Das BVerfG nimmt "soziale" Väter gegenüber den Ansprüchen rein "biologischer" Väter in Schutz. Außerdem in der Presseschau: Reform des Mord-Paragraphen, Datenschutzbeauftragte für Vorratsdatenspeicherung, Redtube-Abmahnwelle schwappt zurück, Korruptionsskandal erschüttert Türkei – und wie ein Demo-Kuss zur Beamtenbeleidigung wird.
Thema des Tages
BVerfG zu Vaterschaft: Ein biologischer Vater hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Vaterschaft, wenn zwischen seinem Kind und dessen sozialem Vater eine "sozial-familiäre Beziehung" besteht. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden, über den die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski) berichtet. Damit habe das Gericht die bisherige Rechtsprechung bestätigt, die auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebilligt worden sei.
Rechtspolitik
Reform des Mord-Tatbestands: Die Stimmen für eine Reform des strafrechtlichen Mord-Paragraphen mehren sich. Wie die Samstags-SZ (Heribert Prantl) berichtet, hat der Deutsche Anwaltverein Reformvorschläge für eine einheitlichen Tatbestand der "Tötung" vorgelegt; die schleswig-holsteinische Justizministerin Anke Spoorendork habe eine Bundesratsinitiative angekündigt. Eine Reform der auf die Nazi-Ideologie des Tätertyps zurückgehenden Vorschrift werde auch in der Strafrechtswissenschaft seit langem gefordert. Insbesondere bei Tötungen im "sozialen Nahbereich" führe die aktuelle Fassung zu schuldunangemessen harten Bestrafungen.
Datenschutz: Bundesinnenminister Thomas de Maizière plädiert in einem Gastbeitrag für die Samstags-FAZ für eine "grundlegende Reform des Datenschutzrechts", um auf die Entwicklung zu immer größeren, von Unternehmen kontrollierten Datensammlungen zu reagieren. Wenn angesichts globaler Vernetzung Daten "so etwas wie eine Währung des 21. Jahrhunderts" seien, müsse ein "europäisches Datenschutzrecht" geschaffen werden, "das internettauglich" sei und den "einfachen Nutzer" schütze. Gleichzeitig bedürfe es eines verantwortungsvollen Umgangs mit den eigenen Daten.
Selbstbestimmtes Sterben: In einem Gastbeitrag für die Samstags-SZ plädiert der aufgrund eines Unfalls querschnittsgelähmte ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter für das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Wer nicht todkrank sei, sich aber dennoch in freier Entscheidung entschließe, nicht mehr weiterleben zu wollen, werde "in unserer Gesellschaft alleingelassen". Für eine risikofreie ärztliche Hilfe seien Gesetzesänderungen notwendig.
EU-Akteneinsicht und Kronzeugen: Der Rechtswissenschaftler Christian Kersting kritisiert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard den Kompromissvorschlag des Europäischen Rates für eine EU-Richtlinie über private Schadensersatzklagen. So widerspreche der pauschale Ausschluss der Akteneinsicht in Kronzeugenerklärungen dem vom Europäischen Gerichtshof dazu entwickelten Gebot der Einzelfallabwägung. Der Entwurf verabschiede sich außerdem von einer grenzüberschreitenden Bindungswirkung von vorangegangenen Wettbewerbs- oder Gerichtsentscheidungen für folgende Schadensersatzprozesse.
Investitionsschutz: Die Montags-taz (Maike Brzoska) führt vor dem Hintergrund der Verhandlungen um das EU-US Freihandelsabkommen TTIP ein Interview mit dem Völkerrechtler Markus Krajewski über Investitionsschutzklauseln und warum diese Unternehmen viel weitergehende Rechte einräumen als nötig.
Ulrike Hermann (Montags-taz) hält denn auch den Widerstand gegen das TTIP-Abkommen unter anderem deswegen für berechtigt.
Datenschutzbeauftragte für Vorratsdatenspeicherung: Im Interview mit dem Spiegel (Melanie Amann, Zusammenfassung auf spiegel.de) befürwortet die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff die Vorratsdatenspeicherung als ein "wirksames Instrument der Kriminalitätsbekämpfung".
Extremismus-Klausel soll fallen: Familienministerin Manuela Schwesig hat im Interview mit dem Spiegel (Nicole Abé/Gordon Repinski) angekündigt, die umstrittene Extremismus-Klausel wieder abschaffen, die Vereinen ein Bekenntnis zur Verfassung abverlangt, bevor diese staatliche Fördermittel erhalten.
Justiz
Redtube-Abmahnwelle: Im Zusammenhang mit der Abmahnwelle gegen Nutzer der Porno-Streaming-Website Redtube gab es Ende letzter Woche neue Entwicklungen, über die internet-law.de (Thomas Stadler) einen Überblick gibt. So hatte die FR (zys) berichtet, dass der Anbieter von Redtube beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen The Archive erwirkt hatte, die es dem Unternehmen untersagt, Redtube-Nutzer abzumahnen. Zudem sei das Landgericht Köln inzwischen öffentlich "zurückgerudert" und habe verlauten lassen, hinsichtlich der Herausgabe der Nutzerdaten wohl einen Fehler gemacht zu haben. Daneben stünde eine mögliche computerstrafrechtliche Vergehen und gewerbsmäßiger Betrug im Raum. Die Samstag-SZ (Johannes Boie) widmet dem Thema ihre "Seite 3" und vermutet "Abzocke" hinter der Abmahnwelle. Die Samstags-taz (Falk Steiner) geht der Frage nach, ob Videostreaming in Deutschland eigentlich verboten ist.
Der Spiegel (Markus Brauck/Martin U. Müller) stellt den "Abmahnanwalt" Thomas Urmann und Christian Solmecke, einen seiner auf die Abwehr von Abmahnungen spezialisierten Gegenspieler, vor.
OLG Köln zu Tagesschau-App: Das Oberlandesgericht Köln hat am Freitag in zweiter Instanz entschieden, dass die "Tagesschau-App", ein Nachrichten-Programm der ARD für Smartphones, nicht gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Wie lto.de berichtet, hoben die Richter damit die erstinstanzliche Entscheidung des Kölner Landgerichts auf. Die klagenden Zeitungsverleger wollten Revision zum Bundesgerichtshof einlegen.
LG Bielefeld – Organtransplantation: Das Landgericht Bielefeld musste nun doch nicht entscheiden, ob eine Klinik einem Patienten wegen nicht ausreichender Deutschkenntnisse eine Aufnahme in die Transplantationsliste verweigern darf. Wie lto.de berichtet, kamen die Parteien am Freitag in einem Vergleich überein. In den Augen des Medizinrechtlers Gunnar Duttke hätte die Klinik einen Dolmetscher hinzuziehen müssen, insoweit sei eine Klarstellung der Transplantations-Richtlinien der Bundesärztekammer wünschenswert.
LSG Stuttgart zu Treppensturz vor Kantine: Wer auf dem Weg zu Kantine stürzt und sich dabei verletzt, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dieser gelte erst nach dem Durchschreiten der Kantinentüre, hat laut zeit.de das Landessozialgericht Stuttgart entschieden.
BVerwG zu Bundeswehr-Haarerlass: In der Tagesspiegel-Kolumne "Ein Spruch" äußert Jost-Müller Neuhof Unverständnis zur jüngsten Bestätigung des Haar- und Barterlasses der Bundeswehr durch das Bundesverwaltungsgericht. Dieser sei "der letzte große Witz der alten Bundeswehr" – zumal Frauen ihr Haar lang tragen dürften.
Kirch-Prozess: Die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) berichtet über die sich zuspitzenden Falschaussagen-Ermittlungen gegen Vorstände der Deutschen Bank im Zusammenhang mit dem Kirch-Prozess. Das Handelsblatt (S. Afhüppe/F.-M. Drost/A. Höpner/H.-J. Jakobs/P Köhler/R. Landgraf/L. de la Motte) widmet dem "Informationskrieg" zwischen Deutscher Bank und Kirch-Erben sein Titelthema und gibt einen Überblick über die Auseinandersetzung und die jüngsten Entwicklungen. Derzeit hoffe die Deutsche Bank, dass der Bundesgerichtshof im ersten Quartal 2014 die Revision gegen das Schadensersatzurteil des Münchner Oberlandesgerichts zulässt.
