Das BVerfG hat die Anforderungen an vorformulierte Massenverfassungsbeschwerden präzisiert. Außerdem in der Presseschau: Maas will Musterklagen voranbringen und Zschäpe wird sich schriftlich zum Mordfall Peggy äußern.
Thema des Tages
BVerfG zu Verfassungsbeschwerde nach Internetvorlage:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall eines Hartz-IV-Empfängers, der sich mit einer Verfassungsbeschwerde mittels einer Vorlage aus dem Internet gegen die jüngsten Hartz-IV-Änderungen wehren wollte, die Anforderungen an Massenverfassungsbeschwerden präzisiert. Auch in solchen Fällen müssten die Kläger darlegen, inwiefern sie das Gesetz selbst "gegenwärtig und unmittelbar" in ihren Grundrechten verletze. Zudem müsse bei Verfassungsbeschwerden gegen ein Gesetz in der Regel zunächst der Rechtsweg zu den Fachgerichten beschritten werden. Großzügiger sei das BVerfG allerdings, wenn es um europäische Rechtsakte oder Sicherheitsgesetze gehe, schreibt die taz (Christian Rath) und führt dafür das Beispiel der für zulässig befundenen Massenverfassungsbeschwerden gegen das Ceta-Abkommen an.
Rechtspolitik
Musterklagen: Anlässlich des Vergleichs, den VW mit geschädigten Käufern in den USA geschlossen hat, fordert Justizminister Heiko Maas nach einem Bericht der BadZ (Christian Rath) die Einführung von Musterklagen. Heribert Prantl (SZ) meint, dass diese hierzulande besser geeignet seien als das Instrument der Sammelklage, das eher zum amerikanischen System des Strafschadenersatzes passe.
Datenschutz im Internet: Nach Einschätzung des Rechtsprofessors Mario Martini in der FAZ ist eine demokratische Willensbildung über die Grenzen staatlicher Neugierde im Internet, der in konkreten Rechtsvorschriften mündet, längst überfällig. Die neue Datenschutzgrundverordnung der EU wolle das aus dem Lochkartenzeitalter stammende Datenschutzrecht an die Herausforderungen digitaler Technologien heranführen, enthalte aber zahlreiche Öffnungsklauseln, deren Gegenstände zu regeln, der nationale Gesetzgeber aufgerufen sei.
Zu den Plänen von Justizminister Heiko Maas, soziale Netzwerke der EU-Medienrichtlinie zu unterwerfen, mit straff organisierter inhaltlicher Verantwortung und entsprechenden Möglichkeiten, Verfehlungen zu ahnden, meint Jost Müller-Neuhof (Tsp), dass der virtuelle Sozialraum dadurch seinen Charakter verlöre.
Videoüberwachung: Wie netzpolitik.org (Constanze Kurz) meldet, plant Justizminister Heiko Maas eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes, in deren Folge die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen mitsamt intelligenter Auswertungstechnik ausgebaut werden können soll. Im Interview mit Deutschlandfunk (Sarah Zerback) kritisiert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz das Vorhaben.
Länderfinanzausgleich: In der FAZ kritisiert Hans-Günter Henneke, geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, die geplante Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Wenn im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren nicht noch einmal neu verhandelt werde, würden die Länder ein gutes Stück ihrer Eigenstaatlichkeit und Eigenverantwortung aufgeben.
Scheinväter: Die Zeit (Constantin van Lijnden) kritisiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung, nach dem Scheinväter gezahlten Kindesunterhalt zurückfordern können sollen, als zu kurz greifend. So solle der Regressanspruch nur für die letzten beiden Jahre gelten, bevor die Vaterschaft angefochten wurde. Zudem bleibe die Mutter bis auf seltene Ausnahmefälle weiterhin vom Regress verschont.
BGH zu Autokauf: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Käufer eines Neuwagens auch bei geringfügigen Mängeln, die sich nicht auf die Funktionsfähigkeit auswirkten, die Annahme des Autos verweigern und die volle Kaufsumme so lange zurückhalten darf, bis der Mangel beseitigt ist. Über die Entscheidung berichtet die SZ (Wolfgang Janisch).
OLG München – NSU-Prozess: Wie die SZ (Annette Ramelsberger/Wiebke Ramm) berichtet, will sich Beate Zschäpe im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München nun schriftlich zum Mordfall Peggy äußern. Zudem räumte Zschäpe ein, im Jahr 2000 in Berlin gewesen zu sein. Sie habe dort aber keine Synagoge ausgespäht, ließ sie ihre Anwälte erklären.
OLG Frankfurt – Telekom-Aktionäre: Am heutigen Donnerstag geht das Musterverfahren ehemaliger Telekom-Aktionäre vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in die nächste Runde. Für einen massiven Kursverlust von von über 78 Prozent im Jahr 2001 fordern immer noch rund 17.000 Aktionäre Schadensersatz von der Telekom. Um solche Sachverhalte handhaben zu können, wurde eigens das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz geschaffen, schreibt das Hbl (Katharina Schneider).
LG Paderborn – Höxter: Die FAZ (Katrin Hummel) berichtet vom Prozessauftakt vor dem Landgericht Paderborn im Fall des Ex-Paares, dem zweifacher Mord aus niedrigen Beweggründen vorgeworfen wird. Dem Mann, der seinen Auftritt vor Gericht, im Gegensatz zu seiner geschiedenen Frau, zu genießen schien, wurde zu Beginn eine sadistische Persönlichkeitsstörung attestiert. Es berichtet auch die SZ (Hans Holzhaider).
AG Köln zu Germanwings: Das Amtsgericht Köln hat einen Strafbefehl wegen zweifachen Betruges gegen eine 35-Jährige erlassen, die sich als Angehörige eines Germanwings-Opfers ausgegeben und so Freiflüge erschlichen haben soll. Darin vorgesehen ist eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung, schreibt spiegel.de.
Recht in der Welt
EU/Belgien – Ceta: In einem Kommentar bezeichnet Ludwig Greven (zeit.de) die Bemühungen der Wallonie zur Verbesserung des Ceta-Abkommens als ihr gutes europäisches Recht, an dem sich andere Parlamente ein Beispiel nehmen sollten. Die Frage, ob das Abkommen, so wie geplant zustande kommt, war auch Gegenstand des Radioreports Recht, der sich zum Nachlesen auf swr.de.
USA – Milliardenstrafe Deutsche Bank: Wie die SZ (Meike Schreiber) berichtet, droht der Deutschen Bank in den USA eine Strafe in Höhe von 14 Milliarden Dollar wegen fragwürdiger Geschäfte mit Immobiliendarlehen.
Gambia – IStGH: Nach Südafrika und Burundi hat nun auch Gambia seinen Austritt aus dem Rom-Statut, das der Arbeit des Internationalen Strafgerichtshof zugrunde liegt, angekündigt. Präsident Yahya Jammeh habe dem Gerichtshof nicht verziehen, dass seine Anzeige gegen die EU wegen Mordes an afrikanischen Flüchtlingen nicht aufgenommen wurde, schreibt die taz (Dominic Johnson).
Sonstiges
NSA-Untersuchungsausschuss – Snowden: Die Bundesregierung hat ein Schreiben des US-Justizministeriums zu den Vorwürfen gegen Snowden erhalten, hält diese Informationen jedoch vor dem NSA-Untersuchungsausschuss zurück. Auf netzpolitik.org wertet Anna Biselli dieses Vorgehen als Teil der Verzögerungstaktik, mit der die Vernehmung Snowdens verhindert werden soll. Bei einer Video-Lifeschaltung im Rahmen des "Editor's Lab", von der die SZ (Jannis Brühl) berichtet, zeigte sich Snowden enttäuscht von der deutschen Bundesregierung und kritisierte, dass das vergangene Woche verabschiedete neue BND-Gesetz eine Politik der Massenüberwachung legalisiere.
Facebook – Gelöschte Inhalte: Nach Angaben von netzpolitik.org (Markus Beckedahl) hat Facebook im August 100.000 Inhalte aus Deutschland gelöscht. Die Bundesregierung wisse nichts darüber, was zeige, dass eine wirksamere Strafverfolgung nie Ziel der von Justizminister Heiko Maas eingerichteten "Task Force" gewesen sei. Stattdessen finde man sich damit ab, dass ein privates Unternehmen die Meinungsfreiheit reguliere.
NS-Recht: In Anbetracht der ins Stocken geratenen Reform des Mord-Paragrafen schildert die SZ (Ronen Steinke), wo im deutschen Recht sich noch nationalsozialistische Formulierungen finden. Nicht jeder von den Nazis geschaffene Paragraf produziere bis heute Unrecht, wohl aber Diskussionen.
Der Fall Söring: Nun berichtet auch Tsp (Jost Müller-Neuhof) über den Dokumentarfilm, der den Fall Söring neu aufrollt.
Das Letzte zum Schluss
StA Itzehoe – Verweigerter Moschee-Besuch: Im Fall eines Schülers, der dem Moschee-Besuch seiner Klasse fernblieb, weil seine Eltern eine religiöse Indoktrination befürchteten, ermittelt nach einem Bericht von focus.de nun die Staatsanwaltschaft.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. Oktober 2016: BVerfG zu Massenverfassungsbeschwerde / Muster- vs. Sammelklage / Aussage zu Peggy . In: Legal Tribune Online, 27.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20986/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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