteidiger Bernd Müssig habe niemand gewonnen. Wie der Focus (Zusammenfassung) meldet, wird Wulff nach dem erwarteten Freispruch wieder als Anwalt arbeiten. Er soll für eine wirtschaftsrechliche Kanzlei Unternehmen aus der Türkei und dem arabischen Raum als Mandanten gewinnen.
LG München - Hoeneß: In zwei Wochen beginnt am Landgericht München der Prozess gegen Bayern München-Präsident Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung. Die Samstags-SZ (Hans Leyendecker/Georg Mascolo - Zusammenfassung) schildert auf ihrer Seite 3 noch einmal, wie es zu dem Verfahren kam. Bemerkenswert sind neue Zahlen zum Umfang von Hoeneß Schweizer Spekulationsgeschäften: "Weit mehr als 30 Millionen Euro zu versteuerndes Einkommen hat Hoeneß in der Schweiz in nur sieben Jahren durchs Zocken verdient. Zeitweise soll er dreistellige Millionensummen bewegt haben." Diese führe unter Anrechnung deutscher und Schweizer Verlustvorträge zu einer Steuerschuld von 3,5 Millionen Euro (bisher war man von 3,2 Mio. Euro ausgegangen.) Auch der Spiegel (Rafael Buschmann) gibt einen Überblick. Er geht davon aus, dass nur eine Summe von rund 800.000 Euro nicht verjährt ist.
Fall Gurlitt: Im Interview mit der Montags-SZ (Heribert Prantl) erklärt der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU), dass auch nach einer möglichen Rückgabe der beschlagnahmten Bilder an den Kunstsammler Cornelius Gurlitt die "Provenienzrecherche" weitergehe. Es sei zulässig, dass die Bilder auch nach Rückgabe weiterhin auf entsprechenden Internet-Seiten dargestellt werden.
Recht in der Welt
Schweiz - Freispruch für beschimpfenden Polizisten: Ein Schweizer Polizist hatte einen Asylbewerber wegen Diebstahlsverdacht festgenommen und ihn dabei vor Passanten als "Drecksasylant" und "Sauausländer" beschimpft. Das Schweizer Bundesgericht konnte darin keine Rassendiskriminierung sehen und sprach den Mann von diesem Vorwurf frei, so focus.de. Auch verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) beschreibt das "kontraintuitive" Urteil.
Russland - Urteile gegen Demonstranten: Ein Moskauer Gericht hat acht Personen, die im Mai 2012 auf dem Moskauer Bolotnaja-Platz gegen Präsident Putin demonstrierten wegen der Teilnahme an "Massenunruhen" verurteilt. Das Strafmaß soll am heutigen Montag verkündet werden, berichtet die Samstags FAZ (Friedrich Schmidt).
USA - Biographie Sotomayor: Hannes Stein (Samstags-Welt) stellt die Autobiographie von Sonia Sotomayor vor, die von Barack Obama als erste Latina an den US-Supreme Court berufen worden war. Das Buch über ihren Werdegang, der von vielen glücklichen Zufällen geprägt war, sei "ein Lesevergnügen".
Das Letzte zum Schluss
Selbstmord von Hunden: In Düsseldorf stand ein Mann vor Gericht, der eine Schäferhündin aus dem 4. Stock auf die Straße geworfen haben soll. Die Hündin starb. Doch das Gericht sprach den Mann frei, es habe nicht bewiesen werden können, dass der Angeklagte überhaupt in der Wohnung war. Möglicherweise sei der Hund ohne menschliche Einwirkung aus dem Fenster gesprungen. Die Samstags-Bild geht deshalb der Frage nach: "Können Tiere Selbstmord begehen?" Dies sei bisher aber nur von Delfinen belegt. Hunde, die die Lebenslust verlieren, lägen nur noch träge herum, so ein Experte, aber eine bewusste Entscheidung zur Selbsttötung hält der Sachverständige für unwahrscheinlich.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22 - 24. Februar 2014: Die unheimliche Macht der Staatsanwaltschaft – Christian Wulff wird Anwalt – "Drecksasylant" ist keine Diskriminierung . In: Legal Tribune Online, 24.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11136/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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