US-Präsidentschafts-Bewerberin Kamala Harris war einst Staatsanwältin und Justizministerin. LG München I sieht Ungereimtheiten in den Aussagen des Ex-Wirecard-Buchhalters. Erstes OVG lehnt subsidiären Schutz für Syrer:innen ab.
Thema des Tages
USA – Kamala Harris: SZ (Viola Schenz), Welt (Laurin Meyer) und LTO portraitieren die aktuelle Vizepräsidentin der USA und mögliche Präsidentschaftskandidatin, Kamala Harris. Harris war zunächst als Staatsanwältin tätig und wurde später die erste Justizministerin Kaliforniens. Sie versteht sich als Anwältin der kleinen Leute und setzte sich unter anderem für die gleichgeschlechtliche Ehe, striktere Waffengesetze, für die Rechte nicht-dokumentierter Einwanderer:innen und für eine progressive Reform des Steuersystems ein.
Rechtspolitik
Resilienz des BVerfG: Die Ampelfraktionen und die CDU-CSU-Fraktion einigten sich auf eine Reform zur Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wird den gemeinsamen Entwurf, mit dem zentrale Strukturelemente des BVerfG grundgesetzlich verankert werden sollen, am heutigen Dienstag vorstellen, wie FAZ und LTO (Markus Sehl/Luisa Berger) schreiben. Da eine Grundgesetzänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert, benötigen die Regierungsparteien auch die Zustimmung der Union.
Geldautomatensprengung: Das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium legten einen Gesetzentwurf vor, mit dem die Sprengung von Geldautomaten härter bestraft werden soll. Der Strafrahmen soll nun generell auf eine Mindeststrafe von zwei Jahren angehoben und unter anderem dann auf bis zu 15 Jahre erhöht werden, wenn es durch die Sprengung zu Schädigungen von Menschen kommt. Verbände und die Länder haben nun Zeit, Stellungnahmen abzugeben, so LTO und beck-aktuell. netzpolitik.org (Martin Schwarzbeck) kritisiert das Vorhaben, § 100a der Strafprozessordnung dergestalt anzupassen, dass den Strafverfolgungsbehörden auch der verdeckte Einsatz von Staatstrojanern zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung bei entsprechenden Taten erlaubt ist.
TK-Netzausbau: Nach Informationen von netzpolitik.org (Tomas Rudl) wird das Bundeskabinett am Mittwoch eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes beschließen, mit der der Netzausbau beschleunigt werden soll. Streitpunkt war vor allem, ob der Ausbau digitaler Infrastruktur im "öffentlichen Interesse" oder im "überragenden öffentlichen Interesse" liegt – bislang ist unklar, welcher Formulierung der Vorzug gewährt wird. Dies hat zB Auswirkungen auf die Entscheidung, ob in einem Naturschutzgebiet Mobilfunkmasten aufgestellt werden dürfen.
Vorratsdatenspeicherung: Eine "High Level-Group" der EU, bestehend aus Beamt:innen der Sicherheitsbehörden der Mitgliedstaaten und der Kommission, empfahl bereits im Mai 2024 in einem nun an die Öffentlichkeit gelangten Dokument die "Einführung eines EU-weit harmonisierten Rechtsregimes für die Vorratsdatenspeicherung". Rechtsprofessor Matthias Bäcker bezweifelt allerdings, ob der EU die Kompetenz für eine Vorratsdatenspeicherungs-Regelung zusteht, wenn sie nicht nur die Speicherung, sondern auch den Datenzugriff regelt. LTO (Markus Sehl/Maryam Kamil Abdulsalam) berichten.
Justiz
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun/von Erffa: Nachdem der mitangeklagte ehemalige Wirecard-Buchhalter Stephan von Erffa zwei Tage lang aussagte, nicht aber das erwartete Geständnis ablegte, konfrontierte ihn der Vorsitzende Richter mit Ungereimtheiten der Buchhaltung. So veröffentlichte Wirecard seine vorläufigen Geschäftszahlen immer Wochen, bevor die Partnerfirmen ihre Zahlen an Wirecard schickten. Daraus folgert die Staatsanwaltschaft, dass die angeblichen TPA-Geschäfte gar nicht existieren. SZ, FAZ, LTO und beck-aktuell berichten.
OVG NRW zu subsidiärem Schutz für Syrer:innen: Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied, dass Syrer:innen kein subsidiärer Schutz mehr zusteht, weil Leib und Leben von Zivilist:innen in Syrien nicht mehr ernsthaft bedroht seien. Hierbei handelt es sich um die erste derartige Entscheidung eines deutschen Oberverwaltungsgerichts. Es berichten zeit.de und focus.de.
BGH zu Testamentsvollstreckung an KG-Teilbeteiligung: Das Hbl (Daniel Otte) referiert einen Beschluss des Bundesgerichtshofs, der einer Anordnung der Testamentsvollstreckung Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Unteilbarkeit von Gesellschaftsanteilen an einer Kommanditgesellschaft gewährt, sofern die Testamentsvollstreckung im Gesellschaftsvertrag zugelassen ist oder alle Gesellschafter:innen ihr zustimmen.
BGH zu medizinischer Zwangsbehandlung: Das Sachverständigengutachten, eine der Voraussetzungen für eine medizinische Zwangsbehandlung bei Betreuten, muss grundsätzlich von einer Psychiater:in erbracht werden, so der Bundesgerichtshof in einer Mitte Juni ergangenen Entscheidung. In dem zugrundeliegenden Fall verließ sich das Landgericht Arnsberg auf das Gutachten eines Neurologen. Rechtswidrig handelte es außerdem, indem es den betroffenen Betreuten nicht erneut anhörte, wie beck-aktuell schreibt.
BAG zu Betriebsratswahl: Wenn bei einer Betriebsratswahl weniger Bewerber:innen zur Wahl stehen als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, dann kann auch ein "kleiner" Betriebsrat errichtet werden, so das Bundesarbeitsgericht in einem von Rechtsanwältin Julia Certa im Expertenforum Arbeitsrecht erläuterten Beschluss aus dem April 2024. Damit bestätigte das BAG die Vorinstanzen, die den Antrag des Arbeitgebers auf Feststellung der Nichtigkeit der Betriebsratswahl wegen des Mangels an Kandidat:innen ablehnten.
OLG Hamburg zu Lindemann vs. Spiegel: Der Spiegel darf die Verdachtsäußerung, Rammstein-Sänger Till Lindemann nutze K.O.-Tropfen, um seine späteren Opfer sexuell gefügig zu machen, nicht verbreiten. Das entschied das Oberlandesgericht Hamburg in einem am Freitag verkündeten Urteil im einstweiligen Verfügungsverfahren. Entgegen der vorinstanzlichen Einschätzung erlaubt das OLG Hamburg dem Spiegel jedoch die Äußerung, dass Lindemann Alkohol an potenzielle Sexualpartnerinnen en masse ausschenkt. Nach Ansicht des OLG entspreche es der Erwartungshaltung von Leser:innen, dass auf Aftershowpartys viel Alkohol fließe, durch eine entsprechende Aussage werde nicht der Eindruck erweckt, dass dies sexuell motiviert sei. Der Spiegel kündigte bereits an, notfalls bis zum Bundesgerichtshof ziehen zu wollen. LTO (Felix W. Zimmermann) berichtet.
OVG Berlin-Brandenburg zu Ausbürgerung: Ein ehemaliger Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten hat wohl zu Recht die deutsche Staatsbürgerschaft verloren, entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem Eilverfahren. Das Land Berlin habe die Einbürgerung wegen arglistiger Täuschung wohl zu Recht rückgängig gemacht, weil der Mann bei der Einbürgerung seine russische Staatsbürgerschaft verschwiegen hatte und nur eine ukrainische Staatsangehörigkeit angab. Das OVG berücksichtigte auch, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den Mann für einen russischen Agenten hält. beck-aktuell berichtet.
VG Düsseldorf zu waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit/AfD: In einem Gastbeitrag auf beck-aktuell analysiert Rechtsprofessor Andreas Nitschke das Mitte Juni ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, in dem es den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis wegen fehlender Zuverlässigkeit aufgrund der AfD-Mitgliedschaft der Kläger:innen bestätigte. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. b Waffengesetz besitzen Personen, die Mitglied einer Organisation mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen sind, regelmäßig nicht die erforderliche Zuverlässigkeit. Unklar ist, wem die Kompetenz zur Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit zukommt, inwiefern diese Regelung mit dem Parteienprivileg vereinbar ist und ob bereits die Einstufung einer Organisation als "Verdachtsfall" – wie im Fall der Bundes-AfD – genügt.
LG Braunschweig – Christian B.: Im Strafverfahren gegen Christian B., der fünf schwerer Sexualstraftaten angeklagt ist, lehnte die zuständige Vertretungskammer einen Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen die gesamte Strafkammer ab. Die Staatsanwaltschaft hatte den Antrag gestellt, nachdem die Strafkammer mangels dringendem Tatverdacht die Aufhebung des Haftbefehls gegen B. beschlossen hatte. Am 5. August soll der Prozess fortgesetzt werden, so beck-aktuell.
ArbG Mainz zu Pro-Palästina/El Ghazi: Wie die SZ (Detlef Esslinger) weiß, reichte der Sportverein FSV Mainz 05 eine Vollstreckungsabwehrklage beim Arbeitsgericht Mainz ein. Damit möchte der Verein verhindern, dass er die wegen der unwirksamen fristlosen Kündigung angefallenen 1,5 Millionen Euro Gehalt plus Bonuszahlungen an seinen Ex-Spieler Anwar El Ghazi zahlen muss. Über eine Berufung wird nächstinstanzlich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entscheiden.
AfD-Schiedsgericht NRW zu MdB Helferich: Laut einem der Welt (Frederik Schindler) vorliegenden Beschluss des Landesschiedsgerichts der nordrhein-westfälischen AfD hat dieses dem AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich die aktiven und passiven Mitgliedsrechte entzogen. Helferich habe die "Außerlandesbringung von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund unter Anwendung staatlicher Zwangsmittel als politische Zielstellung" benannt, so das Schiedsgericht.
Richter Bengt Fuchs: Nun berichtet auch spiegel.de (Ann-Katrin Müller u.a.) ausführlich über die rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Postings in Internet-Foren, die der einst auch für Asylverfahren zuständige Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Gera, Bengt Fuchs, verfasst haben soll.
Recht in der Welt
USA – Chiquita: Rechtsprofessor Nelson Camilo Sánchez León erläutert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Entscheidung eines Geschworenengerichts im US-Bundesstaat Florida aus dem Juni. Das Gericht hatte festgestellt, dass das Bananenunternehmen Chiquita eine kolumbianische paramilitärische terroristische Gruppe zwischen 1997 und 2004 illegal finanzierte und sprach den Opfern Schadensersatz zu. Erstmals wurde damit ein US-Unternehmen dafür zur Rechenschaft gezogen, Menschenrechtsverletzungen finanziert zu haben. Der Fall könne Präzedenzwirkung entfalten.
Bangladesch – Quote/öffentlicher Dienst: Nach heftigen Studierendenprotesten mit mehr als hundert Toten ordnete das Oberste Gericht in Bangladesch am Sonntag an, die von der Regierung geplante Wiedereinführung einer Quotenregelung für den öffentlichen Dienst deutlich abzuschwächen. Statt der ursprünglich geplanten 30 Prozent sollen nur noch fünf Prozent der Stellen an Nachfahren von Soldat:innen des Unabhängigkeitskriegs von 1971 gehen. Weitere zwei Prozent der Stellen sind für Menschen mit Behinderung, Minderheiten und queere Menschen vorgesehen. Es berichten taz (Natalie Mayroth), Welt und spiegel.de (Laura Höflinger).
Sonstiges
KI/Urheberrecht: In einem Gastbeitrag in der SZ setzt sich Udo Di Fabio, Rechtsprofessor und ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, mit Rechtsfragen zur generativen Künstlichen Intelligenz auseinander. Die 2019 durch die EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt eingeführte "Text-and-Data-Mining-Schranke", die "schon bald auch die Gerichte beschäftigen dürfte", könnte so verstanden werden, dass Urheber:innen explizit ein "Opt-Out" erklären müssten, um ihre Werke vor der Nutzung zu KI-Trainingszwecken zu schützen. Rechtlich ungeklärt sei auch, wann bei KI-generierten Werken die für den urheberrechtlichen Schutz notwendige "Schöpfungshöhe" erreicht ist. Abschließend fordert Di Fabio einen "neuen Werk- und Schöpfungsbegriffs für KI-generierte Werke", damit die auf "Samtpfoten daherkommende technische Aneignung der schöpferischen Potenzen von Künstlern verhindert" wird.
Verfassungspatriotismus: Die FAZ (René Schlott) bespricht den von Rechtsprofessor Steffen Augsberg herausgegebenen Quellenband mit Texten von Politik- und Rechtswissenschaftler:innen aus den Jahren 1986 bis 2019 zum Konzept des Verfassungspatriotismus.
Compact-Verbot: Auf dem Verfassungsblog setzen sich gleich zwei Beiträge mit dem von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ausgesprochenen Verbots der Compact-Magazin GmbH auseinander. Sandra Lukosek, die zum Recht von Vereinsverboten promovierte, erläutert, warum sich das Compact-Verbot in "eine seit Jahrzehnten bestehende Verbotspraxis einreiht". Der weite Vereinsbegriff des § 2 Abs. 1 Vereinsgesetzes (VereinsG) erfasst gemäß § 17 VereinsG auch Kapitalgesellschaften. Zudem wurden bislang mehrere Medienunternehmen nach dem VereinsG verboten, darunter beispielsweise eine Verlags-GmbH mit entsprechender Nachrichtenagentur der kurdischen PKK und die Internetplattform linksunten.indymedia. Die Verbotstatbestände des Art. 9 Abs. 2 GG lassen "wegen des klaren Wortlauts grundsätzlich keinen Raum für Ermessenserwägungen". Rechtsprofessorin Kathrin Groh findet die Argumente gegen das Verbot ebenfalls nicht überzeugend, weil der "Zusammenschluss zu einer Medienorganisation kein Freifahrtschein für den Weg aus dem Vereinsgesetz hinaus" ist. Sie betont, dass das Vereinsverbot wichtiger Bestandteil der wehrhaften Demokratie ist. Zwar sie es richtig, dass ein Vereinsverbot – anders als ein Parteienverbot – keine konkrete Gefahr der Erreichung verfassungsfeindlicher Ziele erfordert, allerdings ergebe es wegen des "demokratiekonstituierenden Charakters von Medien" Sinn, bei Vereinsverboten die gleiche höhere Darlegungslast vorzusehen wie bei Verboten von Religionsgesellschaften.
taz-blogs (Detlef Georgia Schulz) schreibt, dass gegen das Verbot bislang weder Eilantrag noch Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen sind.
Resilienz der Demokratie: Nun bespricht auch Christian Rath (LTO) das Buch des Verfassungsblog-Chefredakteurs Maximilian Steinbeis "Die verwundbare Demokratie", in dem Steinbeis die Auseinandersetzung des autoritären Populismus mit der liberalen und pluralistischen Demokratie beschreibt. Rath befindet, dass Steinbeis ein "hervorragendes Buch gelungen" ist. Der Schwerpunkt liege allerdings – anders als der Untertitel des Buches verspricht – in einer Problembeschreibung und nicht in "Strategien gegen die populistische Übernahme". Steinbeis zeige sich etwas ernüchtert, was die Leistungsfähigkeit von Resilienz-Regelungen in Gesetzen und Verfassungen angeht.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 23. Juli 2024: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55053 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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