Die juristische Presseschau vom 10. August 2016: Zehn Jahre AGG / Mehr innere Sicher­heit / Locke­rung des Zwe­ck­ent­f­rem­dungs­ver­botes

10.08.2016

Justiz

BVerfG zur Meinungsfreiheit I: Auch eine Äußerung, deren Wahrheitsgehalt nicht bewiesen ist, kann in ihrer Schutzwürdigkeit die Persönlichkeitsinteressen des von der Äußerung Betroffenen überwiegen. Das hat laut lto.de das BVerfG entschieden. Es ging um eine Aussage des Biologen Werner Franke, der behauptet hatte, dass die frühere Leichtathletin Grit Breuer im Alter von 13 Jahren ein Dopingmittel von ihrem Trainer erhalten hat. Bei Tatsachenbehauptungen, die weder erweislich wahr noch erweislich unwahr seien, müsse ein Ausgleich zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit geschaffen werden. Danach kann unter bestimmten Umständen auch eine möglicherweise unwahre Behauptung nicht untersagt werden, sofern im Vorfeld hinreichend sorgfältig über den Wahrheitsgehalt recherchiert wurde.

BVerfG zu Meinungsfreiheit II: Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) antwortet auf einen Blogbeitrag auf rolandtichy.de, in dem sich Bettina Röhl mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst, in der festgestellt wurde, dass die Bezeichnung eines Polizisten als "Spanner" in dem zugrundeliegenden Zusammenhang nicht als Tatsachenbehauptung sondern als Werturteil zu qualifizieren ist. Die instanzgerichtliche Verurteilung wegen übler Nachrede, die eine Verbreitung unwahrer ehrenrühriger Tatsachen erfordert, war deshalb ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Steinbeis weist in seinem Beitrag darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht – anders als von Röhl behauptet – nicht zu dem Ergebnis kommt, dass eine Bezeichnung eines Polizisten als Spanner grundsätzlich erlaubt sei. Vielmehr stellten die Richter fest, dass auch soweit es sich bei der Äußerung nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil handeln sollte, darin jedenfalls eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts läge, die nicht ohne weiteres zulässig sei.

VG Berlin zum Zweckentfremdungsverbot: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass das in Berlin geltende Verbot, Privatwohnungen an Urlauber zu vermieten, bei Zweitwohnungen nur eingeschränkt gilt. Das berichten u.a. spiegel.de und SZ (Benedikt Müller/Jens Schneider). Zweitwohnsitze können danach während einer vorübergehenden Abwesenheit des Eigentümers an Touristen vermietet werden, die Bezirksämter haben in diesen Fällen eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Laut FAZ (Hendrik Wieduwilt) hat der Berliner Mieterbund die Entscheidung kritisiert. Sie sei ein Anreiz, um das Zweckentfremdungsverbot zu umgehen, und nicht nachvollziehbar, wird die stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins Wibke Werner zitiert.

BGH zur Patientenverfügung: Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung Regeln für den notwendigen Inhalt von Patientenverfügungen aufgestellt. Die Verfügung muss sich danach auf spezifische Krankheiten oder Behandlungen beziehen, erläutert swr.de (Gigi Deppe). Zwar sollen die Ansprüche an eine Patientenverfügung nicht überspannt werden, aber der Betroffene müsse wenigstens umschreiben, was er in einer bestimmten Lebenssituation will und was nicht. "Keine lebensverlängernde Maßnahmen" –  sei auf jeden Fall zu wenig konkret.

In seinem Kommentar fordert Heribert Prantl (SZ) die Richter auf, nicht nur festzustellen, welche Formulierungen zu wenig klar und konkret sind, sondern auch, welche Formulierungen ausreichend klar und konkret sind. zeit.de gibt Hinweise, wie eine Patientenverfügung verfasst werden sollte.

BVerwG zu Verkehrsschildern:
Die SZ (Heribert Prantl) weist auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hin, in der sich die Leipziger Richter mit den Anforderungen an die Sichtbarkeit eines Verkehrsschildes befasst haben. Es ging dabei um eine etwaige "Nachschaupflicht des Verkehrsteilnehmers nach dem Vorhandensein eines Halteverbotszeichens". Während die Vorinstanz noch der Auffassung war, dass der Fahrer eine gewisse Strecke ablaufen müsste, meint das Bundesverwaltungsgericht, dass die Schilder so aufgestellt sein müssten, dass sie mit einem einfachen Rundumblick erfasst werden können.

OLG Düsseldorf – Edeka/Tengelmann: In der Auseinandersetzung um die von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erteilte Erlaubnis zum Zusammenschluss von Edeka und Kaiser’s Tegelmann hat der CDU-Bundestagsabgeordnete und Fraktionsjustiziar Hans-Peter Uhl eine rasche Klärung durch den Bundesgerichtshof gefordert. Er ist der Auffassung, dass Gabriel richtig entschieden habe. Wenn allerdings die Richter Verfahrensregeln aufstellten, die praktisch eine Gemeinwohlentscheidung vom Verfahren her unmöglich machten, stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber hier von der Justiz ausgehebelt werden dürfe, wird Uhl in der FAZ (Brigitte Koch) zitiert.

Laut spiegel.de haben sich Edeka und die Gewerkschaft Verdi auf einen Tarifvertrag für die Tengelmann-Beschäftigten geeinigt und damit die Auflage des Ministerentscheids für den Zusammenschluss erfüllt.

OLG Frankfurt zur elterlichen Entscheidung über Urlaubsreise: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass es sich bei einer Urlaubsreise in die Türkei auf Grund der dortigen aktuellen politischen Situation um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung eines Kindes handelt, mit dem Ergebnis, dass sich darüber die getrennt lebenden Eltern abstimmen müssen. Das berichtet lto.de.

BGH zu Geschlechtsidentität: Jens T. Theilen befasst sich auf juwiss.de mit einer Entscheidung des BGH vom Juni diesen Jahres, in der einem intersexuellen Menschen eine Eintragung des Geschlechts als "inter" oder "divers" in das Geburtsregister verwehrt wurde. Das neue Personenstandsgesetz gebe zwar ein Recht, auf eine Geschlechtsbezeichung im Geburtsregister bei Intersexualität zu verzichten beziehungsweise sie nachträglich zu löschen, begründe jedoch keinen Anspruch darauf, ein drittes Geschlecht eintragen zu lassen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 10. August 2016: Zehn Jahre AGG / Mehr innere Sicherheit / Lockerung des Zweckentfremdungsverbotes . In: Legal Tribune Online, 10.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20252/ (abgerufen am: 04.07.2024 )

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