Nach einem BGH-Urteil können Fußballvereine auferlegte Verbandsstrafen von sich daneben benehmenden Fans zurückfordern. Außerdem in der Presseschau: Kompromiss bei Erbschaftsteuer und BVerwG zu Mitgliedschaft in religiöser Gemeinschaft.
Thema des Tages
BGH zu Fußball-Fans: Verbandsstrafen, die vom DFB gegenüber Fußballvereinen für ungebührliches Fan-Verhalten verhängt werden, können nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Schadensersatz von den betreffenden Fans zurückgefordert werden. Eine anderslautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln wird damit aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an dieses zurückverwiesen, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Dort müsse vor einer endgültigen Entscheidung über die Regresspflichtigkeit des böllerwerfenden Anhängers des 1. FC Köln dessen Schuldfähigkeit festgestellt werden, so die taz (Christian Rath). Das BGH-Urteil läute "keine neue Ära ein". Untere Instanzen hätten die Haftbarmachung von Fans bislang grundsätzlich ermöglicht, dass Urteil des OLG Köln "war hier nur ein Ausreißer". In die Rechtsproblematik führt lto.de (Pia Lorenz) ein.
Im Interview mit zeit.de (Fabian Scheler) kritisiert Rechtsanwalt Matthias Düllberg, dass Verbandsstrafen bislang verschuldensunabhängig verhängt wurden. Identifizierten Einzeltätern drohten nun neben Sanktionen durch ordentliche Gerichte auch noch die Begleichung dieser Verbandsstrafen, deren Höhe aber völlig willkürlich und intransparent ermittelt würde.
Der Kommentar von Sebastian Fischer (SZ) bezeichnet das Urteil dagegen als Erfolg, wenn einige Fans davon abgehalten würden, andere Stadionbesucher zu gefährden. Es verfehle seine Wirkung, wenn es Vereine aus der Verantwortung entlasse, "auch selbst für Sicherheit zu sorgen und zudem in Fanprojekten den Dialog mit ihrer Kundschaft zu suchen".
Rechtspolitik
Erbschaftsteuer: In der vorletzten Nacht konnte im Vermittlungsausschuss eine Einigung über die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Reform der Erbschaftsteuer erreicht werden. Es berichten unter anderem Hbl (Donata Riedel/Jan Hildebrand) und SZ (Cerstin Gammelin/Wolfgang Wittl), diese mit einem Überblick zu den wichtigsten Änderungen. Ein weiterer Bericht der SZ (Wolfgang Janisch) geht davon aus, dass es auch mit dem erreichten Kompromiss eine Privilegierung von Firmenerben gegenüber normalen Erben gebe. Der hierfür notwendige Rechtfertigungsgrund könne jedoch im Erhalt von Arbeitsplätzen erkannt worden. "Über kurz oder lang" werde sich das BVerfG ohnehin mit der Neuregelung befassen müssen, bis dahin sei man in Karlsruhe wohl erleichtert, sich nicht zum Ersatzgesetzgeber aufschwingen zu müssen. Donata Riedel (Hbl) mutmaßt in einem Kommentar, dass Familienunternehmer die "Wiedervorlage in Karlsruhe" fürchten müssten. Unter Umständen wäre aber ein neues Urteil der Anlass für "Steuerreform mit dem gleichen Steuersatz für alle Erben". Eine "Erbschaftsteuer, die alle gleich, aber dafür niedrig besteuert", wird auch von Manfred Schäfers (FAZ) im Leitartikel der Zeitung als "einfach, gerecht und wirtschaftsfreundlich" bevorzugt.
Steuer-Leaks: Aus Anlass der Berichterstattung zu den Bahamas-Leaks fragt Heribert Prantl (SZ), ob wiederkehrende Enthüllungen über internationale Steuervermeidungspraktiken angesichts ebenso internationaler Geldflüsse einen wirklichen Wert hätten. Dies sei der Fall, weil mittlerweile keine Bank und kein Land mehr garantieren könne, "eine leckfreie Zone" zu bleiben.
BND-Reform: Am kommenden Montag wird Gerhard Schindler, bis zum Juni Präsident des Bundesnachrichtendienstes, im Innenausschuss des Bundestages seine Meinung zur geplanten BND-Reform kundtun. Das Manuskript seiner äußerst kritischen Stellungnahme hat die SZ (Reiko Punkert/Ronen Steinke) studiert.
Nichteinwilligungsfähige: In einem Gastbeitrag für die SZ nimmt Jochen Taupitz, Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und internationales Medizinrecht, an der Debatte über die Zulässigkeit von medizinischen Tests an Nichteinwilligungsfähigen, etwa Demenzkranken. Der Jurist spricht sich gegen ein pauschales Verbot aus, weil dem Grundgesetz kein exklusiv an den Belangen der Betroffenen orientiertes "eigennützig ausgerichtetes Menschenbild" entnommen werden könne.
Asylbewerber: In einem Kommentar erinnert Reinhard Müller (FAZ) daran, dass "mehr als eine halbe Million abgelehnter Asylbewerber" nach geltendem Recht kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland genießen. Der "Nichtvollzug geltenden Rechts" wiederum stelle ein "Armutszeugnis für den Rechtsstaat" aus und marginalisiere die Frage, "wen wir eigentlich gern hier behalten wollen".
Arbeitsstättenverordnung: Bundesregierung, Arbeitgeberverbände und Länder haben sich überraschend auf einen neuen Entwurf zur Arbeitsstättenverordnung geeinigt. Am heutigen Freitag soll das Vorhaben den Bundesrat passieren, schreibt die SZ (Thomas Öchsner) und stellt wichtige Punkte im Überblick dar.
Sozialer Wohnungsbau: Durch eine Grundgesetzänderung will Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) dem Bund ein größeres Mitspracherecht bei öffentlicher Wohnungsbauförderung sichern. Über Einzelheiten des Vorschlags schreibt die SZ (Peter Blechschmidt).
Justiz
BVerwG zu Mitgliedschaft in Glaubensgemeinschaft: Wer im Anmeldeformular einer Meldebehörde unter Religion "mosaisch" einträgt, gibt damit zu verstehen, der örtlichen jüdischen Gemeinde beitreten zu wollen – auch wenn letzteres gerade beabsichtigt wurde. Dies ist das Ergebnis eines nun vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen, seit mehr als einem Jahrzehnt währenden Rechtsstreits, dessen Hintergründe lto.de (Constantin van Lijnden) erläutert. Bereits 2010 hatten die Verwaltungsrichter eine gegenteilige Entscheidung getroffen. Sie hätten nun aber "zähneknirschend" wegen der Bindungswirkung eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr anders entscheiden können. Auch Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) widmet sich der Entscheidung, die eine "der sonderbarsten religionsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten seit langem vorläufig beendet". Dem "kaum verholenden Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung des klagenden Ehepaars, als nächstes ihr Glück beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu versuchen", stehe die "bemerkenswerte Beharrungskraft" des BVerfG entgegen, dass sich dem Trend widersetze, Religionsfreiheit nur mehr auf ein individuelles Recht zu reduzieren. Über diesem Verständnis gerate deren Dimension, "gerade als Gemeinschaft autonom existieren zu können", aus dem Blick.
OLG München – NSU: Im NSU-Verfahren am Oberlandesgericht München referierte ein Rechtsmediziner zum möglichen Alkoholisierungsgrad der Hauptangeklagten während der von ihr eingeräumten Brandlegung der Zwickauer Wohnung. Zschäpes Bemühungen, sich mit steigerndem Alkoholkonsum zu verteidigen, sind dabei im Resümee von spiegel.de (Gisela Friedrichsen) "offensichtlich gescheitert". Denn habe der Experte bei ihr "keine relevanten Einschränkungen der psychischen und kognitiven Leistungsfähigkeit" ausmachen können.
LG Krefeld zu Audi-Rücktritt: Auch Audi-Dieselmotoren enthielten manipulierte Software zur Verschleierung des tatsächlichen Schadstoffausstoßes. Dem Hbl (Volker Votsmeier) liegen die Entscheidungsgründe von zwei aktuellen Urteilen des Landgerichts Krefeld vor, nach denen Käufer deshalb wirksam vom Kauf zurücktreten können. Die vom VW-Mutterkonzern angebotene Nachrüstung sei den erfolgreichen Klägern nach den Entscheidungen nicht zuzumuten.
LG Frankfurt/M. - S&K: Dem mittlerweile ein knappes Jahr andauernden Strafprozess gegen Manager der Immobiliengruppe S&K vor dem Landgericht Frankfurt/M. widmet das Hbl (Katharina Schneider) eine große Reportage. Nach 74 Verhandlungstage beginne man erst mit der Beweisaufnahme. Die sechs Angeklagten verfolgten unterschiedliche, von Schweigen zu akribischen Erklärungen reichende Verteidigungsstrategien.
LG Stuttgart zu Kunstfälschung: In seinem Kunstmarkt-Teil berichtet das Hbl (Christiane Fricke) zu einem noch nicht rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Stuttgart. Vor drei Wochen wurde dort entschieden, dass ein Auktionshaus dem Erwerber eines vermeintlichen Cranach-Bildes den Kaufpreis zurückerstatten muss, obwohl die strafrechtliche Verjährungsfrist für Betrug bereits abgelaufen sei. Bereits vor der Versteigerung existierende Hinweise auf eine Fälschung seien unterdrückt worden.
LG München I – Terrorhilfe: Zu dem am heutigen Freitag am Landgericht München I beginnenden Prozess gegen Vlatko V. berichtet die Welt (Florian Flade). Der wegen Verstoß gegen das Waffenkontrollgesetz und Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat angeklagte Montenegriner war im vergangenen November eine Woche vor den Anschlägen vor Paris an einer bayerischen Autobahn angehalten worden. In seinem Auto fanden sind zahlreiche Waffen und Sprengstoff. Ob tatsächlich ein Zusammenhang zu den Anschlägen von Paris bestehe, sei nach der bekannten Beweislage fraglich.
LG Augsburg zu Prinz von Anhalt: Wegen Steuerhinterziehung hat das Landgericht Augsburg Marcus Prinz von Anhalt zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Verurteilung fällt damit geringer aus als noch im Januar 2015, berichtet die FAZ (Karin Truscheit). Das Gericht habe anerkannt, dass die geschäftlichen Aktivitäten des Prinzen "angemessene branchentypische Fahrzeuge" erforderten und zwei Porsches daher tatsächlich als Geschäftswagen steuerlich absetzbar seien.
StA Oldenburg – Polizeigewalt: spiegel.de (Ansgar Siemens) berichtet zu einem bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg gestellten Strafantrag gegen Behördenmitarbeiter wegen Strafvereitelung im Amt. Durch den Antrag wolle der Bruder eines durch Polizeischüsse Getöteten bislang unterbliebene Ermittlungen in Gang setzen. Unmittelbar nach der Tat waren diese wegen vermeintlicher Nothilfe eingestellt worden. Erst in einem nachfolgenden Zivilverfahren hätten sich Widersprüche in den Aussagen der beteiligten Polizisten ergeben.
Recht in der Welt
EGMR – Srebrenica: Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind Angehörige der Opfer von Srebrenica mit dem Versuch gescheitert, strafrechtliche Ermittlungen gegen niederländische Kommandeure von Blauhelm-Truppen zu erzwingen. Die abweisende Entscheidung eines niederländischen Berufungsgerichts sei nach Ansicht des EGMR korrekt gewesen, meldet swr.de (Klaus Hempel).
WTO-Schiedsgericht – Airbus: Ein in Genf tagendes Schiedsgericht der Welthandelsorganisation WTO hat festgestellt, dass die EU einer 2011 ausgesprochenen Aufforderung, die öffentliche Förderung des Flugzeugherstellers Airbus einzustellen, nicht im ausreichenden Maße nachgekommen ist. Dies berichtet die FAZ (Christian Schubert). Eine Berufung gegen die Entscheidung sei möglich.
Österreich – Bundespräsidentenwahl: Universitätsassistent Emanuel Matti (juwiss.de) untersucht, ob geplante Änderungen von Wahlrechtsbestimmungen die Verfassungskonformität der mittlerweile für den Dezember geplanten Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten in Frage stellen.
China – Menschenrechtsanwalt: Wegen Veruntreuung hat ein Gericht in Beijing den als Verteidiger von Ai Weiwei bekannt gewordenen Anwalt Xia Lin zu einer "außergewöhnlich hohen Strafe" von zwölf Jahren Haft verurteilt. Die taz (Felix Lee) berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Spielkritik: Die Haftung für negative Nutzerkommentare ist ein internationales Rechtsproblem. In den USA können sie auch richtig teuer werden. Wie justillon.de (Jannina Schäffer) berichtet, hat ein dortiger Spieleentwickler zahlreiche Nutzer einer Gaming-Plattform wegen negativer Bewertungen seiner Spiele und "repeated anonymous harassment" auf Schadensersatz in Höhe von 18 Millionen Dollar verklagt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. September 2016: Teure Böller / Einigung zu Erbschaftsteuer / BVerwG zu Glaubensgemeinschaft . In: Legal Tribune Online, 23.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20557/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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