Joachim Jahn (Samstags-FAZ) fragt in diesem Zusammenhang, ob der vielzitierte "rauchende Colt", eine E-Mail, die Überlegungen der Deutschen Bank zur Aufspaltung der Kirch-Gruppe belege, nicht "eher eine Schreckschusspistole, wenn nicht eine Nebelkerze" sei. Immerhin gehe es zunächst nur um "reine Gedankenspiele" von Investmentbankern, die noch keine Falschaussage belegten. Rüdiger Jungbluth (zeit.de) hält es für legitim, dass die Kirch-Erben von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft profitieren – anders hätten sie ihre "berechtigten" Ansprüche gegen die Bank nie durchsetzen können.
LG München – Ritter Sport: Samstags-SZ (Ekkehard Müller-Jentsch) und Samstags-FAZ (Corinna Budras) berichten über den Prozess zwischen dem Schokoladenhersteller Ritter Sport und der Stiftung Warentest vor dem Landgericht München. Es gehe um die Frage, ob der Aromastoff Piperonal "natürlich" sei. Einen Vergleichsvorschlag des Gerichts, sich auf einen gemeinsamen Gutachter zu einigen, hätten beide Parteien abgelehnt. Auch die Samstags-Welt berichtet ausführlich.
BAG zu HIV-Infektion: Der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott analysiert auf lto.de das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Entlassung von HIV-infizierten Arbeitnehmern. Mit dem Urteil vollziehe das Gericht eine Rechtsprechungsänderung, setze dabei aber "lediglich" europäische Vorgaben um. Das Urteil werde deswegen wohl auch auf andere chronische Krankheiten anwendbar sein.
EuGH zu Versicherungsrecht: Die Montags-Welt (Kathrin Gotthold) beschäftigt sich mit den möglicherweise desaströsen Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft, die das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Widerspruchsrecht bei Lebensversicherungsverträgen haben könnte. Allerdings hänge vieles von der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs ab.
Auschwitz-Prozesse: Vor dem Hintergrund des Strafverfahrens gegen einen 92-jährigen ehemaligen SS-Mannes wegen Mordes an einem niederländischen Widerstandskämpfer fragt Joachim Käppner (Samstags-SZ) welchen Sinn es noch habe, "Greise zur Höchststrafe zu verurteilen". In seinen Augen gehe es dabei paradoxerweise weniger um die Männer selbst. Sondern um das Zeichen, das der Rechtsstaat mit einer Verurteilung setze.
OLG München – NSU Prozess: Die Samstags-SZ (Annette Ramelsberger) berichtet von der "quälenden" Videovernehmung der 91-jährigen ehemaligen Nachbarin der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München. Die Vernehmung sei nach dem Versuch, die Zeugin zu ihrer Person zu vernehmen, abgebrochen worden, weil die Frau von der Situation überfordert gewesen sei. Nebenklagevertreter hätten darauf die Ladung der Zeugin kritisiert. Auch spiegel.de (Gisela Friederichsen) fragt, wie das passieren konnte.
LG Hannover – Wulff-Prozess: Ulrich Exner (Welt am Sonntag) hält es für "konsequent", dass im Korruptionsprozess gegen Christian Wulff vor dem Landgericht Hannover weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung auf das Einstellungsangebot des Richters eingegangen sind. Der Prozess habe bislang das ergeben, was auch die polizeilichen Ermittlungen ergeben hätten – auf dieser Grundlage sei der Prozess eröffnet worden, jetzt sei es für eine "pragmatische Lösung" eben zu spät.
Recht in der Welt
Uganda – lebenslang für Homosexualität: Wie Samstags-FAZ (Peter-Philipp Schmitt) und Montags-taz (Simone Schlindwein) berichten, hat das ugandische Parlament ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, das "vorsätzliche Homosexualität" mit lebenslanger Haftstrafe bedroht.
Türkei – Korruptionsskandal: Laut Samstags-SZ (Christiane Schlötzer) hat die Istanbuler Staatsanwaltschaft im Zuge "der bisher größten Korruptionsermittlungen seit dem Amtsantritt von Premier Recep Tayyip Erdoğan" nun die Aufhebung der Immunität mehrerer Minister beantragt. Es gehe um ein komplexes, grenzüberschreitendes Geldwäschesystem. Auch die Samstags-Welt (Boris Kálnoky) berichtet ausführlich. Als Reaktion habe Erdoğan am Wochenende 70 führende Polizei- und Justizbeamte entlassen, berichtet die Montags-FAZ (Rainer Hermann) und bietet einen Überblick über die Vorkommnisse.
Jürgen Gottschlich (Montags-taz) sieht angesichts der Ausmaße des Skandals Erdoğans "Imperium wanken".
Portugal – Sparhaushalt verfassungswidrig: Das portugiesische Verfassungsgericht hat den Sparhaushalts der Regierung teilweise gekippt. Die Einsparungen bei den Beamtenrenten seien verfassungswidrig, berichtet die Samstags-taz (Reiner Wandler).
USA – NSA-Bericht: Reymer Klüver (Montags-SZ) ist skeptisch, ob US-Präsident Barack Obama die Vorschläge der Expertengruppe zur NSA tatsächlich umsetzen wird. Sollte er es tun, würde damit die Kontrolle der Geheimdienste durch die Justiz wiederhergestellt und wäre ein Schritt "weg von der Angst-Republik, in die sich die USA nach 9/11 verwandelt haben" getan.
USA – Deutsche Bank schließt Vergleich: Die Deutsche Bank hat im Streit um amerikanische Ramsch-Hypotheken den "teuersten Vergleich in der Geschichte der Bank" geschlossen. Das Institut muss 1,4 Milliarden Euro an die Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac zahlen, berichtet die Samstags-Welt (Sebastian Jost).
Russland – Straflager für Umweltschützer: Der russische Umweltschützer und Regierungskritiker Jewgenij Witischko ist von einem Gericht zu drei Jahren Straflager verurteilt worden, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Das Urteil sei ein Zeichen für den zunehmenden Druck auf Umweltaktivisten im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi, berichtet die Montags-FAZ (Ann-Dorit Boy).
Sonstiges
Gurlitt-Task-Force: Der Focus (Thomas Röll) führt ein Interview mit der Juristin Ingeborg Berggreen-Merkel. Sie ist die Leiterin der von der Augsburger Staatsanwaltschaft beauftragten Task-Force, die den Fall Gurlitt aufarbeiten soll. Sie solle die Herkunft der Kunstwerke klären und wünsche sich eine gütliche Einigung.
Staat und Kirche: In einem umfassenden Gastbeitrag für die Montags-FAZ stellt der Rechtswissenschaftler Josef Isensee das in seinen Augen "nicht nur originelle" sondern auch "wohl ausbalancierte" Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland vor – und erklärt, warum sich die Staatsleistungen an die Kirche nur mit "historischem Sinn" erschließen.
Räumung der "Roten Flora": Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um das besetzte linke Kulturzentrum "Rote Flora" in Hamburg macht sich die taz (Christian Rath) Gedanken über die Voraussetzungen einer Räumung, wann die Polizei eine solche durchsetzen muss und ob der Senat im Interesse des Allgemeinwohls nicht auch eine Enteignung in Betracht ziehen könnte.
Das Letzte zum Schluss
Demo-Kuss hat Folgen: Die Provokation hat offensichtlich gesessen: Auf einer Demonstration hatte die italienische Studentin Nina De Chiffre einen Polizisten auf sein Helmvisier geküsst und sich dabei fotografieren lassen. Nun hat laut Spiegel die Polizeigewerkschaft Anzeige erstattet – wegen sexueller Belästigung und Beleidigung einer Amtsperson.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 21. - 23. Dezember 2013: BVerfG schützt soziale Väter – Voßhoff für Vorratsdatenspeicherung – Abmahnwelle schwappt zurück . In: Legal Tribune Online, 23.12.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10454/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag