Die Bundesrechtsanwaltskammer wird für Debakel beim Anwaltspostfach beA massiv kritisiert. Außerdem in der Presseschau: VW klagt in Karlsruhe gegen Ermittler in Abgasaffäre, Todesrisiko in TV-Serien höher als im realen Deutschland.
Themen des Tages
BeA-Chaos: Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat zugesichert, dass Gerichte oder andere Kommunikationspartner keine Dokumente über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zustellen können, solange die beA-Plattform nicht am Netz ist. Das berichtet lto.de (Pia Lorenz/Christian Dülpers) in einem ausführlichen Report. Ein Berliner Anwalt hat zudem beim Bundesverfassungsgericht beantragt, per einstweiliger Anordnung die ab Jahreswechsel beginnende "passive Nutzungspflicht" für das beA auszusetzen, "bis das System verlässlich zur Verfügung steht". Grundproblem der IT-Sicherheit beim beA sei, dass die privaten Schlüssel aller Nutzer identisch sind. IT-Experten empfehlen die Reparatur des Systems nicht dem bisherigen französischen Vertragsparner Atos anzuvertrauen. In der Anwaltschaft gebe es massive Kritik an der internen und externen Kommunikation der BRAK. Das Justizministerium, das die Rechtsaufsicht über die BRAK innehat, wolle sich derzeit zum Anwaltspostfach nicht äußern.
Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) macht neben dem fachlich zuständigen Vizepräsidenten Martin Abend vor allem den BRAK-Vorsitzenden Ekkehard Schäfer für das Debakel verantwortlich und bringt auch einen Rücktritt ins Gespräch.
Sexualstrafrecht: Reinhard Müller (FAZ) stellt im Leitartikel fest, das eigentliche Problem des Sexualstrafrechts seien Abhängigkeitsverhältnisse, in denen sich mächtige Männer (und Frauen) übergriffig verhalten können. Hier böten auch strenge gesetzliche Regelungen wenig Schutz. Allerdings seien Frauen in anderen Konstellationen (z.B. junge Journalistin/alter Politiker) eher überlegen oder nutzten die Vermischung von Sex und Beruf sogar selbst für berufliche Zwecke.
Die emeritierte Rechtsprofessorin Monika Frommel kritisiert in der SZ massiv das neue schwedische Sexualstrafrecht, nach dem jede sexuelle Handlung strafbar sei, bei der nicht zuvor explizit eine Zustimmung eingeholt worden ist. Sie behauptet, dass diese Zustimmung vom Beschuldigten bewiesen werden müsse. "Eigentlich bedeutet dies, dass man den In-dubio-pro-reo-Grundsatz (Im Zweifel für den Angeklagten) nicht nur nicht mehr beachtet, sondern in sein Gegenteil verkehrt." Das Recht auf Privatheit und das Rechtsstaatsprinzip würden in Schweden missachtet.
Rechtspolitik
Glücksspiel: Jan Wilmroth (SZ) kritisiert im Wirtschafts-Leitartikel die Unfähigkeit der Länder den Glücksspielstaatsvertrag zu novellieren, obwohl derzeit große Teile des Marktes (insbesondere im Internet) ungeregelt seien. Vor allem Schleswig-Holstein, das eine laxere Regulierung verlange, verhindere eine Einigung. Wilmroth fordert: "Es ist Zeit für eine länderübergreifende Kommission, die bundesweit für die Glücksspielregeln und deren Durchsetzung zuständig ist, mit dem Ziel, in einigen Jahren eine schlagkräftige Behörde ähnlich der Finanzaufsicht Bafin einzurichten".
Lohnvergleich: Am 6. Januar gibt das Gesetz über Entgelttransparenz einen individuellen Auskunftsanspruch über den Verdienst von Kollegen in vergleichbaren Jobs. Das Gesetz dient der Gleichstellung von Männern und Frauen. Bisher sind nur Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten zur Auskunft verpflichtet. Familienministerin Katarina Barley (SPD) brachte eine Ausweitung auf kleinere Betriebe ins Gespräch, berichtet die Welt (Inga Michler/Sabine Menkens).
Bauvertragsrecht: Ab 1. Januar tritt das neue Bauvertragsrecht in Kraft, über das die SZ (Berrit Gräber) informiert. So könne ein Verbraucherbauvertrag, der nicht vom Notar beurkundet wurde, künftig binnen 14 Tagen widerrufen werden. Private Bauherren hätten rechtzeitig vor Vertragsschluss Anspruch auf eine präzise Baubeschreibung. Der Schlüsselfertiganbieter müsse ab 2018 "verbindlich angeben, wann der Bau fertig ist oder zumindest die Dauer der Baumaßnahme klar benennen".
MiFID II/PSD 2: Am 3. Januar tritt die Umsetzung der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID II) in Kraft. Die SZ (Stephan Radomsky/Nils Wischmeyer) erläutert die Grundprinzipien der Richtlinie, die Bankkunden vor hochriskanten Papieren schützen soll. Unter anderem müssten Telefongespräche mit Beratern künftig aufgezeichnet werden. Anbieter müssen definieren, für welche Art von Kunden ihre Produkte geeignet sind. Kosten und Provisionen müssten transparent sein und würden eingeschränkt. Die Payment Service Directive (PSD 2) tritt zum 13. Januar in Kraft und schafft Rechtsicherheit für den Einsatz von Apps, die Zugriff auf verschiedene Konten ermöglichen.
Neue Gesetze 2018: Die FAZ (Marcus Jung/Hendrik Wieduwilt) stellt 41 neue Gesetze vor, die 2018 in Kraft treten.
Justiz
BVerfG – VW-Abgasskandal: VW hat beim Bundesverfassungsgericht gegen die Einsetzung eines Sonderprüfers geklagt, der herausfinden soll, ob und wann VW-Vorstand und VW-Aufsichtsrat von den Abgas-Manipulationen erfahren haben und ob sie ihre Pflichten verletzten. Der Sonderprüfer wurde auf Antrag von drei US-Aktionären im November vom Oberlandesgericht Celle eingesetzt. Es berichtet die SZ (Klaus Ott/Katja Riedel).
BVerfG zu Transsexuellengesetz: Der Grund-und Menschenrechtsblog der Humboldt-Law-Clinic kritisiert eine im November bekannt gemachte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Transsexuellengesetz. Es ging um die Frage, ob vor einer Änderung von Vornamen und Personenstand zwei unabhängige Sachgutachter bescheinigen müssen, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden der Person "zu dem anderen Geschlecht" nicht mehr ändert. Die Richter sahen mit Blick auf eine BVerfG-Entscheidung von 2011 kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Blog kritisiert, dass sich das BVerfG damals nicht ausreichend mit Grundrechtsfragen auseinandergesetzt habe und "aus heutiger Sicht völlig veraltete Kriterien" wie den Kleidungsstil gelten ließ. Verfassungsrechtlich geboten sei dagegen ein "Modell der Selbsterklärung".
StA Dortmund – SS-Wachmann: Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat Anklage gegen Johann R. erhoben, der als SS-Wachmann von Juni 1942 bis September 1944 im KZ Stutthof bei Danzig eingesetzt war. Das Landgericht Münster hat noch nicht über die Zulassung entschieden, so die Welt (Per Hinrichs), die die mörderischen Verhältnisse in Stutthof und das Schicksal einer Nebenklägerin ausführlich schildert. Nebenklage-Anwalt Cornelius Nestler bennennt drei Voraussetzungen, damit ein derartiger Prozess stattfinden kann: "einen verhandlungsfähigen Angeklagten, eine verfolgungsbereite Staatsanwaltschaft und ein williges Gericht." Seine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Neubrandenburger Richter Klaus Kabisch, der einen NS-Prozess verschleppt hatte, führte noch zu keinen Ergebnissen. Kabisch und seine Richterkollegen hätten sich lediglich krank gemeldet.
AG Tiergarten zu prügelnden Kontrolleuren: Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet über ein Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten von voriger Woche. Danach wurden drei S-Bahn-Kontrolleure wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu Bewährungsstrafen von sechs Monaten verurteilt. Sie hatten einen Fahrgast verprügelt, der verlangt hatte, dass sie sich zunächst ausweisen, bevor er seinen Fahrschein zeigt.
VG Lüneburg zu Dschungelcamp-Mutter: Das Verwaltungsgericht Lüneburg entschied, dass eine Lehrerin aus Soltau vorerst wieder unterrichten darf, so lto.de. Sie war suspendiert worden, nachdem sie sich zu Unrecht krankschreiben ließ, um ihre Tochter bei Dreharbeiten der TV-Show Dschungelcamp nach Ausstralien begleiten zu können. Das Gericht geht davon aus, dass diese Verfehlung keine Entfernung aus dem Dienst zur Folge haben werde, weil auch eine Zurückstufung genüge.
Recht in der Welt
Israel – Strafverfolgung gegen Politiker: Das israelische Parlament (Knesset) hat das sogenannte Empfehlungsgesetz beschlossen. Es untersagt der Polizei fortan, bei ausreichender Beweislage automatisch Anklage gegen amtierende Politiker zu empfehlen oder Einzelheiten von Ermittlungen zu veröffentlichen, berichtet die taz (Susanne Knaul). Das Gesetz gelte nicht für laufende Untersuchungen und könne deshalb Prermier Netanjahu, der aktuell in zwei Korruptionsaffären verstrickt ist, nicht nützen.
Sonstiges
Streiks wegen Teilzeitforderung: Der Verband Gesamtmetall überlegt, ob er die IG-Metall verklagt, wenn sie in der aktuellen Tarifrunde zu Streiks aufruft. Die erhobene Forderung, dass jeder der 3,9 Millionen Beschäftigten in der Branche das Recht haben soll, seine wöchentliche Arbeitszeit auf Kosten der Firma für maximal zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden zu reduzieren, sei "diskriminierend". Normale Teilzeitbeschäftigte würden dann schlechter bezahlt als Beschäftigte mit Arbeitszeitreduzierung. Ein Streik für eine derartige Forderung wäre rechtswidrig. Es berichtet die SZ (Detlef Esslinger/Kristiana Ludwig).
Umgangsrecht von Oma/Opa: Die Welt (Sabine Menkens) berichtet über Konflikte bei der Umsetzung des seit 1998 geltenden Umgangsrechts von Großeltern mit ihren Enkeln. "Der Umgang der Großeltern mit dem Kind dient regelmäßig nicht seinem Wohl, wenn die – einen solchen Umgang ablehnenden – Eltern und die Großeltern so zerstritten sind, dass das Kind bei einem Umgang in einen Loyalitätskonflikt geriete", habe der Bundesgerichtshof im Juli 2017 geurteilt. Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) fordere deshalb eine Beweislastumkehr zugunsten der Großeltern, wie etwa in Frankreich oder Belgien. Dort müssten Eltern belegen, dass der Umgang der Großeltern mit dem Kind nicht dessen Wohl dient.
Das Letzte zum Schluss
TV-Mordopfer: "Wer in Deutschland lebt, wird mittlerweile wahrscheinlicher Mordopfer in einem TV-Krimi von ARD und ZDF, als dass man tatsächlich umgebracht wird." Zu dieser Schlussfolgerung kommt die taz (Gereon Asmuth) indem sie die Zahl der jährlichen Mordopfer in Deutschland (873) mit der hochgerechneten Zahl der TV-Leichen (rund 1.000) vergleicht.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/chr
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Die juristische Presseschau vom 29. Dezember 2017: Chaos beim Anwaltspostfach / VW-Verfassungsklage gegen Sonderermittler / Mehr TV-Mordopfer als im echten Leben . In: Legal Tribune Online, 29.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26225/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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