Die Antidiskriminierungsstelle hat einen Bericht zum AGG vorgelegt und fordert darin zahlreiche Änderungen. Außerdem in der Presseschau: Innenminister der Union wollen mehr innere Sicherheit und BGH zur Patientenverfügung.
Thema des Tages
Zehn Jahre AGG: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist im August vor zehn Jahren in Kraft getreten. Aus diesem Anlass hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz eine Evaluation des Gesetzes vorgestellt. Die in dem Bericht geforderten Änderungen werden u.a. vom Hbl (Aloysius Widmann), taz (Heide Oestreich), spiegel.de (Heike Klovert) und der SZ (Constanze Bullion) dargestellt. So soll u.a. die Frist zur Klageerhebung von bisher zwei auf sechs Monate verlängert und ein Verbandsklagerecht eingeführt werden. Außerdem sollen Sonderregelungen im kirchlichen Arbeitsrecht auf so genannte "verkündungsnahe" Tätigkeiten beschränkt werden, berichtet die taz (Christian Rath). Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) zitiert den Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Steffen Kampeter und den stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Fuchs, die den Katalog der geforderten Änderungen heftig kritisieren. Die Vorschläge gehörten in den Papierkorb, meinte danach beispielsweise Kampeter.
Frank Specht (Hbl) ist der Auffassung, dass die geforderten Verschärfungen den Betroffenen nicht helfen, die Arbeitgeber aber belasten würden. Die Vorschläge atmeten den Geist des Misstrauens und der Kontrolle. Detlef Esslinger (SZ) ist grundsätzlich skeptisch, dass mit Gesetzen Gerechtigkeit zu schaffen sei. Das gelte nicht nur für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, sondern auch für Projekte wie den Mindestlohn, die Frauenquote, die Mietpreisbremse und das geplante "Lohngerechtigkeitsgesetz". Positiver sieht Heide Oestreich (taz) das AGG: Für sie trägt das Gesetz dazu bei, Ängste abzubauen. In einem Gastbeitrag für focus.de geht der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs harsch mit dem Bericht der Antidiskriminierungsstelle ins Gericht. Er bezeichnet ihn als "einzige Peinlichkeit" und kritisiert dabei insbesondere die aus seiner Sicht fehlende Wissenschaftlichkeit.
Rechtspolitik
Innere Sicherheit: focus.de berichtet über den Entwurf einer "Berliner Erklärung" aus der hervorgeht, dass die Innenminister von CDU und CSU die deutschen Sicherheitsgesetz verschärfen wollen. Danach soll es u.a. künftig keine doppelte Staatsbürgerschaft mehr geben und die Vollverschleierung verboten werden. Außerdem werden mehr Personal für die Sicherheitsbehörden sowie Langwaffen und Körperkameras für Polizisten gefordert.
Fahrverbot: Mit der Möglichkeit, ein Fahrverbot nicht mehr nur bei Verkehrsdelikten zu verhängen, befasst sich jetzt auch die FAZ (Alexander Haneke) und swr.de (Klaus Hempel). An dem Vorhaben gebe es massive Kritik, die beiden Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katja Keul und Hans-Christian Ströbele halten den Vorstoß sogar für verfassungswidrig. Die SZ (Robert Roßmann) weist darauf hin, dass darüber bereits seit vielen Jahren diskutiert werde, schon 1992 war es ein Thema auf dem Deutschen Juristentag.
Daniel Deckers (FAZ) sieht den Vorstoß skeptisch. Die Strafe soll nur gegen jene verhängt werden, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel wäre, sie wäre also eine Art "Reichenstrafe". Damit speise sich das Strafbedürfnis weniger aus dem Sühne- oder Präventions- als aus dem (mit Sozialneid gemischten) Rachegedanken.
Für welche Delikte ein Fahrverbot derzeit verhängt werden kann, erläutert Rechtsanwalt Michael Burmann in einem Interview mit der SZ (Anette Zoch). Skeptisch äußert er sich zur Entkoppelung des Fahrverbotes von den verkehrsbezogenen Delikten. Es bestehe die Gefahr, dass in diesem Punkt die Akzeptanz für die Rechtsprechung sinke. Im Übrigen würde damit ein Sonderrecht für Führerscheininhaber geschaffen werden.
Kartellrecht: Dringenden Reformbedarf im Recht der Kartellverfolgung sieht in einem Gastbeitrag für das Hbl der Wirtschaftspublizist Detlef Brendel. Die Kartellverfolgung sei zwar ein volkswirtschaftlich sinnvolles und wettbewerbspolitisch wichtiges Ziel, nehme jedoch in Deutschland zu oft rechtlich zweifelhafte Formen an. Die Konstruktion der Kartellbehörde als Ermittler, Ankläger und Entscheider in einem sei mit dem Prinzip der Gewaltenteilung nicht vereinbar.
Hochschulakkreditierung: Der Philosophieprofessor Jens Halfwassen erinnert in der FAZ daran, dass hinsichtlich der Akkreditierung von Hochschulen die aktuelle Praxis vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig bewertet wurde. Die jetzt vorgeschlagenen Änderungen am Verfahren beseitigen aus Sicht des Autors die Verfassungswidrigkeit nicht, vielmehr sollte das "Akkreditierungsmonstrum" ganz abgeschafft werden.
Wissenschaftskooperationen: Der frühere Rektor der Universität Heidelberg Peter Hommelhoff fordert in einem Gastbeitrag für die FAZ ein Tätigwerden des Gesetzgebers, um die Kooperation von Hochschulen mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen in gesetzlich festgelegte institutionelle Formen zu gießen. Die bisher üblichen Individualvereinbarungen seien unbefriedigend und bergen die Gefahr von Regelungslücken.
Justiz
BVerfG zur Meinungsfreiheit I: Auch eine Äußerung, deren Wahrheitsgehalt nicht bewiesen ist, kann in ihrer Schutzwürdigkeit die Persönlichkeitsinteressen des von der Äußerung Betroffenen überwiegen. Das hat laut lto.de das BVerfG entschieden. Es ging um eine Aussage des Biologen Werner Franke, der behauptet hatte, dass die frühere Leichtathletin Grit Breuer im Alter von 13 Jahren ein Dopingmittel von ihrem Trainer erhalten hat. Bei Tatsachenbehauptungen, die weder erweislich wahr noch erweislich unwahr seien, müsse ein Ausgleich zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit geschaffen werden. Danach kann unter bestimmten Umständen auch eine möglicherweise unwahre Behauptung nicht untersagt werden, sofern im Vorfeld hinreichend sorgfältig über den Wahrheitsgehalt recherchiert wurde.
BVerfG zu Meinungsfreiheit II: Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) antwortet auf einen Blogbeitrag auf rolandtichy.de, in dem sich Bettina Röhl mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst, in der festgestellt wurde, dass die Bezeichnung eines Polizisten als "Spanner" in dem zugrundeliegenden Zusammenhang nicht als Tatsachenbehauptung sondern als Werturteil zu qualifizieren ist. Die instanzgerichtliche Verurteilung wegen übler Nachrede, die eine Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Tatsachen erfordert, war deshalb ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Steinbeis weist in seinem Beitrag darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht – anders als von Röhl behauptet – nicht zu dem Ergebnis kommt, dass eine Bezeichnung eines Polizisten als Spanner grundsätzlich erlaubt sei. Vielmehr stellten die Richter fest, dass auch soweit es sich bei der Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil handeln sollte, darin jedenfalls eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts läge, die nicht ohne weiteres zulässig sei.
VG Berlin zum Zweckentfremdungsverbot: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass das in Berlin geltende Verbot, Privatwohnungen an Urlauber zu vermieten, bei Zweitwohnungen nur eingeschränkt gilt. Das berichten u.a. spiegel.de und SZ (Benedikt Müller/Jens Schneider). Zweitwohnsitze können danach während einer vorübergehenden Abwesenheit des Eigentümers an Touristen vermietet werden, die Bezirksämter haben in diesen Fällen eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Laut FAZ (Hendrik Wieduwilt) hat der Berliner Mieterbund die Entscheidung kritisiert. Sie sei ein Anreiz, um das Zweckentfremdungsverbot zu umgehen, und nicht nachvollziehbar, wird die stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins Wibke Werner zitiert.
BGH zur Patientenverfügung: Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung Regeln für den notwendigen Inhalt von Patientenverfügungen aufgestellt. Die Verfügung muss sich danach auf spezifische Krankheiten oder Behandlungen beziehen, erläutert swr.de (Gigi Deppe). Zwar sollen die Ansprüche an eine Patientenverfügung nicht überspannt werden, aber der Betroffene müsse wenigstens umschreiben, was er in einer bestimmten Lebenssituation will und was nicht. "Keine lebensverlängernde Maßnahmen" – sei auf jeden Fall zu wenig konkret.
In seinem Kommentar fordert Heribert Prantl (SZ) die Richter auf, nicht nur festzustellen, welche Formulierungen zu wenig klar und konkret sind, sondern auch, welche Formulierungen ausreichend klar und konkret sind. zeit.de gibt Hinweise, wie eine Patientenverfügung verfasst werden sollte.
BVerwG zu Verkehrsschildern: Die SZ (Heribert Prantl) weist auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hin, in der sich die Leipziger Richter mit den Anforderungen an die Sichtbarkeit eines Verkehrsschildes befasst haben. Es ging dabei um eine etwaige "Nachschaupflicht des Verkehrsteilnehmers nach dem Vorhandensein eines Halteverbotszeichens". Während die Vorinstanz noch der Auffassung war, dass der Fahrer eine gewisse Strecke ablaufen müsste, meint das Bundesverwaltungsgericht, dass die Schilder so aufgestellt sein müssten, dass sie mit einem einfachen Rundumblick erfasst werden können.
OLG Düsseldorf – Edeka/Tengelmann: In der Auseinandersetzung um die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erteilte Erlaubnis zum Zusammenschluss von Edeka und Kaiser’s Tegelmann hat der CDU-Bundestagsabgeordnete und Fraktionsjustiziar Hans-Peter Uhl eine rasche Klärung durch den Bundesgerichtshof gefordert. Er ist der Auffassung, dass Gabriel richtig entschieden habe. Wenn allerdings die Richter Verfahrensregeln aufstellten, die praktisch eine Gemeinwohlentscheidung vom Verfahren her unmöglich machten, stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber hier von der Justiz ausgehebelt werden dürfe, wird Uhl in der FAZ (Brigitte Koch) zitiert.
Laut spiegel.de haben sich Edeka und die Gewerkschaft Verdi auf einen Tarifvertrag für die Tengelmann-Beschäftigten geeinigt und damit die Auflage des Ministerentscheids für den Zusammenschluss erfüllt.
OLG Frankfurt zur elterlichen Entscheidung über Urlaubsreise: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass es sich bei einer Urlaubsreise in die Türkei auf Grund der dortigen aktuellen politischen Situation um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung eines Kindes handelt, mit dem Ergebnis, dass sich darüber die getrennt lebenden Eltern abstimmen müssen. Das berichtet lto.de.
BGH zu Geschlechtsidentität: Jens T. Theilen befasst sich auf juwiss.de mit einer Entscheidung des BGH vom Juni diesen Jahres, in der einem intersexuellen Menschen eine Eintragung des Geschlechts als "inter" oder "divers" in das Geburtsregister verwehrt wurde. Das neue Personenstandsgesetz gebe zwar ein Recht, auf eine Geschlechtsbezeichung im Geburtsregister bei Intersexualität zu verzichten beziehungsweise sie nachträglich zu löschen, begründe jedoch keinen Anspruch darauf, ein drittes Geschlecht eintragen zu lassen.
Recht in der Welt
Israel – Kafkas Briefe: Ein israelisches Gericht hat entschieden, dass Briefe von Franz Kafka an die israelische Nationalbibliothek in Jerusalem gehen, berichtet die Welt. Ursprünglich sollten alle Schriften nach dem Willen des Schriftstellers nach seinem Tod verbrannt werden. Damit betraut wurde Max Brod, ebenfalls Schriftsteller, mit dem Kafka befreundet war. Er hielt sich jedoch nicht an die Anordnung, so dass die Briefe zunächst in seinen und dann den Besitz seiner Erben übergingen. Brod hatte jedoch verfügt, dass sein literarischer Nachlass an eine jüdische Bibliothek gehen sollte.
Frankreich – Rechtsanwalt Arié Alimi: Die taz (Rudolf Balmer) stellt den französischen Strafverteidiger Ariè Alimi vor, dessen Mandanten wegen angeblicher islamistischer Radikalisierung in die Fänge der staatlichen Sicherheitsbehörden geraten sind. Es wird betont, dass der Anwalt keine Sympathien für Dschihadisten oder andere Staatsfeinde hege. Aber ihn empörten die Methoden, mit der die staatlichen Sicherheitsverantwortlichen vorgeben, den Terrorismus zu bekämpfen.
Sonstiges
Vom Wahn zur Schuldunfähigkeit: Bundesrichter Thomas Fischer widmet sich in seiner zeit.de-Kolumne dem Wahn und dessen strafrechtlicher Wirkung auf die Feststellung der eingeschränkten oder gänzlich fehlenden Schuldfähigkeit.
Adblocker verfassungsgemäß: Laut einem Gutachten, das der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio im Auftrag des Adblocker-Herstellers EyeoSo erstellt hat, verstoßen sogenannte Adblocker – Hilfsmittel, mit denen sich Werbung im Internet ausblenden lässt – nicht gegen das Grundgesetz. Das vermeldet die FAZ (Hendrik Wieduwilt).
Selektive Vertriebssysteme: Die Rechtsanwälte Marc L. Holtorf und Julia Traumann beleuchten in der FAZ die Zulässigkeit von so genannten selektiven Vertriebssystemen, mit denen insbesondere die Hersteller hochwertiger Waren versuchen ein "Luxusimage" zu sichern. Dabei wird häufig beispielsweise der Internetvertrieb über Amazon Marketplace oder Ebay beschränkt. Ein entsprechendes Verfahren wurde kürzlich vom Oberlandesgericht Frankfurt dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 10. August 2016: Zehn Jahre AGG / Mehr innere Sicherheit / Lockerung des Zweckentfremdungsverbotes . In: Legal Tribune Online, 10.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20252/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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