Die unionsgeführten Innenministerien fordern Gesetze zur inneren Sicherheit. Außerdem in der Presseschau: De Maizière will ärztliche Schweigepflicht lockern und Richter kritisiert Anwälte nach Urteil zu Oktoberfest-Attacke.
Thema des Tages
"Berliner Erklärung" zur Innenpolitik: Eigentlich sollte erst in einer Woche die "Berliner Erklärung" der unionsgeführten Innenminister veröffentlicht werden, doch jetzt ist bereits ein Entwurf aus dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern bekannt geworden. Darin wird unter anderem die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gefordert. Außerdem soll es mehr Polizisten und Videoüberwachung, schärfere Strafen für Einbrecher, ein Verbot der Vollverschleierung sowie schnellere Abschiebungen geben. Der Verfassungsschutz soll zudem Zugriff auf die Vorratsdatenspeicherung erhalten. Der Vorstoß stößt bei der Opposition, aber auch in der Bundesregierung auf Widerspruch. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte, er sei nicht mit allem einverstanden, und eine Sprecherin der Bundesregierung erklärte, dass die Bundesregierung keine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts plane. Die taz (Anja Maier) und spiegel.de (Jörg Diehl u.a.) berichten.
In einem gesonderten Kommentar bezeichnet Anja Maier (taz) die Erklärung als "Aktionismus-Programm", mit der sich die Union bei ihren Wählern beliebt machen wolle. Für Heribert Prantl (SZ) ist die beste Forderung aus der "Berliner Erklärung" die verstärkte Polizeipräsenz. Die Diskussion über ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft sei hingegen eine "pauschale Misstrauenskundgebung". Es dürfe nicht darum gehen, "die Gesellschaft zu homogenisieren". Positiver wertet Matthias Kamann (Welt) den Vorstoß. Schon die Länge der Liste an Vorschlägen sei zu begrüßen: Auf allen denkbaren Feldern müsse gesucht werden, auch wenn sich letztendlich nicht alle Vorschläge als sinnvoll erweisen würden.
Die SZ (Ronen Steinke) beantwortet kriminalpolitische und verfassungsrechtliche Fragen, die der Forderungskatalog der Union aufwirft. Unter anderem wird erläutert, ob ein Burkaverbot rechtlich zulässig ist und ob Videoüberwachung mehr Sicherheit bringt. Die Welt (Martin Lutz) befragt Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, zu den Vorschlägen.
Rechtspolitik
Ärztliche Schweigepflicht: Bundesinnenminister Thomas de Maizière will die ärztliche Schweigepflicht lockern. Das berichtet die SZ (Guido Bohsem). Die Einzelheiten seien noch unklar, doch schon jetzt stehe fest, dass der Vorschlag auf Widerstand aus Ärzteschaft und SPD stoße. Zu Wort kommt unter anderem SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der die Gefahr sieht, dass psychisch Kranke nicht mehr zum Arzt gehen.
Laut Christian Rath ist die Lockerung aus diesem Grund "für den Schutz der Allgemeinheit kontraproduktiv". Schon heute dürften und müssten Ärzte sich den Behörden offenbaren, wenn sie von bevorstehenden Anschlägen erfahren. Oft seien die Hinweise jedoch nicht konkret genug. Daniel Decker (FAZ) schlägt vor, die Schweigepflicht sowie die Ausnahmen von ihr in der Aus- und Fortbildung von Ärzten und Therapeuten stärker zu thematisieren. Zudem könnte "eine Art ständiges Ethik-Konsilium" geschaffen werden, an das Ärzte sich im Zweifel wenden können. Die derzeitige Debatte trage jedenfalls eher zur Desorientierung bei.
Kinderrechte: In einem Gastbeitrag für die Zeit fordert Rainer Rettinger, Geschäftsführer des Deutschen Kindervereins, die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Die Auffassung der Bundesregierung, dass die vom Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung der Grundrechte herangezogene UN-Kinderrechtskonvention ausreiche, weist er zurück.
Personenfreizügigkeit: In einem Gastbeitrag für die FAZ plädiert Ulrich van Suntum, VWL-Professor und stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei Alfa, für eine kritische Überprüfung der Personenfreizügigkeit in der EU. Sie sei ökonomisch nicht begründbar und könnte nach Großbritannien weitere Länder zum Austritt bewegen.
Justiz
BVerfG zu Schmerzensgeld für Castor-Gegner: Ein Castor-Blockierer, der 2011 mehrere Stunden von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde, hat Anspruch auf Schmerzensgeld. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Rechtswidrigkeit des Gewahrsams war bereits festgestellt worden, weil die festgehaltenen Demonstranten keinem Richter vorgeführt wurden, obwohl ein richterlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet war. Der daraufhin geltend gemachte Anspruch auf Schmerzensgeld wurde jedoch vom Landgericht Lüneburg abgelehnt, weil die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht schwerwiegend genug gewesen sei. Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht. Die mehrstündige Freiheitsentziehung sei eine nachhaltige Beeinträchtigung, die auch geeignet sei, von der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit abzuhalten. Der Demonstramnt habe daher einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Die taz (Christian Rath) und lawblog.de (Udo Vetter) erläutern die Entscheidung.
LG München I zu Oktoberfest-Attacke und Verteidigerverhalten: Das Landgericht München I hat eine Frau wegen versuchten Totschlag zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Frau hatte beim Oktoberfest im vergangenen Jahr mit einem Messer auf einen Mann eingestochen, nachdem dieser ihren Bekannten, den ehemaligen Fußballnationalspieler Patrick Owomoyela, rassistisch beleidigt hatte. Das Gericht erkannte bedingten Vorsatz. Für Schlagzeilen hatte bereits der Prozess gesorgt. Der Verlobte der Angeklagten, ein Millionär, hatte einen Entlastungszeugen gekauft, der gar nicht auf der Wiesn war. Ihn erwartet ein Verfahren wegen Anstiftung zur Falschaussage. Auch den Anwälten der Verurteilten, darunter der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, macht das Gericht schwere Vorwürfe. Sie hätten "jegliche professionelle Distanz zu ihrer Mandantin verloren", so der Vorsitzende der Kammer. Wegen eines "lancierten" Artikels im Spiegel sei der Anfangsverdacht einer Straftat gegeben. Die taz (Patrick Guyton) und spiegel.de berichten vom Prozess.
Gisela Friedrichsen (spiegel.de) verteidigt die Verteidiger. Engagierter Einsatz für Mandanten sei nicht gleichbedeutend mit dem Verlust professioneller Distanz. Auch die Vorwürfe hinsichtlich des "lancierten" Artikels seien aus der Luft gegriffen. Wenn das Gericht "mit einer solchen Sorglosigkeit Vermutungen in die Welt setzt, die jeder Grundlage entbehren", dann dürfe es sich nicht wundern, wenn daraus der Schluss gezogen wird, "dass es ihm vor allem um die Diffamierung der Adressaten geht".
LG München II zu Kindesmissbrauch durch Pater: Das Landgericht München II hat einen ehemaligen Mönch des Benediktinerklosters im bayerischen Ettal zu sieben Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Pater mehrmals sexuelle Handlungen an einem zu Beginn der Taten zwölf Jahre alten Internatsschüler vorgenommen hat und von dem Schüler an sich vornehmen ließ. In das Urteil wurde eine Freiheitsstrafe einbezogen, die bereits Anfang letzten Jahres verhängt worden war. Erst in der damaligen Verhandlung ist der Umfang des Missbrauchs bekannt geworden, so FAZ (Karin Truscheit) und spiegel.de.
Zentrale Stelle – NS-Verbrechen: Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen hat gegen acht Mitglieder der SS-Mannschaft in einem KZ bei Danzig Ermittlungen geführt und das Ergebnis an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergeleitet. Die Welt (Sven Felix Kellerhoff) erklärt, warum es erst jetzt dazu kam. Zum einem habe in den letzten Jahren die Meinung an Zustimmung gewonnen, dass die Zugehörigkeit zur Vernichtungsmaschinerie genüge, um wegen Beihilfe zum Mord angeklagt zu werden. Diese Rechtsauffassung habe die zentrale Stelle jetzt auch auf KZ ausgeweitet, die nicht als Vernichtungslager gelten.
BGH zu Patientenverfügung: Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den erforderlichen Inhalten einer Patientenverfügung beschäftigt sich jetzt auch die Welt (Matthias Kamann).
BGH – Bausparverträge: Der Bundesgerichtshof wird sich voraussichtlich mit Kündigungen von Bausparverträgen befassen müssen, schreibt das Hbl (Reiner Reichel). Wegen des niedrigen Zinsniveaus würden Bausparkassen versuchen, Altverträge mit hohen Guthabenzinsen zu kündigen. Dabei würden sie sich unter anderem auf § 489 BGB berufen, nach dem Darlehensverträge nach zehn Jahren gekündigt werden können. Die obergerichtliche Rechtsprechung ist unterschiedlich. Während das Oberlandesgericht Hamm den Kassen in mehreren Fällen Recht gegeben hat, entschied das Oberlandesgericht Stuttgart in zwei Fällen gegen die Bausparkasse Wüstenrot. Dass es nicht mehr Präzedenzfälle gibt, führen Verbraucherschützer darauf zurück, dass die Bausparkassen Vergleiche schließen, wenn das entscheidende Gericht zu erkennen gibt, dass sie unterliegen werden.
OLG Düsseldorf – Edeka/Tengelmann: Die vom Oberlandesgericht Düsseldorf vorläufig gestoppte Übernahme von Kaiser‘s Tengelmann durch Edeka war im Wirtschafts- und Arbeitsministerium schon vorher Zweifeln ausgesetzt. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die der FAZ (Hendrik Wieduwilt) vorliegen. So habe eine Juristin aus dem Bundesarbeitsministerium darauf hingewiesen, dass die Edeka abverlangte Vereinbarung zur Tarifbindung "verfassungsrechtliche Probleme" im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit aufwerfe. Zudem sei die von Gabriel behauptete Sicherung von Arbeitsplätzen von einer Referentin des Wirtschaftsministeriums in Frage gestellt worden. Die Dokumente wurden den Mitbietern als "interbehördliche Kommunikation" nicht zur Kenntnis gebracht.
LG Köln zu "www.fc.de": Der 1. FC Köln darf die Domain "www.fc.de" nutzen. Das hat das Landgericht Köln entschieden. Der Fußballverein hatte einen Mann verklagt, der die Domain gesichert und für die Übertragung 50.000 Euro verlangt hatte. Das Landgericht gab der Klage statt, da der 1. FC Köln in seinem Namensrecht nach § 12 BGB verletzt sei. Das Kürzel "FC" wirke durch die "lang andauernden und bundesweiten Benutzung" auf die beteiligten Verkehrskreise wie ein Name. lto.de (Marcel Schneider/Pia Lorenz) schildert den Fall.
Recht in der Welt
China – Haft für Anwalt: Der chinesische Anwalt Zhou Shifeng ist wegen Untergrabung der Staatsgewalt zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Der Anwalt hatte viele regimekritische Mandaten, darunter den Künstler Ai Weiwei. Zuletzt hatte er die Mitarbeiterin der Zeit, Zhang Miao, vertreten. Die Staatsanwaltschaft warf Zhou vor, Aufstände zu organisieren und das Justizsystem anzugreifen. Die Zeit (Angela Köckritz) berichtet.
Israel – Urteil zu Kafkas Briefen: Benjamin Balint befasst sich im Feuilleton der Zeit mit einem Urteil von Israels Oberstem Gericht, nach dem der Nachlass von Max Brod, darunter Briefe von Franz Kafka, an die Israelische Nationalbibliothek geht.
Sonstiges
Waffenrecht: Die FAZ (Eckart Lohse/Rüdiger Soldt) schildert die Probleme, die Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung des Waffenhandels haben. Der bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angesiedelten Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität mache insbesondere die Anonymität im sogenannten Darknet zu schaffen. Daneben werden jedoch auch Gesetzeslücken beklagt. So seien Kriegswaffen vom Waffengesetz ausgenommen. Anders als im Waffenrecht sei jedoch für einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz erforderlich, dass der Täter die tatsächliche Gewalt über eine Kriegswaffe innehat. Ein weiteres Problem seien funktionsuntüchtig gemachte "Dekowaffen".
Frank Grund: Das Hbl (Kerstin Leitel) porträtiert den Exekutivdirektor der Bafin, Frank Grund. Der promovierte Jurist ist bei der Finanzaufsichtsbehörde für die Versicherungsbranche zuständig.
Anzeige durch Anwalt: Udo Vetter (lawblog.de) berichtet von einer Email, die er als Anwalt erhalten hat. Darin schildert ein ehemaliger Mandant seine Pläne, einen Amoklauf zu begehen. Der Anwalt informierte daraufhin die Behörden. Eine Schweigepflicht habe nicht bestanden. Vielmehr hätte er sich bei Untätigkeit der Nichtanzeige geplanter Straftaten strafbar gemacht.
Das Letzte zum Schluss
Streit um Dackel: Die Dackeldame Bonnie kehrt zu ihrem ursprünglichen Herrchen nach Brandenburg zurück. Das hat das Landgericht Potsdam nach jahrelangem Rechtsstreit entschieden. Der Kläger hatte die Hündin 2012 aus den Augen verloren. Ein Paar aus Bayern hatte sie gefunden und aufgenommen. Erst als die neuen Besitzer 2014 einen Züchter aufsuchten, wurde über einen Chip im Ohr der Eigentümer identifiziert und informiert. Jetzt müssen sie die Hündin, die inzwischen auf den Namen Lulu hört, herausgeben. Im Gegenzug erhalten sie aber 3.271,16 Euro für Futter, Tierarztkosten und die Ausstattung des Hundes. Die SZ (Hannah Beitzer) schildert die Geschichte.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 11. August 2016: "Berliner Erklärung" zu Innenpolitik / Ärztliche Schweigepflicht / Kritik an Verteidigern im Wiesn-Prozess . In: Legal Tribune Online, 11.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20264/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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