Das Grundgesetz wird 65 – zum Geburtstag spricht ein Verfassungsrichter mahnende Worte, der Justizminister versöhnt sich mit Karslruhe und alle wollen noch mehr Demokratie. Außerdem in der Presseschau: Rüge für die bayerische Regierung, Anwälte fordern Privilegien, Verfassungsrechtler kritisieren den BND. Und wie kommen eigentlich Nazisticker in einen Streifenwagen?
Thema des Tages
65 Jahre Grundgesetz: Das Grundgesetz wird am heutigen Freitag 65 Jahre alt und entsprechend gefeiert. Die SZ (Wolfgang Janisch/Heribert Prantl) führt ein Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Dieter Grimm. Es geht um den zunehmenden Einfluss der Europäischen Grundrechte-Charta und die Weiterentwicklung der Europäischen Union, NSA-Spionage, militärische Tätigkeiten der USA in Deutschland, Volksentscheide und die Rolle des Verfassungsgerichts. Grimm nennt drei wesentliche Probleme für das Grundgesetz: Eine Verschiebung der Gewaltenteilung, bei der die Parlamente verlieren, die zunehmende Privatisierung öffentlicher Aufgaben und "weiche" Steuerungsmittel der Staatsgewalt, so etwa Verhandlungen über Gesetzestexte oder Deals im Strafprozess.
Bundesjustizminister Heiko Maas lobt in der FAZ nicht nur das Grundgesetz, sondern vor allem das Verfassungsgericht. "Konflikte und Reibungen", wie zuletzt um die Rolle der Karlsruher Richter, seien "keine Krisensymptome, sondern Lebenszeichen einer funktionierenden Partnerschaft". Die Politik müsse aber "Mut haben zu entscheiden" und nicht abwarten, bis sie von Karlsruhe in die Pflicht genommen wird. Der ehemalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement macht im Handelsblatt Vorschläge, um das Grundgesetz zu erneuern. Er plädiert für mehr demokratische Beteiligung – in der EU und in der Bundesrepublik – und für "eine Föderalismusreform, die ihren Namen verdient". Auf zeit.de (Linda Dietze) gratulieren die vier Fraktionsvorsitzenden im Bundestag dem Grundgesetz: Gregor Gysi (Die Linke), Volker Kauder (CDU/CSU), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Thomas Oppermann (SPD).
Rechtspolitik
Adoptionsrecht für Homo-Paare: Der Bundestag hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach auch eingetragene Lebenspartner das Adoptivkind ihres Partners annehmen können. Damit sollen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption umgesetzt werden, ein volles Adoptionsrecht wie Ehepaare erhalten Lebenspartner jedoch nicht. Die Welt (Thomas Vitzthum) berichtet, mittlerweile würden auch einige Unionspolitiker ein solches Adoptionsrecht befürworten – bevor das Verfassungsgericht die Gleichstellung einfordert.
Aktionsplan grauer Finanzmarkt: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) wollen den sogenannten grauen Finanzmarkt stärker regulieren. Anleger sollen vor unseriösen Finanzprodukten geschützt werden, damit Fälle wie die Pleite des Windparkbetreibers Prokon vermieden werden. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht soll mehr Kompetenzen bekommen. zeit.de (Olga Gala) erläutert den Aktionsplan.
Ärztliche Suizidhilfe: Die Westdeutsche Zeitung (Peter Kurz) berichtet über eine Veranstaltung des Deutschen Richterbundes zur ärztlichen Suizidhilfe. Der Präsident der Ärztekammer, Frank Ulrich Montogmery verteidigte dabei die Berufsordnung, die Ärzten untersagt, Suizidbeihilfe zu leisten. Der Medizinrechts-Anwalt Wolfgang Putz und der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter forderten dagegen Möglichkeiten ärztlicher Suizidhilfe. In einem gesonderten Kommentar warnt Kurz, solange es keine ärztliche Suizidhilfe gebe, könnten "dubiose Geschäftemacher" davon profitieren. Hier müsse der Bundestag gesetzliche Regeln schaffen und dabei alle Folgen abwägen.
Mordparagraf: Der Strafrechtler Philip von der Meden kritisiert in der SZ den Mordparagrafen scharf als Erbe des NS-Richters Roland Freisler. Deshalb sei es richtig, dass nun eine Expertenkommission eingesetzt wurde, um die Tötungsdelikte zu überarbeiten. Künftig müsse die individuelle Schuld bei der Strafzumessung berücksichtigt werden können.
Justiz
EuGH zu Google – Kommentar: In einer Reihe von Gastbeiträgen kommentiert nun Jan Schallaböck auf netzpolitik.de das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum "Recht auf Vergessen" im Internet. Schallaböck forscht am Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein. Er betont, es sei richtig zwischen einer rechtmäßigen Veröffentlichung etwa eines Zeitungsartikels und der Anzeige in der Suchmaschine zu unterscheiden – schließlich sei "eine Suchmaschinenanfrage nicht dasselbe wie eine Archivrecherche".
BVerfG zu Posing-Fall: In einem Eilverfahren hat das Bundesverfassungsgericht der Staatsanwaltschaft Gießen untersagt, etwaiges Beweismaterial in einem Fall um kinderpornografische Schriften zu sichten und auszuwerten. Das meldet lto.de. Die Staatsanwaltschaft hatte das Material im Sommer 2013 bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt. Der Durchsuchungsbeschluss gründete jedoch darauf, dass der Verdächtige eine DVD mit sogenannten Posing-Darstellung Minderjähriger bestellt hatte – was zu dem Zeitpunkt nicht strafbar war. Der Fall erinnert damit an die Affäre um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy.
BayVerfGH zu Verwandtenaffäre: Der bayerische Verfasungsgerichtshof hat erneut die Landesregierung gerügt, weil sie unzureichend auf Anfragen der Opposition geantwortet hat. Das berichtet die SZ (Frank Müller). Dabei ging es um Anfragen im Zusammenhang mit der sogenannten Verwandtenaffäre – Abgeordnete und auch Kabinettsmitglieder hatten nahe Verwandte in ihren Büros beschäftigt. Nachdem die Affäre aufgeflogen war, hatte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die betreffenden Minister aufgefordert, die Gelder zurück zu zahlen – die Landtags-SPD fragte nach der genauen Summe. Die Regierung will die Informationen nun nachliefern.
VG Düsseldorf – Kosten für Inklusion: Wer bezahlt den Schulbegleiter für ein behindertes Kind, das auf eine Regelschule geht? Nicht das Jugendamt der Stadt, sondern die Schule und damit das Land – weil die Schulaufsicht den Schüler einer Schule zuwies, die keine entsprechenden Fachkräfte hat. Das entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf. spiegel.de schildert den Fall.
StA Halle – Ermittlungen gegen KZ-Wächter eingestellt: Die Staatsanwaltschaft Halle hält den früheren Auschwitz-Wachmann Johannes A. für verhandlungsunfähig und hat Ermittlungen wegen mehrfacher Beihilfe zum Mord deshalb eingestellt. Der 90-Jährige leide an Demenz. Das meldet spiegel.de.
Untersuchungsausschuss – Bayerische Labor-Affäre: Im bayerischen Landtag hat erstmals der Untersuchungsausschus zur sogenannten Labor-Affäre getagt. Er soll aufklären, ob die Justizbehörden Hinweise auf betrügerische Abrechnungsverfahren von Ärzten übersahen. Die SZ (Mike Szymanski) berichtet im München-Teil aus der Sitzung. Die Leiter der Staatsanwaltschaften Augsburg und München, sowie der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz wiesen die Vorwürfe zurück.
Anwaltliche Privilegien: Der Anwaltsberuf sei inzwischen so vielfältig, dass einheitliche Regeln oft nicht mehr angemessen erscheinen, meint Joachim Jahn (FAZ). Die Anwaltschaft berufe sich auf das Schlagwort von der "Einheit", nur um Privilegien durchzusetzen - so etwa nachdem das Bundessozialgericht Syndikusanwälte untersagt hat, sich aus den gesetzlichen Rentenkassen zu befreien. Der "Kampf für Vergünstigungen" sei aber ein "zweischneidiges Schwert". Dass niedergelassene Anwälte inzwischen besser vor Abhörmaßnahmen geschützt sind, könne auch dazu führen, dass die Strafverfolgungsbehörden schneller Anwälte als mutmaßliche Mittäter einstufen, um gegen sie vorgehen zu können.
Recht in der Welt
Investitionsschutz vor internationalen Schiedsgerichten: Das Handelsblatt (Norbert Häring) behandelt in der Rubrik "Stimmt es dass..." die Frage, ob "Finanzinvestoren Staaten vor Tribunale zerren dürfen". Hintergrund ist, dass im Freihandelsabkommen, das die EU mit den USA verhandelt, nicht nur Sachinvestitionen, sondern auch Finanzinvestitionen geschützt werden sollen – womit im Streitfall internationale Schiedsgerichten zuständig wären. In diesem Fall könnte man künftig jedoch "jeden Versuch vergessen, in Europa zu einem verlässlichen Verfahren für Staatsinsolvenzen zu kommen".
USA – NSA-Gesetz: Das US-Repräsentantenhaus hat für ein Gesetz gestimmt, das die massenhafte Sammlung von Telefondaten durch den Geheimdienst NSA einschränken soll. Nun muss noch der Senat entscheiden. Allerdings wird der Gesetzentwurf als "verwässert" kritisiert, meldet spiegel.de.
Frankreich – Kalinka-Fall: Im französischen Mulhouse hat der Prozess gegen den Vater des Mädchens Kalinka begonnen, die 1982 in Lindau am Bodensee unter unklaren Umständen starb. André Bamberski, Franzose, verdächtigte den Stiefvater Dieter K., einen deutschen Arzt, das Mädchen vergewaltigt und getötet zu haben. Die deutsche Justiz sah jedoch keinen ausreichenden Tatverdacht. Bamberski ließ K. im Oktober 2009 entführen und nach Frankreich bringen, wo K. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde. Nun muss sich Bamberski wegen Entführung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Den Fall schildern die FAZ (Bärbel Nickels) und spiegel.de (Stefan Simons).
Sonstiges
Verfassungsrechtler beim NSA-Untersuchungsausschuss: Der NSA-Untersuchungsausschuss hatte in seiner ersten öffentlichen Sitzung am Donnerstag die ehemaligen Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier und Wolfgang Hoffmann-Riem, sowie den Mannheimer Juniorprofessor Matthias Bäcker als Sachverständige geladen. Alle drei betonten, deutsche Bürger müssten vor der massenhaften Spionage des US-Geheimdienstes NSA geschützt werden. Zugleich kritisierten sie die Auslandspionage des Bundesnachrichtendienstes (BND) – der dürfe sich in anderen Staaten nicht so verhalten, wie die NSA in Deutschland. Problematisch sei auch, dass der BND Daten der NSA nutze, die möglicherweise grundrechtswidrig erhoben wurden. Es berichten die SZ (Stefan Braun), die FAZ (Eckart Lohse), die Welt (Manuel Bewarder), die taz (Astrid Geisler) und lto.de (Claudia Kornmeier).
Die deutschen Staatsorgane hätten mit ihrem Nichtstun in der NSA-Affäre also eine "Grundrechtsverletzung durch Unterlassen" begangen, folgert Heribert Prantl (SZ). Sie müssten diplomatische Reaktionen, Gesetzesänderungen und faktische Schutzmaßnahmen ergreifen.
Das Letzte zum Schluss
Nazisticker im Streifenwagen: Wer hat die Nazi-Aufkleber in den Streifenwagen geklebt? Offenbar ein junger bayerischer Polizist, wie die Polizei nun mitteilte. Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat Vorermittlungen aufgenommen, die Poliezi befürchtet einen Imageschaden, der Landesinnenminister Herrmann (CSU) geht jedoch von "Unsinn" eines Einzelnen aus, so zeit.de (Timo Müller).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ak
Was bisher geschah: https://www.lto.de/recht/presseschau/zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. Mai 2014: 65 Jahre Grundgesetz – Privilegien für Anwälte – Verfassungsrechtler vor NSA-Ausschuss . In: Legal Tribune Online, 23.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12071/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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