Karlsruhe hat das Verbot, bei der deutsch-türkischen Demonstration Videostreams von türkischen Politikern einzuspielen, bestätigt. Außerdem in der Presseschau: Lob und Kritik für Fischer-Kolumne und Kritik für "Terror" von Schirach.
Thema des Tages
Kundgebung in Köln: Am Samstag hat das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, mit denen dem Veranstalter der für Sonntag geplanten Groß-Demonstration in Köln die Videoübertragung einer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan untersagt wurden, zurückgewiesen. Das berichten u.a. spiegel.de und zeit.de. Zur Begründung hieß es, die Vollmacht der Rechtsvertreter der Veranstalter entspreche nicht den gesetzlichen Erfordernissen und im Übrigen hätte eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht ersichtlich sei, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen Grundrechte des Antragstellers verletzt hätten.
Christian Rath (Montags-taz) weist darauf hin, dass zur Versammlungsfreiheit auch das Recht gehört, über Inhalt und Ablauf der Veranstaltung zu bestimmen. Den Demonstranten sei hier in einer symbolisch wichtigen Frage der Rechtsschutz verweigert worden. Dabei sollte der Rechtsstaat gerade in nervöser Zeit seine neutrale Stärke für alle zeigen. Christian Bommarius (Montags-BerlZ) ist der Auffassung, dass das Grundgesetz kein Recht der Diktatoren kenne, ihre Hassreden per Video von ihrer Heimat aus in Deutschland zu verbreiten. Und er weist darauf hin, dass die Botschaften Erdogans dennoch ihren Weg nach Deutschland finden, nicht zuletzt durch die Türkisch-Islamische Union mit ihren 900 Moscheen hierzulande. Heribert Prantl (SZ) wundert sich über das Demokratieverständnis der Demonstranten in Köln, die einem Staatschef zujubelten, der ein System rechtsstaatsferner Willkür errichten lässt. Eine Antwort auf die Frage, weshalb so viele Deutschtürken zu einer autoritären Weltsicht neigen, findet Prantl in einer gestörten Integration, die auch Ankara mitverursacht habe.
Rechtspolitik
Staatsangehörigkeitsrecht: Im Vorfeld der deutsch-türkischen Großdemonstration am Sonntag in Köln beleuchtete Reinhard Müller (Samstags-FAZ) die Probleme, die aus seiner Sicht die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft bringt. Man könne zwar mehreren Staaten rechtlich verbunden sein, im Notfall müsse man sich aber entscheiden.
Innere Sicherheit: Der Focus gibt einen Überblick über die seit den Anschlägen der vergangenen Wochen diskutierten Gesetzesänderungen zur inneren Sicherheit. Es geht um den möglichen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, mehr Videoüberwachung, schärfere Waffengesetze, die Möglichkeit in Krisengebiete abzuschieben und die Strafbarkeit der Sympathiewerbung für terroristische Organisationen.
Familienrecht: Nicht zuletzt durch die Entwicklung der Fortpflanzungsmedizin hat sich das Bild der Familie in den letzten Jahren verändert. Darauf, dass das geschriebene Recht – jedenfalls in Deutschland – hier nicht Schritt gehalten hat, weist die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) hin. Der BGH werde zum "Reparaturbetrieb des Gesetzgebers". Er hatte kürzlich die Elternschaft zweier homosexueller Paare anerkannt, deren Kinder per Leihmutter beziehungsweise Samenspende gezeugt wurden. In beiden Fällen war die Elternschaft allerdings in anderen Ländern – einmal in den USA und einmal in Südafrika – bereits anerkannt worden.
Pflichtverteidigerbestellung: Dem Verfahren zur Bestellung von Pflichtverteidigern widmet sich in einem Gastkommentar in der Samstags-SZ der Rechtsanwalt Philip von der Meden. Um den Anschein der "Beiordnungsprostitution" zu vermeiden, sollte die Bestellung von Pflichtverteidigern nicht durch den Richter sondern durch Dritte – beispielsweise die Rechtsanwaltskammern oder Verwaltungsgerichte – erfolgen. Die derzeitige Rechtslage, nach der der Pflichtverteidiger vom Richter nach Belieben bestimmt wird, sei verfassungswidrig, weil sie den elementaren Grundrechten des modernen Verfassungsstaates widerspreche.
