BGH klärt Verjährung bei Auskunftsansprüchen wegen Mietpreisbremse. BVerfG lehnt Beitritt des Bundestags im Wahlprüfungsverfahren ab. Bayern nimmt Streichung der Standorte Bayreuth und Passau fürs Zweite Staatsexamen zurück.
Thema des Tages
BGH zur Mietpreisbremse: Auskunftsansprüche zur Klärung von Ansprüchen aus der so genannten Mietpreisbremse gem. § 556g BGB verjähren zwar binnen drei Jahren, die Frist beginnt aber erst zu laufen, nachdem die Mieter:innen erstmals gegenüber den Vermieter:innen um Auskunft baten. Dies hat der Bundesgerichtshof entschieden. Das Urteil gilt als mieterfreundlich, weil die Vorinstanzen teilweise die dreijährige Verjährung schon mit dem Abschluss des Mietvertrags beginnen ließen. Das Urteil nützt auch dem Rechtsdienstleister Conny (ehemals wenigermiete.de), der Ansprüche von Mieter:innen aus der Mietpreisbremse prüft und durchsetzt. In allen vier vom BGH entschiedenen Fällen war Conny involviert. Die Mietpreisbremse soll in "Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten" den Anstieg der Miethöhe bei Neuvermietungen bremsen. In diesen Gebieten darf die Miete zu Beginn eines neuen Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete in der Regel höchstens um 10 Prozent übersteigen. Es berichten FAZ, Hbl (Carsten Herz), BadZ (Christian Rath), tagesschau.de (Caroline Greb/Klaus Hempel), zdf.de (Caroline Löffelhardt/Jan Henrich), spiegel.de und zeit.de.
Rechtspolitik
"Rasse" in der Saarland-Verfassung: Das saarländische Landesparlament brachte eine Verfassungsänderung auf den Weg, die vorsieht, den Begriff der "Rasse" durch Benachteiligung "aus rassistischen Gründen" zu ersetzen. Dadurch soll klargestellt werden, dass es – anders als der Begriff der "Rasse" nahelegt – keine biologischen "Menschenrassen" gibt. LTO berichtet.
Rente/Generationenkapital: Die Grünen haben verfassungsrechtliche Zweifel an der von der Bundesregierung geplanten kapitalgedeckten Säule der Rentenversicherung (Generationenkapital). Darin könnte eine Umgehung der Schuldenbremse liegen, heißt es unter Berufung auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Das HBl (Jan Hildebrandt/Frank Specht) berichtet und stellt auch beihilferechtliche Bedenken gegen das vor allem von der FDP forcierte Vorhaben dar.
Wettbewerb: LTO (Leonie Ott) erläutert die am vergangenen Donnerstag im Bundestag beschlossene 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Darin erhält das Bundeskartellamt (BKartA) die Kompetenz, nach einer Sektoruntersuchung bereits bei "erheblicher und fortwährender Störung des Wettbewerbs" einzugreifen. Bislang setzte ein Eingreifen des BKartA voraus, dass die betreffenden Unternehmen vorwerfbar handelten. Der neu eingeführten § 32f GWB gilt daher als Fremdkörper im GWB. Die Anwendungsmöglichkeiten werden sich aber in Grenzen halten, weil stets eine aufwendige Sektoruntersuchung vorausgehen muss.
Cannabis: LTO (Hasso Suliak) liegt exklusiv die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken zu Gesprächen der Bundesregierung mit der EU-Kommission bezüglich der geplanten Cannabislegalisierung vor. Demnach fand am 14. November 2022 ein informelles Gespräch zum deutschen Eckpunktepapier vom 26. Oktober 2022 statt. Allerdings trafen sich die Politiker:innen nach LTO-Informationen am 18. Januar 2023 erneut – was die Bundesregierung jedoch verschweige.
Justiz
BVerfG – Wahlen in Berlin: Der Bundestag kann dem Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren zur Bundestagswahl in Berlin nicht beitreten. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Das BVerfG folgert aus der Vorschrift zur Beschwerdebefugnis, § 48 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz, dass eine aktive Verfahrensbeteiligung allein den Beschwerdeführerinnen vorbehalten ist. Bei der Wahlprüfungsbeschwerde gem. Art. 41 Abs. 2 GG handele es sich nicht um ein kontradiktorisches Verfahren, vielmehr werde eine objektive Rechtsklärung angestrebt. Der Bundestag konnte in diesem Verfahren daher auch keinen zulässigen Befangenheitsantrag gegen den berichterstattenden Verfassungsrichter Peter Müller stellen, der gegenüber der FAZ von einer "Skandalwahl" gesprochen hatte. Am Dienstag und Mittwoch kommender Woche verhandelt das BVerfG über die Wahlprüfungsbeschwerden der Fraktionen von CDU/CSU und AfD gegen den Bundestagsbeschluss, der festlegte, dass die Bundestagswahl nur in 431 Berliner Stimmbezirken wiederholt werden muss. FAZ (Marlene Grunert) und LTO (Max Kolter) berichten.
EuG – Amazon: Der weltgrößte Online-Händler Amazon klagt beim Gericht der Europäischen Union gegen die Einstufung als "besonders große Plattform" nach dem EU-Digital Services Act (DSA). Der DSA verpflichtet Unternehmen unter anderem, illegale Inhalte von ihren Plattformen zu entfernen. Amazon sieht sich nicht als "besonders große Plattform", weil es zum einen als Anbieter von Verbrauchsartikeln nicht unter den Begriff der Online-Plattform des DSA falle, und zum anderen nicht groß genug sei, da es in keinem der einzelnen EU-Länder der größte Einzelhändler sei. LTO berichtet.
VerfGH Hamburg zu Grundeinkommen: Das Hamburgische Landesverfassungsgericht entschied, dass das Volksbegehren "Hamburg soll Grundeinkommen testen!" nicht durchgeführt werden darf, weil es aufgrund missverständlicher Formulierungen nicht die dem Demokratieprinzip entspringenden Anforderungen zum Schutz der Freiheit der Stimmberechtigten erfüllt. Damit folgte der VerfGH Hamburg allerdings nicht der Auffassung des Hamburger Senats, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht der Landeskompetenz unterfalle. Remo Klinger, Anwalt der Volksinitiative, begrüßt daher das Urteil: "Wir haben verloren und doch gewonnen". Die taz-nord (Nina Spannuth) berichtet.
BGH zu Vermögensverfall/Anwaltszulassung: LTO (Martin W. Huff) berichtet über einen am Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Mai diesen Jahres, nach dem auch Anwält:innen, die nur als Strafverteidiger:innen tätig sind, die Anwaltszulassung im Falle des Vermögensverfalls entzogen werden kann. Da die Anwaltszulassung nicht teilbar ist, komme ein Teilwiderruf der Zulassung nicht in Betracht. Zudem könne nicht überprüft werden, welche Mandate die Anwält:innen tatsächlich übernehmen. Schließlich kommen auch Strafverteidiger:innen mit Fremdgeld in Kontakt, weil sie regelmäßig die Kaution ihrer Mandant:innen entgegennehmen.
LG Berlin/LG Hamburg zu Julian Reichelt: Nun fasst auch die SZ (Anna Ernst) die gerichtlichen Niederlagen des früheren Bild-Chefs Julian Reichelt vor dem Landgericht Berlin und dem Landgericht Hamburg im Zusammenhang mit Verschwiegenheitsklauseln seines Abwicklungsvertrags zusammen. Inzwischen hat der Deutsche Journalistenverband das Berliner Urteil scharf kritisiert, weil es einen "praktikablen Informantenschutz" verhindere. Das Landgericht hatte angenommen, dass der Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, den Springer-Verlag über Reichelts Kontaktaufnahme informieren durfte, weil kein Informantenschutz vereinbart worden war.
LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Johannes Bauer (SZ) portraitiert den Rechtsanwalt Alfred Dierlamm, der den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun im Strafprozess vor dem Landgericht München I verteidigt. Dierlamm ist seit 1994 im Wirtschaftsstrafrecht tätig, seit 1999 hat er seine eigene Kanzlei und vertrat seitdem Mandant:innen wie den ehemaligen Geschäftspartner von Hanno Berger im Cum-Ex-Verfahren, Manager:innen der Sachsen-LB und Wirtschaftsprüfer:innen im Zusammenhang mit der Schlecker-Insolvenz.
LG Dresden – gefälschte Corona-Atteste: Die Staatsanwaltschaft Dresden erhob Anklage gegen eine 66-jährige Ärztin, der vorgeworfen wird, in 549 Fällen falsche Corona-Atteste und gegen eine Pauschale von 25 Euro falsche Negativtests ausgestellt zu haben. Dadurch soll die vorbestrafte Ärztin, die der Reichsbürger-Szene angehört und wegen Fluchtgefahr seit Ende Februar in Untersuchungshaft sitzt, etwa 30.000 Euro eingenommen haben. Es berichten FAZ (Stefan Locke) und bild.de (Markus Langner).
LG Köln – Missbrauch durch Priester/Pflegetochter: Eine 56-jährige Pflegetochter eines katholischen Priesters reichte vor dem Landgericht Köln Klage gegen das Erzbistum Köln auf Schmerzensgeld in Höhe von 830.000 Euro wegen des sexuellen Missbrauchs durch besagten Priester ein. Wie die SZ (Annette Zoch) schreibt, war die Pflegetochter des Priesters zweimal schwanger geworden; der Priester hatte ihr bei der ersten Abtreibung weisgemacht, es handle sich um eine gynäkologische Routineuntersuchung. Der betreffende Priester wurde bereits letztes Jahr vor dem Landgericht Köln wegen des mehrfachen sexuellen Missbrauchs zu einer Haftstrafe von zwölf Jahren verurteilt.
AG Flensburg zu Klimaprotest: Anders als seine Kollegin, die letztes Jahr in einem aufsehenerregenden Urteil entschied, dass eine Baumbesetzung wegen Notstands gemäß § 34 Strafgesetzbuch gerechtfertigt war, urteilte ein Richter am Amtsgericht Flensburg nun, dass sich zwei Baumbesetzerinnen des Hausfriedensbruchs strafbar gemacht hatten. Die taz-nord (Lars Hermes) berichtet von dem Verfahren.
AG Mönchengladbach – krimineller Pfarrer: Ein Pfarrer, der bereits wegen des Handels mit Heroin eine Haftstrafe verbüßte, muss sich nun erneut vor dem Amtsgericht Mönchengladbach verantworten. Diesemal wird ihm die Veruntreuung von mehr als 100.000 Euro an Kirchengeldern vorgeworfen. Ein Urteil könnte am 30. August fallen, so spiegel.de und bild.de (Oriana von Hahn).
Recht in der Welt
USA – KI/Datendividende: Kalifornische Anwält:innen haben vor zwei Wochen eine Sammelklage von Internetnutzer:innen gegen ChatGPT-Entwickler Open AI und Microsoft sowie am Dienstag eine weitere Klage gegen Google wegen des "Diebstahls" von Daten aus dem Internet zum Training der jeweiligen KI erhoben. Während bereits einige urheberrechtliche Klagen anhängig sind, gehen diese Klagen insoweit darüber hinaus, als sie auch für nicht urheberrechtlich geschützte Inhalte im Internet eine "Datendividende" in Form von Schadensersatz in Höhe von drei beziehungsweise fünf Milliarden US-Dollar fordern. Die FAZ (Roland Lindner) stellt die Klagen ausführlich vor.
USA – Abtreibungsgesetz Iowa: Der republikanisch dominierte Kongress des US-Bundesstaats Iowa verabschiedete ein restriktives Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch. Künftig dürfen Schwangerschaften grundsätzlich nur noch bis ungefähr zur sechsten Schwangerschaftswoche abgebrochen werden. Diese Regelung gilt unabhängig vom Alter der Schwangeren, wie die taz (Bernd Pickert) und zeit.de schreiben.
Griechenland – Strafverfahren gegen Geflüchtete: Einer durch den EU-Parlamentarier Erik Marquardt (Grüne) in Auftrag gegebenen Studie zufolge geht die griechische Justiz mit harten Strafen in Schnellverfahren gegen Geflüchtete vor, die sie des Menschenschmuggels beschuldigt. Im Schnitt dauern die Verfahren 37 Minuten und führen zu einer durchschnittlichen Haftstrafe von 46 Jahren und Geldstrafe in Höhe von 332.209 Euro; die Beweislage ist der Studie zufolge unzureichend. Häufig werden Geflüchtete des Schmuggels beschuldigt, die selbst geschmuggelt wurden, wie die taz (Christian Jakob) die Ergebnisse der Studie zusammenfasst.
Italien - sexuelle Belästigung: Ein Gericht in Rom hat einen 66-Jährigen vom Vorwurf der sexuellen Belästigung freigesprochen. Der Hausmeister hatte einer 17-jährigen Schülerin auf einer Treppe von hinten in die Hose gefasst. Das Gericht sah darin keine Straftat. Der Übergriff habe weniger als zehn Sekunden gedauert und sei ohne lüsterne Absichten geschehen. Das Urteil löste landesweite Proteste aus. spiegel.de berichtet.
Juristische Ausbildung
Bayerische Prüfungsstandorte: Nach heftiger Kritik nimmt Bayern die geplante Streichung der Prüfungsstandorte Bayreuth und Passau für den schriftlichen Teil der Zweiten Juristischen Staatsprüfung wieder zurück. Grund für die geplante Streichung waren Engpässe bei einem privaten Dienstleister, der die Prüfungsräume für das E-Examen mit mobilen Endgeräten, Netzwerktechnik und Prüfungsservern ausstattet. Nun kann der Dienstleister aber doch alle acht Prüfungsstandorte versorgen. LTO-Karriere berichtet.
LG München I – gefälschte Prädikatsexamina: Das Landgericht München I verhandelt an diesem Donnerstag in zweiter Instanz den Fall eines Mannes, der zwei Prädikatsexamina fälschte und jahrelang als Großkanzleianwalt hohe Gehälter bezog. Zum Verhängnis wurde dem Mann das Datum seiner angeblich abgelegten Prüfung: Pfingstmontag. Das Amtsgericht München hatte den Mann erstinstanzlich unter anderem wegen Betrugs und Urkundenfälschung in 22 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Beide Seiten legten Berufung ein. LTO (Markus Sehl) schildert den Fall ausführlich.
Sonstiges
Verfassungsschutz: Die BadZ (Christian Rath) stellt das neue Buch von Ronen Steinke vor, in dem er sich für eine Abschaffung des Verfassungsschutzes ausspricht. Steinke kritisiert, dass der Verfassungsschutz auch Organisationen überwachen und stigmatisieren darf, die sich legal verhalten, dies sei undemokratisch und ein deutscher Sonderweg. Wo Extremismus beginnt, sei ohnehin nicht objektiv feststellbar, sondern "Ansichtssache", wobei sich die Verfassungsschutzämter nach den Vorgaben der jeweiligen Regierung richten.
BKartA – Lieferando: Das Bundeskartellamt stellte nun ein Verfahren gegen den Lieferdienst Lieferando aus Ermessensgründen ein, weil es in einer von Lieferando verwendeten Bestpreisklausel derzeit kein Marktzutrittshindernis sieht. Der Markt für Essenslieferungen unterscheide sich vom Markt für Hotelbuchungen. Bei der Hotelbuchungsplattform Booking.com hatte das Kartellamt eine Bestpreisklausel beanstandet, was der Bundesgerichtshof 2021 bestätigte. Es berichtet LTO.
Sozialplan/Altersgruppen: Die Rechtsanwälte Thomas Köllmann und Tim Wißmann befassen sich im Expertenforum Arbeitsrecht mit Gestaltungen von Altersgruppen in Sozialplänen, die der Rechtsprechung zufolge im Einklang mit den Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sind.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/lh/chr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 13. Juli 2023: . In: Legal Tribune Online, 13.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52232 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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