Die Klage gegen den Sozialrichter Jan-Robert von Renesse wurde zurückgezogen. Außerdem in der Presseschau: Dobrinth will Lesen am Steuer ermöglichen und der EuGH hat sich mit Freihandelsabkommen beschäftigt.
Thema des Tages
Richterdienstgericht Düsseldorf – von Renesse: Nach einer Verständigung mit dem Sozialrichter Jan-Robert von Renesse hat das NRW-Justizministerium seine Klage zurückgezogen. Renesse hatte sich für die Anerkennung der Rentenansprüche von Arbeitern aus NS-Ghettos eingesetzt und dabei seine Kollegen vom Landessozialgericht kritisiert. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) verklagte den Richter daraufhin wegen Rufschädigung der Justiz auf eine Geldbuße von 5.000 Euro. Dies stieß auf massive Kritik, insbesondere von Holocaust-Überlebenden. Nach der Verständigung, über deren Inhalt Stillschweigen vereinbart wurde, hat das Richterdienstgericht Düsseldorf das Verfahren eingestellt. Die Welt (Kristian Frigelj) und lto.de berichten.
In einem Kommentar bezeichnet Richard Herzinger (Welt) es als beunruhigend, "dass sich deutsche Justizvertreter und ein Justizminister nach jahrzehntelanger 'Aufarbeitung' des Holocaust bei einem solch sensiblen Thema derart hartherzig auf Paragrafen versteifen konnten."
Rechtspolitik
Rehabilitierung Homosexueller: Bundesjustizminister Heiko Maas hat bei der Auftaktveranstaltung des 71. Deutschen Juristentags angekündigt im Oktober einen Gesetzentwurf zur Rehabilitierung Homosexueller vorzulegen. Die auf Grundlage der bis 1994 bestehenden Rechtslage Verurteilten seien "einzig und allein wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt und bestraft" worden und müssten "bis heute mit diesem Strafmakel leben", zitiert die FAZ (Hendrik Wieduwilt) den SPD-Politiker. Auch lto.de und zeit.de berichten.
In einem Kommentar bezeichnet Susanne Höll (SZ) die Rehabilitierung als überfällig. Indem Maas sie jetzt angehe, rette er auch die Ehre der Politik. Jan Feddersen (taz) findet die Initiative löblich, jedoch werde "eine gesellschaftliche Debatte vermieden, die sich an alle richtet, die die Strafkultur gegen männliche Homosexuelle gut fanden und sie aufrechterhalten haben".
Heiko Maas/netzpolitik.org: Das Justizministerium hat nun zugegeben, das vertrauliche Protokoll der Sitzung des Bundestags-Rechtsausschusses zur Netzpolitik-Affäre an die Presse gegeben zu haben. Man sei fälschlich davon ausgegangen, dass das Protokoll öffentlich sei. Über die Vorgeschichte sowie die parteiübergreifende Kritik an Maas schreiben die SZ (Robert Roßmann), der Tsp (Jost Müller-Neuhof) und lto.de (Pia Lorenz).
Automatisiertem Autofahren: Verkehrsminister Alexander Dobrindt will nach einer Meldung der FAZ (Manfred Schäfers) die Nutzung von hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugen ermöglichen. Ein Gesetzentwurf, der zur Abstimmung an die anderen Ministerien verschickt wurde, sieht vor, dass das Straßenverkehrsgesetz geändert wird. Danach soll beispielsweise das Lesen im Auto erlaubt sein, wenn der Fahrer "wahrnehmungsbereit" ist und jederzeit die Fahrzeugführung übernehmen kann. Kommt es trotzdem zu einem Unfall, sollen sich Geschädigte an die Haftpflichtversicherung des Fahrzeughalters wenden können, die sich beim Hersteller schadlos halten kann.
Immobilienkredite: Die Union dringt auf weniger scharfe Regeln für die Vergabe von Immobilienkrediten. Mit der im März erfolgten Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie wurden die Auflagen für die Kreditvergabe verschärft. Kreditinstitute klagen inzwischen über zurückgehende Vertragsabschlüsse, was die Union dazu veranlasst hat, Bundesjustizminister Heiko Maas aufzufordern, das Gesetz auf seine Praxistauglichkeit zu überprüfen. Das Justizministerium erklärte, zunächst die uneindeutigen Rückmeldungen sowie die mit Kreditwirtschaft und Verbraucherzentralen geführten Gespräche auswerten zu wollen, so die FAZ (Manfred Schäfers).
Compliance-Richtlinien: Die Rechtsanwälte Konstantin von Busekist und Anne-Kathrin Gillic befassen sich in der FAZ mit Compliance-Richtlinien für Manager. Diesen droht eine Strafverfolgung, wenn sie nicht oder nicht genug in Compliance investiert haben. Anders als in anderen Ländern, in denen Auslegungsrichtlinien oder sogar das Gesetz selbst die Anforderungen Compliance-Maßnahmen festlegen, sei der erforderliche Inhalt von Compliance-Management-Systemen in Deutschland unklar. Politische Initiativen seien bisher im Sand verlaufen.
Präsident des Europäischen Rechnungshofes: Der deutsche Jurist Klaus-Heiner Lehne (CDU) wird neuer Präsident des Europäischen Rechnungshofes. Er löst den Portugiesen Vítor Caldeira ab. Lehne ist seit 2014 am Rechnungshof. Vorher war er seit 1994 Abgeordneter im Europäischen Parlament, schreibt die FAZ (Hendrik Kafsack).
Justiz
EuGH – Freihandelsabkommen: Nach der mündlichen Verhandlung zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur zeichnet sich ab, dass der Europäische Gerichtshof vermutlich auch TTIP und Ceta als gemischte Abkommen betrachten wird. Somit wäre die Zustimmung der nationalen Parlamente erforderlich. Die taz (Christian Rath) berichtet von der Verhandlung.
EuG zu Hörmarke: Das Gericht der Europäischen Union hat eine Entscheidung des europäischen Markenamts bestätigt, nach der eine Hörmarke, bestehend aus zwei aufeinander folgenden Tönen, nicht in das Markenregister eingetragen wird. Der Tonabfolge fehle es an der konkreten Unterscheidungskraft. Geklagt hatte der brasilianische Medienkonzern Groupo Globo. Der Rechtsanwalt Sascha Pres erläutert auf lto.de die Hintergründe der Entscheidung.
OLG München – NSU-Prozess: Der Verteidiger von Beate Zschäpe, Mathias Grasel, hat angekündigt, am heutigen Mittwoch eine Stellungnahme zu verlesen. Zuvor hatte das Gericht einen Großteil der Fragen von Nebenklagevertretern als unzulässig bewertet. Vom Prozess berichten spiegel.de (Gisela Friedrichsen) und zeit.de (Tom Sundermann).
LG Neubrandenburg – SS-Sanitäter: Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Sanitäter Hubert Zafke wurde ein medizinischer Sachverständiger befragt, der dem Angeklagten eine leichte Demenz diagnostiziert hat. Zudem stellten Nebenklagevertreter und Staatsanwaltschaft einen Befangenheitsantrag gegen den Richter Klaus Kabisch. Sie verweisen unter anderem darauf, dass Kabisch den Angeklagten zu Hause besucht und die Arbeit der Nebenklagevertreter behindert habe. Kabisch hatte zuvor die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten abgelehnt, wurde jedoch vom Oberlandesgericht Rostock korrigiert. Die taz (Klaus Hillenbrand) berichtet.
VG Düsseldorf zu Stickoxiden: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Bezirksregierung Düsseldorf verpflichtet, bei Maßnahmen gegen Schadstoffe in der Luft nachzubessern. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe. Die Bezirksregierung muss jetzt bis Oktober 2017 ihren Luftreinhalteplan überarbeiten. Dabei dränge sich ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge auf, so die Richter. Die taz (Richard Rother) und spiegel.de berichten.
AG München – FC Bayern: Mit der möglichen Austragung des FC Bayern München aus dem Vereinsregister befasst sich jetzt auch Rechtsprofessor Dirk Verse in der FAZ. Dessen Kollege Lars Leuschner hatte vor wenigen Tagen die Austragung angeregt, um auf die seiner Ansicht nach falsche Rechtsauffassung des Amtsgerichts hinzuweisen. Hintergrund ist ein älteres Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem der Verein ADAC sich nicht die Tätigkeit seiner Tochtergesellschaft als eigenen Geschäftsbetrieb zurechnen lassen müsse. Von dieser Rechtsprechung soll das Amtsgericht München abgerückt sein, was neben vielen Fußballvereinen auch Wohlfahrtsverbände und Sachverständigenorganisationen betreffen könnte.
Klage gegen Ex-Vorstände: Die Hypo-Vereinsbank verklagt drei ehemalige Vorstandsmitglieder auf Schadensersatz in Höhe von 180 Millionen Euro. Die Manager sollen die Geschäfte der Bank nicht ordnungsgemäß überwacht haben. Dies habe die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte ermöglicht, die später Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen habe. Das Hbl (Volker Votsmeier/Sönke Iwersen) berichtet. In einem gesonderten Beitrag schildert das Hbl (Volker Votsmeier) weitere bekannte Organhaftungsfälle.
Jutta Limbach: Zum Tod der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach hat jetzt Rechtsprofessor Tobias Gostomzyk auf spiegel.de einen Nachruf veröffentlicht. Gostomzyk hatte Limbach als Praktikant am Bundesverfassungsgericht kennengelernt.
Recht in der Welt
Griechenland – Strafverfahren gegen Statistiker: Ein Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten der griechischen Statistikbehörde, Andreas Georgiou, wird nach einem Urteil von Griechenlands obersten Gerichtshof neu aufgerollt. Dem Statistiker wird vorgeworfen, das Haushaltsdefizit Griechenlands 2009 künstlich aufgeblasen zu haben, um so die Sparpolitik der Troika zur Durchsetzung zu verhelfen. In einem Gastbeitrag für die SZ kritisiert Thanos Catsambas, ehemaliger stellvertretender Direktor des Internationalen Währungsfonds, das Verfahren als "politische Justiz" und fordert die Troika auf, Druck auf die Syriza-Regierung auszuüben, damit das Verfahren eingestellt wird. Dies sei keine Einmischung in die Unabhängigkeit der griechischen Justiz, da diese ohnehin nur auf dem Papier unabhängig sei.
Griechenland – Strafe für Fluchthelfer: Der deutsche Pensionär Bernd Keller ist in Griechenland zu 16 Jahren und sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe von 46.000 Euro verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, mit seinem Schiff eine syrische Familie gegen Geld aus der Türkei nach Griechenland gebracht zu haben. Jetzt sitzt er in Griechenland im Gefängnis und wird von der deutschen Botschaft konsularisch betreut. In das Verfahren will sich die Botschaft jedoch nicht einmischen. Ein Bericht der taz (Stefan Buchen) wirft Zweifel an den Darstellungen der griechischen Behörden auf und befasst sich mit den politischen Hintergründen. Für Pascal Beucker (taz) ist "jede Strafe für Fluchthelfer zu hoch". Unter der Voraussetzung, dass die Flüchtlinge heil dort ankommen, wo sie hinwollen, sei die Unterstützung bei der Flucht ein "Akt der Humanität".
Nordirland – "Rache-Porno" auf Facebook: Ein Richter im nordirischen Belfast hat die Klage einer 14-Jährigen gegen Facebook zugelassen. Nach der Trennung von ihrem Freund, hatte dieser aus Rache Nacktfotos hochgeladen. Facebook hat diese nach Hinweisen zwar gelöscht, aber nicht verhindert, dass sie erneut veröffentlicht werden, obwohl das technisch möglich ist. Daher verlangt das Mädchen nun von Facebook Schadensersatz, schreibt die SZ (Jannis Brühl/Björn Finke).
Sonstiges
Fischer zu Rechtsbeugung: In seiner Kolumne auf zeit.de befasst sich Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, zunächst mit der Montblanc-Affäre, um sich dann erneut dem Tatbestand der Rechtsbeugung zu widmen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 14. September 2016: Streitbeilegung mit Renesse / Lesen am Steuer / Freihandelsabkommen vor EuGH . In: Legal Tribune Online, 14.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20572/ (abgerufen am: 02.07.2024 )
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