Der EuGH gibt heute seine Entscheidung zur Störerhaftung bekannt. Außerdem in der Presseschau: Der Deutsche Juristentag diskutiert rechtspolitische Themen und Einschränkungen der Selbstbelastungsfreiheit schützen nicht vor Auslieferung.
Thema des Tages
EuGH – Störerhaftung: Der Europäische Gerichtshof gibt heute seine mit Spannung erwartete Entscheidung zur Störerhaftung bekannt. Geklagt hat der Freifunker und Piratenpolitiker Tobias McFadden, der wegen eines Downloads über sein offenes W-Lan von Sony Music abgemahnt wurde. Dagegen setzte er sich mit einer negativen Feststellungsklage zur Wehr. Das Landgericht München I legte daraufhin dem Europäischen Gerichtshof einige Fragen zur eCommerce-Richtlinie vor.
Generalanwalt Maciej Szpunar kam in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die damalige deutsche Störerhaftung mit dem EU-Recht nicht vereinbar ist. Das Urteil ist auch für die neue Rechtslage relevant. Zwar wurde das Telemediengesetz inzwischen geändert, jedoch beinhaltet es noch Unklarheiten, die durch die EuGH-Entscheidung ausgeräumt werden können. netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) beleuchtet das Verfahren und seine Hintergründe.
Rechtspolitik
Videoüberwachung: Der von Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigte Einsatz von Gesichtserkennungssoftware bei der Videoüberwachung ist rechtlich umstritten. Zu diesem Ergebnis kam der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages, der von Linken-Politiker Andrej Hunko mit der Frage beauftragt wurde. Fraglich ist, ob die Ermächtigungsgrundlage für Videoüberwachung im Bundespolizeigesetz auch den Datenabgleich umfasst. Die taz (Christian Rath) berichtet.
Reform des Urheberrechts: netzpolitik.org (Hendrik Obelöer) fasst die gestern vorgestellten Pläne der EU-Kommission zur Urheberrechtsreform zusammen und gibt erste Reaktionen darauf wieder.
Rehabilitierung von Homosexuellen: Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) kritisiert die von Bundesjustizminister Heiko Maas geplante Rehabilitierung von Homosexuellen. Er erklärte gegenüber der FAZ (Reinhard Müller), das Gesetz dürfe "keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Aufhebung dieser Urteile von bundesrepublikanischen Gerichten der absolute Ausnahmefall ist."
DJT – Datennachlass: Der Deutsche Anwaltverein schlägt nach einem Bericht der FAZ (Hendrik Wieduwilt) eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes vor, um Erben den Zugriff auf Emails des Verstorbenen zu ermöglichen. Dies würde zwar in das Fernmeldegeheimnis eingreifen, beim Briefverkehr sei ein solcher Eingriff in das Briefgeheimnis aber bereits gängige Praxis, so Präsident Ulrich Schellenberg beim Deutschen Juristentag in Essen.
DJT – Öffentlichkeit im Gerichtsverfahren: Die geplante Ermöglichung von Videoübertragungen aus Gerichtssälen ist weiterhin umstritten. Während die Richterschaft an ihrer ablehnenden Haltung festhält, warb Justizminister Heiko Maas beim Deutschen Juristentag um Verständnis für den vor wenigen Tagen beschlossenen Gesetzentwurf. Unterstützung erhält er vom Gutachter des Deutschen Juristentages, dem Juraprofessor Karsten Altenhain, dessen Forderungen hinsichtlich der Bild- und Tonberichterstattung über den Gesetzentwurf hinausgehen. Außerdem fordert Altenhain einen einheitlichen medienrechtlichen Auskunftsanspruch in der StPO, wie lto.de (Pia Lorenz) schreibt.
DJT – Arbeitsrecht im digitalen Zeitalter: Der Rechtsprofessor Gregor Thüsing erläutert im Gespräch mit lto.de (Tanja Podolski) die Herausforderungen, vor denen das Arbeitsrecht durch die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt steht. Beim diesjährigen Juristentag werde diskutiert, ob und welche Änderungen, etwa im Betriebsverfassungsrecht und im Arbeitszeitgesetzes, erforderlich sind.
DJT – Elternschaft: Nach einem Bericht des Tsp (Jost Müller-Neuhof) fordert der Marburger Rechtsprofessor Tobias Helms in seinem Gutachten für den Deutschen Juristentag einen neuen "abstammungsrechtlichen Zuordnungstatbestand", der moderne Formen der Elternschaft erfassen soll. Bundesverfassungsrichterin Gabriele Britz sprach sich für die Anerkennung der "gleichgeschlechtlichen Elternschaft" aus.
Ceta: Der Rechtsanwalt und ehemailige CSU-Politiker Peter Gauweiler spricht sich in der SZ gegen das geplante Freihandelsabkommen Ceta aus. Die Einrichtung des rechtsetzenden "Gemischten Ceta-Ausschusses" und des rechtsprechenden "Investitionsgerichtshofs" verstoße gegen das Demokratieprinzip; die vorläufige Anwendung des Vertrags ohne Zustimmung der nationalen Parlamente sei ein ultra-vires-Akt. Zudem drohe die Aushölung des Vorsorgeprinzips und die Einschränkung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Letztlich werde der "Zusammenhang von Marktwirtschaft, Rechtsstaat und Demokratie" zerstört und eine "weltliche Scharia des Manager-Kapitalismus" etabliert.
Datenschutzrecht: In einem Gastbeitrag für die FAZ befassen sich Juraprofessorin Christiane Wendehorst und Rechtsanwalt Friedrich Graf von Westphalen mit der Datenschutz-Grundverordnung. Diese enthalte eine problematische Ausnahme vom Einwilligungsvorbehalt für die Verarbeitung personenbezogener Daten, wenn diese für die Erfüllung eines Vertrages erforderlich ist. Anbieter könnten Leistungsversprechen im Kleingedruckten beliebig weit formulieren und so den Einwilligungsvorbehalt faktisch aushebeln. Die Datenschutz-Grundverordnung müsse daher um einen spezifisch vertragsrechtlichen Schutz ergänzt werden.
Eine andere Lösung für die Probleme des Datenschutzes schlägt Nikolai Horn von der Bundesstiftung Datenschutz in der FAZ vor: "Nicht die Sanktionierung oder zusätzliche Vorschriften sollen das Mittel der Rechtsdurchsetzung sein, sondern IT-Anwendungen, welche Voraussetzungen für die legale Verarbeitung von Daten ermöglichen."
Justiz
BVerfG zu Auslieferung nach Großbritannien: Die in Großbritannien nur eingeschränkt geltende Selbstbelastungsfreiheit hindert nicht die Auslieferung von mutmaßlichen Straftätern. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Fall eines Iren entschieden, dem vorgeworfen wird, in England einen Mann erschossen zu haben. Zwar gelte in Großbritannien der nemo-tenetur-Grundsatz nur eingeschränkt, jedoch werde dadurch der Kerngehalt der Menschenwürde nicht berührt, so die Richter. Damit seien die integrationsfesten Verfassungsgrundsätze nicht verletzt. lto.de fasst die Entscheidung zusammen. Udo Vetter (lawblog.de)sieht hinter dem Beschluss ein "sehr gefährliches Argumentationsmuster. Wenn's in der Sache passt oder zumindest notwendig erscheint, wird das Grundgesetz bis auf sein Stützgerüst reduziert und der Rest für notfalls verzichtbar erklärt."
BGH – Tengelmann: Der Bundesgerichtshof hat angekündigt, im November über die Rechtsmittel im Verfahren um die Übernahme von Kaiser's Tengelmann durch den Konkurrenten Edeka zu entscheiden. Das meldet lto.de. Zuvor hatten die Anwälte der Supermarktkette in einem Brief an den BGH eine rasche Entscheidung gefordert, weil die wirtschaftliche Situation sich zuspitzen würde, schreibt die SZ (Michael Kläsgen). In einem gesonderten Kommentar führt Michael Kläsgen (SZ) aus, dass die Zerschlagung nur durch einen runden Tisch abgewendet werden könne, an dem alle Akteure sitzen und die Supermarktkette aufgeteilt werde. Für die Zukunft sei zudem wichtig, dass der Bundesgerichtshof kläre, wann eine Ministererlaubnis zulässig ist.
LG Krefeld zum VW-Abgasskandal: Das Landgericht Krefeld hat nach einer Meldung von lto.de den Rücktritt vom Kauf eines Audis mit manipulierter Abgas-Software für wirksam erklärt. Den Käufern sei eine Nacherfüllung durch VW nicht zumutbar, weil auch nach einer Überarbeitung der Software ein "berechtigter Mangelverdacht" bestünde.
LG Braunschweig – Klagewelle zum Abgasskandal: Das Landgericht Braunschweig bereitet sich auf eine Klageflut in den nächsten Tagen vor. Hintergrund ist, dass sich am Sonntag die Aufdeckung des VW-Abgasskandals jährt. Zwar ist umstritten, ob für die Ansprüche eine einjährige Verjährungsfrist gelte, jedoch würden viele Anwälte aus Sicherheit jetzt ihre Klagen einreichen, berichtet bloomberg.com (Karin Matussek) in einem englischsprachigen Beitrag. Die Zeit (Claas Tatje) fasst die verschiedenen Verfahren zum VW-Skandal zusammen.
OLG München – NSU-Prozess: Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, verweigert weiter die Beantwortung von Fragen der Opfer und ihrer Vertreter. Nur wenn das Gericht sich diese zu eigen mache, wolle Zschäpe aussagen, erklärte ihr Anwalt Mathias Grasel am gestrigen Verhandlungstag. Beantwortet wurden hingegen Fragen des Mitangeklagten Carsten S. Die SZ (Annette Ramelsberger), die taz (Konrad Litschko), spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und zeit.de (Tom Sundermann) berichten vom Prozess am Oberlandesgericht München.
Annette Ramelsberger (SZ) kommentiert, dass das Gericht das zeitraubende Frage-Antwort-Spiel nicht länger hinnehmen solle. Ein Jahr lang fragen und warten müsse genügen.
Recht in der Welt
Polen – Rüge von Europaparlament: Das Europaparlament hat mit deutlicher Mehrheit die Politik der polnischen Regierung gegenüber dem Verfassungsgericht gerügt. Das Parlament sieht in Polen die Rechtstaatlichkeit sowie grundlegende Menschenrechte in Gefahr und begrüßte die Entschlossenheit der EU-Kommission, einen "konstruktiven und produktiven" Dialog mit der polnischen Regierung zu führen. Unterdessen hat die polnische Regierung Vorschläge für eine Reform der Union vorgestellt, die auf die Schwächung von Kommission und Europaparlament hinauslaufen. Die FAZ (Konrad Schuller) und zeit.de berichten.
Albanien – Korruptionsbekämpfung: Die Rechtsprofessorin Arta Vorpsi befasst sich in einem englischsprachigen Beitrag auf verfassungsblog.de mit der Korruptionsbekämpfung in Albanien, wo Anti-Korruptions-Regeln in die Verfassung aufgenommen wurden.
Griechenland – Fluchthelfer: Drei spanischen Feuerwehrmännern droht eine empfindliche Haftstrafe in Griechenland. Sie waren nach Griechenland gereist, um schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten. Jetzt wird ihnen "illegaler Transport von Menschen ohne Genehmigung, griechisches Gebiet zu betreten" vorgeworfen, berichtet die taz (Reiner Wandler).
Sonstiges
Monsanto: Der Leverkusener Bayer-Konzern will den US-Konkurrenten Monsanto für 66 Milliarden Dollar übernehmen. Das Hbl (Bert Fröndhoff u.a.) weist auf die kartellrechtlichen Probleme hin und lässt Experten zu Wort kommen.
Mietrecht für Vereine: Die Zeit (Christian Salewski) schildert die Probleme, die gemeinnützige Vereine bei der Anwendung des Mietrechts haben, wenn sie selbst Wohnungen mieten, um sie bedürftigen zu überlassen. Vermieter würden sich darauf berufen, dass es sich nicht um Wohnungsmietverträge handele, da diese nur mit natürlichen Personen abgeschlossen würden. Es komme daher darauf an, ob konkludent die Anwendung des Wohnungsmietrechts vereinbart wurde. Die Gerichte würden diese Frage unterschiedlich beantworten, wird Rechtsanwalt Jan Prielipp zitiert.
Künstliche Intelligenz: Rechtsprofessor Rolf Schwartmann beschäftigt sich in der FAZ mit den Herausforderungen künstlicher Intelligenz für das Recht. Die geplante Ermöglichung automatisierten Fahrens sei nur eine Übergangslösung. Spannend werde es, wenn Maschinen perfekt funktionierten. Dann gehe es um die Abwägung von Menschenleben und um die Verantwortung für Schäden.
"Hitzefrei" im Arbeitsrecht: spiegel.de erklärt, wann arbeitende Eltern freigestellt werden müssen, um sich um ihre Kinder zu kümmern, die wegen Hitze vorzeitig aus der Schule entlassen werden.
Liebeserklärung an Europa: Die Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Angelika Nußberger hat in der FAZ eine Liebeserklärung an Europa veröffentlicht. Europa, das in vielerlei Hinsicht ein Paradox sei, habe es verdient, dass man sich für es einsetzt.
Juristische Ausbildung
Rücktritt vom Staatsexamen: lto.de (Manuel Leidinger) erläutert, unter welchen Voraussetzungen ein Rücktritt vom Staatsexamen zulässig ist.
Das Letzte zum Schluss
Falscher Polizist: Ein Mann, der sich "DJ Theo" nennt, muss sich vor dem Amtsgericht Düsseldorf gegen den Vorwurf des Titel- und Amtsmissbrauchs behaupten. Der Grund: Er hat bei einer Karnevalsfeier in einem Düsseldorfer Club Original-Teile einer Polizeiuniform getragen. Nachdem die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 1200 Euro erließ, schlug Richter Thorsten Huber vor, das Verfahren gegen Geldauflage in Höhe von 600 Euro einzustellen. Weil "DJ Theo" ablehnte, kommt es jetzt zur Beweisaufnahme, so spiegel.de.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 15. September 2016: Störerhaftung beim EuGH / Rechtspolitik beim DJT / BVerfG zu Auslieferung . In: Legal Tribune Online, 15.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20584/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag