Am heutigen Donnerstag diskutieren die Innenminister der Union über ein Verbot von Burka und Niqab. Außerdem in der Presseschau: StA Rottweil ermittelt nicht wegen AfD-Facebook-Post und Europäer wollen VW-Akten von der US-Justiz.
Thema des Tages
Verbot der Vollverschleierung: Am heutigen Donnerstag treffen sich die Innenminister der Union zu internen Beratungen, unter anderem zum Verbot der Vollverschleierung. Der CDU-Politiker Jens Spahn schreibt in der FAZ (faz.net-Zusammenfassung), dass Burka und Niqab nicht zu Deutschland gehören. Die Vollverschleierung stelle eine Verweigerung des gesellschaftlichen Miteinanders dar und entspringe "einem reaktionären islamistischen Frauenbild". Auch Iris Radisch (Zeit) sieht die Vollverschleierung als "nicht hinnehmbares Symbol islamischer Fanatiker". Ein Verbot sei ein "ein wichtiges politisches und kulturelles Signal". Elisabeth Raether (Zeit) spricht sich gegen ein Verbot aus. Das Illiberale könne nicht besiegt werden, indem man sich über grundlegenden Prinzipien der Liberalität hinwegsetze.
swr.de (Gigi Deppe) beleuchtet die rechtliche Zulässigkeit eines Verbots und verweist auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das Ende 2014 zu dem Ergebnis kam, ein Burka-Verbot sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Patrick Bahners (FAZ) befasst sich mit der Frage, wie ein Verbot der Vollverschleierung gerechtfertigt werden kann. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sprechen gegen eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit. Die "vielleicht einzig denkbare Ratio für ein Verbot" sei der Grundsatz, dass das Recht die "Selbstversklavung" nicht anerkennen könne. Die Debatte dürfe jedoch nicht "formaljuristisch" bleiben, weil die Rechtsprechung des Verfassungsgericht mit den Intuitionen der Staatsbürger harmonieren müsse.
Rechtspolitik
Fahrverbote: Die Welt (Michael Gassmann) trägt Reaktionen auf die Pläne von Justizminister Heiko Maas zusammen, ein Fahrverbot als Sanktion auch für Straftaten einzuführen, die keinen Bezug zum Straßenverkehr haben. Der Deutsche Richterbund und der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags, Kay Nehm, kritisieren das Fahrverbot als willkürlich. Der Kölner Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel sieht Fahrverbote hingegen insbesondere bei jungen Leuten, für die das Auto ein Statussymbol sei, als sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Sanktionsmöglichkeiten an.
Grundgesetz und Wohnungsbau: Christian Rath (taz.de) bewertet den Vorschlag von Bauministerin Barbara Hendricks, dem Bund durch eine Grundgesetzänderung wieder Einfluss auf den sozialen Wohnungsbau zu verschaffen: "Hendricks Vorschlag geht zwar in die richtige Richtung, ist aber noch zu halbherzig."
Antidiskriminierungsrecht: Hendrik Wieduwilt (FAZ) setzt sich mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und den Vorschlägen der Antidiskriminierungsstelle zu dessen Reform auseinander. Die Vorschläge, insbesondere die geforderte Haftung für das Verhalten Dritter, würden zu einem "schleichenden Umerziehungsprogramm auf dem Rücken von Unternehmern" führen. Das Antidiskriminierungsrecht solle sich auf seine Wurzeln besinnen, die im Schutz des Einzelnen vor Benachteiligung liegen.
Europäische Integration: In einem Gastbeitrag für die FAZ spricht sich Hans Hugo Klein, emeritierter Rechtsprofessor und ehemaliger CDU-Politiker sowie Richter am Bundesverfassungsgericht, für eine Stärkung der nationalen Parlamente in der Europäischen Union aus. Da der Subsidiaritätsgrundsatz bisher weitgehend leer laufe, müssten die nationalen Parlamente die Möglichkeit erhalten, die Geltung von Unionsrecht, das ihrer Meinung nach gegen den Subsidiaritätsgrundsatz verstößt, in ihrem Staat zu verhindern. Ein solches "Opting-out" würde die Union nicht zum Einsturz bringen aber den Mitgliedstaaten "ein erhebliches Stück ihrer Souveränität zurückgegeben". Eine andere Meinung vertritt Christine Landfried in der FAZ. Die Politikwissenschaftlerin kritisiert die Praxis, Mitgliedstaaten Sonderrechte zuzugestehen, um einen Austritt zu verhindern. Ein Übermaß an Ausnahmen würde zur Desintegration europäischer Institutionen führen. Stattdessen sei ein neuer Konvent erforderlich, bei dem die Europäische Union neu konstituiert wird. Der politische Preis sei dabei, "dass nicht alle Mitgliedstaaten, die nach der Umsetzung des Brexits noch zur EU gehören, bei einem solchen Neustart des europäischen Projektes mitmachen werden".
TTIP und CETA: Das Hbl (Dietmar Neuerer) interviewt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentralen-Bundesverbands zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Der "oberste Verbraucherschützer" Deutschlands ist der Ansicht, dass die nationalen Parlamente CETA zustimmen müssen.
Justiz
LG Aachen zu Automaten-Sprengung: Das Landgericht Aachen hat einen 25 Jahre alten Mann aus Utrecht in den Niederlanden wegen Beihilfe zum schweren Diebstahl und des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen in zwei Fällen zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte im vergangenen Sommer ein Fluchtauto gestohlen und ein anderes weggeschafft. Die Autos seien nach der Sprengung von Bankautomaten eingesetzt worden. Die FAZ (Reiner Burger) schildert den Fall sowie die anhaltenden Ermittlungen des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen wegen Automaten-Sprengungen.
LG Mainz – Nürburgring-Affäre: Bei dem Anfang 2015 am Landgericht Mainz begonnen Prozess gegen den Finanzvermittler Urs Barandun ist noch immer kein Ende in Sicht. Dem Schweizer wird vorgeworfen, einen nicht existierenden Investor vermittelt und sich dabei wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht zu haben. Nachdem zuerst der Angeklagte ausblieb, wird inzwischen auf die Befragung eines Zeugen aus den USA gewartet. Die FAZ (Timo Frasch) fasst den bisherigen Ablauf zusammen und geht der Frage nach, warum das Verfahren so lange dauert. Ein Grund könne die Überlastung der rheinland-pfälzischen Justiz sein.
StA Rottweil zu AfD-Post: Die Staatsanwaltschaft Rottweil geht nicht gegen Mitglieder des AfD-Kreisverbandes Rottweil/Tuttlingen vor, die auf Facebook gefordert hatten, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken zulassen. Eine strafbare Volksverhetzung liege nicht vor, weil die Flüchtlinge nicht oder noch nicht in Deutschland seien, somit kein Inlandsbezug vorliege, der für eine Bestrafung gefordert wird. swr.de (Gigi Deppe) berichtet.
StA Dessau – Oury Jalloh: Die Staatsanwaltschaft Dessau führt am heutigen Donnerstag einen Brandversuch durch, bei dem geklärt werden soll, unter welchen Umständen der Asylbewerber Oury Jalloh 2005 im Polizeirevier Dessau verbrannte. Nach 11 Jahren wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen, nachdem die private Initiative "Oury Jalloh" ein eigenes Brandgutachten vorgelegt hatte. Die taz (Christian Jakob) sprach mit Mouctar Bah von der Initiative, die kritisiert, nicht angemessen am Brandversuch beteiligt zu werden.
Verfahren wegen VW-Abgasskandal: Die SZ fasst die zahlreichen abgeschlossenen und anhängigen Gerichtsverfahren gegen VW zusammen. Einerseits würden Kunden gegen den Konzern und VW-Händler vorgehen, wobei die Entscheidungen bisher unterschiedlich ausfallen. Andererseits zeichne sich ein von Aktionären angestrengter Musterprozess vor dem OLG Braunschweig ab. Bei beiden Arten von Verfahren könnten die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig den Klägern zugutekommen.
Recht in der Welt
USA – VW-Akten: Europäische VW-Kunden verlangen laut SZ (Klaus Ott) von der US-Justiz Einsicht in die Akten der dort geführten Prozesse zum VW-Abgasskandal, um die Informationen für Schadensersatzklagen in Deutschland zu verwenden. Sie berufen sich auf eine Bestimmung im US-Recht, nach der Justizdokumente für Prozesse in anderen Staaten herausgegeben werden können. VW widerspricht der Akteneinsicht. Am 25. August will US-Richter Charles R. Breyer verhandeln.
USA – Copyright-Informationen: Die US-amerikanische Fotografin Carol Highsmith verklagt die Agentur Getty auf eine Milliarde Dollar Kompensationszahlung. Die Agentur hat Bilder, die Highsmith ohne Copyright in das Internet gestellt hatte, auf ihrer eigenen Plattform und mit einem Getty-Wasserzeichen zum Verkauf angeboten. Das könnte gegen den "Digital Millennium Copyright Act", verstoßen, der es verbietet Informationen über das Copyright zu verändern oder zu entfernen. Die FAZ (Andrea Diener) berichtet.
Großbritannien – Hassprediger: Ein britisches Gericht hat Anjem Choudary verurteilt. Der Hassprediger gilt als einer der mächtigsten Islamisten Europas. Seit mehr als 20 Jahren ist er im Visier der Behörden. Dem studierten Juristen ist es jedoch bisher gelungen, nicht strafrechtlich belangt zu werden. Jetzt wurde er verurteilt, weil er nach der Überzeugung des Gerichts in einem YouTube-Video zur Unterstützung des Islamischen Staates aufgerufen hat, so die Welt (Stefanie Bolzen).
Großbritannien – Brexit: Die Rechtswissenschaftler Arkadiusz Radwan und Hans-Bernd Schäfer beleuchten auf verfassungsblog.de rechtliche und rechtspolitische Aspekte des Brexits. So sei fraglich, ob das britische Parlament dem Brexit zustimmen müsse. Unklar sei auch, was "Brexit" überhaupt bedeute.
Juristische Ausbildung
Jurastudent in Rio: Der Hockeyspieler Moritz Trompertz ist gerade mit der Nationalmannschaft im Halbfinale ausgeschieden. Neben dem Sport studiert der 20-Jährige in Köln Jura. Über seine beruflichen Pläne und die Schwierigkeiten Sport und Studium unter einen Hut zu bekommen, schreibt die Zeit (Felix Lill).
Sonstiges
Europäisierung und Strafrecht: Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Herbert Landau befasst sich in einem Gastbeitrag für die FAZ mit dem Strafrecht in einem zusammenwachsenden Europa. Anlass ist die Rechtsprechung des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsidentität. Anders als in anderen Rechtsordnungen würde in Deutschland das Strafrecht kulturell in der Menschenwürde wurzeln. So seien Verständigungen im Strafprozess und Verurteilungen in Abwesenheit des Angeklagten dem deutschen Strafprozessrecht grundsätzlich fremd. Das Problem der "Kohärenz im Mehrebenensystemen" lasse sich jedoch durch eine "Kooperation der Höchstgerichte" lösen.
Doppelte Staatsbürgerschaft: Die SZ (Bernd Kastner) erläutert, in welchen Fällen es zu doppelten Staatsbürgerschaften kommt. So erhalten Kinder aus binationalen Partnerschaften in der Regel zwei Staatsbürgerschaften. Wer sich einbürgern lässt, muss zwar grundsätzlich seinen alten Pass abgeben. Von dieser Regel gibt es jedoch zahlreiche Ausnahmen, etwa für EU-Ausländer und Angehörige von Staaten, die ihre Bürger nicht "entlassen".
Pokémon auf Privatgrundstücken: Immer wieder kommt es vor, dass Spieler von Pokémon Go bei der Jagd nach Pokémon Privatgrundstücke betreten. Rechtsreferendar Nicolas Höbel erläutert auf lto.de, dass neben den Spielern auch der Anbieter Niantic auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann.
Meldung von Zweckentfremdung: Auf freitag.de beschäftigt sich Klaus Hennemann, ehemaliger Richter und Mitglied im Beirat des Whistleblower-Netzwerks e.V., mit dem Aufruf der Berliner Verwaltung, Verstöße gegen das Berliner Zweckentfremdungsgesetz zu melden. Das Gesetz verbietet die Vermietung von Wohnraum zu anderen Zwecken. Verstöße sind jedoch schwer zu beweisen, weshalb die Berliner Behörden nach Hinweisgebern suchen. Problematisch sei, dass die Behörden zur anonymen Abgabe von Hinweisen animiere, ohne dass ein Schutzbedürfnis wie etwa bei Whistleblowern bestehe.
Das Letzte zum Schluss
Abgeschleppt und geblitzt: In Russland ist ein Auto geblitzt worden, obwohl es gar nicht selbst fuhr: Es stand auf der Ladefläche eines Abschleppwagens, der 22 Stundenkilometer zu schnell unterwegs war. Trotzdem bekam der Inhaber des Autos einen Bußgeldbescheid. Die Polizei sprach von einem "technischen Fehler" und hat den Bescheid inzwischen aufgehoben, wie spiegel.de berichtet.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 18. August 2016: Burka und Niqab / AfD-Post straffrei / VW-Akten aus den USA . In: Legal Tribune Online, 18.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20318/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag