Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern billigt vorerst nur Frauen als Gleichstellungsbeauftragte. Außerdem in der Presseschau: Sicherungshaft gegen Ausreisepflichtige, der Strafrechtler Herbert Tröndle ist verstorben.
Thema des Tages
LVerfG Mecklenburg-Vorpommern zu Gleichstellungsbeauftragtem: Männer dürfen in Mecklenburg-Vorpommern weder Gleichstellungsbeauftragte wählen noch für den Posten kandidieren. Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat diese Regelung des dortigen Gleichstellungsgesetzes als verfassungskonform bestätigt. Die Wahlrechtsbeschränkung sei verhältnismäßig, um die verfassungsrechtlich garantierte Chancengleichheit der Frauen zu gewährleisten. Sie seien derzeit noch strukturell benachteiligt; der Gesetzgeber habe allerdings die Entwicklungen in den kommenden fünf Jahren zu beobachten. Mit der Entscheidung lehnten die Richter die Verfassungsbeschwerde eines Landesbeamten ab, der selbst Gleichstellungsbeauftragter werden wollte. zeit.de (Vanessa Vu) resümiert die Argumente des Klägers sowie die derzeitigen Regelungen zur Gleichstellung von Mann und Frau. Die taz (Simone Schmollack) gibt auch einen kurzen Überblick über die Tätigkeit von Männern in Gleichstellungsfragen.
Thomas Gesterkamp (taz) betont, es wäre "ein belebender Beitrag zum Geschlechterdialog" Männer bei Gleichstellungsfragen mehr einzubinden. "Männer können Wichtiges beitragen zu einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik – und sollten deshalb in allen Arbeitsfeldern vorkommen und mitwirken."
Im Interview mit zeit.de (Vanessa Vu) erklärt die Verfassungsrechtlerin Anna Katharina Mangold, warum sie die Ansicht des Landesverfassungsgerichts teilt. Die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung sei nicht mit einer formalen Gleichbehandlung gleichzusetzen. Sie schildert zudem ihren differenzierenden Blick auf die Geschlechterdiskriminierung.
Rechtspolitik
Flüchtlingspolitik: Die FAZ (Günter Bannas) resümiert die Kritik der Grünen am Flüchtlingskompromiss von CDU und CSU. Besonders zu beanstanden seien die Regelungen zum Familiennachzug von subsidiär Geschützten. Sie gefährdeten die Integration und widersprächen dem Familienbild der Union. Die Differenzen seien bei den kommenden "Jamaika"-Sondierungen zu klären. Mit Blick auf die Sondierungsgespräche stellt der nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) im Interview mit der SZ (Mike Szymanski) seine Lösung für ein funktionierendes Asyl- und Einwanderungssystem vor, das NRW-Modell könne auch eines für den Bund sein.
Jasper von Altenbockum (FAZ) stellt mit Blick auf die Reaktionen zum Unions-Kompromiss fest, dass ein großer Aufschrei ausgeblieben sei. Dies liege schließlich auch daran, dass der geplante "Richtwert" den Umständen angepasst werden müsse: "Wo aber eine Anpassung obligatorisch ist, erübrigt sich die Zahl und steht die deutsche Politik in der Einwanderungsfrage wieder dort, wo sie seit Jahren steht."
Schnellere Asylverfahren: "Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat durch die hohe Zahl an Asylverfahren große Herausforderungen zu bewältigen.", erklären die Präsidenten der Oberverwaltungsgerichte sowie des Bundesverwaltungsgerichts nach ihrer Jahrestagung. Die FAZ (Constantin van Lijnden) stellt im Ressort Zeitgeschehen ihre Reformvorschläge zur Linderung der Verfahrenslast vor.
EU-Mehrwertsteuerreform: Der Anwalt für Steuerrecht Dennis Klein schildert auf lto.de ausführlich die Defizite des derzeitigen Mehrwertsteuersystems in der Europäischen Union und wie die EU-Kommission plant, diesen beizukommen. Den EU-Mitgliedstaaten entgingen durch sogenannte Karussellgeschäfte Milliarden an Steuereinnahmen.
Insolvenzsicherung für Flugbuchungen: In der FAZ legt Anusch Tavakoli, Professor für Wirtschaftsrecht, ausführlich dar, weshalb der Gesetzgeber "schnellstens" eine Insolvenzsicherung für Flugbuchungen einführen müsse. Er zeigt zudem weitere Missstände im Verbraucherschutz von Flugreisenden auf.
Justiz
BGH zu Sicherungshaft: Ein ausreisepflichtiger Ausländer, der sich mit Gewalt gegen seine Festnahme wehrt, kann in Sicherungshaft genommen werden. Seine Gewaltanwendung stelle "eine unmissverständliche Kundgebung des Entziehungswillens" dar, für die es sodann keine mündliche Erklärung des Abzuschiebenden mehr benötige, urteilte der Bundesgerichtshof. zeit.de bringt eine Meldung über die Entscheidung.
BVerfG – Familiennachzug: Zwei Verfassungsbeschwerden sind derzeit wegen des bis März 2018 ausgesetzten Familiennachzugs für Bürgerkriegsflüchtlinge mit subsidiärem Schutz in Karlsruhe anhängig. Die taz (Christian Rath) schildert die Fälle der beiden Minderjährigen. In einer Sache werde das Bundesverfassungsgericht noch in dieser Woche über einen Eilantrag entscheiden müssen, weil der Beschwerdeführer volljährig wird. Die Anwälte sehen den Schutz der Familie und die UN-Kinderrechtskonvention verletzt.
BGH zu verspätetem Ersatzflug: Wenn sich der Ersatzflug für einen annullierten Flug erheblich verspätet, haben die Passagiere einen Anspruch auf Entschädigung. Schließlich hätten die Fluggäste auch in diesem Fall ihren Bestimmungsort nicht pünktlich erreicht, begründete der Bundesgerichtshof seine Entscheidung. Die Fluggesellschaft, die den ursprünglichen Flug annullierte, kann in Haftungsfragen auch nicht auf die Airline des verspäteten Flugs verweisen. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet den zugrunde liegenden Fall.
LG Arnsberg – Gladbecker Geiselnehmer: Einer der beiden Geiselnehmer von Gladbeck, Dieter Degowski, wird nach 30 Jahren Freiheitsentzug aus der Haft entlassen. Das Landgericht Arnsberg habe die Freilassung umfassend geprüft und folgte den positiven Prognosen. Nach der Freilassung werde er engmaschig kontrolliert und betreut. Die SZ (Annette Ramelsberger) und die FAZ (Reiner Burger) erinnern an die Tat von Degowski und seines Komplizen.
"Man kann sich mit Grauen an das Geiseldrama erinnern und kann dennoch der Überzeugung sein, dass selbst einer wie Degowski die Chance auf Resozialisierung verdient. Das macht unseren Rechtsstaat aus", konstatiert Annette Ramelsberger (SZ).
OLG Hamburg zu Fatih S.: Das Oberlandesgericht Hamburg hat den kurdischen Journalisten Fatih S. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung verurteilt. Er habe von Januar bis November 2016 für den türkischen Geheimdienst MIT die kurdische Szene in Hamburg ausspioniert, meldet spiegel.de.
LG Dortmund – KiK: Das Londoner Institute Forensic Architecture hat für das Verfahren gegen KiK wegen des Brandes in einer Textilfabrik im pakistanischen Karatschi im September 2012 ein Video produziert, das via Computersimulationen den Hergang des Brandes nachstellt. Dies hatten die Rechtsanwälte der Angehörigen von vier Brandopfern in Auftrag gegeben. Die taz (Hannes Koch) konnte das Video bereits sehen und fasst die Argumentation der Anwälte sowie den Stand des Verfahrens zusammen.
BSG – Schauspielerin: Am morgigen Donnerstag wird das Bundessozialgericht über den Fall einer Schauspielerin entscheiden, der die Arbeitsagentur die Aufnahme in die amtliche Schauspielervermittlung versagte. Rebecca M. hatte dagegen wegen Diskriminierung geklagt, weil sie vermutet, dass ihr Alter sowie ihr Abschluss an einer privaten Schauspielschule die Ablehnung bedingten. Die Agentur führte als Grund etwa an, dass sie "ohne jeden Charme" spiele und "ältlich" wirke, schreibt die SZ (Veronika Wulf).
AG Hamburg – G-20: Das Jugendschöffengericht Hamburg hat Yannick M. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, weil er bei den G-20-Protesten Flaschen auf Polizisten warf und einen Mann attackierte, wobei er noch auf dessen Kopf eintrat, als dieser bereits am Boden lag. Die taz (Friederike Gräff) hat die Urteilsverkündung begleitet und gibt Eindrücke aus der Biografie des Verurteilten und Besonderheiten dieses G-20-Prozesses wieder.
LG Freiburg – Fall Maria L.: Im Verfahren gegen Hussein K. gewährt dessen Pflegemutter Einblicke in das Leben des Angeklagten und sein Verhalten nach der Tatnacht. Das Landgericht Freiburg versucht derzeit, das tatsächliche Alter des Angeklagten in Erfahrung zu bringen, nachdem die Altersfrage bestimmt, ob K. nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden kann. Die Mitarbeiter der zuständigen Jugendämter zweifelten nicht an seiner Minderjährigkeit. Die Staatsanwaltschaft hingegen gehe davon aus, dass er bereits 22 Jahre alt sei, teilt spiegel.de (Jan Friedmann) mit.
StA Freiburg – Joggerin: Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat Anklage gegen den Fernfahrer Catalin C. erhoben. Sie verdächtigt ihn, in Endingen am Kaiserstuhl eine Joggerin vergewaltigt und getötet zu haben. Der Angeschuldigte habe den Vorwurf nicht bestätigt, meldet die SZ (rso).
Recht in der Welt
Japan – Fukushima-Folgen: Japan und der Atomkraftbetreiber Tepco haben das Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 mit zu verantworten. Sie müssen nun Entschädigungen in Höhe von umgerechnet 3,7 Millionen Euro bezahlen. Dies entschied das Bezirksgericht von Fukushima und gab damit einer Sammelklage von 3.800 Bürgern statt. Die Regierung habe es unterlassen, den Betreiber dazu anzuhalten, die Sicherheitsmaßnahmen zu verbessern, melden spiegel.de und SZ.
Vereinigtes Königreich – Nafta: Wie spiegel.de meldet, prüften Minister der britischen Regierung die Möglichkeit Großbritanniens, nach einem etwaigen harten Brexit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta beizutreten. Dies setze voraus, dass ein Handelsabkommen mit der EU scheitere.
Spanien – Kataloniens Unabhängigkeit: "Katalonien hat das Recht erhalten, unabhängig zu sein." – Daran hält Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont fest. Er schob allerdings die Unabhängigkeitserklärung beziehungsweise deren Inkrafttreten auf. Puigdemont sei überzeugt davon, dass der Konflikt mit Spanien über eine Vermittlung zu lösen sei, meldet spiegel.de.
Türkei – Meşale Tolu: Am heutigen Mittwoch beginnt in Istanbul der Prozess gegen Meşale Tolu wegen des Vorwurfs der Propaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Ihre Verteidigerin hält das Verfahren für politisch motiviert. Erst habe man "die Verdächtige festgenommen und dann nach Beweisen gesucht". Die Angeklagte ist deutsche Staatsangehörige, weshalb ihr Vater davon ausgeht, dass sie als politische Geisel im Streit zwischen Berlin und Ankara gehalten wird, schreibt die SZ (Luisa Seeling).
USA – Vaterrechte für Vergewaltiger: Ein Gericht im US-Staat Michigan hat einem Mann, der eine Zwölfjährige vergewaltigt und dabei mit ihr ein Kind gezeugt hat, das gemeinsame Sorgerecht für den Sohn zugestanden, berichtet spiegel.de (fok). Die Anwältin der Mutter zeigt sich insbesondere deswegen verständnislos, weil der Mann inzwischen als Sexualstraftäter registriert ist und Kinder nur zusammen mit einem "verantwortungsvollen Erwachsenen" treffen darf.
USA – Klimaplan: Der Chef der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA, Scott Pruit, plant, Obamas Klimaplan abzuschaffen. Er wertet diesen als "Krieg gegen die Kohle". Der größte US-Umweltverband hofft darauf, dass er sich von den zu erwartenden juristischen Problemen abschrecken lasse und sein Vorhaben aufgebe. Die taz (Bernhard Pötter) verweist auch auf das bisherige juristische Ringen um den Klimaschutz.
Sonstiges
Herbert Tröndle gestorben: Herbert Tröndle, der ehemalige Herausgeber des von Otto Schwarz begründeten, von Eduard Dreher, später von Tröndle fortgeschriebenen Kommentars zum Strafgesetzbuch, ist gestorben. Er verstarb am 1. Oktober im Alter von 98 Jahren. Die FAZ (Reinhard Müller) erinnert an die Meilensteine seines juristischen Lebens: "Seine umfassende wissenschaftliche Leistung schöpfte er aus der strafrechtlichen Praxis."
Öffentlichkeitsfahndung: spiegel.de (Benjamin Schulz/Ansgar Siemens) beantwortet anlässlich der öffentlichen Fahndung nach einem Sexualstraftäter die wichtigsten Fragen rund um die Ermittlungsmaßnahme.
Befangenheitsanträge: Anlässlich des neuerlich gestellten Befangenheitsantrags gegen den Vorsitzenden Richter im NSU-Prozess, Manfred Götzl, beleuchtet strafakte.de (Mirko Laudon), wie sich Ablehnungsgesuche auf den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung auswirken und wie sie als Prozesstaktik Anwendung finden können.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. Oktober 2017: Mann ≠ Gleichstellungsbeauftragter / Sicherungshaft bei Gewalt / Tröndle verstorben . In: Legal Tribune Online, 11.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24945/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag