Kritische Stimmen zum türkischen Strafverfolgungsantrag. Außerdem in der Presseschau: Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen und EuGH verhandelt über Vorratsdatenspeicherung.
Thema des Tages
Staatsaffäre Böhmermann: Die Bundesregierung wird den Antrag der türkischen Regierung auf Strafverfolgung von Jan Böhmermann wohl abweisen. Sowohl das Auswärtige Amt als auch Vertreter der SPD hätten sich kritisch geäußert. Letztere plädierten zugleich für eine Streichung der einschlägigen Paragrafen, schreiben Tsp (Kurt Sagatz/Jost Müller-Neuhof) und SZ (Nico Fried). Wie focus.de (Axel Spilcker) berichtet, steht der Moderator wegen einer befürchteten Gefährdung durch Erdogan-Anhänger nun unter Polizeischutz.
Heribert Prantl (SZ) spricht sich dafür aus, die Causa Böhmermann ganz schnell einer juristischen Prüfung zuzuführen. Dies sei sachgerecht, weil die Justiz im Gegensatz zur Politik erstens unabhängig und zweitens nicht so unter Zeitdruck sei. Zudem eigne sich der Fall für eine Auslotung der Reichweite von Meinungs- und Kunstfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht.
Die Rechtsprechung zum Beleidigungsparagrafen stellt zeit.de (Constantin van Lijnden) dar. Ein Fall, in dem Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit auf solch verdrehte Weise verwoben sind, sei bislang noch nicht entschieden worden. Der Frage, ob Böhmermanns Äußerung nach den Grundsätzen der Kunst- oder der Meinungsfreiheit zu bewerten ist, geht internet-law.de (Thomas Stadler) nach. In Form von Frage und Antwort liefert spiegel.de (Dietmar Hipp) einen Überblick über die rechtlichen Regelungen. Im Interview mit lto.de (Pia Lorenz) erklärt die Rechtsanwältin Gül Pinar, dass Erdogans Strafverlangen zu dem System der Angst passe, was er in der Türkei etabliert habe. Die FAZ (Eckart Lohse/Majid Sattar) beschreibt, wie sich die Angelegenheit derart zuspitzen konnte.
Rechtspolitik
EU-Geschäftsgeheimnisse: Am Donnerstag wird das EU-Parlament über die Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen abstimmen. Wie sich dadurch die Situation von Arbeitnehmern und Whistleblowern verschlechert, erläutert netzpolitik.org (Markus Reuter). Im Gegensatz zum bisher geltenden objektiven Geheimhaltungsinteresse solle die Definition des Geschäftsgeheimnisses künftig von den Unternehmen selbst bestimmt werden.
Steuerflucht: Wie die SZ (Cerstin Gammelin) berichtet, hat die SPD-Fraktion einen 20-Punkte-Plan gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgelegt, der weit über den von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorgelegten Aktionsplan zur weltweiten Bekämpfung von Steuerflucht hinausgeht. Anders als Schäuble habe die SPD zehn nationale Sofortmaßnahmen, darunter harte Sanktionen gegen Banken, personelle Aufstockung der Steuerbehörden und einheitlichen Steuervollzug gefordert. Zudem sollen die Vorschriften der vierten EU-Geldwäsche-Richtlinie national verschärft werden, etwa durch die Einführung einer Obergrenze für Bargeldzahlungen.
Mietspiegel: Bundesjustizminister Heiko Maas hat einen Entwurf zur Reform des Mietrechts vorgelegt, durch den Mieter entlastet werden sollen. So seien Änderungen bei der Umlage von Modernisierungskosten und der Erstellung von Mietspiegeln vorgesehen, die weitgehend zu Lasten der Eigentümer gehen. Der Zeitraum, der zur Berechnung der Mietspiegel herangezogen wird, solle von vier auf acht Jahre verlängert werden, schreibt SZ (Robert Roßmann).
Justiz
EuGH – Vorratsdatenspeicherung: Nachdem der Europäische Gerichtshof vor zwei Jahren die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt hatte, verhandelte er am Dienstag erneut - über all die Fragen, auf die sich in dem Urteil keine Antworten finden. Viele von ihnen bezogen sich auf die sensiblen Standortdaten, berichtet SZ (Wolfgang Janisch). Im Kontext all der Staaten, die mehr Speicherung zur Terrorismusabwehr beschworen hätten, stehe Deutschland mit seinem neuen, restriktiven Speichermodell als Musterknabe da.
BVerfG zu Akkreditierung: Das HBl (Stefani Hergert) erläutert die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus März, wonach das nordrhein-westfäliche Modell zur Akkreditierung von Studiengängen nicht verfassungskonform ist. Nun müsse der Gesetzgeber die Qualitätskontrolle neu regeln und dabei selber festlegen, nach welchen Kriterien begutachtet wird und wie das Verfahren abläuft. Entsprechender Regelungsbedarf bestehe auch in anderen Bundesländern.
BGH zur Berichterstattung über Organentnahme: Die taz hat im Rechtsstreit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) vom Bundesgerichtshof (BGH) Recht bekommen. So wie der von der DSO beanstandete Artikel über eine unprofessionelle Organentnahme vom "unbefangenen Durchschnittsleser" verstanden werde, handele es sich um eine "wahrheitsgemäße" Aussage. Der BGH habe zudem das "erhebliche öffentliche Interesse" an dem Thema und die von der taz dabei ausgeübte "Kontrollfunktion" der Presse betont, schreibt die taz.de (Christian Rath).
EGMR – Nato-Spion: Der vom Oberlandesgericht Koblenz im November 2013 wegen landesverräterischer Ausspähung zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilte frühere Nato-Mitarbeiter Manfred K. klagt dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Der Fall werfe ein Schlaglicht auf die rechtliche Problematik um den Begriff "Staatsgeheimnis". Dieser werde fast immer von der betroffenen Behörde selbst definiert, erläutert spiegel.de (Jörg Diehl).
LG München I – Deutsche-Bank-Prozess: Im Prozess gegen fünf ehemalige Topmanager der Deutschen Bank wegen versuchten Prozessbetrugs und uneidlicher Falschaussage hat die Staatsanwaltschaft mehrjährige Haftstrafen gefordert. Rolf-Ernst Breuer soll für dreineinhalb Jahre ins Gefängnis, sein Nachfolger Josef Ackermann für zweieinhalb Jahre – beide ohne Bewährung. Das Gericht zeigte sich jedoch nicht von der Anklage überzeugt. Ein Urteil könnte am 25. April fallen, schreibt die FAZ (Joachim Jahn).
StA München I – Panama Papers: Wie der Rechtsanwalt Fabian Meinecke auf lto.de schreibt, würde die Staatsanwaltschaft (StA) München I in der Affäre um die Panama Papers gerne mögliche Verwicklungen der Bayrischen Landesbank und Siemens ermitteln, werde jedoch daran gehindert, weil die belastenden Dokumente bei Medien liegen. Eine Beschlagnahme sei nicht möglich, weil die Pressefreiheit neben dem Schutz des Informanten auch die durch anonyme Quellen zur Verfügung gestellten Unterlagen einschließe. So lange dies so sei, könne niemand einen Anfangsverdacht prüfen, konstatiert der Rechtsanwalt Daniel M. Krause in der FAZ. Zudem sei fraglich, ob die Dokumente vor Gericht als Beweismittel verwertet werden können, da es sich nahezu ausschließlich um vertrauliche Anwaltspost handele.
Fehler beim BGH: In seiner Kolummne auf zeit.de befasst sich Thomas Fischer dieses Mal mit den Fehlern, die auch beim Bundesgerichtshof (BGH) nicht ausbleiben und veranschaulicht dies am Beispiel der Wirren um die "rechtsstaatswidrige Tatprovokation".
Recht in der Welt
EGMR – Roma in Ungarn: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat festgestellt, dass Ungarn das Recht auf Privatleben der Roma von Gyöngyöspata verletzt habe, indem nichts gegen die dort stattfindenden Anti-Roma-Märsche unternommen wurde. Den Staat treffe die positive Verpflichtung, dem begründeten Verdacht auf rassistische Motive nachzugehen, wenn Menschen aufeinander losgingen, gibt verfassungsblog.de (Maximilian Steinbeis) die Entscheidung wieder.
Schweiz – Referendum gegen Überwachung: In der Schweiz ist ein von einem breiten Bündnis getragenes Referendum gegen die Ausweitung des "Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs" gestartet. Mit dem Gesetz solle die sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung um größere Internetdienste erweitert und der Einsatz von IMSI-Catchern auf Demonstrationen sowie von Staatstrojahnern erlaubt werden, schreibt netzpolitik.org (Markus Reuter).
Polen – Verfassungskrise: In einer Resolution des EU-Parlaments, die am heutigen Mittwoch verabschiedet werden soll, wird Polen dazu aufgerufen, Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarates umzusetzen. Damit erhöhe die EU den Druck auf Polen, schreibt SZ (Daniel Brössler). Die schwierige Aufgabe des polnischen Menschenrechtskommissars Adam Bodnar wird von der SZ (Florian Hassel) veranschaulicht.
Sonstiges
Parlamentarische Anfragen: Wie sich die Bundesregierung gerade beim Thema Geheimdienst vor klaren Stellungnahmen auf parlamentarische Anfragen der Opposition drückt, beschreibt Tsp (Jost Müller-Neuhof).
Informantenschutz: Gerade wegen der Risiken des Whistleblowing, das häufig als Verrat angesehen werde, müssten Informanten unter allen Umständen geschützt werden. Journalisten, die diesen Schutz nicht pflegen, würden dem Berufsstand schaden. Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnisverweigerungspflicht seien daher das Rückgrat des Journalismus, schreibt SZ (Hans Leyendecker).
Umsatzsteuer: Wie der Rechtsanwalt Markus Adick in der FAZ erläutert, bringen die verschärften Maßnahmen der Finanz- und Ermittlungsbehörden in Europa gegen Umsatzsteuerbetrug auch Risiken für redliche Unternehmer mit sich. Wer die Anforderungen an die hier geltende unternehmerische Sorgfalt nicht erfülle, müsse strafrechtliche Sanktionen befürchten.
Das Letzte zum Schluss
Probleme mit Reichsbürgern: Ein selbsternannter Reichsbürger hat bei einer Verkehrskontrolle in Rostock einen Polizisten umgefahren. Wegen zunehmender Probleme mit deren aggressivem Auftreten sollen Brandenburger Finanzämter nun mit einem Alarmknopf am PC ausgestattet werden, um die Mitarbeiter vor möglichen Übergriffen zu schützen. Die Zahl der Reichsbürger in Brandenburg werde auf etwa 200 geschätzt, schreibt Justillon (Stephan Weinberger).
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ml
(Hinweis für Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 13. April 2016: Böhmermann-Affäre / Geschäftsgeheimnisse/ keine Panama Papers für StA . In: Legal Tribune Online, 13.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19054/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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