Wann man als "durchgeknallt" bezeichnet werden darf, hängt entscheidend vom Kontext ab. Ist Latex im Spiel, versteht das BVerfG jedenfalls keinen Spaß. Außerdem in der Presseschau: Mellinghoff findet Besetzungspraxis verfassungswidrig, Ex-Rocker-Präsident sagt aus, vergewaltigter Frau droht in Dubai Anklage – und warum man in Notwehr die US-Botschaft beschießen darf.
Thema des Tages
BVerfG zu Ehrverletzung: Das Bundesverfassungsgericht hat der ehemaligen CSU-Landrätin Gabriele Pauli im Streit mit der Bild-Zeitung Recht gegeben. Diese habe das Persönlichkeitsrecht der Politikerin verletzt, indem sie jene im Zusammenhang mit ihren Latexhandschuh-Fotos als "durchgeknallte Frau" bezeichnet habe, berichten die SZ (Wolfgang Janisch) im "Medien"-Teil und die taz (Christian Rath). Zwar sei diese Bezeichnung nicht schlechthin tabu, im konkreten Fall jedoch außerhalb des öffentlichen Meinungskampfes auf die private Person der Angegriffenen gerichtet gewesen. internet-law.de (Thomas Stadler) betont den besonderen Schutz der Intimsphäre, der in der Entscheidung zum Ausdruck komme.
Heribert Prantl (SZ) begrüßt die Entscheidung und sieht darin auch kein "Maulkörbchen" für die Meinungsfreiheit. Die Bezeichnung sei aufgrund "von merkwürdigen Vermutungen des Kolumnisten über die Sexualität und die Hormone der Politikerin" erfolgt – das müsse "sich niemand gefallen lassen". Ihm pflichtet Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) bei, der "Trollen" wie dem betroffenen Kolumnisten nicht auch noch den Schutz der Meinungsfreiheit umhängen will. Udo Vetter (lawblog.de) geht der gewährte Ehrschutz dagegen zu weit. Er schlägt vor, insgesamt gelassener zu sein und sich in dieser Hinsicht mehr an den USA zu orientieren.
Rechtspolitik
Datenschutzrecht: Auf der "Recht und Steuern"-Seite der FAZ setzt sich der Rechtsanwalt Niko Härting kritisch mit den europäischen Reformbemühungen zum in seinen Augen "mit falschen Erwartungen überfrachteten" Datenschutzrecht auseinander. Er kritisiert das EU-Reformkonzept als zu zentralistisch und undifferenziert. Gleichzeitig hebt Härting hervor, dass angesichts immer komplexerer Datenverarbeitungsvorgänge die Einwilligung der Nutzer "schon lange kein wirksames Instrument des Persönlichkeitsschutzes" mehr sei.
Suizidhilfe: Matthias Kamann (Welt) wendet sich gegen ein Verbot der Suizidhilfe. Das Ende des Lebens könne man nicht gesetzlich regeln; es gebe kein "allgemeingültiges Sterbemodell". Das von den Unionsparteien geforderte Verbot der organisierten Suizidhilfe erlege "zahlreichen Individuen in schwerster Not unangemessene Zwänge auf."
Justiz
Verfassungswidrige Besetzungspraxis: Der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, hat einem Bericht der FAZ (Joachim Jahn/Reinhard Müller) zufolge in einer Rede vor dem Deutschen Finanzgerichtstag "die Politik ungewöhnlich scharf für ihren Umgang mit der Justiz gerügt". Seine Kritik habe sich auf die Praxis bezogen, herausgehobene Stellen verspätet zu besetzen. Geschehe dies bewusst, stelle es einen Verstoß gegen die grundgesetzliche Garantie des gesetzlichen Richters dar. Weiterhin habe er die Zusammenlegung von Präsidentenstellen von Finanz- und Verwaltungsgerichten kritisiert.
LG Duisburg – Ex-Rocker-Präsident sagt aus: Der vor dem Landgericht Duisburg angeklagte ehemalige Präsident des Duisburger Rocker-Clubs Satudarah hat "als erster Rocker-Präsident überhaupt" das im Milieu verbreitete "Schweigegelübde" gebrochen und vor Gericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Anlass für seinen Ausstieg sei die schwere Erkrankung seines Sohnes, gab er der FAZ (Reiner Burger) zufolge an. Auch spiegel.de (Jörg Diehl) berichtet aus dem Gerichtssaal.
LG Osnabrück – Piratenprozess: Vor dem Landgericht Osnabrück hat am Dienstag der Prozess gegen den mutmaßlichen Anführer und Finanzier der somalischen Piraten begonnen, die 2010 das Schiff Marida Marguerite in ihre Gewalt gebracht hatten. Die SZ (Marc Widman) schildert die gegenüber den Geiseln verübten Grausamkeiten, die der Anklage zugrundeliegen sowie die Schwierigkeiten, die mit dem Nachweis bereits der Identität, geschweige denn der Täterschaft des Angeklagten verbunden sind. Hauptbelastungszeugen seien auf See oder säßen in US-Gefängnissen.
AG Heilbronn zu Beleidigung "Rassist": Das Amtsgericht Heilbronn hat einen Gegendemonstranten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil dieser Vertreter einer rechtspopulistischen Vereinigung beim Protest gegen den Bau einer Moschee als "Rassisten" bezeichnet hatte. Das meldet die taz (lem).
AG Leipzig – Beleidigung "Nazi": Die FR (Markus Decker) berichtet über den Fall der Leipziger Stadträtin Margitta Hollick (Die Linke), die sich einer Anklage wegen Beleidigung ausgesetzt sieht, weil sie einen NPD-Stadtrat während einer Debatte im Stadtrat als "Nazi" bezeichnet hatte.
OLG München – NSU-Prozess: Im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht hat die engste Freundin der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, Susann E., wie erwartet die Aussage verweigert. Sie könne sich als Ehefrau des Mitangeklagten André E. auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen; ihr stehe aber auch deswegen ein Aussageverweigerungsrecht zu, weil gegen sie selbst noch ermittelt werde, berichten die taz (Andreas Speit) und zeit.de (Tom Sundermann).
OLG Stuttgart – Riester-Verträge: Am morgigen Donnerstag will das Oberlandesgericht Stuttgart über eine Berufung der Allianz-Versicherung gegen ein von Verbraucherschützern erstrittenes Urteil zur Gültigkeit der Vertragsbedingungen von Riester-Rentenverträgen entscheiden. Hintergrund des Streits um intransparente Vertragsbedingungen sei die Frage der Überschussbeteiligung der Versicherten, erläutert die FAZ (Philipp Krohn) in ihrem "Finanzmarkt"-Teil.
Bußgelder gegen Banken: Markus Frühauf (FAZ) kritisiert die im Zuge der juristischen Aufarbeitung der Finanzkrise gegenüber Banken und insbesondere auch der Deutschen Bank verhängten Bußgelder als zu kurz greifend. Um einen wirklichen Kulturwandel bei den Finanzinstituten sicherzustellen, müssten all jene "zur Verantwortung" gezogen werden, "die an Manipulationen beteiligt waren oder durch unterlassene Kontrollen geduldet haben."
StA München – Breuer-Ermittlungen: Die SZ (Klaus Ott) stellt einer der "Hauptzeugen" der Münchner Staatsanwaltschaft für eine mögliche Anklage des Ex-Deutsche-Bank-Chefs Horst Breuer wegen versuchten Prozessbetrugs vor. Der ehemalige Finanzstratege der Bank bestätige die von dieser bestrittenen Bemühungen um eine Betreuung der pleitebedrohten Kirch-Gruppe.
EU-Kommission – Kältemittelstreit: Deutschland droht möglicherweise ein EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der Duldung des Einsatzes des klimaschädlichen Kältemittels R134a durch den Fahrzeughersteller Daimler. Einem Bericht der FAZ (Michael Stabenow/Christoph Ruhkamp) zufolge will die Kommission am heutigen Mittwoch über die Eröffnung des Verfahrens entscheiden.
Richard Rother (taz) meint, die Kommission müsse zwischen Klimaschutz und Verkehrssicherheit entscheiden. Das von der Kommission zugelassene Kältemittel R123yf entwickele bei einem Autobrand hochgiftige Dämpfe.
Umfrage zu Wirtschaftsstrafprozessen: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach sehen Strafrichter und Staatsanwälte in Wirtschaftsprozessen die Anklagevertretung gegenüber der Verteidigung als unterlegen an. Wie die FAZ (Joachim Jahn) auf ihrer "Recht und Steuern"-Seite zusammenfasst, habe sich eine Mehrheit der Befragten außerdem für Möglichkeiten zur Verfahrensbeschleunigung ausgesprochen. "Sehr kontrovers" würden Verfahrensabsprachen beurteilt; auch die künftigen Auswirkungen des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgericht würden uneinheitlich beurteilt.
Recht in der Welt
Vereinigte Arabische Emirate – Vergewaltigter Frau droht Anklage: Einer Österreicherin, die in Dubai eine Vergewaltigung zur Anzeige gebracht hat, droht nach einem Bericht der FAZ (Stephan Löwenstein) offenbar eine Anklage wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs – jedenfalls dann, wenn die Vergewaltigungsvorwürfe nicht bewiesen werden können. Auf die Tat stehe eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr – es sei denn, die Frau heirate ihren mutmaßlichen Vergewaltiger. Auch spiegel.de (Claus Hecking) berichtet.
Großbritannien – JPMorgan verklagt BVG: Die Berliner Verkehrsbetriebe müssen sich vor einem Londoner Gericht gegen eine Klage der US-Bank JPMorgen auf Zahlung von 150 Millionen Euro plus Zinsen wehren. Hintergrund sei der Streit um ein inzwischen wertloses Finanzderivat, das die Verkehrsbetriebe auf Anraten der Bank erworben hatte, berichtet das Handelsblatt (Katharina Slodczyk).
Kroatien* – Perković vor Auslieferung: Einem Bericht der SZ (Florian Hassel) zufolge steht der kroatische* Ex-Geheimdienstchef Josip Perković kurz vor der Auslieferung nach Deutschland, nachdem der Oberste Gerichtshof Kroatiens die Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bestätigt hat. Zwar wolle dessen Anwalt noch Beschwerde beim Verfassungsgericht des Landes einreichen; eine solche habe aber ohne spezielle Anordnung des Gerichts keine aufschiebende Wirkung. Auch zeit.de berichtet.
Griechenland – Besoldungskürzung verfassungswidrig: Das Oberste Verwaltungsgericht Griechenlands hält die 2012 gekürzten Gehälter von Uniformierten für verfassungswidrig niedrig. Über das noch nicht veröffentlichte Urteil und die finanzielle Bedrängnis, in das es die griechische Regierung möglicherweise bringt, berichtet die SZ (Christiane Schlötzer).
EU ermahnt Türkei: Wie die FAZ (Nikolas Busse) berichtet, hat die EU den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan anlässlich eines Besuchs in Brüssel zur Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung im Zusammenhang mit Plänen für eine stärkere ministerielle Kontrolle der türkischen Justiz gemahnt. Erdogan habe erwidert, dass die Legislative handeln müsse, wenn die Justiz parteiisch werde.
Sonstiges
ADAC-Leserumfrage: Im Interview mit lto.de erläutert der Rechtsanwalt Arno Lampmann, wer wegen der gefälschten Umfragezahlen des ADAC vor Gericht ziehen könnte. Während Autohersteller nicht in Frage kämen, könnten konkurrierende Fachmagazine und auch Verbraucherzentralen wettbewerbsrechtlich gegen den ADAC vorgehen. Schadensersatzansprüche des ADAC selbst kämen gegenüber dem ehemaligen Pressechef des Vereins in Betracht, der die Fälschung zu verantworten hatte. Allerdings sei ein Schaden wohl nur schwer bezifferbar.
Das Letzte zum Schluss
Notwehr gegen NSA: Auf zeit.de erläutert der Strafrechtler Lars Berster, warum ein deutscher Bürger sich auch mit Gewalt gegen die Überwachungstätigkeit der NSA wehren dürfte – und beispielsweise in Notwehr den Starkstromverteiler der US-Botschaft unter Beschuss nehmen dürfte.
*Anm. d. Red.: Hier stand zunächst "Ukraine". Geändert am 22.01.2014, 11:12 Uhr.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie in der Printausgabe oder im jeweiligen E-Paper.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/thd
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 22. Januar 2014: BVerfG schützt Pauli-Ehre – Ex-Rocker-Präsident sagt aus – Notwehr gegen NSA . In: Legal Tribune Online, 22.01.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10735/ (abgerufen am: 21.07.2024 )
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