Panama-Papers: Die Samstags-SZ (Daniel Brössler) berichtet über die Vorbehalte des Juristischen Dienstes des Europäischen Rates gegen den im Juni gebildeten Untersuchungsausschuss zu den Panama-Papers. Der Ausschuss wurde vom Europäischen Parlament eingesetzt und soll nach der Sommerpause seine Arbeit aufnehmen. Vor allem zweifeln die Juristen des Rates die Zuständigkeit des Europäischen Parlaments an. Der Untersuchungsausschuss soll der Frage nachgehen, inwieweit die in den Panama-Papers zutage geförderte Geldwäsche, Steuervermeidung und Steuerhinterziehung Missstände bei der Anwendung von EU-Recht offenbaren. Ohne einen solchen Bezug zur EU-Gesetzgebung wäre das Europäische Parlament nicht zuständig.
Flüchtlingskrise, Europarecht: Im Interview mit der WamS (Jacques Schuster) weist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio angesichts der aktuellen Diskussion darauf hin, dass es rechtlich nicht möglich ist, in Regionen abzuschieben, in denen den Betroffenen Gefahr für Leib und Leben droht. Es gebe aber eine Reihe rechtmäßiger Möglichkeiten, Verfahren zu beschleunigen und die Durchsetzung des Rechts wirksamer zu machen. Di Fabio spricht sich gegen ein europäisches Asylrecht aus, das den Mitgliedstaaten die Entscheidung, wer im jeweiligen Staat leben darf, abnimmt. Es sollte allerdings gemeinsame Verfolgungskriterien geben. Des Weiteren geht es in dem Interview um eine aktuelle Positionsbestimmung Europas.
Justiz
BVerfG zur Parteienfinanzierung: Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert noch einmal die Entscheidung des BVerfG, mit der dieses den Eilantrag der NPD auf Rückübertragung einer Grundschuld am Gebäude der Parteizentrale abgelehnt hatte. Der Bundestag hatte die Abtretung als Sicherheit für etwaige Rückzahlungsansprüche der Zuwendungen gefordert. Anhaltspunkt für einen möglichen Forderungsausfall ist das laufende Parteiverbotsverfahren – wäre es erfolgreich, könnte die NPD die Zuwendungen nicht zurückzahlen. Müller-Neuhof ist der Auffassung, dass es mindestens an der Transparenz gefehlt habe. Die Auskunft über die instanzgerichtlichen Verfahren sei vom Bundestag lange verweigert worden.
StA Stuttgart – Korruptionsverdacht gegen Rolls Royce: Die Rolls Royce Power Systems AG, eine Tochter der britischen Rolls Royce plc, sieht sich erneut dem Verdacht der Korruption ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat entsprechende Ermittlungen eingeleitet, berichtet Bloomberg (Karin Matussek) in englischer Sprache. Erst im April hatte sich Rolls Royce im Rahmen einer Urteilsabsprache verpflichtet, zwölf Millionen Euro zu zahlen. Seinerzeit ging es um Korruptionsfälle in Korea. Die Ermittlungen wurden jetzt auf insgesamt sieben asiatische Länder ausgedehnt.
OLG Düsseldorf – Edeka/Tengelmann: Laut Hbl (Klaus Statmann) und Montags-SZ (Michael Kläsgen) hat Bundeswirtschaftsminister* Gabriel in dem Verfahren um die Ministererlaubnis zur Fusion von Kaiser’s/Tengelmann und Edeka einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt. Das Ministerium will unter anderem klargestellt haben, dass Gabriel am 1. Dezember die Vertreter von Edeka und Tengelmann nicht gemeinsam, sondern getrennt voneinander getroffen habe. Auch der Vorwurf des Gerichts, die Stellungnahme der Edeka-Anwälte zum Rewe-Angebot sei vom Ministerium als vertraulich behandelt worden, stimme nicht.
Die WamS (Michael Gassmann) porträtiert den für das Verfahren zuständigen Vorsitzenden Richter des 1. Kartellsenats am Oberlandesgericht Düsseldorf Jürgen Kühnen.
LG Regensburg zur Sicherungsverwahrung: Das Landgericht Regensburg hat laut spiegel.de die Klage eines verurteilten Sexualstraftäters auf Schadensersatz wegen einer nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung abgewiesen. Die Sicherungsverwahrung war 2008 angeordnet worden, wurde dann vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und 2012 erneut angeordnet. Das Landgericht Regensburg hat keinen zu entschädigenden Konventionsverstoß festgestellt und auch einen Amtshaftungsanspruch verneint. Die nach geltendem Recht zu beachtenden Einweisungsbedingungen hätten beim Kläger von Beginn an vorgelegen.
HessLAG zu Druckkündigung: Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Kündigung eines Mitarbeiters der Commerzbank, die dem Arbeitgeber durch die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde auferlegt worden war, für unwirksam erklärt. Die Voraussetzungen einer so genannten Druckkündigung hätten im konkreten Fall nicht vorgelegen. Rechtsanwalt Norbert Pflüger stellt in einem Gastbeitrag in der Samstags-FAZ die Entscheidung vor.
Fischer im Recht?: Mit der Kolumne von BGH-Richter Thomas Fischer auf zeit.de befassen sich gleich zwei Beiträge vom Wochenende: Volker Zastrow (FAS) kritisiert Form und Inhalt der Beiträge Fischers – ihm diene die Kolumne als "Ausweitung der Kampfzone BGH". Zastrow bezieht sich auch auf einen Beitrag auf lto.de, in dem der BGH-Richter Andreas Mosbacher – ohne Namensnennung – die öffentlichen Äußerungen von Richtern zu laufenden Verfahren problematisiert. Ganz anderer Ansicht ist Uwe Schmitt (WamS). Wenn es nach ihm ginge, dürfte es noch mehr Fischers in Deutschland geben – kein deutscher Richter schreibe spannender.
Gerichtsreportage: In der FAS berichtet Raquel Erdtmann über ein Strafverfahren gegen einen staatenlosen Flüchtling, der im Drogenrausch einen anderen Mann verletzt hat. Er wurde zu drei Jahren Haft mit Entziehungskur verurteilt.
*Gabriel wurde hier zunächst versehentlich als Bundesfinanzminister bezeichnet
Recht in der Welt
Polen - Verfassungsgericht: Der polnische Präsident Andrzej Duda hat das umstrittene neue Gesetz zur Arbeitsweise des Verfassungsgerichtes unterzeichnet, berichtet zeit.de. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, dass alle vor dem Verfassungsgericht anhängigen Verfahren neu begonnen werden müssen. Brüssel verlangt von Polens Regierung dagegen die Umsetzung mehrerer Urteile des Verfassungsgerichts. Am vergangenen Mittwoch hatte die EU-Kommission dem Land ein Ultimatum gestellt: Innerhalb der nächsten drei Monate müssen die Empfehlungen der Kommission umgesetzt werden, ansonsten würden Sanktionen drohen.
Irisch-schottische (Wieder-)vereinigung: Auf verfassungsblog.de wünscht sich Rechtsanwalt Aidon O’Neill in englischer Sprache eine Vereinigung von Nordirland, Irland und Schottland. Der neue Staat könne dann Mitglied der Europäischen Union werden beziehungsweise bleiben. Als Beispiel zieht er die deutsch-deutsche Wiedervereinigung heran. Die Zusammenführung von Irland, Nordirland und Schottland wäre sogar einfacher – weil deren Bürger bereits jetzt Unionsbürger und die wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Unterschiede deutlich geringer seien.
Österreich – Waffenrecht: Die Samstags-taz (Ralf Leonhard) betrachtet das österreichische Waffenrecht. Die gesetzlich vorgesehenen Hürden für den legalen Erwerb einer Waffe seien lediglich psychologisch. So sei für eine so genannte Waffenbesitzkarte ein positives Gutachten erforderlich. Die Sinnhaftigkeit der dafür gestellten Fragen an den Antragsteller seien jedoch teilweise sehr fragwürdig.
Frankreich – kein Guantanamo: Der französische Premierminister Manuel Valls hat sich gegen die Forderung des früheren Präsidenten Sarkozy nach einer präventiven Sicherungsverwahrung für radikalisierte Islamisten ausgesprochen. Das berichtet die Samstags-FAZ (Michaela Wiegel). Sarkozy hat wiederholt verlangt, im Krieg gegen den Terrorismus "den aktuellen Rechtsrahmen zu verlassen" und Verdächtige auch ohne Strafverfahren einzusperren.
Brasilien – Lula vor Gericht: Der frühere brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva muss sich wegen des Verdachts auf Behinderung der Justiz vor Gericht verantworten, meldet die Montags-FAZ. Lula und sechs weitere Angeklagte sollen versucht haben, den im Korruptionsskandal beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras angeklagten einstigen Manager Nestor Cerveró mit Bestechungsgeld in Millionenhöhe von belastenden Aussagen abzubringen. Außerdem sollen sie versucht haben, Cerveró zur Flucht ins Ausland zu überreden, um sich dem Zugriff der Justiz zu entziehen.
Sonstiges
Rechtsanwalt Gernot Lehr: In einem Interview mit dem Handelsblatt berichtet Rechtsanwalt Gernot Lehr über sein Mandat Christian Wulf und darüber, wie man auch als Prominenter seine Privatsphäre bestmöglich schützt. Er rät, das Privatleben absolut vor den Medien verschließen und es nicht zu kommerzialisieren. Nur dann habe man auch den rechtlichen Schutz, wenn die Berichterstattung mal ins Negative umschlägt.
"Terror" von Schirach: Im Feuilleton der FAS sprechen die ehemaligen Innenpolitiker Burkhard Hirsch und Gerhart Baum über das Theaterstück "Terror" von Ferdinand von Schirach. Es geht darin um den Abschuss eines Passagierflugzeuges, dessen Pilot von Terroristen zum gezielten Absturz über einem vollen Stadion gezwungen wird. Zum Schluss des Stückes sollen die Zuschauer über die Schuld des Kampfjetpiloten, der die Maschine abgeschossen hatte, entscheiden. Baum und Hirsch kritisieren nachdrücklich, dass Schirach das Publikum dazu bringe, eine Entscheidung zu treffen, die der Verfassung widerspreche, ohne darauf hinzuweisen. Hirsch hatte 2005/2006 die Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz vertreten.
Andreas Rosenfelder kritisiert die Schlussfolgerungen von Baum und Hirsch in der Montags-Welt. Dass namhafte Liberale so über die Freiheit des ästhetischen Urteils denken, sei ein Trauerspiel.
#Rio2016: Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat rechtliche Schritte gegen die Nutzung des Hashtags "Rio2016" angekündigt. Thomas Stadler gibt dazu auf seinem Blog internet-law.de eine rechtliche Bewertung und kommt zu dem Schluss, dass DOSB und auch das IOC – jedenfalls nach dem Maßstab des deutschen und europäischen Rechts – die Benutzung des Hashtags "Rio2016" kaum erfolgreich verbieten können.
Das Letzte zum Schluss
Ein Prinz und seine Familie: Ein Gericht in den USA muss sich jetzt mit zahlreichen vermeintlichen Hinterbliebenen des im April verstorbenen Musikers Prince auseinandersetzen. Laut n-tv.de haben sich in Minnesota 29 angebliche Erben des Künstlers gemeldet, darunter fünf Kläger, die behaupten, dass Prince ihr Vater gewesen sei. Zwei Antragsteller sitzen derzeit im Gefängnis. Der Richter hat die Ansprüche überwiegend zurückgewiesen, weil keine stichhaltigen Beweise für eine tatsächliche Verwandtschaft dargelegt werden konnten. Es bleibt die alte Weisheit, dass man sich Familie eben nicht aussuchen kann.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/pf
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 30. Juli bis 1. August 2016: Verbot von Erdogan-Video / Fischers-Kolumne / Debatte um Theaterstück . In: Legal Tribune Online, 01.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20145/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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