Wirtschaftsminister Gabriel zieht wegen der vorerst gestoppten Übernahme von Kaiser‘s Tengelmann vor den BGH. Außerdem in der Presseschau: Das LG Braunschweig eröffnet das Musterverfahren gegen VW und der Türkei fehlen Juristen.
Thema des Tages
Gabriel zieht vor BGH: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geht gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vor, das die Übernahme von Kaiser‘s Tengelmann durch Edeka vorläufig gestoppt hatte. Gabriel hat neben der Nichtzulassungsbeschwerde auch eine "zulassungsfreie" Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der Begründung, dass den Beteiligten kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Die FAZ (Hendrik Wieduwilt/Henrike Roßbach) weist darauf hin, dass das vorläufige Verfahren beim Bundesgerichtshof möglicherweise durch das Hauptverfahren überholt werden könnte, das noch beim Oberlandesgericht anhängig ist.
In einem Kommentar kritisiert Florian Kolf (Hbl) die Argumentation Gabriels, die Übernahme sei zulässig, weil sie dem Erhalt von Arbeitsplätzen diene. Es gebe keinen Beleg dafür, dass ohne die Übernahme 8.000 Jobs verloren gingen. Außerdem dürften im Zuge der Fusion Arbeitsplätze bei Edeka reduziert werden. Stefan Kaiser (spiegel.de) merkt an, dass es seinen Grund gehabt habe, "warum sich neben dem Kartellamt auch die Monopolkommission so vehement gegen die Übernahme ausgesprochen hat" und wirft Gabriel "Wirtschaftspolitik nach Gutsherrenart" vor.
Rechtspolitik
Rehabilitation von Homosexuellen: Die Grünen drücken bei der Rehabilitation und Entschädigung von verurteilten Homosexuellen aufs Tempo, schreibt die SZ (Constanze von Bullion). Dazu habe die Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ziel sei es, noch vor Ende der Legislaturperiode die Urteile aufzuheben, die auf diskriminierenden Straftatbeständen beruhen. Die Strafbarkeit einverständlicher homosexueller Handlungen wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, die darauf basierende Urteile gelten jedoch fort, was die Grünen als fortbestehendes "staatliches Unrecht" bezeichnen. Justizminister Heiko Maas unterstützt das Anliegen, Opfer zu rehabilitieren und zu entschädigen.
Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit: In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisiert Juraprofessor Gregor Thüsing das geplante Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen. Neben handwerklichen Schwächen und systematischen Fehlern bemängelt er die zentralen Regelungen als nicht zielführend. Das Gesetz gehe weit über die Regelungen zur Lohngleichheit hinaus, die im Ausland üblich seien. Ob es zu einem Mehr an Lohngerechtigkeit führen werde, sei zweifelhaft, sicher sei hingegen ein Mehr an Bürokratie.
Führerscheinentzug: Wie die SZ meldet, stößt das Vorhaben von Heiko Maas, zukünftig den Führerscheinentzug bei allen Straftaten als Sanktion anzuwenden, beim Deutschen Anwaltverein auf Ablehnung. Präsident Ulrich Schellenberg kritisiert, dass Betroffene je nach Lebenslage unterschiedlich getroffen würden und das Fahrverbot umgangen werden könne. Auch innerhalb der Bundesregierung wird noch über die Pläne diskutiert. Der Gesetzentwurf, der der taz (Christian Rath) vorliegt, sieht vor, dass das Fahrverbot künftig bis zu sechs Monate statt nur für drei Monate als Nebenstrafe verhängt werden kann. Außerdem würde die Beschränkung auf Straftaten, "die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs" stehen, wegfallen.
Abschiebungen nach Syrien: Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister von Tübingen, verteidigt nach einer Meldung der SZ seine Äußerungen zu Abschiebungen nach Syrien. Die Genfer Flüchtlingskonvention erlaube es, Straftäter sogar in Kriegsgebiete abzuschieben. Er habe nichts gefordert, sondern nur die Rechtslage wiedergegeben. Laut Christian Rath (taz) übergeht Palmer bei dieser Analyse viele Prüfungsschritte. Zwar könnten Syrer unter Umständen ausgewiesen werden, womit ein Aufenthaltsrecht erlöschen würde. Jedoch dürfte es häufig Abschiebehindernisse geben, weil in Syrien eine konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit besteht. Dies gelte auch für Gebiete, in denen nicht gekämpft wird. Außerdem müsste Syrien einer Abschiebung zustimmen und der Straftäter zumindest einen Teil seiner Strafe in Deutschland verbüßen, bevor er abgeschoben werden könnte.
Antidiskriminierungsrecht: Die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet jetzt auch über die im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle erstellten Studie, die unter anderem ein Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände und die Ausweitung der Diskriminierungsmerkmale vorschlägt. Zitiert wird Nathalie Oberthür vom Deutschen Anwaltverein, nach der Diskriminierung aufgrund des Einkommens bereits jetzt verboten ist. Bei einer Ausweitung der Kritierien müsse man sich wieder über die Gestaltung von Stellenausschreibungen unterhalten. Kritik an den Vorschlägen kommt auch von Arbeitgebern. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer, sagte der Welt (Dorothea Siems), Vielfalt und Toleranz lasse sich nicht "gesetzlich verordnen". Auch der Unionsfraktionsvize Michael Fuchs kündigte Widerstand an. Die Studie des "Büro für Recht und Wissenschaft" sei "keine Evaluierung, sondern ein Forderungskatalog, geschrieben von einem Wahlkämpfer der Berliner Grünen", der eine "Antidiskriminierungsbürokratie" aufbauen wolle.
"Herrenlose" Konten: Der Rechtsanwalt Alexander Knauss beschäftigt sich auf lto.de mit dem Vorschlag ein Zentralregister für Konten einzuführen, damit der Fiskus auf Konten zugreifen kann, wenn der Inhaber verstorben ist und es keine Erben gibt. Die vorgeschlagenen Änderungen seien überflüssig, weil die bestehenden Gesetze bereits einen Zugriff ermöglichen würden. Nach § 1936 BGB erbe der Staat. "Herrenlose" Konten gebe es also streng genommen gar nicht. Auch sei durch Meldepflichten sichergestellt, dass der Staat von Erbfällen erfährt, bei denen kein Erbschein ausgestellt wird. Problematisch sei nur, dass der Fiskus keine Möglichkeit habe, sich die Kontoverbindungen zu verschaffen. Dem könne jedoch durch eine Ausweitung des § 24c Kreditwesengesetz begegnet werden.
Justiz
LG Berlin – Gina-Lisa Lohfink: Im Prozess gegen das Model Gina-Lisa Lohfink wurde das Urteil erneut vertagt. Am dritten Prozesstag am Landgericht Berlin wurden Videos von dem umstrittenen Geschlechtsverkehr gezeigt. Außerdem sagte der bislang unauffindbare Sebastian C. aus, einer der beiden Männer, die mit Lohfink Geschlechtsverkehr hatten. Er hat sich erst vor wenigen Tagen gemeldet und angekündigt, Strafanzeige wegen Verleumdung gegen Lohfink zu erstatten. Lohfink steht wegen Falschverdächtigung vor Gericht, nachdem sie die beiden Männer angezeigt hat und behauptet, mit K.o.-Tropfen zum Sex gezwungen worden zu sein. Die SZ (Jens Schneider) und die Welt (Kathrin Spoerr) berichten vom Prozess.
BGH zu Krankentagegeld: Der Bundesgerichtshof hat die Rechte der Kunden einer Krankentagegeldversicherung gestärkt, berichtet die SZ (Inge Schlingensiepen). Die private Zusatzversicherung garantiert eine vertraglich Geldzahlung pro Krankheitstag. Jedoch wird der Betrag in den Versicherungsbedingungen der privaten Krankenversicherer auf das Nettoeinkommen beschränkt. In dem vom BGH behandelten Fall hatte der Kläger daher nur 62 statt die vereinbarten 100 Euro bekommen. Der BGH hat jetzt entschieden, dass die Klausel wegen Instransparenz nichtig ist, weil Verbraucher nicht ohne Erläuterungen erkennen könnten, was mit dem Nettoeinkommen gemeint sei.
LG Braunschweig zu VW: Das Landgericht Braunschweig hat einen Vorlagebeschluss erlassen und damit das Musterverfahren wegen der VW-Anlegerklagen eingeleitet. In dem Beschluss wird aufgelistet, welche Fragen das Oberlandesgericht Braunschweig zu klären hat. Das Verfahren basiert auf dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, das geschaffen wurde, um Massenklagen handhabbarer zu machen. Die Besonderheiten des Verfahrens sowie die Fragen, um die es vor Gericht gehen wird, erläutern die Welt (Philipp Vetter) und lto.de.
BFH zu korrekten Rechnungen: In einem Gastbeitrag für das Hbl weist Marko Wieczorek, Chefredakteur von "Der Betrieb", auf zwei Vorlagen des Bundesfinanzhofs an den Europäischen Gerichtshof hin. In den zugrundeliegenden Fällen wurden Rechnungen ausgestellt, die als Empfängeranschrift nur den Briefkastensitz angaben und nicht den wirtschaftlichen Schwerpunkt des Lieferanten berücksichtigten. Das Finanzamt versagte daraufhin den Vorsteuerabzug. Jetzt muss der EuGH klären, welche Anforderungen an korrekte Rechnungen zu stellen sind.
OVG Münster zu Versammlungsrecht: Weil ihm inzwischen der Auflagenbescheid der Stadt Köln vorliegt, befasst sich Juniorprofessor Nils Schaks auf verfassungsblog.de erneut mit dem Verbot der Liveschaltung Erdoğans bei der Demonstration vor wenigen Wochen in Köln. Dass die zum Zeitpunkt des Erlasses erkennbaren Umstände ausreichend waren, um eine unmittelbare Gefährdung annehmen zu können, sei fraglich. Immerhin bewege sich die Begründung im Rahmen des Versammlungsrechts – anders als die Argumentation des OVG Münster, das Auftritte ausländischer Staatsoberhäupter den auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik zu ausländischen Staaten zurechnen will.
BAG – Streikrecht: Dietrich Creutzburg (FAZ) befasst sich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das kürzlich die Gewerkschaft der Flugsicherung verurteilt hat, wegen eines rechtswidrigen Streiks Schadensersatz an Fraport zu zahlen. Creutzburg bemängelt, dass das Gericht einen Anspruch der weitaus stärker betroffenen Fluggesellschaften abgelehnt hat. Das Gericht habe es verpasst, dem Streikrecht Grenzen zu setzen, nachdem es in den letzten Jahren laufend Grenzen aufgehoben habe. Die als Begründung für eine Ausweitung des Streikrechts herangezogene Argumentation, dass sich die Machtverhältnisse zugunsten der Arbeitgeber verschoben hätten, beruhe auf einer einseitigen Sichtweise.
Klagen gegen lange Asylverfahren: Laut FAZ (Eckart Lohse) und zeit.de häufen sich bundesweit die Klagen gegen lange Asylverfahren. Ende Mai seien 5.800 Untätigkeitsklagen anhängig gewesen. Ende 2015 waren es nur 2.300. Das Bundesamt begründet die Zunahme mit dem Anstieg der Asylanträge. In den ersten sieben Monaten des Jahres hätten 480.000 Personen in Deutschland Asyl beantragt, davon die meisten aus Syrien und Afghanistan.
Recht in der Welt
Türkei – Dezimierte Juristen: Wie zeit.de (Zia Weise) berichtet, sucht der türkische Staat dringend Juristen. Unter den über 60.000 suspendierten Beamten seien auch etwa 3.000 Richter und Staatsanwälte gewesen. Deren Fehlen sorge für Chaos an türkischen Gerichten. Menschenrechtsorganisationen und der türkische Richterverband warnen vor einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit.
Pakistan – Anschlag auf Anwälte: Mehrere pakistanische Anwälte sind Opfer eines Anschlags geworden. Am Montagmorgen wurde der Präsident einer lokalen Anwaltskammer erschossen. Als sich am Nachmittag mehrere Anwälte vor dem Krankenhaus versammelten, sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Insgesamt kamen 60 Menschen ums Leben, darunter 18 Anwälte. Die nationale Anwaltsvereinigung sprach von einem "Anschlag auf die Justiz". Wer hinter dem Anschlag steckt, ist unklar. Laut Medienberichten soll der IS die Tat für sich reklamiert haben, schreibt die FAZ (Friederike Böge).
EU – Untersuchung zu Panama Papers: Ein internes Gutachten von Juristen des Europäischen Rats, das spiegel.de (Markus Becker) vorliegt, legt den Mitgliedstaaten nahe, sich nicht am Untersuchungsausschuss zu den Panama Papers zu beteiligen. Dieser war zuvor vom Europäischen Parlament eingerichtet worden, um die Steuertricks aufzuklären. Laut dem Gutachten seien Fragestellung und rechtliche Basis zu ungenau formuliert. Außerdem liege die Steuerpolitik in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Aus diesem Grund könne die Einrichtung des Ausschusses auch annulliert werden. EU-Parlamentarier kritisieren das Papier.
Das Letzte zum Schluss
Kinder über Anwälte: Ein Sprichwort lautet: Kindermund tut Wahrheit kund. Stimmt das auch, wenn es um den Anwaltsberuf geht? So ganz falsch liegen die beiden von iurratio.de zitierten Jungs jedenfalls nicht, die nach dem Beruf ihres Vaters gefragt wurden: "Mein Papa sitzt am Schreibtisch und liest. Manchmal telefoniert er und schimpft. Dann wird seine Stimme böse.", so ein Junge über seinen Vater, der Anwalt ist. Und sein Bruder ergänzt: "Mein Papa ist der Chef!"
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dw
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 9. August 2016: Gabriel vs. OLG Düsseldorf / Musterverfahren gegen VW / Juristen in der Türkei . In: Legal Tribune Online, 09.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20240/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag