Neue Dokumente geben Einblicke in die netzpolitik-Affäre. Außerdem in der Presseschau: Der BGH prüft Schadensersatzansprüche von Bundeswehr-Opfern und Erdoğan legt Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen Böhmermann ein.
Thema des Tages
Neue Dokumente zur netzpolitik-Affäre: Der Rechtsprofessor Jan-Hendrik Dietrich bekräftigt in einer Expertise, die dem ARD-Politikmagazin Kontraste (Vorab-Meldung auf tagesschau.de) vorliegt, seine Auffassung, dass die Veröffentlichungen des Online-Magazins "netzpolitik.org" den Straftatbestand des Landesverrats erfüllten. Dietrich war vor über einem Jahr vom damaligen Generalbundesanwalt Harald Range beauftragt worden, ein Gutachten zu erstellen. Die Fertigstellung wurde jedoch vom Justizministerium unterbunden.
netzpolitik.org (Markus Beckedahl) bezweifelt die Unabhängigkeit Dietrichs und verteidigt erneut die Veröffentlichung der Dokumente. Die Veröffentlichung von Originalquellen ermächtige die Leserschaft. In diesem Sinne veröffentlicht das Onlinemagazin am Ende des Beitrags auch das "Gegengutachten" des Justizministeriums, das ihm zugespielt wurde.
Rechtspolitik
Entgeltgleichheitsgesetz: Der Koalitionsausschuss will sich auf ein Entgeltgleichheitsgesetz einigen, das den Unterschied bei den Löhnen von Männern und Frauen reduzieren soll. Als möglicher Kompromiss zwischen Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Union könnte der Anwendungsbereich auf Betriebe ohne Tarifbindung beschränkt werden. Die SZ (Constanze von Bullion) berichtet. Dietrich Creutzburg (FAZ) befürchtet einen "faulen Kompromiss" und meint, dass die Ursachen für die Lohnungleichheit in der Berufswahl und im Erwerbsverhalten lägen.
Hassrede: Anlässlich der Geschehnisse bei der Einheitsfeier in Dresden fordert Heribert Prantl (SZ) in einem Kommentar ein energischeres Vorgehen gegen Hassrede und rassistische Beleidigungen. Die Menschenwürde brauche Hilfe, auch von den Strafgerichten.
Asylrecht: Die Grünen haben einen Aktionsplan "Fast und Fair" für das Asylrecht vorgestellt. Durch ihn sollen Asylverfahren beschleunigt werden. Der Aktionsplan soll eine Alternative zu der Einstufung der Maghreb-Länder als "sichere Herkunftsstaaten" darstellen, die bisher von den Grünen im Bundesrat blockiert wird. Die Bundesregierung hält jedoch an dem Vorhaben fest. Die taz (Dinah Riese) berichtet und lässt Wiebke Judith von Amnesty International zu Wort kommen, die zu Bedenken gibt, dass eine Verfahrensbeschleunigung auch zu einem Qualitätsverlust führen kann. In einem gesonderten Kommentar bezeichnet Dinah Riese (taz) den Vorschlag der Grünen als "taktischen Volltreffer". Er verhindere, dass den Grünen eine Blockadehaltung vorgeworfen werden kann, und erlaube es, dass sie "weiter ihr Menschenrechtsfähnlein hochhalten" können.
Patientenentschädigung: Verschiedene Bundesländer planen eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines Patientenentschädigungsfonds. Aus diesem sollen Patienten, die bei ärztlichen Behandlungen zu Schaden gekommen sind, rasch entschädigt werden. Hintergrund des Vorhabens sind langwierige und oft unsichere Arzthaftungsprozesse. Unklar ist noch, wie der Fonds finanziert werden soll, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch).
Kennzeichenverbot für Rocker: Der Oberregierungsrat und Hochschuldozent Florian Albrecht befasst sich auf lto.de mit einer Gesetzesinitiative zur Kriminalisierung der Verwendung von Vereinskennzeichen. Nachdem der BGH die bisherige Rechtslage restriktiv ausgelegt hat, solle nun auch das Zeigen von Rockersymbolen strafbar sein, wenn sie nicht einer konkreten verbotenen Vereinigung zuzurechnen seien. Der Vorschlag sei verfassungswidrig, da er zu stark in die Grundrechte der Betroffenen eingreife.
Justiz
BGH – Kundus-Affäre: Der Bundesgerichtshof verhandelt heute über Schadensersatzansprüche von zwei Afghanen, deren Angehörige 2007 bei einem Angriff auf zwei von Taliban entführten Tanklastern ums Leben gekommen waren. Der Angriff, bei dem mehrere Dutzend Zivilisten starben, war vom deutschen Oberst Georg Klein angeordnet worden, obwohl die Piloten vorgeschlagen hatten, die Anwesenden vorher durch Tiefflug zu warnen. Die SZ (Wolfgang Janisch) schildert den Fall und beleuchtet die Hintergründe.
LG Stuttgart – Waffenexporte von Heckler & Koch: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat beim Landgericht Stuttgart Einsicht in die Akten des Verfahrens gegen Mitarbeiter des Rüstungsherstellers Heckler & Koch beantragt. Diese sind dort wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz angeklagt. Das ECCHR will mit der Akteneinsicht weitere zivil- und strafrechtliche Schritte vorbereiten. Die Menschenrechtsorganisation vertritt dabei Aldo Gutiérrez Solano, der möglicherweise in Mexiko von einer Kugel aus einem Gewehr von Heckler & Koch getroffen wurde und seither im Koma liegt, schreibt die taz (Wolf-Dieter Vogel).
LG Bamberg – Missbrauch durch Arzt: Im Verfahren gegen den wegen Vergewaltigung angeklagten Chefarzt Heinz W. hat die Verteidigung die sofortige Freilassung des Angeklagten gefordert. Es sei allenfalls mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen, da es dem Arzt nicht um sexuelle Befriedigung gegangen sei. Ihm wird vorgeworfen, unter dem Vorwand wissenschaftlicher Untersuchungen zwölf Frauen betäubt und missbraucht zu haben. Die SZ (Annette Ramelsberger) berichtet.
StA Mainz – Böhmermann: Nach Informationen von bild.de will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen den Satiriker Jan Böhmermann einlegen. Böhmermann selbst hat inzwischen in einem Youtube-Video eine "Stellungnahme zur Sache abgegeben", über die die Welt (Christian Meier) und spiegel.de berichten.
In einem Kommentar begrüßt jetzt auch Jost Müller-Neuhof (Tsp) die "erfrischend ganzheitliche Sichtweise" der Mainzer Staatsanwaltschaft, die geeignet sei, "die deutsche Satire dauerhaft zu entgrenzen".
Die FAZ (Michael Hanfeld) schildert die Reaktionen verschiedener Juristen auf die Verfahrenseinstellung und weist auf das laufende Verfahren am Landgericht Hamburg hin. Das Hbl (Andreas Neuhaus) porträtiert die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller. Der Tsp (Jost Müller-Neuhof) befasst sich mit der Frage, ob Angela Merkel das Video, um das gestritten wird, überhaupt gesehen hat, bevor sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilte. Möglich erscheine es, dass die Kanzlerin den Beitrag lediglich auf Grundlage einer vom Auswärtigen Amt und Bundesjustizministerium erstellten "internen Einschätzung zu den juristischen Implikationen" bewertet habe.
StA Köln – Vernichtete NSU-Akten: Mehrere Anwälte von NSU-Opfern haben bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige gegen den ehemaligen Verfassungsschutzmitarbeiter Lothar Lingen erstattet. Lingen habe sich wegen Strafvereitelung und Urkundenunterdrückung strafbar gemacht, indem er im November 2011 Akten zu Thüringer V-Leuten vernichten ließ. Die Welt (Stefan Aust/Dirk Laabs) und die taz (Konrad Litschko) schildern den Fall. Für den Juristen Maximilian Pichl (verfassungsblog.de) zeigt der Fall "exemplarisch, wie mühsam die rechtsstaatliche Aufklärungsarbeit im NSU-Komplex ist – und welche fragwürdige Rolle die Geheimdienste weiterhin einnehmen". Die Bundesrepublik sei nach der EMRK verpflichtet, eine unabhängige Untersuchung in Gang zu setzen.
Recht in der Welt
Österreich – FPÖ verklagt Richter: Laut FAZ (Stephan Löwenstein) will in Österreich die Partei FPÖ den Richter am Verfassungsgerichtshof in Wien Johannes Schnizer zivilrechtlich verklagen. Sie wirft ihm üble Nachrede, Kreditschädigung und Ehrenbeleidigung vor. Schnizer hatte in einem Interview das Verhalten der FPÖ bei der Bundespräsidentenwahl kritisiert.
Großbritannien – EMRK im Krieg: Die britische Premierministerin Theresa May hat auf dem Parteitag der Tories angekündigt, dass britische Soldaten im Kriegsfall künftig weitgehend von den Pflichten der Europäischen Menschenrechtskonvention befreit werden. Verteidigungsminister Michael Fallon begründet den Schritt damit, dass in der Vergangenheit "falsche Anschuldigungen in industriellem Ausmaß" erhoben worden seien, die zu hohen Gerichtskosten geführt hätten. Die taz (Ralf Sotscheck) berichtet.
USA – Trumps Spenden an Staatsanwälte: Wie spiegel.de meldet, soll US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump in den letzten Jahren mehrfach Spenden an Generalstaatsanwälte gezahlt haben. Dies geschah zu Zeiten, als diese sich mit Entscheidungen befassten, die Trumps Unternehmen betrafen. Generalstaatsanwälte werden in den USA gewählt und sammeln Spenden für ihren Wahlkampf.
Polen – Abtreibungsgesetz: Die polnische Regierungspartei PiS erwägt nach heftigen Protesten, das geplante umfassende Abtreibungsverbot doch nicht zu verabschieden. Das meldet zeit.de.
Juristische Ausbildung
"Tauchen" im Referendariat: lto.de (Sabine Olschner) sprach mit mehreren jungen Juristen über die Vor- und Nachteile des "Tauchens" während der Anwaltsstation im Referendariat. Das Fernbleiben in der Kanzlei erlaubt eine intensivere Vorbereitungen auf die Prüfungen im zweiten Staatsexamen.
Das Letzte zum Schluss
Erotische Heimarbeit: Die bekannte Pornodarstellerin Natalie Hot will vor dem Verwaltungsgericht München durchsetzen, dass sie sich in ihrer Wohnung vor der Webcam ausziehen darf. Nachdem Nachbarn sich beschwerten, hatte das Landratsamt eine Nutzungsuntersagung erlassen. Dagegen wehrt sich die Gewinnerin des Venus-Award 2014. Wie die SZ (Dietrich Mittler) schreibt, gab das Gericht zu erkennen, der Klage nicht stattzugeben.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2016: Gutachten zu Landesverrat / Kundus beim BGH / Erdoğan legt Beschwerde ein . In: Legal Tribune Online, 06.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20777/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag