Die Grünen dürfen zukünftig jeden fünften vom Bundesrat gewählten Bundesverfassungsrichter vorschlagen. Außerdem in der Presseschau: EuGH billigt vorinstallierte Software und Obama schlägt Muslim als Bundesrichter vor.
Thema des Tages
Wahl der Bundesverfassungsrichter: Nach Informationen der taz (Christian Rath) haben sich Union, SPD und Grüne auf einen neuen Modus für die Wahl der Bundesverfassungsrichter geeinigt. Bisher wurden die 16 Richter jeweils zur Hälfte auf Vorschlag von Union und SPD gewählt. Nur bei den acht vom Bundestag zu wählenden Richtern hatten die FDP und die Grünen jeweils das Vorschlagsrecht für einen Richter. Da die Grünen inzwischen an zehn Landesregierungen beteiligt sind, dürfen sie zukünftig auch jeden fünften vom Bundesrat zu wählenden Richter vorschlagen. Das wird voraussichtlich im April 2018 erstmals der Fall sein, wenn Michael Eichberger aus dem Ersten Senat ausscheidet.
Rechtspolitik
Sozialleistungen für Flüchtlinge: Asylbewerber, die in einer privaten Wohnung untergebracht sind, sollen zukünftig weniger Bargeld erhalten. Stattdessen sollen die Stromkosten als Sachleistungen vom Staat übernommen werden. Das sieht ein Gesetzentwurf von Bundessozialministerin Andrea Nahles vor, über den die SZ (Jan Bielicki) und die Welt (Sabine Menkens) berichten. Dietrich Creutzburg (FAZ) meint, dass Sozialleistungen nicht als "Migrationsanreiz" wirken dürften. Der wichtigste Spielraum, den das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber gelassen habe, liege darin, einen möglichst hohen Anteil der Fürsorge durch Sachleistungen zu erbringen.
Auskunftspflicht bei Mietpreisbremse: Vermieter müssen zukünftig wohl von sich aus mitteilen, wieviel Miete der Vormieter gezahlt hat, damit der neue Mieter die Einhaltung der Mietpreisbremse überprüfen kann. CDU-Mietrechtspolitiker Jan-Marco Luczak erklärte gegenüber der NJW-Homepage (Joachim Jahn), dass er sich eine Zustimmung zu einem entsprechenden Vorschlag der SPD-Fraktion vorstellen könne.
BDSG-Anpassungsgesetz: Ein erster Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums für das "Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU" ist geleakt geworden. Der Entwurf sieht unter anderem vor, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte bei rechtswidrigen Datenverarbeitungen durch Nachrichtendienste keine Sanktionen verhängen kann. netzpolitik.org (Anna Biselli) stellt den Referentenentwurf vor und veröffentlicht den Wortlaut sowie die Stellungnahmen des Justizministerium und der Bundesdatenschutzbeauftragten, die zum Teil sehr kritisch ausfallen.
Flüchtlingspolitik: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei der Haushaltsdebatte im Bundestag die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt. Aus Reihen der CSU sind hingegen weiterhin Forderungen nach einer Obergrenze von Flüchtlinge zu vernehmen, wie das Hbl (Daniel Delhaes) berichtet. In einem Kommentar fordert Heribert Prantl (SZ) ein Ende der Obergrenzen-Diskussion: "Diese Obergrenzen-Diskussion ist eine Diskussion abseits des Rechts und abseits humanitärer Praktikabilität."
Erbschaftsteuer: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei der Haushaltsdebatte im Bundestag an die Bundesländer appelliert, die Reform der Erbschaftsteuer nicht länger aufzuhalten. Das meldet die FAZ (Kerstin Schwenn). Sollte es im Vermittlungsausschuss in den nächsten Wochen zu keiner Einigung kommen, könnte das Bundesverfassungsgericht neue Regeln bestimmen. Das Hbl (Donata Riedel) weist darauf hin, dass aus Angst vor einer solchen Entscheidung viele Unternehmer ihre Firmen bereits an ihre minderjährigen Kinder verschenkt haben.
Range und Maas: Die FAZ (Reinhard Müller) zeichnet die Geschehnisse rund um die Ermittlungen gegen die Macher des Blogs "netzpolitik.org" nach, die heute hinichtlich der Rolle von Justizminister Heiko Maas diskutiert werden. Während der damalige Generalbundesanwalt Harald Range betont, Maas hätte ihm die Weisung erteilt, die Ermittlungen einzustellen, bestreitet der Justizminister eine Weisung. In einem gesonderten Kommentar meint Reinhard Müller (FAZ), es mache einen guten Politiker aus, stets im guten Licht zu erscheinen – aber keinen guten Justizminister.
Justiz
EuGH zu vorinstallierter Software: Dass Elektronikhändler Computer mit vorinstallierter Software verkaufen, verstößt nicht gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Geklagt hatte ein Franzose, der einen Sony-Rechner gekauft hatte aber auf das vorinstallierte Betriebssystem Windows verzichten wollte. Die Kosten für die Software verlangte er deshalb anteilig zurück. Der Gerichtshof entschied, dass vorinstallierte Software die "Erwartungen eines wesentlichen Teils der Verbraucher erfüllt" und es sich deshalb nicht um eine unlautere irreführende Geschäftspraxis handele. Die BadZ (Christian Rath), die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und spiegel.de (Jörg Breithut) berichten.
BGH – Edeka/Tengelmann: Die Anwälte von Kaiser's Tengelmann wollen eine zügige Entscheidung des Bundesgerichtshofs über die Ministererlaubnis zur Übernahme durch Edeka. Das geht aus einem Schreiben hervor, das dem Hbl (Christoph Kapalschinski) vorliegt.
LG Bonn – Befruchtete Eizellen: Am Landgericht Bonn wurde ein Fall verhandelt, in dem eine Frau ihren ehemaligen Lebensgefährten verklagt, weil dieser seine Einwilligung in eine künstliche Befruchtung widerrufen hat. Die Eizellen der Frau wurden bereits befruchtet und liegen eingefroren in einer Düsseldorfer Klinik. Noch bevor sie eingesetzt werden konnten, widerrief der Mann seine Einwilligung. Er beruft sich dabei auf einen notariellen Vertrag, nach dem der Mann die Einwilligung bis zur Einpflanzung widerrufen darf. Der Anwalt der Frau verweist hingegen auf die Wertungen des Embryonenschutzgesetzes und auf die Reproduktionsfreiheit seiner Mandantin, die bereits 42 Jahre alt ist. Wie der Bonner General-Anzeiger (Ulrike Schödel) berichtet, gaben die Richter am Bonner Landgericht zu erkennen, dass sie dieser Argumentation nicht folgen würden. Vorab stellte lto.de (Pia Lorenz) den Fall sowie die rechtlichen Argumente dar.
BVerfG zu Hartz IV: Hartz-IV-Empfängern unter 25 Jahren, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, darf das Arbeitslosengeld gekürzt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Geklagt hatte ein 21-Jähriger, der mit seinem Vater zusammenlebte und sich nun dessen Erwerbsunfähigkeitsrente anrechnen lassen muss. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) und lto.de fassen die Entscheidung zusammen.
BVerfG – Ceta-Beschwerdeführerin: Die Zeit (Pauline Schinkels) stellt Marianne Grimmenstein vor, die eine Verfassungsbeschwerde gegen das Freihandelsabkommen Ceta eingereicht hat. Die 70-jährige Flötenlehrerin, die sich selbst als Hobby-Juristin bezeichnet und vom Verfassungsrechtler Andreas Fisahn unterstützt wird, hat Vollmachten von 68.058 Bürgern für die Verfassungsbeschwerde gesammelt.
VG Düsseldorf – Asylverfahren: Am Verwaltungsgericht Düsseldorf machen Asylverfahren mittlerweile zwei Drittel der Klagen aus. Gerichtspräsident Andreas Heusch sieht das als Konsequenz von politischen Entscheidungen und äußerte gegenüber der FAZ (Reiner Burger) seine Befürchtung, dass andere Rechtsmaterien ins Hintertreffen geraten.
Pressekammern: In einem Gastbeitrag für die Zeit wendet sich Rechtsanwalt Till Dunckel gegen die von Journalisten aufgestellte These, dass die spezialisierten Pressekammern der Landgerichte Berlin, Hamburg und Köln pressefeindlicher als andere entscheiden oder gar um Kläger buhlen würden. Vielmehr würden von Medienveröffentlichungen Betroffene diese Gerichte wählen, weil die Verfahren dort schneller geführt würden und die Entscheidungen vorhersehbarer seien.
Recht in der Welt
USA – Muslimischer Bundesrichter: US-Präsident Barack Obama hat den Juristen Abdi Qureishi als Bundesrichter im District of Columbia vorgeschlagen. Er wäre der erste Muslim an einem US-amerikanischen Bundesgericht. Der Vorschlag ist ein Politikum, weil der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, im Wahlkampf mehrfach Zweifel geäußert hatte, dass er von muslimischen Richtern fair behandelt werden würde. Die FR (Damir Fras) berichtet. Für Daniel Bax (taz) ist die Entscheidung Obamas ein "Signal, dass er sich nicht von den Ressentiments beirren lässt, welche Teile der Republikaner bewusst schüren". Davon könne auch Deutschland lernen.
Irland – Klage gegen VW: Eine irische Krankenschwester verklagt Volkswagen vor einem irischen Gericht wegen der Abgasaffäre. Am ersten Verhandlungstag verließen die VW-Anwälte den Gerichtssaal, weil sie das Gericht für nicht zuständig erachten. Das Gericht fuhr fort, und verlas ein Gutachten des Ökonomen und Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz, der die Klägerin unterstützt. Die Welt (Nikolaus Doll) berichtet.
Österreich – Obergrenze: Die österreichichen Koalitionspartner SVP und ÖVP haben sich auf den Text einer Notverordnung geeinigt, die die Zahl der Asylanträge in Österreich auf 37.500 begrenzen soll. Wie die FAZ (Stephan Löwenstein) und die taz (Rolf Leonhard) schreiben, ist jedoch noch umstritten, ob und wann die Verordnung in Kraft treten soll. In einem gesonderten Kommentar kritisiert Rolf Leonhard (taz) den "konstruierten Notstand" als "gefährlichen Präzedenzfall".
Österreich/Ungarn – Klage vor EuGH: Österreich droht Ungarn mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, weil Ungarn sich weigert Flüchtlinge aufzunehmen, die über Ungarn nach Österreich eingereist sein. Ungarn meint hingegen, es sei nicht zuständig, weil die Flüchtlinge nicht in Ungarn das erste Mal die Europäische Union betreten hätten, so zeit.de.
Sonstiges
Landkreistag: Anlässlich der Gründung des Landkreistages vor hundert Jahren porträtiert die FAZ (Jan Hauser) dessen derzeitigen Hauptgeschäftsführer, den Juristen Hans-Günter Henneke. Ebenfalls in der FAZ ( Jasper von Altenbockum) findet sich eine Rezension von Hennekes Buch über die deutschen Kreise und ihren Landkreistag.
Das Letzte zum Schluss
Hornhautcreme im Knast: Wie lawblog.de (Udo Vetter) meldet, hat das Oberlandesgericht Celle einem Gefängnisinsassen Hornhautcreme empfohlen. Der Häftling wollte eine Hornhautraspel und einen Hornhauthobel im Gefängnis benutzen, um seiner stark wachsenden Hornhaut Herr zu werden. Das Gefängnis lehnte die Benutzung jedoch aus Sicherheitsbedenken ab und wurde durch das Oberlandesgericht Celle bestätigt. Das Gericht wies zudem darauf hin, dass "es neben der vom Antragsteller bislang praktizierten mechanischen Hornhautentfernung bekanntlich auch wirksame Cremes zur Hornhautentfernung gibt, die aus medizinischer Sicht ohnehin regelmäßig gegenüber einer mechanischen Hornhautentfernung mittels Raspel und Hobel wegen der damit verbundenen Verletzungs- und Infektionsgefahr vorzugswürdig sind".
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 8. September 2016: Neuer Modus bei BVerfG-Richterwahl / Vorinstallierte Software rechtmäßig / Muslimischer US-Bundesrichter? . In: Legal Tribune Online, 08.09.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20512/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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