Der Strafprozess gegen Verantwortliche des VW-Dieselskandals hat begonnen. Das BVerwG fällte ein Grundsatzurteil zu Presseanfragen und Anhörungsverfahren. In Wien beginnt der erste Schadensersatz-Prozess wegen des Corona-Ausbruchs in Ischgl.
Thema des Tages
LG Braunschweig – Dieselskandal/VW-Führungskräfte: Vor dem Landgericht Braunschweig hat der Mammutprozess im VW-Dieselskandal begonnen. Angeklagt sind neben dem Ex-Konzernchef Martin Winterkorn vier weitere ehemalige VW-Führungskräfte. Die Staatsanwaltschaft wirft den Managern und Ingenieuren gewerbs- und bandenmäßigen Betrug sowie teilweise Steuerhinterziehung und strafbare Werbung vor. Die geplanten Sitzungen mit Winterkorn trennte das Gericht "zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung" ab, da dieser aus gesundheitlichen Gründen momentan nicht verhandlungsfähig sei und der Prozessbeginn nicht noch ein weiteres Mal verschoben werden sollte. Am ersten Prozesstag wurde die Anklage verlesen. Der Anwalt des Angeklagten Thorsten D. kündigte Aussagebereitschaft seines Mandanten an, der immer versucht habe, die Manipulationen zu stoppen. Die Anwältin von Heinz-Jakob N. beantragte das Verfahren auszusetzen, weil das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Es berichten FAZ (Christian Müßgens), SZ (Max Hägler), taz, Hbl (Rene Bender), LTO und tagesschau.de (Kolja Schwartz).
Thomas Fromm (SZ) befürchtet, dass durch die Abtrennung des Winterkorn-Prozesses der Fokus vor allem auf den angeklagten Ingenieuren liegen werde. Dabei müsse sich der Prozess bei einem so streng hierarchischen System wie im Volkswagen-Konzern vor allem auf die "obersten Chefs" konzentrieren, die die Verantwortung für das Unternehmen trugen und "das System erst zu dem machten, was es war".
Rechtspolitik
Christine Lambrecht: Die FAZ (Helene Bubrowski) zieht nach zwei Jahren von Christine Lambrecht (SPD) als Justizministerin Bilanz und meint, ihr Haus wäre über eine mögliche weitere Amtszeit der Anwältin nicht glücklich. Lambrecht habe sich bei Personalentscheidungen mehrfach über Beamtinnen und Beamte hinweggesetzt und einen strengeren Führungsstil gepflegt als ihre Vorgängerin Katarina Barley (SPD).
Sharingfahrzeuge: Das Berliner Abgeordnetenhaus hat ein Gesetz zur Regulierung und Steuerung der Angebote von Mietwagen, Mietfahrrädern und -rollern in Berlin erlassen. Danach handelt es sich beim gewerblichen Anbieten von solchen Miet- und Sharingfahrzeugen um eine Sondernutzung von Straßen, deren Voraussetzung eine gebührenpflichte behördliche Erlaubnis ist. Laut Tsp soll damit der Wildwuchs und "Nutzungskonflikte" vermindert werden, zu dem der Boom der Sharing-Angebote in den letzten Jahren führte.
Justiz
BVerwG zum Presseauskunftsanspruch: Behörden müssen nach eigener gründlicher Abwägung zügig und nicht erst nach einem Anhörungsverfahren entscheiden, ob sie bei Presseanfragen im Einzelfall Informationen erteilen. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem Grundsatzurteil im Juli, der klagende Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet nun über die Urteilsbegründung. Der "verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse" erlaube es Bundesbehörden nicht, "vor Erteilung oder Ablehnung einer Auskunft die Betroffenen (...) anzuhören oder um deren Einwilligung in die Auskunftserteilung nachzusuchen". In dem Verfahren ging es um die Medienarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND), allerdings wurden in jüngerer Vergangenheit auch vom Bundesgesundheits- und vom Bundeswirtschaftsministerium Presseauskünfte mit dem Verweis auf laufende Anhörungsverfahren verweigert. Ein entsprechendes Gutachten des Rechtsprofessors Matthias Rossi wies das BVerwG nun aber zurück.
StA Osnabrück – FIU und Strafvereitelung: Im Zusammenhang mit den Durchsuchungen im Finanz- und im Justizministerium durch die Staatsanwaltschaft Osnabrück fassen die SZ (Peter Burghardt/Jörg Schmitt) und tagesschau.de (Moritz Rödle) den Gegenstand der Ermittlungen, den Verlauf der Durchsuchung und bekannt gewordene Unstimmigkeiten zusammen. Das Justizministerium habe ein angefragtes Schreiben der StA nicht verweigert, sondern nur ein förmliches Ersuchen gefordert. Der Durchsuchungsbeschluss für das Finanzministerium sei schon über einen Monat alt, nun aber erst kurz vor der Bundestagswahl vollstreckt worden. Die Pressemitteilung der StA stimme nicht mit der Anordnung in dem Untersuchungsbeschluss überein. Auf deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) fordert zudem Jurist Ulf Buermeyer, die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung genau zu prüfen.
Auf dem Verfassungsblog kritisiert der emeritierte Rechtsprofessor Joachim Wieland die Durchsuchung als unverhältnismäßig, weil ein förmliches Ersuchen an die Ministerien das mildere Mittel gewesen wäre. Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft wertet Wieland als "falsch". RND (Christian Rath) stellt die juristischen Hintergründe von Durchsuchungen dar.
BVerfG zu medizinischen Zwangsbehandlungen: Eine medizinische Zwangsbehandlung von Untergebrachten im Maßregelvollzug und in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung ist verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn diese von den Untergebrachten vorher nicht wirksam per Patientenverfügung ausgeschlossen wurde. Mit dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Juni befasst sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ines Reiling auf juwiss.de und erläutert, dass damit die individuelle Selbstbestimmung der Untergebrachten gestärkt werde. Allerdings bleiben die praktischen Auswirkungen des Urteils zunächst abzuwarten, weil die Anforderungen an den selbstbestimmten Behandlungsverzicht hoch seien und die Anstalten die Zwangsbehandlung auch zum Schutz Dritter anordnen können.
BGH zu Thermofenster Daimler: Der Einsatz von sogenannten Thermofenstern in Mercedes-Diesel-PKWs, die bei kühleren Temperaturen weniger Abgase zur Verbrennung in den Motor zurückführen, ist nicht sittenwidrig. Mit dieser Entscheidung wies der Bundesgerichtshof zum wiederholten Mal Schadensersatzklagen gegen Daimler zurück, berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO. Wegen der Verwendung dieser Technik könnten dem Autobauer nicht direkt Betrugsabsichten unterstellt werden.
BGH zu Dieselskandal/Leasingraten: Leasingnehmer:innen von Fahrzeugen, die vom VW-Abgasskandal betroffenen sind, haben keinen Anspruch auf Erstattung der Leasingraten. Der Bundesgerichtshof wies damit laut FAZ (Marcus Jung) und LTO die Klage eines Leasingnehmers zurück. Beim Leasing werde anders als beim Kauf das Recht zur Nutzung des Autos für einen bestimmten Zeitraum erworben, das sich durch die uneingeschränkte Nutzung über die vereinbarte Dauer voll realisierte, sodass dem Kläger kein zu kompensierender Schaden entstand.
BFH zur Zweckbindung bei Spenden: Auch eine Spende mit einer konkreten Zweckbindung kann steuerlich anzuerkennen sein. Damit hob der Bundesfinanzhof die vorinstanzliche Entscheidung auf und verwies die Sache zurück an das Finanzgericht. Dies hat nun zu prüfen, ob die Spende der Klägerin für die Unterbringung eines "Problemhunds" in einer Tierpension dem vom Tierschutzverein verfolgten steuerbegünstigten Zweck des Tierwohls diene, so LTO weiter.
OLG Düsseldorf/USA – unmittelbare Beweisaufnahme: Im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens eines US-amerikanischen District Courts haben der Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf und das Justizministerium Rheinland-Pfalz zum ersten Mal eine unmittelbare Beweisaufnahme durch einen Beauftragten nach Artikel 17 des Haager Beweisübereinkommens von 1970 (HBÜ) per Videolink zugelassen. Demnach hat das amerikanische Gericht im März 2021 bei dem Gericht und dem Ministerium beantragt, die Vernehmung von Zeugen mit Wohnsitz im jeweiligen Zuständigkeitsbereich durch Beauftrage zu erlauben. zpoblog.de (Peter Bert) erläutert das Verfahren und begrüßt die zügige und positive Entscheidung, dem Rechtshilfegesuch stattzugeben, dies sei in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen.
VG Berlin zu Deutsche Wohnen: Die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen muss Details zum Zustand, der Lage und zur Ausstattung der 14.000 Wohnungen nennen, die der Berliner Senat von der Deutsche Wohnen kaufen will. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte dies bereits am Dienstag entschieden, nachdem die Organisation FragDenStaat einen Eilantrag gestellt hatte. Die Finanzverwaltung, so LTO, kündigte bereits eine Pressekonferenz für den heutigen Freitag an, pünktlich zur Beurkundung des Kaufs iHv rund 2,4 Milliarden Euro.
VG Wiesbaden zu Wähler:innenbefragungen: In der "Sonntagsfrage" des Meinungsforschungsinstituts Forsa darf auch die Befragung von Briefwählerinnen und Briefwählern miteinbezogen und veröffentlicht werden. Das entschied das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Eilverfahren. Zuvor hatte der Bundeswahlleiter mit Verweis auf § 32 Absatz 2 Bundeswahlgesetz (BWG) die Veröffentlichung von Wähler:innenbefragungen nach deren Stimmabgabe für unzulässig erklärt, was das Gericht nun aber ablehnte und das Recht der freien Berichterstattung der Medien und die Handlungsfreiheit der Wahlforschungsinstitute hervorhob. Es berichten die FAZ (Reinhard Müller), die SZ und LTO (Markus Sehl).
AG Berlin-Tiergarten – Missbrauch durch Arzt: Im Strafprozess gegen einen HIV-Arzt, der einige seiner Patienten sexuell missbraucht haben soll, wurde ein Gutachter vernommen. Der Gutachter analysierte einzelne Praktiken des Arztes wie rektale und genitale Untersuchungen auf deren medizinische Notwendigkeit, wobei er viele Auffälligkeiten und Ungereimtheiten feststellte, so spiegel.de (Wiebke Ramm).
AG München – Jérôme Boateng: Sowohl der Angeklagte Jérôme Boateng als auch Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben gegen das in der vergangenen Woche ergangene Urteil des Amtsgerichts München Berufung eingelegt. Der Fußballer wurde wegen Körperverletzung zu einer Zahlung von 1,8 Millionen Euro verurteilt, weil er seine frühere Lebensgefährtin geschlagen haben soll. Es berichten spiegel.de, die SZ und LTO.
Recht in der Welt
Österreich – Ischgl-Prozess: Vor dem Wiener Landgericht für Zivilrechtssachen beginnt am heutigen Freitag der erste Prozess im Zusammenhang mit dem Covid-19-Ausbruch im Skiort Ischgl. Im Rahmen einer Amtshaftungsklage fordern Angehörige eines Mannes, der sich bei der chaotischen Abreise aus Ischgl mit Covid-19 infizierte und starb, eine Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro vom österreichischen Staat. Es handelt sich um eine erste von bis zu 3.000 vergleichbaren Klagen. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck hat zudem bereits Ermittlungen gegen den Bürgermeister von Ischgl und weitere Beamte geführt, so die FAZ (Stephan Löwenstein) und die taz (Ralf Leonhard).
EGMR/Polen – lesbische Mutter: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Polen verurteilt, weil einer Mutter nach der Trennung von ihrem Mann das Sorgerecht für ein Kind entzogen wurde, da sie nun mit einer anderen Frau zusammenlebt. Es berichtet spiegel.de.
Dänemark – Liebesbeziehungen in Haft: Ein Gesetzentwurf der dänischen Regierung sieht vor, dass es zu lebenslanger Haft Verurteilten verboten sein soll, in den ersten zehn Jahren ihrer Freiheitsstrafe mit Personen in Kontakt zu treten, die ihnen vor ihrer Haft nicht nahestanden. Damit will die Regierung auf die Zunahme von "Groupies" von Inhaftierten reagieren. spiegel.de berichtet, dass Kritiker in dem Verbot einen zu tiefen Eingriff in das Privatleben der Insassen sehen und die Frage von Zensur aufwerfen.
Türkei – Mesale Tolu: Die türkische Staatsanwaltschaft plädierte vor dem Gericht in Istanbul, die deutsche Journalistin Mesale Tolu aus Mangel an Beweisen freizusprechen. Tolu ist in der Türkei wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Wie die taz (Jürgen Gottschlich) und die SZ schreiben, war die Journalistin nach dem Putschversuch gegen Präsident Erdogan im Sommer 2016 festgenommen und erst nach massivem öffentlichen Druck, auch aus Deutschland, im August 2018 wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das Urteil soll am 24. Dezember verkündet werden.
Sonstiges
Corona und Kündigungsschutz: In einem Beitrag auf beck.community erläutert Richter Ulf Börstinghaus den in der Corona-Pandemie mit Artikel 240 § 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) eingeführten Kündigungsschutz von säumigen Mieterinnen und Mietern. Dabei geht er speziell auf die Bedeutung des Wortlauts ein, wonach eine Kündigung "allein" wegen Rückständen aus dem angegebenen Zeitraum nicht möglich ist.
BKartA-Chef Mundt im Interview: Im Interview mit der FAZ (Helmut Bünder) spricht der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt über die pandemiebedingten Schwierigkeiten bei Ermittlungen seiner Behörde, die Auseinandersetzungen mit großen Digitalkonzernen wie Amazon und den Markt für Ladesäulen.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ali
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 17. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 17.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46041 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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